Zum Inhalt springen

Differentialform

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 6. April 2009 um 23:42 Uhr durch MerlLinkBot (Diskussion | Beiträge) (Begriffsklärung: Topologie - Link(s) ersetzt durch topologischer Raum). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Der Begriff Differentialform (oft auch alternierende Differentialform genannt) geht auf den Mathematiker Élie Joseph Cartan (* 9. April 1869 in Dolomieu, Dauphiné; † 6. Mai 1951 in Paris) zurück. Differentialformen sind ein grundlegendes Konzept der Differentialgeometrie. Sie dienen insbesondere der koordinatenunabhängigen Integration auf einer Mannigfaltigkeit.

Mit der äußeren Ableitung verallgemeinerte Cartan das aus der Analysis bekannte Leibnizsche Differential und den aus der Vektoranalysis bekannten Gradienten auf die Differentialformen.

Kontext

Es sei

  • eine offene Teilmenge des
  • oder allgemeiner ein offener Teil einer differenzierbaren Untermannigfaltigkeit des
  • oder allgemein ein offener Teil einer (abstrakten) differenzierbaren Mannigfaltigkeit.

In jedem dieser Fälle gibt es

  • den Begriff der differenzierbaren Funktion auf ; der Raum der differenzierbaren Funktionen auf werde mit bezeichnet;
  • den Begriff des Tangentialraums an in einem Punkt ;
  • den Begriff der Richtungsableitung für einen Tangentialvektor und eine differenzierbare Funktion ;
  • den Begriff des differenzierbaren Vektorfeldes auf ; der Raum der Vektorfelder auf sei mit bezeichnet.

Der Dualraum des Tangentialraums wird als Kotangentialraum bezeichnet.

Definition

Sei eine differenzierbare Mannigfaltigkeit der Dimension . Eine Differentialform vom Grad k oder kurz k-Form ist ein glatter Schnitt in der k-ten äußeren Potenz des Kotangentialbündels von . In mathematischer Schreibweise bedeutet dies .

Anmerkung

Also ist eine alternierende, glatte multilineare Abbildung . Das bedeutet: ordnet Vektorfeldern eine Funktion zu, so dass

  • für

und

gilt.

Alternativ kann man die Differentialformen punktweise definieren. Dazu ordnet jedem Punkt eine alternierende -multilineare Abbildung

zu, so dass für Vektorfelder die Funktion

differenzierbar ist.

Raum der Differentialformen

Die Menge der k-Formen auf bildet einen Vektorraum und wird mit bezeichnet. Weiterhin setzt man

.

Für endlich dimensionale Mannigfaltigkeiten ist diese Summe endlich, da für der Vektorraum der Nullvektorraum ist. Die Menge ist nun ebenfalls wieder ein Vektorraum. Aus topologischer Sicht ist dieser Raum auch eine Garbe.

Man kann als Element der äußeren Potenz auffassen; infolgedessen definiert das äußere Produkt (d. h. das Produkt in der äußeren Algebra) Abbildungen

wobei punktweise definiert ist:

Dieses Produkt ist graduiert-kommutativ, es gilt

dabei bezeichnet den Grad von , d. h. ist eine k-Form, so ist . Das heißt, dass das Produkt zweier Formen ungeraden Grades antikommutativ ist, in allen anderen Kombinationen ist das Produkt kommutativ.

Beispiele

Koordinatendarstellung

Es sei eine n-dimensionale differenzierbare Mannigfaltigkeit. Weiter sei ein lokales Koordinatensystem (Karte). So ist

eine Basis der äußeren Algebra über dem Kotangentialraum von also von .

Jede Differentialform hat auf allen Karten eine eindeutige Darstellung

mit geeigneten differenzierbaren Funktionen . Auf den Kartenübergangsgebieten ist die Differentialform ebenfalls wohldefiniert. An dieser Darstellung kann man leicht abzulesen, dass für die Nullform die einzige Differentialform ist.

Äußere Ableitung

Hauptartikel: Cartan-Ableitung

Die äußere Ableitung oder Cartan-Ableitung einer -Form wird induktiv mithilfe der Lie-Ableitung und der Cartan-Formel

definiert; dabei ist ein Vektorfeld, die Lie-Ableitung und die Einsetzung von .

Ist beispielsweise eine 1-Form, so ist

und

also

für Vektorfelder ; dabei bezeichnet die Lie-Klammer.

Die allgemeine Formel lautet

dabei bedeutet der Haken in , dass das entsprechende Argument wegzulassen ist.

Eigenschaften

Die äußere Ableitung hat folgende Eigenschaften:

  • Die äußere Ableitung ist eine Antiderivation das heißt ist -linear und für gilt die Leibnizregel
  • Sei , dann stimmt die äußere Ableitung mit dem totalen Differential überein.
  • Die äußere Ableitung respektiert Einschränkungen. Es sei also offen und sei , dann gilt . Man nennt die äußere Ableitung deshalb auch einen lokalen Operator.

Diese vier Eigenschaften charakterisieren die äußere Ableitung vollständig, das heißt man kann aus diesen Eigenschaften die obige Summenformel herleiten. Rechnet man mit der äußeren Ableitung so bevorzugt man das Rechnen mit den Eigenschaften der Ableitung und vermeidet die obige Formel.

Koordinatendarstellung der äußeren Ableitung

Sei ein Punkt auf der Mannigfaltigkeit. Die äußere Ableitung hat in diesem Punkt die Darstellung

Um die dabei entstehenden Ausdrücke wieder durch die Standardbasis auszudrücken, sind die Identitäten

und

wichtig.

Beispiel

  • Für gilt
  • Für n=3 bilden die Koeffizienten der Differentialform bei analogem Vorgehen den rot (Rotations-) Vektor der Vektoranalysis.

Exakte und geschlossene Formen; de-Rham-Kohomologie

Eine -Form heißt geschlossen, wenn gilt; sie heißt exakt, wenn es eine -Form gibt, so dass gilt. Aufgrund der Formel ist jede exakte Form geschlossen. Man beachte, dass Geschlossenheit im Gegensatz zu Exaktheit eine lokale Eigenschaft ist: Ist eine offene Überdeckung von , so ist eine -Form genau dann geschlossen, wenn die Einschränkung von auf für jedes geschlossen ist.

Der Faktorraum

{geschlossene -Formen auf }/{exakte -Formen auf }

heißt -te de-Rham-Kohomologiegruppe (nach Georges de Rham). Sie enthält Informationen über die globale topologische Struktur von .

Das Poincaré-Lemma (nach Henri Poincaré) besagt, dass

für

gilt, d. h., dass in jede geschlossene Form auch exakt ist. Diese Aussage gilt u. a. auch im Minkowski-Raum :

Ein Beispiel aus der Elektrodynamik

In der Elektrodynamik impliziert diese Aussage, dass zu jedem Paar elektromagnetischer Felder , die ja zu einer zweistufigen alternierenden Differentialform in einem vierdimensionalen sog. Minkowskiraum zusammengefasst werden können, eine einstufige Vektorpotentialform mit existiert, ein sog. „Viererpotential“ (siehe auch: Vierervektor).

Auch Strom- und Ladungsdichten können zu einem Vierervektor bzw. zu einer entsprechenden 3-Form, , zusammengefasst werden.

Die Feldstärkeform erfüllt . Das entspricht den ersten beiden Maxwellschen Gleichungen. Die dritte und vierte der Maxwell-Gleichungen ergeben (in geeigneten Einheiten): , wobei die zu duale Form ist (s.u.) .

Die Potentialform ist nur bis auf einen additiven Zusatz eindeutig: und ergeben dasselbe , mit einer Eichform , die erfüllt, aber ansonsten willkürlich ist. Man kann diese zusätzliche sog. Eichfreiheit dazu benutzen, um punktweise zusätzliche Nebenbedingungen zu erfüllen. In der Elektrodynamik fordert man beispielsweise, dass für überall die zusätzliche sog. Lorenz-Bedingung (Lorenz-Eichung) gelten soll (in den vier Komponenten lautet diese Bedingung einfach ). Durch diese „Eichfixierung“ ergibt sich schließlich als eindeutige Lösung aller vier Maxwell-Gleichungen das sog. „retardierte Potential“:

Beim Übergang zum Dualen ist zu beachten, dass man es nicht mit dem , sondern mit zu tun hat mit einer entsprechend anderen Metrik. Das bei Lorentztransformationen invariante Linienelement ist , wobei das Differential der Eigenzeit ist und die Summenkonvention verwendet wurde. Ko- und kontravariante Vierervektorkomponenten unterscheiden sich nun. Zwar ist , aber .

Fortsetzung: das Lemma von Poincaré

Allgemeiner gilt die Aussage des besagten Lemmas für zusammenziehbare offene Teilmengen U des . Der Beweis ist konstruktiv, d. h. es werden explizite Beispiele konstruiert, was für Anwendungen, s.o., sehr wichtig ist. (Man beachte, dass aus den lokal konstanten Funktionen besteht, da es per definitionem keine exakten 0-Formen gibt. Es ist also für jedes .)

Ist geschlossen und exakt, so folgt

Entsprechendes gilt, falls exakt und geschlossen ist. Damit gibt es induzierte Abbildungen

Siehe auch de-Rham-Kohomologie, Kokettenkomplex

Orientierung

Ist , so heißt eine -Form auf , die in keinem Punkt verschwindet, eine Orientierung auf . zusammen mit einer derartigen Form heißt orientiert. Eine Orientierung definiert Orientierungen der Tangential- und Kotangentialräume: eine Basis des Kotangentialraums in einem Punkt sei positiv orientiert, wenn

mit einer positiven Zahl gilt; eine Basis des Tangentialraums in einem Punkt sei positiv orientiert, wenn

gilt.

Zwei Orientierungen heißen äquivalent, wenn sie sich um einen überall positiven Faktor unterscheiden; diese Bedingung ist äquivalent dazu, dass sie auf jedem Tangential- oder Kotangentialraum dieselbe Orientierung definieren.

Ist zusammenhängend, so gibt es entweder bis auf Äquivalenz genau zwei oder gar keine Orientierungen.

heißt orientierbar, wenn eine Orientierung von existiert.

Siehe auch Orientierung (Mathematik)

Integral von Differentialformen

Es sei wieder , und wir nehmen an, auf sei eine Orientierung gewählt. Dann gibt es ein kanonisches Integral

für -Formen . Ist eine offene Teilmenge, eine positiv orientierte Basis und

so ist

das Integral auf der rechten Seite ist das gewöhnliche Lebesgue-Integral im .

Aus dem Transformationssatz folgt, dass diese Definition invariant gegenüber Koordinatenwechsel ist.

Satz von Stokes

Hauptartikel: Satz von Stokes

Ist eine kompakte orientierte -dimensionale differenzierbare Mannigfaltigkeit mit Rand , und versieht man mit der induzierten Orientierung, so gilt für jede -Form

Dieser Satz ist eine weitreichende Verallgemeinerung des Hauptsatzes der Differential- und Integralrechnung.

Ist geschlossen, d. h. gilt , so folgt für jede exakte -Form , d. h. falls , die Beziehung:

Zur Verdeutlichung der genannten Eigenschaft von benutzt man oft die Formulierung mit einem Kreis-Integral:

.

Wie auch immer, das Integral definiert eine Abbildung

Ist zusammenhängend, so ist diese Abbildung ein Isomorphismus. Man kommt damit zur De-Rham-Kohomologie zurück (s.o.). Insbesondere gilt die folgende Korrespondenz:   für alle M für alle .

Zurückziehen („pull-back“) von Differentialformen

Hauptartikel: Pullback

Ist eine differenzierbare Abbildung zwischen differenzierbaren Mannigfaltigkeiten, so ist für die mittels   zurückgeholte Form wie folgt definiert:

Dabei ist die durch f induzierte Abbildung der Ableitungen, auch "push-out" genannt. Mit den anderen Operationen ist das Zurückziehen verträglich, es gilt

1.)

(pedantisch geschrieben: auf der linken Seite , auf der rechten Seite dagegen ), und

2.)

für alle .

Insbesondere induziert eine Abbildung

wobei die Umkehr der Pfeilrichtung gegenüber zu beachten ist („pull-back“, „Kohomologie“ statt „Homologie“).

Davon abgesehen, können die „pull-back“-Operationen von Differentialformen aber i.W. als „trivial“ bezeichnet werden.

Duale Form und Stern-Operator

Hauptartikel: Hodge-Stern-Operator

Betrachtet werden äußere Formen in einem n-dimensionalen Raum, in dem ein inneres Produkt (Metrik) definiert ist, so dass eine orthonormale Basis des Raumes gebildet werden kann. Die zu einer äußeren Form von Grad k in diesem n-dimensionalen Raum duale Form ist eine (n-k)-Form

Dabei seien beide Seiten in orientierter Form geschrieben. Formal wird die duale Form durch Anwendung des (Hodge) *-Operators bezeichnet. Speziell für Differentialformen im dreidimensionalen euklidischen Raum ergibt sich:

mit den 1-Formen dx, dy dz. Dabei wurde berücksichtigt, dass die orientierte Reihenfolge hier (y,z), (x,y) und (z, x) ist (zyklische Verschiebungen in (x,y,z)).

Das *-Symbol soll die Tatsache unterstreichen, dass damit ein inneres Produkt im Raum der Formen auf einem zugrundeliegenden Raum M gegeben ist, denn lässt sich für zwei k-Formen und als Volumenform schreiben und das Integral

liefert eine reelle Zahl. Der Zusatz dual zeigt an, dass die zweifache Anwendung auf eine k-Form wieder die k-Form ergibt, bis auf das Vorzeichen, das gesondert betrachtet werden muss. Genauer gilt für eine k-Form in einem n-dimensionalen Raum, dessen Metrik die Signatur s hat (s=+ 1 im euklidischen Raum, s= − 1 im Minkowski-Raum):

Oben wurde gezeigt, wie sich im 3-dimensionalen euklidischen Raum bei äußerer Ableitung einer 1-Form die 2-Form ergibt mit den Komponenten des Rotations-Vektors der Vektoranalysis als Koeffizienten. Diesen rot-Vektor kann man mit Hilfe des *-Operators nun auch formal direkt als 1-Form schreiben: . Analog wird der *-Operator zur „Übersetzung“ des oben formulierten Satzes von Stokes in die Vektoranalysis-Form benutzt.

Die relativistischen Maxwell-Gleichungen der Elektrodynamik auf einer vierdimensionalen Raum-Zeit-Mannigfaltigkeit M (mit Metrik und Determinante der Metrik g, wobei hier natürlich die Signatur eines Minkowski-Raumes gilt, etwa für , entsprechend der früher gegebenen Definition der Pseudo-Länge ), lauten beispielsweise unter Verwendung dieser Symbolik:

(die so genannte Bianchi-Identität) und

mit dem elektromagnetischen Feldtensor ausgedrückt als 2-Form

z. B. , mit der z-Komponente des Vektors der magnetischen Induktion, und mit dem Strom (geschrieben als 3-Form)

Hierbei ist das Antisymmetrisierungs-Symbol (Levi-Civita-Symbol) und das Semikolon steht für die kovariante Ableitung. Wie üblich wird über doppelt vorkommende Indices summiert (Einstein-Summenkonvention) und es werden natürliche Einheiten verwendet (Lichtgeschwindigkeit c ersetzt durch 1). Durch Anwendung des *-Operators kann man den zweiten Satz der vier Maxwellgleichungen auch alternativ mit einer 1-Form für den Strom schreiben. Aus den Maxwellgleichungen sieht man, dass und in der Elektrodynamik ganz unterschiedlichen Gleichungen gehorchen, die Dualität also keine Symmetrie dieser Theorie ist. Das liegt daran, dass die Dualität elektrische und magnetische Felder vertauscht, in der Elektrodynamik aber keine magnetischen Monopole bekannt sind. Die freien Maxwellgleichungen, d. h. für , haben dagegen duale Symmetrie.

Die Besonderheiten, die sich beim Übergang zum Dualen dadurch ergeben, dass der Elektrodynamik nicht der euklidische Raum , sondern der Minkowski-Raum zugrunde liegt, wurden in einem früheren Paragraphen bereits angedeutet und hier benutzt.

Verallgemeinerung

Wenn die äußere Differentiation nicht, wie hier, auf reelle oder komplexe Funktionen angewandt wird, sondern z.B. auf Elemente von nichttrivialen Liegruppen, erhält man Ausdrücke, für die ähnliche Gesetzmäßigkeiten gelten wie hier. Jedoch ist nicht sondern das Ergebnis hängt von dieser Gruppe ab (genauer: von deren sog. Strukturkonstanten, siehe Yang-Mills-Theorie).

Siehe auch

Literatur

  • Shigeyuki Morita Geometry of differential forms, American Mathematical Society 2001, ISBN 0821810456 (viel Anschauung in diesem Buch)
  • Harley Flanders Differential forms with applications to the physical sciences, Academic Press 1963
  • Lehrbücher der theoretischen Physik, in denen durchgängig Differentialformen verwendet werden, sind z.B. Walter Thirring Lehrbuch der mathematischen Physik, Bd.1,2, Yvonne Choquet-Bruhat, Cécile DeWitt-Morette, Margaret Dillard-Bleick „Analysis, Manifolds and Physics“, 2 Bde., North Holland 1977