Philosophie der Antike

Die Philosophie der Antike, die Geburt der Liebe (philia) zur Weisheit (sophia), wird durch die Eule der Göttin Athene (römisch: Minerva) symbolisiert. Die antike europäische Philosophie (griechisch φιλοσοφία) beginnt mit der Vorsokratik, hat ihre Blüte in der klassischen Philosophie und endet schließlich mit dem Neuplatonismus.
Ein interessantes Phänomen ist die etwa gleichzeitig entstehende indische und chinesische Philosophie, denn auch im antiken fernen Orient entstanden bedeutende Philosophien (vgl. Achsenzeit). An dieser Stelle geht es allerdings um die europäische antike Philosophie, die zusammen mit der hebräischen, ägyptischen und mesopotamischen Kultur u.a. in Athen und später in Rom das Weltanschauungsspektrum des Abendlandes grundgelegt hat.
Mit seiner reichen philosophischen Tradition bildete Athen das überragende und ausstrahlende Zentrum antiken Nachdenkens über die kosmische Ordnung, die Natur des Menschen und die richtige Art zu leben. Der Mathematiker und Philosoph Alfred North Whitehead bemerkte einmal, dass alle späteren Entwürfe der europäischen Philosophie im Grunde nur Fußnoten zu Platon seien.
Wer von der Philosophie der Antike die Vorstellung einer langweiligen, altbackenen Moralpredigt hat, der täuscht sich. Der Marktplatz (Agora) in Athen symbolisiert die Freiheit des Denkens durch Austausch der Ansichten und Argumente im Agon, einem friedlichen Wettstreit. Hier wurden die großen Fragen zur Sprache gebracht. Woher kommt alles? Was ist die Tugend? Was ist der Anfang oder der Urgrund (Arché)? Was ist die Wahrheit (Aletheia)? Was ist das Gute, das Glück?
Am Anfang solchen Nachdenkens stand die ionische Naturphilosophie, deren Köpfe zu den Vorsokratikern gezählt werden. Sie setzten dem mythologisch geprägten Weltbild der homerischen Epen, die in zeitlicher Nachbarschaft zu den ersten Olympischen Spielen (776 v. Chr.) schriflich gefasst worden waren und mit diesen gemeinsam einen wichtigen Impuls für das kulturelle Zusammenwachsen der Hellenen gesetzt hatten, eine aufklärerischen Betrachtungsweise entgegen, die sich z.B. in der Vorhersage einer Sonnenfinsternis 585 v. Chr. durch Thales von Milet bestätigen ließ. Mit dem siegreichen Ausgang der Perserkriege wurde Athen ab dem 5. Jahrhundert v. Chr. zum kulturellen Zentrum Griechenlands und zum Mittelpunkt der weiteren philosophischen Entwicklung.
Platon hat mit der Akademie seine philosophische Schule ebenso hinterlassen wie Aristoteles die seine in Gestalt der Peripatetiker. Bald darauf entstanden in Athen zusätzlich die Schulen des Epikureismus und der Stoa. Allen vier Schulen hat fast ein halbes Jahrtausend später der stoisch geprägte Philosophenkaiser Marc Aurel seinen Respekt erwiesen, als er ihnen im Jahre 176 n.Chr. anlässlich eines Athen-Aufenthalts je einen Lehrstuhl finanzierte.
Das Christentum, das das mittelalterliche Weltbild Europas bestimmte, hat in seine Lehren viele Elemente antiker Philosophie integriert, vermittelt zunächst vor allem durch den philosophisch gebildeten Apostel Paulus. Den weltanschaulichen Pluralismus, wie er in den nebeneinander bestehenden antiken Philosophieschulen und Religionen vorhanden war, hat der christliche Monotheismus aber bis in das Zeitalter der Aufklärung hinein nicht mehr zugelassen.
Dem Historiker Diogenes Laertius aus dem dritten nachchristlichen Jahrhundert ist es zu verdanken, dass viele antike Philosophen trotz der Zerstörung der wohl bedeutendsten antiken Bibliothek in Alexandria nicht ganz in Vergessenheit gerieten.
Die Vorsokratiker
Mit der Erfindung der Philosophie entdeckt sich das Denken selbst. Denken ist dabei Dialog. Die ersten griechischen Philosophen formulieren die Gesetze der Logik. Sie atmen den freien Geist (Logos), der die Geometrie, die Musiktheorie und die Astronomie erfunden hat. Sie binden das Denken an die öffentliche Gemeinschaft (Polis). Am Eingang zum Orakel zu Delphi steht: Erkenne dich selbst (gnôthi sautón). Die Vorsokratik umfasst die Naturphilosophie der Milesier, die pythagoraeische Schule (Pythagoreer), die Eleaten, Heraklit, die jüngeren Naturphilosophen und die Atomisten. Wichtig ist auch die aufklärerische Strömung der Sophisten.
Die Naturphilosphen suchten nach einem Verständnis der Natur und ihrer Vorgänge. Zudem wollten sie die Welt auf einen Urstoff, einen Anfang, einen Urgrund (arché) zurückführen (Monismus). Diese Richtung entstand etwa 600 v. Chr. in Ionien in Kleinasien. Der erste Philosoph und bedeutende Mathematiker Thales hielt Wasser für den Urstoff, Anaximander das Apeiron (etwa: das grenzenlos Unbestimmbare), und Anaximenes die Luft. Empedokles nahm vier Elemente an, die durch die Kräfte Liebe und Hass bewegt werden.
Pythagoras und die pythagoraeische Schule hielten die Zahl für das Maß aller Dinge. Die Pythagoreer Philolaos, Hippasos und Archytas waren schon bedeutende Mathematiker und haben die Philosophie von Platon ebenso geprägt wie das große Buch Elemente des Euklid. Mit der Inkommensurabilität der Verhältnisse von Streckenlängen in regelmäßigen Vielecken bewiesen sie, dass rationale Zahlen nicht ausreichen, um Streckenverhältnisse zu bestimmen. Die Geometrie, die Musiktheorie und die Kalender- und astronomischen Theorien gingen bereits weit über das spätere Mittelalter hinaus.
Heraklit gilt als dunkler, nicht leicht zu verstehender, aber sehr interessanter Philosoph der frühen Zeit, der einige Züge der Dialektik Hegels (freilich noch in rohen, unentwickelten Grundzügen) bereits über 2000 Jahre vor diesem erdachte. Leider gibt es von ihm nur bruchstückhafte Texte. Der Ausspruch "Alles fließt" ist von ihm überliefert. "Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen." Es heißt auch, er habe er den Logos als philosophischen Zentralbegriff des Abendlandes eingeführt.
Einen mehr ethischen Zugang suchte Xenophanes. Er begründete den Monismus der Eleaten, den Parmenides wesentlich prägte. Bekannt sind die paradoxen Aussprüche von Zenon von Elea ("der fliegende Pfeil ruht"). Demokrit führte den Atomismus des Leukipp weiter zu einem Materialismus, über den später Karl Marx seine Dissertation schrieb.
Die seit 450 v. Chr. auftretenden Sophisten richteten ihre Überlegungen weg von der Natur auf den Menschen, und suchten nach Methoden, das Individuum geistig und körperlich zu stärken. So brachten sie den Jugendlichen Rhetorik und Kampfkünste bei , doch waren sie nicht so spitzfindig, wie man ihnen häufig und sprichwortlich unterstellt. Nicht verwechseln soll man Hippokrates von Chios, den ersten Berufsmathematiker (Möndchen des Hippokrates) mit seinem Zeitgenossen Hippokrates von Kós, dem Vater der Medizin. Weitere wichtige Sophisten waren: Antiphon, Gorgias, Hippias von Elis, Kritias, Prodikos, Protagoras. Von letzerem stammt der berühmte Satz: "Der Mensch ist das Maß aller Dinge, derer die sind, dass sie sind, und derer die nicht sind, dass sie nicht sind."
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Die klassische Philosophie des 5. und 4. Jahrhunderts v. Chr.

Die fünf Jahrzehnte zwischen den Perserkriegen und dem Peloponnesischen Krieg (die von 478-431 v. Chr. sich erstreckende Pentekontaetie) begründeten Athens klassische Blütezeit, in der die Demokratie eingeführt, das Bauprogramm auf der Akropolis verwirklicht sowie Kunst und Kultur umfänglich gefördert wurden, und zwar insbesondere in der Ära des Perikles. So entstanden u.a. der Parthenon-Tempel und die Athena Parthenos von Phidias (der in Olympia mit der Zeus-Statue eines der sieben Weltwunder der Antike schuf), während im Theater die großen Tragödien von Aischylos, Sophokles und Euripides zur Aufführung kamen.
In dieser gesellschaftspolitischen Umbruchphase bestand entsprechender geistiger Orientierungsbedarf, den die sophistische Aufklärung zu decken suchte und sich anbot. Philosophie wurde auf diese Weise zur öffentlichen Angelegenheit, die auf dem Marktplatz und in interessierten Zirkeln betrieben wurde. Einen besonderen und bis heute fortwirkenden Eindruck hinterließ Sokrates mit seiner Lehrweise und Haltung zum Leben. Er pflegte seine Gesprächspartner in ihrem vorgeblichen Wissen zu erschüttern, indem er durch bohrendes Nachfragen gedanklich-logische Lücken freilegte, um dann in fortgesetzten Dialogen neue Erkenntnisse bei seinen Partnern zu Tage zu fördern, ein Vorgehen, das als sokratische Hebammenkunst (Mäeutik) sprichwörtlich geworden ist. Die Unerschrockenheit und Festigkeit seines Auftretens in dem gegen ihn als vermeintlichen Verderber der Jugend geführten Prozess und die Art, wie er das Todesurteil hin- und angenommen hat, haben ihn zum Urbild philosophischer Daseinsbewältigung werden lassen.

Da Sokrates selbst nichts Schriftliches hinterlassen hat, ist sein Bild in der Philosophiegeschichte wesentlich von seinem Schüler Platon bestimmt, der die Methode und die Gehalte der sokratischen Lehre nach seinem Verständnis in Dialogform aufgezeichnet und damit überliefert hat. Platons Vorgehensweise beinhaltet, dass zwischen sokratischen und platonischen Anteilen dieses philosophischen Gebäudes, wie es in den platonischen Dialogen vorliegt, kaum unterschieden werden kann. Berühmt ist Platons Höhlengleichnis: Ohne die Erlangung einer höheren Vernunft sind wir wie Menschen, die in einer Höhle sitzen, nie die Sonne gesehen haben und unsere Schatten für das echte, das wahre Leben halten. Eine weitere Richtung antiker Philosophie, die sich am Vorbild des Sokrates orientierte, in diesem Fall vor allem an dessen bedürfnisarmer Lebensweise, bildeten die Kyniker. Ihr berühmtester Vertreter, Diogenes von Sinope („Diogenes in der Tonne“), soll den ihn besuchenden und nach einem Wunsch fragenden Alexander den Großen beschieden haben: „Geh mir aus der Sonne!“

Als Aristoteles seinem Lehrer Platon philosophisch nur noch teilweise zustimmen konnte, bekannte er, zu Platon empfinde er Freundschaft, zur Wahrheit aber noch mehr als zu diesem. Während Platons Philosophie im Kern auf eine unser sinnliches Wahrnehmungsvermögen der Welt transzendierende Ideenlehre zielte, suchte Aristoteles die erfahrbare Wirklichkeit von Natur und menschlicher Gesellschaft umfassend zu erforschen und wissenschaftlich zu ordnen. Dabei hat er u.a. für Biologie und Medizin, aber auch für die politische Theorie Enormes geleistet. Sein enzyklopädischer Wissensdrang als Philosoph richtete sich u.a. auf die Dynamik Dynamik (dýnamis auch:kinêsis Bewegung, Veränderung) von Form (είδος - Art, Form), Stoff (hylê - ύλη - Stoff, Materie, Material) und Substrat (hypokeimenon υποκείμενον - Subjekt, Substrat). Die Autorität, die Aristoteles als Forscher und Denker noch im europäischen Mittelalter besaß, war so groß, dass sein Name für den Begriff des Philosophen schlechthin stand.
Die Nachklassische Philosophie bis in die Spätantike
Am Übergang vom 4. zum 3. Jh. v.Chr. (siehe auch Hellenismus) entstanden mit Stoa und Epikureismus zwei philosophische Schulen, die weit hinaus über Zeit und Ort ihrer Entstehung ausstrahlten und ethische Grundpositionen für ein glückendes menschliches Leben markierten, die ihr Wirkungspotential bis heute noch keineswegs erschöpft haben, wie neuere Veröffentlichungen zu Glück und Lebenskunst zeigen. Die Gleichzeitigkeit der Entwicklung von Stoa und Epikureismus erklärt sich aus der charakteristischen Gegensätzlichkeit bestimmter Leitvorstellungen, die unterschiedlich veranlagte oder geneigte Menschentypen zu binden vermögen. Während der Epikureismus das individuelle Glück durch optimal dosierte Genüsse zu fördern trachtet und in allen öfffentlichen Angelegenheiten Zurückhaltung empfielt, wendet sich die Stoa gegen die Versklavung der Seele in der Sucht nach Bedürfnisbefriedigung, unterstellt sich ganz der Vernunftkontrolle und sieht das Individuum als Teil einer menschlichen Gemeinschaft und eines kosmischen Ganzen, denen gegenüber Pflichten bestehen, die im Handeln zu berücksichtigen sind.
Vermittelt durch Panaitios und Poseidonios fanden stoische Leitlinien Eingang in das Denken führender Kreise des republikanischen und kaiserzeitlichen Roms und wurden im Zenit des Kaiserreichs (Prinzipat) zur Richtschnur und Meditationsgrundlage des römischen Kaisers Mark Aurel, des "Philosophen auf dem Kaiserthron". Im Kontakt mit der politischen Wirklichkeit des Römischen Reiches ist von der Strenge und Absolutheit des stoischen Ausgangsentwurfs dies und jenes abgeschliffen worden, sind von stoisch inspirierten Römern wie Cicero und Seneca Elemente anderer philosophischer Schulen einbezogen worden. Mag es einem solchen als eigene philosophische Richtung geführten Eklektizismus an Originalität fehlen, so hat er doch Lebenstauglichkeit und Praktikabilität der philosophischen Lehren zweifellos erhöht.

Erst in der spätantiken Umbruchphase des Römischen Reiches (in welcher der Neuplatonismus die wichtigste philosophische Strömmung darstellte), als der äußere Druck auf die Grenzen zunahm, deren Verteidigung immer mehr Menschen und Mittel band, ohne dass aber Sicherheit und Glanz der pax Romana unter den Adoptivkaisern zurückgewonnen werden konnten, erlahmte der philosophische Impuls, der Roms Herrschaftseliten über Jahrhunderte Orientierung geboten hatte, wenn er auch, vor allem im Ostreich, nicht versiegte.
Der Drang zur Vereinheitlichung (die Suche nach dem Einen, dem Göttlichen) von Philosophen wie Plotin mündete in einer Rückwendung zu Platon und einer Neuausrichtung der platonischen Ideenlehre, dem so genannten Neuplatonismus. Hieraus ergaben sich Verknüpfungsmöglichkeiten mit der christlichen Religion, die von Kirchenvätern wie Augustinus von Hippo aufgegriffen wurden. Gestaltete sich in Platons Parmenides-Dialog die Suche nach dem Einen noch sehr rätselhaft, so glaubten die christlichen Kirchenlehrer in Gott das Eine (und alles, Hen kai pan) gefunden zu haben, das alle Rätsel löst.
Im Denken des Augustinus spiegelte sich auch die spätantike Umbruchphase wider, die das Fundament für die Philosophie des Mittelalters legte. Allerdings entstanden noch in der ausgehenden Spätantike (die keineswegs eine Zerfalls-, sondern vielmehr eine Umbruchszeit war) einige bemerkenswerte Werke, sei es der Trost der Philosophie des Anicius Manlius Severinus Boëthius oder der Aristoteleskommentar des Simplikios im 6. Jahrhunderts. Die Philosophie war im Ostreich zudem auch ein Hort der paganen Traditionen (was die heidnische "Renaissance" zu Zeiten des Kaisers Julian Apostata verdeutlichte). Erst die Schließung der platonischen Akademie in Athen durch Kaiser Justinian I. im Jahre 529 machte dem ein Ende.
siehe auch
- zentrale Termini wichtiger Philosophen und Epochen,
- Portal Philosophie,
- Liste griechischer Philosophen
- Gesellschaft für antike Philosophie
Literatur
- Flashar, Hellmut (Hrsg.): Grundriß der Geschichte der Philosophie (begr. v F. Ueberweg). Die Philosophie der Antike, 4 Bde., Basel/Stuttgart 1983-98. Grundlegendes Handbuch mit reicher Bibliographie.
- Horn, Christoph / Rapp, Christof (Hrsg.): Wörterbuch der antiken Philosophie, München 2002. Erklärung der grundlegenden Termini.
- Kranz/Diehls (Hrsg.): Die Fragmente der Vorsokratiker, Berlin 1961
- Rapp, Christof: Vorsokratiker, München 1997 Sehr gut lesbare Einführung mit Literaturempfehlungen, Zeittafel und Index.
- Ricken, Friedo: Philosophie der Antike, Stuttgart 2000.
Die aktuelle Anwendbarkeit antiken philosophischen Gedankenguts demonstriert exemplarisch:
- A.E. Adrogans: Marc Aurel als Kompassnadel – Lebenskunst in der Weltgesellschaft. Norderstedt 2004.
Weblinks
- Stanford Encyclopedia of Philosophy. Von namenhaften Fachwissenschaftlern geführt (englisch)
- buecherei.philo.at/ - Internetquellen zur Philosophie der Antike
- epistemelinks.com - Internetquellen zur Philosophie der Antike (englisch)
- GANPH - Gesellschaft für antike Philosophie e.V.