Zum Inhalt springen

Friedrich Schrader

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 10. Mai 2005 um 22:41 Uhr durch Ischtiraki (Diskussion | Beiträge). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Dr. phil. Friedrich Schrader (* 19. November 1865 in Wolmirstedt; † August 1922 in Berlin; lebte von 1891 bis 1918 in Konstantinopel (heute Istanbul); war orientalischer Philologe, Schriftsteller, Kunsthistoriker, Sozialdemokrat, Übersetzer und Journalist (Pseudonym "Ischtiraki" = arabisch / osmanisch für "der Sozialist").


Leben

Ausbildung in Magdeburg und Halle ( 1865 - 1891 )

Friedrich Schrader legt sein Abitur am Domgymnasium Magdeburg ab. Nach seinem Studium promoviert er 1889 in Indologie bei Richard Pischel an der Universität Halle zum Thema: die Übersetzung der Karmapradipa, aus einer vedischen Sutra, ins Deutsche.

Konstantinopel I ( 1891 - 1907 , Abdülhamid II.-Ära)

Ab 1891 arbeitet Schrader als Dozent am Robert College in Bebek bei Konstantinopel. Um 1900 ist er Professor an einem armenisch-französischen Lycée in Pera, danach am Alman Lisesi, der Deutschen Schule Istanbul [1] tätig. Schrader beginnt bereits während der Amtszeit von Sultan Abdülhamid II., türkische Schriftsteller zu übersetzen und in deutschsprachigen Zeitschriften zu rezensieren. Im "Vorwärts" und in "Die Neue Zeit" erscheinen 1900 regimekritische Artikel unter dem Pseudonym "Ischtiraki", in einem begleitenden Brief an Karl Kautsky (heute im Kautsky-Archiv im IISG Amsterdam) weist Schrader auf die Repression und Bespitzelung durch die türkischen Behörden hin.

Baku ( 1907 - 1908 )

Von 1907 - 1908 ist Schrader als Dozent an der Russischen Handelsschule in Baku (Aserbaidschan) tätig und betreibt Feldforschungen in der Kaukasusregion.

Konstantinopel II ( 1908 - 1918 , 2. Türkische Verfassungsperiode, 1. Weltkrieg )

Von 1908 - 1918 arbeitet Schrader als Mitbegründer und stellvertretender Chefredakteur der deutsch- und französischsprachigen Istanbuler Tageszeitung "Osmanischer Lloyd" (Eine Sammlung seiner Essays aus dieser Zeit für das Feuilleton der Zeitung findet sich im Buch "Konstantinopel in Vergangenheit und Gegenwart", s.u.). Daneben hat er ab ca. 1900 Korrespondententätigkeiten für verschiedene deutsche Tageszeitungen und Zeitschriften (u.a. "Vorwärts" und "Die Neue Zeit", Pseudonym "Ischtiraki") inne, und übersetzt Romane von Ahmed Hikmet und Halide Edip. 1918 wird er Mitglied der Städtischen Kommission Istanbuls zur Erfassung und Katalogisierung islamischer und byzantinischer Baudenkmale (Zusammenarbeit u.a. mit dem armenisch-türkischen Fotografen Hagop Iskender). 1918/19 kommt er nach einer spektakulären Flucht vor der drohenden Internierung durch die Entente, über Odessa und durch die nach der Oktoberrevolution in den russischen Bürgerkrieg verwickelte Ukraine, nach Berlin.

Berlin ( 1919 - 1922 )

In Berlin bemüht sich Schrader zunächst vergeblich um eine Position im wissenschaftlichen Bereich oder der Diplomatie. Von 1919 - 1920 ist Schrader als Mitarbeiter bei der vom SPD-Parteivorstand und dem preussischen SPD-Landtagsabgeordneten und Völkerkundeprofessor Heinrich Cunow (ab 1917 Nachfolger von Karl Kautsky) herausgegebenen Zeitschrift "Die Neue Zeit" tätig. Zuletzt ist er von 1920 - 1922 Mitarbeiter der "Deutschen Allgemeinen Zeitung" (DAZ) in Berlin, wo ein anderer SPD-Politiker, der Reichstagsabgeordnete Prof. Dr. Paul Lensch in dieser Zeit das aussenpolitische Ressort leitet. Sowohl Cunow als auch Lensch sind politisch eng mit dem deutsch-russischen Sozialdemokraten Parvus (Israil L. Helphand) verbunden, der von 1910 bis 1914 in Istanbul tätig war. Parvus, vor dem Ersten Weltkrieg einer der wichtigsten Theoretiker der Parteilinken der SPD um Rosa Luxemburg und in seiner russischen Heimat Freund und Lehrmeister Trotzkis, hatte seinerzeit die theoretischen Grundlagen der späteren nationalen Wirtschaftspolitik der türkischen Republik unter Kemal Atatürk gelegt.

Literatur

Werke

  • Konstantinopel in Vergangenheit und Gegenwart: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen, 1917
  • Eine Flüchtlingsreise durch die Ukraine - Tagebuchblätter meiner Flucht aus Konstantinopel: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen, 1919
  • Im Banne von Byzanz, Roman, Berlin, DAZ, Juni 1922

Nachdrucke aus Schraders "Konstantinopel"

  • Esther Gallwitz (Hg.), 1981, Istanbul: Insel Taschenbuch Verlag, ISBN 3-458-32230-2
    • S. 250-252 Die Koranschule (Orig. S. 7-9)
    • S. 285-286 Im Schatten von Mahmud Pascha (Orig. S. 33-38)
    • S. 329-330 Der Bosporus (Orig. S. 204-207)
    • S. 396-397 Alter und Neuer Aberglaube in Konstantinopel (Orig. S. 132-136)
  • Jale Tükel (Hg.), 1987, dtv-Reise-Textbuch Istanbul: dtv, ISBN 3-423-03904-3
    • S. 57 Ein Wintermorgen in der Mahalle (Orig. S.1-2)
    • S. 135-136 Heilmittel und Wohlgerüche (Orig. S. )
    • S. 233-234 In Dschihangir (Orig. S. 199-204)

Übersetzungen

Aufsätze in Zeitungen und Zeitschriften (Auswahl)

  • Neutürkisches Schrifttum: Das Literarische Echo, Band 3, 1900, S. 1686-1690
  • Ischtiraki, 1900, Das geistige Leben in der Türkei und das jetzige Regime: Die Neue Zeit, Jahrgang 18, Band 2, pp. 548-555
  • Ischtiraki, 1900, Vom Goldenen Horn: Vorwärts, Unterhaltungsbeilage, 31.5.1900 – 1.6.1900
  • Aus der Polenzeit Peras: Osmanischer Lloyd, nachgedruckt in: Konstantinopel, S. 180-184 ( erwähnt die polnischen Freiheitskämpfer, z.B. Adam Mickiewicz, die 1855 von Konstantinopel aus die Türkei im Krimkrieg gegen Russland unterstützten )
  • Die Kunstdenkmäler Konstantinopels: Der Neue Orient, 1919, Band 5, S. 302-304 und 352-354
  • Politisches Leben in der Türkei: Die Neue Zeit, 1919, Jahrgang 37, Band 2, pp. 460-466
  • Die ägyptische Frage: Die Neue Zeit, 1920, Jahrgang 38, Band 2, pp. 172 - 177

Zitate von Schrader

  • "Was das türkische Volk braucht, und was seine wirklichen Freunde ihm wünschen, ist Bewegungsfreiheit für seine geistige, politische und materielle Entwicklung, die jetzt total unterbunden ist. Es ist dann alle Aussicht vorhanden, (...) dass es zu seiner Zeit ein brauchbares Mitglied der europäischen Völkerfamilie werden wird." - Das geistige Leben in der Türkei und das jetzige Regime, Die Neue Zeit, 1900
  • "Das Unerhörte, was im Orient geschehen war, die fast völlige Vernichtung der armenischen Bevölkerung Kleinasiens." - Flüchtlingsreise, 1919
  • "Wir dürfen auch im Ausland nicht, wie wir bisher getan haben, stets zu der Partei halten, die es auf Vergewaltigung wichtiger Kulturelemente zugunsten der eigenen nationalen Vorherrschaft abgesehen hat. Das wird sich stets rächen, wie es sich in der Türkei gerächt hat. Wir hätten nicht türkischer sein dürfen als der Türke." - Flüchtlingsreise, 1919

Zitate über Schrader

Er war seit seiner Jugend im Lande und kannte es besser, viel besser als irgendein Türke - so gut, wie nur ein Deutscher mit philologischen Neigungen und deutscher Hingabe an fremde Zustände ein Land kennen kann. Er war ein vollständiger Gelehrter, der alle Sprachen und alle Literaturen dieses Reiches beherrschte, ein Kenner der Geschichte und der Kultur der vergangenen Jahrhunderte. Statt Journalist in Konstantinopel müsste er Professor an einer Universität sein. (Otto Flake, "Das Logbuch", 1919)

Schrader sprach und schrieb neben einem Dutzend lebender europäischer Sprachen ein weiteres Dutzend des Balkans und des vorderen Orients, darunter solche wie Albanisch, Armenisch u.a., die nur von wenigen Europäern studiert worden sind. Türkisch, Griechisch und Arabisch beherrschte er auch in der gehobenen Sprache in Wort und Schrift und pflog daher vertraute Beziehungen zu zahlreichen bedeutenden Politikern und Literaten im einstigen türkischen Reiche. Aus dieser intimen Bekanntschaft erwuchs eine seltene Kenntnis der Literatur der Neuzeit, wie des späten Mittelalters dieser Länder. (Nachruf, Deutsche Allgemeine Zeitung, 30. August 1922)

Deutsche Zeitungen und Zeitschrifen für die Schrader als Korrespondent in Istanbul bis 1918 tätig war


Sekundärliteratur

  • Otto Flake, Das Logbuch, S. Fischer Verlag, Frankfurt, 1917 (Schrader taucht als "Dr. S." im Abschnitt "Bei den Buchhändlern" des Kapitels "Konstantinopel" auf.)
  • Max Rudolf Kaufmann, 1957, Eine literarische Entdeckung - Schraders "Konstantinopel": Mitteilungen der Deutsch-Türkischen Gesellschaft, Heft 17, S. 13-14;
  • Celik Gülersoy [2], 1959, Bibliographie: "Istanbul" de Friedrich Schrader: Touring Et Automobile Club de Turquie: Janvier 1959, pp. 31-32
  • N.N., Nachruf auf Dr. Friedrich Schrader, Deutsche Allgemeine Zeitung, 30. August 1922