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Jan Potocki

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Jan Nepomucen Graf Potocki (* 8. März 1761 in Pików im damals polnischen Podolien, † 2. Dezember 1815 im ukrainischen Uładówka) war ein polnischer Forschungsreisender, Historiker und Romancier.

Potockis Leben

Der Kosmopolit Jan Graf Potocki

Count Jan Nepomucen Potocki (1761-1815) was a Polish nobleman (szlachcic), capitan, engineer of the Crown Army, ethnologist, Egyptologist, linguist, and author. His colorful life led him across Europe, Asia, and North Africa, where he embroiled himself in political intrigues, flirted with secret societies, contributed to the birth of ethnology (he was one of the first to study the relationship of the various Slavic people from a linguistic and historical point of view), and even rode the first hot air balloon in Poland.

He is said to have

Potocki war zweimal verheiratet. Seiner ersten Ehe mit Julia Lubomirska (1764-1794) entstammten zwei Kinder, Alfred Wojciech Potocki und Artur Potocki. Aus der zweiten Ehe mit Konstancja Potocka (1781-1852) gingen die drei Kinder Bernard Potocki, Irena Potocka und Teresa Potocka hervor.

In seinen letzten Lebensjahren zog sich der unter Depressionen leidende Graf zunehmend auf seine Landgüter in Podolien und Wolynien (Ukraine) zurück. Sein Lebensende ist izarr genug, um aus seinem Roman zu stammen: Potocki starb durch Selbsttötung, indem er sich mit einer silbernen Kugel erschoss, welche die Bekrönung seines Samowars gebildet hatte und die er in tagelanger Arbeit immer kleiner gefeilt hatte, bis sie genau in den Lauf seiner Pistole passte. (Andere Quelle nennen statt des Samowars eine silberne Zuckerdose, die Potocki von einem Geistlichen geschenkt worden war.)

Potocki als Wissenschaftler

Potocki zählte zu den bedeutendsten Historikern und Ethnographen des 19. Jahrhunderts und untersuchte als einer der ersten Wissenschaftlern die Vor- und Frügeschichte der slawischen Völker. So war er seinen Zeitgenossen v.a. als Forschungsreisender bekannt, der entlegene Gegenden Europas, Asiens und Afrikas besuchte und in einer Reihe stets französisch abgefasster Bücher akurat beschrieb. Eine Liste seiner Hauptwerke informiert zugleich über seine wichtigsten Reisen und Forschungsgebiete:

  • Voyage en Turquie et en Égypte fait en 1784, Warschau 1788
  • Essai sur l'histoire universelle et recherches sur la Sarmatie, 5 Bd.e, Warschau 1788
  • Chroniques, mémoires et recherches pour servir à l'histoire de tous les peuples slaves, Warschau 1793
  • Voyage de Basse-Saxe, Hamburg 1795
  • Fragments historiques et géographiques sur la Scythie, la Sarmatie et les Slaves, 4 Bd.e, Braunschweig 1796
  • Histoire primitive des peuples de la Russie, Sankt Petersburg 1802
  • Histoire des gouvernements de Volhynie, de Podolie et de Cherson, Sankt Petersburg 1804/05
  • Voyage dans le steps d'Astrahan et de Caucase, postum hg. von Klaproth, Paris 1829

Alle diese Werke behielten (und behalten teils bis heute) eine große Bedeutung als sorgfältige Beobachtungs- und Materialsammlungen.

Entsprechend der wissenschaftlichen Bedeutung Potockis benannte nach seinem Tod der Forscher H. J. Klaproth einen Archipel im Gelben Meer nach Potocki; der Name hat sich jedoch nicht durchgesetzt und ist heute von den Landkarten verschwunden. So ist Potocki heute als Wissenschaftler weitgehend vergessen.

Potocki als Romancier

Heute ist Potocki hauptsächlich als Verfasser des Romans Le manuscrit trouvé à Saragosse („Die Handschrift von Saragossa“) bekannt. Potocki arbeitete an dem Roman etwa von 1797 bis zu seinem Tod 1815. Die Publikationsgeschichte ist selbst romanhaft: Zu Potockis Lebzeiten erschienen nur Privatdrucke in Kleinstauflagen mit Teilen des französischen Textes. Nach Potockis Tod ging das von ihm zur Drucklegung nach Paris geschickte vollständige Manuskript verloren und konnte trotz der von Puschkin angeregten Nachforschungen nicht wieder aufgefunden werden. Dafür erschienen mehrere Raubdrucke, so dass Potockis Urheberschaft erst durch einen Gerichtsprozess wieder bekannt wurde. Eine vollständige, aber unzuverlässige polnische Übersetzung des Romans erschien 1847. Obwohl inzwischen weitere Textteile in Potockis Handschrift aufgetaucht sind, bleibt die Wiederherstellung des Textes eine Rekonstruktionsarbeit: noch in der aktuellen französischen Ausgabe von 1989 mussten ca. 15% des Textes aus der polnischen Übertragung rückübersetzt werden, während der Rest mehr oder minder sicher im französischen Original überliefert ist.

Nach dem Vorbild der Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht sowie Erzählzyklen der Renaissance (Giovanni Boccaccios Decamerone, Margarete von Angoulêmes Heptaméron) besteht „Die Handschrift von Saragossa“ aus einer Rahmenerzählung, in die zahlreihe Geschichten eingebettet sind. Der jugendliche (und teils etwas naive) Held, Alphonse van Worden, muss die unwirtliche Sierra Morena durchqueren, gerät dabei in zahlreiche Abenteuer, insbesondere (scheinbare) Spuk- und Gespenstergeschichten, und begegnet zahlreichen teils obskuren, teils faszinierenden Personen, welche die eingebetten Geschichten erzählen.

Allerdings handelt es sich dabei nicht wie üblich um eine schlichte lineare Abfolge. Die Geschichten sind vielmehr mehrfach ineinander verschachtelt (auf bis zu sechs Ebenen!), unterbrechen einander, greifen ineinander über, indem Personen aus einer Geschichte in einer anderen wiederauftauchen, und unterminieren das scheinbar schlichte Rahmenprinzip vollends, indem Parallen zwischen einzelnen Geschichten und der Rahmenhandlung auftreten oder beide gar ineinander übergehen. So löst sich die althergebrachte Form der Rahmenerzählung in ein „Kaleidoskop“ (Roger Caillois) von Geschichten auf, deren genauen Zusammenhang der Leser wie bei einem Kriminalroman erst am Buchende durchschaut. Durch diese einzigartige Struktur greift Potocki literarischen Experimenten des 20. Jahrhunderts vor, etwa Franz Kafka, Jorge Luis Borges oder postmodernen Autoren.

Literatur

Ausgaben und Übersetzungen des Romans

  • Le manuscrit trouvé à Saragosse, hg. von René Radrizzani, Paris 1989.
  • Die Handschrift von Saragossa, übers. von L. Eisler-Fischer und M. Reifenberg, Nachwort von Roger Caillois, Frankfurt a.M. 1961 (und Nachdrucke als Taschenbuch).
  • Die Handschrift von Saragossa, aus dem Frz. von Manfred Zander, Nachwort von René Radrizzani, 2003.

Literatur über Potocki

  • K. H. Michel: Rund um den Galgen von Los Hermanos oder Die schlimmen Geschichten des Grafen P., in: FH 17 (1962), S. 135-140.
  • Volker Neuhaus: Typen multiperspektivischen Erzählens, Köln/Wien 1971. – Enthält eine Analyse von Potockis Erzähltechnik.
  • E. Grabska Wallis u.a. (Hg.): Potocki et le manuscrit trouvé a Saragosse, Kongreßakten, Warschau 1981.
  • G. von Kirn: Potockis „Die Abenteuer in der Sierra Morena“, Dissertation, Hannover 1982.