Carl Amery
Carl Amery (Pseudonym von Christian Anton Mayer; * 9. April 1922 in München; † 24. Mai 2005 ebd.), war ein deutscher Schriftsteller und Umweltaktivist.
Er war Mitglied der Gruppe 47, 1976/77 Vorsitzender des Verbandes der deutschen Schriftsteller und von 1989 bis 1991 Präsident des deutschen PEN-Zentrums. Von 1967 bis 1974 war Amery Mitglied der SPD, nachdem er zuvor der GVP angehört hatte. Später war Amery Gründungsmitglied der Partei Die Grünen beim Bundeskongress der Grünen in Karlsruhe am 13. Januar 1980 und Schirmherr der Wasserallianz München. Als Initiator und Mitbegründer war Amery von 1980 bis 1995 Präsident der E. F.-Schumacher-Gesellschaft.[1] 1997 erhielt er den Wilhelm-Hoegner-Preis.[2]
Leben
Seine Kindheit verbrachte Carl Amery vorwiegend in Passau und Freising als Schüler des Dom-Gymnasiums – beide Städte sollten ihre Spuren in seinem Werk hinterlassen (z. B. in Der Untergang der Stadt Passau und Das Geheimnis der Krypta).
Er war Stipendiat des Maximilianeums und studierte Neuphilologie an der Universität München, später dasselbe Fach, dazu Literaturtheorie und -kritik, an der Catholic University of America in Washington (D.C.).
Im Zweiten Weltkrieg geriet er mit 21 Jahren in amerikanische Kriegsgefangenschaft und kehrte 1946 nach München zurück, wo er sein unterbrochenes Studium (Sprachen und Literaturwissenschaft) wieder aufnahm. Er begann zu schreiben, zunächst unter seinem leicht amerikanisierten Namen als Chris Mayer, dann wählte er sich als Pseudonym Carl Amery, wobei Amery ein Anagramm von Mayer ist.
1954 erschien sein erster Roman (Der Wettbewerb). Inzwischen Mitglied der Gruppe 47, begründete er 1958 durch den Roman Die große Deutsche Tour seinen Ruf als Satiriker. Dieser Ruf blieb lange haften.
Eine andere Seite seines Arbeitens zeigte er in der 1963 erschienenen kirchenkritischen Schrift Die Kapitulation oder Deutscher Katholizismus heute, gefolgt von Das Ende der Vorsehung. Die gnadenlosen Folgen des Christentums, in dem er dem Christentum Mitschuld an der globalen Umweltzerstörung zuwies.
Von 1967 bis 1971 war Amery Direktor der Städtischen Bibliotheken in München – mit einer entsprechend langen Publikationspause.
1974 schließlich wandte er sich einem dritten Genre zu, der Science Fiction, was damals für einen der Hochliteratur zugerechneten Autor ein etwas überraschender Schritt (oder Sprung) war. Beeinflusst war er dabei nicht zuletzt durch Gilbert Keith Chesterton, dessen Science-Fiction-Romane er später in überarbeiteten deutschen Fassungen herausgab. Vor allem drei Romane Amerys gehören in diesen Bereich, nämlich
- Das Königsprojekt (1974): Der Vatikan unternimmt es, mittels einer von Leonardo da Vinci konstruierten Zeitmaschine die Geschichte zu ändern. Ziel der Congregatio secreta ad purificandos fontes (CSAPF) ist es, durch eine Geschichtsmanipulation die Krone Englands für das Haus Wittelsbach zu erobern. Doch die beiden Monsignore Sbiffio-Trulli und Doensmaker müssen erleben, dass ihre Kalkulationen geschichtlicher Notwendigkeit fehlgehen.
- Der Untergang der Stadt Passau (1975): Im Vorwort nennt Amery den Roman eine „Fingerübung“, zu deren Ausarbeitung ihn der Roman A Canticle for Leibowitz (deutsch: Lobgesang auf Leibowitz) des amerikanischen SF-Autors Walter M. Miller inspiriert habe. Dementsprechend erscheint der Roman in der SF-Reihe des Heyne-Verlags und wird zu Amerys größtem Bucherfolg. Zum Inhalt: Nach der durch eine Seuche ausgelösten globalen Katastrophe kristallisieren sich zwei Gruppen heraus – die eine Gruppe versucht einen Wiederaufbau der Zivilisation (inklusive Elektrizität, Bürokratie und Schickeria), die andere geht zurück zu den Wurzeln der Subsistenzwirtschaft und etabliert eine Kultur auf etwa dem Niveau der Bronzezeit. Der Roman erzählt die Geschichte des sich notwendig ergebenden kulturellen Konflikts.
- An den Feuern der Leyermark (1979): Auch hier geht es um geschichtliche Notwendigkeit, Zufall oder Schicksal – kurz: „Was wäre gewesen, wenn …?“ In diesem Fall: Was wäre gewesen, wenn 1866 ein bayrischer Beamter eine mit Repetiergewehren ausgerüstete amerikanische Freischärlertruppe (der Sezessionskrieg in den USA war eben zu Ende) für den anstehenden Krieg gegen Preußen rekrutiert hätte. Nach der Niederlage der Preußen krempelt der anarchistisch-demokratische Freischärlerhaufen die europäische Mentalität um: Aus den Auseinandersetzungen entsteht die Centraleuropäische Eidgenossenschaft (eine alternative Europäische Union), die anarchistisch-syndikalistisch mit weitgehender Gemeindefreiheit aufgebaut ist und Frankreich und Deutschland ihrer angeblichen Erzfeindschaft entledigt.
Zwei weitere Romane Amerys thematisieren bayrische Spiritualität: In Die Wallfahrer (1986) bewegen sich die Protagonisten auf den alten Gnadenort Tuntenhausen zu; und im Geheimnis der Krypta bildet die Krypta im Freisinger Dom (und dort die sogenannte Bestiensäule) das Zentrum der sich über drei Generationen erstreckenden Handlung.
Ab 1985 erschienen Amerys gesammelte Werke in Einzelausgaben im Süddeutschen Verlag. 2001 erklärte Amery in einem Interview, dass er aus gesundheitlichen Gründen keine weiteren Romane verfassen werde.
Carl Amerys Gesundheitszustand verschlechterte sich in den letzten Lebensjahren aufgrund eines Lungenemphysems bis zu seinem Tod zunehmend. Er wurde am 30. Mai 2005 am Münchner Ostfriedhof im engsten Familienkreis beigesetzt. Die Rechte an seinen Publikationen liegen bei seiner Witwe Marijane Mayer.
Auszeichnungen und Preise
1979 wurde Carl Amery mit dem Tukan-Preis, 1985, 1987, 1988 und 1991 mit dem Kurd-Laßwitz-Preis und 1991 mit dem Literaturpreis der Stadt München ausgezeichnet.
Vermächtnis
2007 erschien posthum der Aufsatzband Arbeit an der Zukunft, der das Fragment einer Streitschrift gegen die US-amerikanische Religiöse Rechte enthält, an der Amery kurz vor seinem Tod arbeitete. Im gleichen Jahr stiftete der Verband Deutscher Schriftsteller in Bayern den Carl-Amery-Literaturpreis, der mit 6.000 € dotiert ist und alle zwei Jahre vergeben wird. Erster Preisträger ist Feridun Zaimoglu.[3]
Werke
Romane und Erzählungen
- Der Wettbewerb. Roman. Nymphenburger Verlagshandlung, München 1954
- Die Große Deutsche Tour. Heiterer Roman. Nymphenburger Verlagshandlung, München 1958; mit einem Nachwort 1986: List, München 1986, ISBN 3-7991-6305-0; Heyne, München 1989, ISBN 3-453-03641-7
- Das Königsprojekt. Roman. Piper, München/Zürich 1974, ISBN 3-492-02074-7; dtv, München 1978, ISBN 3-423-01370-2
- Galopp mit der Raum-Zeit-Maschine, Rezension von Heinrich Böll in der Zeit, 4. Oktober 1974
- Der Untergang der Stadt Passau. Science Fiction-Roman. Heyne, München 1975, ISBN 3-453-30332-6
- An den Feuern der Leyermark. Roman. Nymphenburger, München 1979, ISBN 3-485-00369-7; Heyne, München 1981, ISBN 3-453-30738-0
- Im Namen Allahs des Allbarmherzigen. In: Peter Wilfert (Hrsg.): Tor zu den Sternen. Goldmann, München 1981, ISBN 3-442-23400-X
- Nur einen Sommer gönnt Ihr Gewaltigen. In: Science-fiction-Jubiläums-Band. Das Lesebuch. Heyne, München 1985, ISBN 3-453-31112-4 (erhielt den Kurd-Laßwitz-Preis)
- Die starke Position oder Ganz normale MAMUS. Acht Satiren. List, München 1985, ISBN 3-7991-6247-X; Heyne, München 1990, ISBN 3-453-04196-8
- Die Wallfahrer. Roman. List, München 1986, ISBN 3-7991-6241-0; Heyne, München 1989, ISBN 3-453-03276-4
- Das Geheimnis der Krypta. Roman. List, München 1990, ISBN 3-471-77019-4; Heyne, München 1992, ISBN 3-453-05650-7
Hörspiele
- Ich stehe zur Verfügung. 1966
- Finale Rettung Michigan. 1982
- Schirmspringer. Bayerischer Rundfunk, 1984.
- Das Penthouse-Protokoll. WDR/BR/HR, 1987.
Essays und Streitschriften
- Die Kapitulation oder Deutscher Katholizismus heute. Rowohlt, Reinbek 1963
- (Hrsg.): Die Provinz. Kritik einer Lebensform. Nymphenburger Verlagshandlung, München 1964
- Fragen an Welt und Kirche. 12 Essays. Rowohlt, Reinbek 1967
- Das Ende der Vorsehung. Die gnadenlosen Folgen des Christentums. Rowohlt, Reinbek 1972, ISBN 3-498-00008-X
- mit Jochen Kölsch (Hrsg.): Bayern, ein Rechts-Staat? Das politische Porträt eines deutschen Bundeslandes. Rowohlt, Reinbek 1974, ISBN 3-499-11820-3
- Natur als Politik. Die ökologische Chance des Menschen. Rowohlt, Reinbek 1976, ISBN 3-498-00010-1
- mit Peter Cornelius Mayer-Tasch & Klaus Michael Meyer-Abich: Energiepolitik ohne Basis. Vom bürgerlichen Ungehorsam zur energiepolitischen Wende. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt 1978, ISBN 3-596-24007-7
- Leb wohl, geliebtes Volk der Bayern. Bertelsmann, München 1980, ISBN 3-570-02107-6; Goldmann, München 1982, ISBN 3-442-26536-3; aktualisierte Sonderausgabe: List, München/Leipzig 1996, ISBN 3-471-77026-7
- Voll tiefen Mitleids. Bayerische Reflexionen zur Kieler Affäre. In: Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Vom Verlust der Scham und dem allmählichen Verschwinden der Demokratie. Steidl, Göttingen 1988, ISBN 3-88243-091-5, S. 211-216
- Die ökologische Chance. List, München 1985, ISBN 3-7991-6271-2 (Das Ende der Vorsehung und Natur als Politik in einem Band mit einem Nachwort 1985); durch ein Nachwort 1990 erweiterte Taschenbuchausgabe: Heyne, München 1990, ISBN 3-453-04444-4
- Das ökologische Problem als Kulturauftrag. BIS, Oldenburg 1988, ISBN 3-8142-1013-1
- Bileams Esel. Konservative Aufsätze. List, München 1991, ISBN 3-471-77021-6
- Die Botschaft des Jahrtausends. Von Leben, Tod und Würde. List, München 1994, ISBN 3-471-77022-4
- Wenn aber das Salz schal geworden ist… Künden die Kirchen auf der Höhe der Zeit? In: Sind die Kirchen am Ende? Pustet, Regensburg 1995, ISBN 3-7917-1455-4, S. 9-20
- Hitler als Vorläufer. Auschwitz – der Beginn des 21. Jahrhunderts? Luchterhand, München 1998, ISBN 3-630-87998-5
- Schwarze Metaphysik, Rezension von Ludger Lütkehaus in der Zeit, Nr. 1/1998
- Du voll Unendlichkeit. In: Elisabeth Schweeger & Eberhard Witt (Hrsg.): Ach Deutschland! belleville, München 2000, ISBN 3-933510-67-8, S. 39-45
- mit Hermann Scheer: Klimawechsel. Von der fossilen zur solaren Kultur. Ein Gespräch mit Christiane Grefe. Kunstmann, München 2001, ISBN 3-88897-266-3
- Global Exit. Die Kirchen und der Totale Markt. Luchterhand, München 2002, ISBN 3-630-88004-5, btb, München 2004, ISBN 3-442-73133-X
- Kapitalismus als Religion, Besprechung von Christine Diller im Münchner Merkur, 2. März 2002:
- Der Seher, Rezension von Elisabeth von Thadden in der Zeit, Nr. 15/2002
- (Hrsg.): Briefe an den Reichtum. Luchterhand, München 2005, ISBN 3-630-87186-0
- In Horst Köhlers Zukunftswerkstatt, Rezension von Mark Siemons in der FAZ, 25. Juli 2005
- Arbeit an der Zukunft. Essays. Hrsg. von Joseph Kiermeier-Debre. Luchterhand, München 2007, ISBN 978-3-630-62123-4
Verschiedenes
- mit Kurt Kusenberg & Eugen Oker: Zucker und Zimt. ff. Gereimtheiten. Langewiesche-Brandt, Ebenhausen 1972, ISBN 3-7846-0066-2
- Marsch, zurück auf die Bäume oder wie wir es besser machen können. Schaffstein, Dortmund 1979, ISBN 3-588-00021-6 (Jugend-Sachbuch)
- G. K. Chesterton oder der Kampf gegen die Kälte. Kerle, Freiburg/Heidelberg 1981, ISBN 3-600-30082-2
- mit Marina Bohlmann: München. dtv, München 1982, ISBN 3-423-03708-3 (Reiseführer)
- mit Günter Altner, Robert Jungk und Jürgen Schneider: Lebenselemente. Feuer – Wasser – Luft – Erde. Herder, Freiburg/Basel/Wien 1985, ISBN 3-451-20178-X
- mit Georg Kürzinger (Fotografien): Bayern. Bucher, München 1993, ISBN 3-7658-0811-3 (Text zu Bildband)
- Fleuves & turbulences (Strömungen & Wirbel). Zwischenernte eines reichgeschüttelten Reimlebens. Verlag Kuckuck und Straps, München 2000, ISBN 3-935276-00-1
Literatur
- Heinrich Böll: Nachwort zu Carl Amery „Die Kapitulation“. In: Briefe aus dem Rheinland. Schriften und Reden 1960-1963. München 1985, ISBN 3-423-10602-6, S. 224-227 (siehe auch seinen Artikel Gute und schlechte Katholiken? im Spiegel, 8. Mai 1963)
- Hans Werner Richter: Im Etablissement der Schmetterlinge. 21 Portraits aus der Gruppe 47. München 1986
- Joseph Kiermeier-Debre (Hrsg.): Carl Amery – „…ahnen, wie das alles gemeint war“. Ausstellung eines Werkes. List, München/Leipzig 1996, ISBN 3-471-79324-0
Weblinks
- Vorlage:PND
- Carl Amery ist tot – Der Rebell, Sprachspieler und Aufklärer, Nachruf von Harald Eggebrecht in der Süddeutschen Zeitung, 30. Mai 2005
- Wallfahrt im Gegenwind, Nachruf von Tilman Urbach in der NZZ, 31. Mai 2005
- Engagement ist alles, Nachruf von Dirk Knipphals in der taz, 1. Juni 2005
- Carl Amery im Perlentaucher
- Carl Amery auf umweltdebatte.de
Fußnoten
- ↑ Nachruf auf der Website der E. F.-Schumacher-Gesellschaft
- ↑ SPD München-Au: Carl Amery - ein Porträt von Dr. Doris Rüb, August 2002
- ↑ Verband Deutscher Schriftsteller in Bayern: Verleihung des Carl-Amery-Literaturpreises an Feridun Zaimoglu. 9. März 2007
Personendaten | |
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NAME | Amery, Carl |
ALTERNATIVNAMEN | Mayer, Christian Anton (richtiger Name) |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Schriftsteller und Umweltaktivist |
GEBURTSDATUM | 9. April 1922 |
GEBURTSORT | München |
STERBEDATUM | 24. Mai 2005 |
STERBEORT | München |