Tierpsychologie
Der Begriff Tierpsychologie hat in den vergangenen 100 Jahren einen äußerst wechselhaften Wertewandel durchlebt. Wissenschaftliche Bedeutung erlangte er im deutschen Sprachraum Ende des 19. Jahrhunderts - in Analogie zur "Menschen-Psychologie" - als Forscher sich verstärkt darum bemühten, das innere Erleben von Tieren zu analysieren, zu verstehen und darauf praktisch einzugehen.
Historische Entwicklung
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren es Biologen wie Oskar und Katharina Heinroth, Nikolaas Tinbergen und Konrad Lorenz, die ihr Arbeitsgebiet manchmal als "Tierpsychologie" bezeichneten, manchmal aber auch als Ethologie oder als "vergleichende Verhaltensforschung".
Nach seiner Rückkehr aus russischer Kriegsgefangenschaft vermied Konrad Lorenz ab 1949 aber ganz bewusst das Etikett "Tierpsychologie" für die vergleichende Verhaltensforschung, da diese Bezeichnung inzwischen in der Geruch einer bloßen Liebhaberei gekommen war. Stattdessen benutzten er und seine Kollegen nun ausschließlich den Begriff "Ethologie", der "wissenschaftlicher" klang, oder sogar die Bezeichnung "Verhaltensphysiologie" (obwohl zumindest Lorenz nie physiologische Forschung betrieb); bereits 1902 war der Begriff "Ethologie" durch William Morton Wheeler als "ethology" in den englischen Sprachraum eingeführt worden und hatte sich allmählich international durchgesetzt. Die 1937 gegründete Zeitschrift für Tierpsychologie, neben Behaviour und Animal Behaviour jahrzehntelang die bedeutendste verhaltensbiologische Fachpublikation, wurde allerdings erst 1985 in "Ethology" umbenannt.
In dem Maße, in dem die aus der traditionellen vergleichenden Verhaltensforschung hervorgegangene Instinkttheorie aufgrund von neueren verhaltensökologischen und neurobiologischen Befunden als überholt angesehen wurde, benutzten viele Verhaltensforscher seit den 1980er-Jahren dann auch den Begriff "Ethologie" immer weniger und ersetzten ihn durch die als neutraler empfundene Bezeichnung Verhaltensbiologie.
Kurioserweise erlebte gleichzeitig die Bezeichnung "Tierpsychologie" einen Wiederaufschwung, nun aber jenseits der akademischen Forschung: Der Mangel an verhaltenskundlicher Ausbildung während des Studiums der Tiermedizin führt seit den 1990er-Jahren zu einer allmählichen Professionalisierung der Arbeit von "Experten für verhaltensauffällige Haustiere". Auch wenn "Tierpsychologe" derzeit keine geschützte Berufsbezeichnung ist (sich also jeder nach dem Lesen einiger verhaltenskundlicher Bücher über Hunde, Katzen und Pferde so nennen kann), sorgt die offenbar steigende Nachfrage besorgter Haustierbesitzer für das Entstehen eines neuen Berufes.
Inhaltliche Beschreibung
Tierpsychologie geschieht - was im Prinzip trivial ist und doch wieder nicht - immer (nur) vom Menschen aus, insofern dieser das Subjekt der Forschungstätigkeit ist. Dem Tier selbst wird zwar, sofern es sich um höher entwickelte Lebewesen handelt, von manchen Forschern ein erlebnishaftes Bewußtsein zugeschrieben; ihm fehlt jedoch die Fähigkeit zur Reflexion auf sich selbst im Sinne eines vernünftig-freien Selbstbewusstseins.
Instinkte ("Triebe") sowie äußere Reize leiten das tierische Verhalten. Der Mensch hat daher oft das Bedürfnis, durch Konditionierung gezielt Einfluss darauf zu nehmen.
Die Tierpsychologie ist daher oft mit einem anwendungsbezogenen erkenntnisleitenden Interesse verbunden, wenn beispielsweise nach der besten Betreuung für Tiere gefragt wird, damit diese in optimaler Form gedeihen bzw. Erträge verschiedenster Art für ihre Besitzer abwerfen oder aber auch damit sie in gezielter Form für Arbeiten, Freizeitangebote oder gar militärische Unternehmungen zum Einsatz kommen. Gleiches gilt, wenn einem Tier unerwünschtes Verhalten "abgewöhnt" werden soll.
Philosophische Bewertung
Eine Tierpsychologie, die das Tier nicht ausschließlich im anwendungsbezogenen Sinn instrumentalisieren will, wird auf den Eigenwert des tierischen Lebens und Verhaltens zu achten haben und die bestmöglichen Bedingungen für die Entfaltung der tierischen Lebensfunktionen zu erheben und zu fördern haben.