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Beitrittsverhandlungen der Türkei mit der Europäischen Union

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Ein möglicher EU-Beitritt der Türkei ist in der EU sehr umstritten und neben Befürwortern (zum Beispiel der deutschen Bundesregierung) gibt es auch Regierungen, die einem türkischen EU-Beitritt ablehnend gegenüber stehen (Österreich, Dänemark). Die USA haben den Staaten der EU eine Aufnahme der Türkei mehrmals nahegelegt. Die USA betrachten einen möglichen Beitritt aus strategischer Sicht und erhoffen sich, durch die Integration der Türkei in die EU einen geopolitischen Vorteil gegenüber den Anrainerstaaten im Nahen Osten zu erlangen.

Geschichte und jüngere Entwicklungen

1963 wurde zwischen der Türkei und der EWG ein Assoziationsabkommen geschlossen. Im Rahmen dieses Vertrags bekam die Türkei eine Mitgliedschaft nach 17 Jahren in Aussicht gestellt. Nach dem Putsch am 12. September 1980 in der Türkei durch den General Kenan Evren wurde die in Aussicht gestellte Mitgliedschaft eingefroren. Am 1. Januar 1996 wurde zwischen der EU und der Türkei eine Zollunion eingeführt.

Nachdem die damalige EG 1989 einen Antrag der Türkei auf Vollmitgliedschaft abgelehnt hatte, wurde auf dem EU-Gipfel in Luxemburg 1997 entschieden, dass die Türkei für einen Beitritt in Frage kommt. Ebenfalls im Jahr 1997 wurden die Gespräche zwischen der EU und der Türkei von der türkischen Regierung zeitweilig abgebrochen. Am 11. Dezember 1999 bekam die Türkei offiziell den Beitrittskandidaten-Status zuerkannt. Auf dem Gipfel von Kopenhagen 2002 setzte die EU fest, dass im Dezember 2004 über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen entschieden wird. Dazu muss die Türkei die Kopenhagener Kriterien erfüllen.

Ein wichtiger Grund für diesen Sinneswandel der EU war der Beginn umfassender Reformen in der Türkei. Im Zuge der Beitrittsbemühungen vollführte die Türkei umfassende Reformen im Zivilrecht und stärkte die Menschen- und Freiheitsrechte (z.B. Versammlungs- und Demonstrationsrecht). Schon unter Ecevit (1999-2001) wurde eine Zivilrechtsreform durchgeführt, die vor allem die rechtliche Stellung der Frau verbesserte.

Die neue Regierung unter der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (seit 2001) hat gleich zu Beginn ein Paket von Gesetzesänderungen vorgelegt, das u. a. die Abschaffung der Todesstrafe auch in Kriegszeiten, ein Verbot der Folter, das Ende der Straffreiheit für Polizisten, Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit und Maßnahmen gegen die Unterdrückung der kurdischen Minderheit ebenso vorsieht wie den freien Gebrauch der kurdischen Sprache, Kurdischunterricht und kurdische Radio- und Fernsehkanäle.

Obwohl die gesetzlichen Grundlagen geschaffen wurden, gibt es dennoch Probleme bei der praktischen Umsetzung. So ist z.B. ein ungestörter Sendebetrieb von kurdischen Radio- und Fernsehstationen auf Grund andauernder staatlicher Interventionen bisher nicht durchgängig möglich. Ein weiteres Beispiel ist die Vorgehensweise der Staatsanwaltschaft in Ankara. So forderte die Staatsanwaltschaft in Ankara das Verbot der Lehrergewerkschaft Egitim Sen, weil sie in ihrer Satzung die Forderung nach muttersprachlichem Unterricht für Minderheiten stellt. Bestraft werden soll hier also die bloße Forderung nach Kurdischunterricht in der Grundschule. Kurdischkurse sind bisher lediglich für Erwachsene, aber eben nur für diese erlaubt. Daher spielen die politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Zustände in Kurdistan und seinen Randgebieten bei den Beitrittsverhandlungen der Türkei zur Europäischen Union eine Schlüsselrolle.

Im September 2004 wurde seitens einer Expertengruppe der EU die Feststellung getroffen, dass es in der Türkei heute keine staatlich geduldete systematische Folter mehr gebe, da nur einzelne Personen oder Personengruppen die Folter ausübten. Mit der gleichfalls im September 2004 anstehenden Verabschiedung einer weitgehenden Strafrechtsreform wird die Rechtsstaatlichkeit der Türkei gefestigt.

Am 17. Dezember 2004 entschieden die Staats- und Regierungschefs der EU in Brüssel, dass ab dem 3. Oktober 2005 mit der Türkei Verhandlungen über den EU-Beitritt aufgenommen werden. Voraussetzungen dafür sind jedoch die Fortsetzung der begonnenen Reformen, eine weitere Verbesserung der Menschenrechtssituation und insbesondere die Unterzeichung eines Abkommens über eine Zollunion mit den 10 neuen EU-Mitgliedsstaaten, darunter auch Zypern, noch vor Beginn der Verhandlungen am 3. Oktober 2005.

Problematisch ist weiterhin der Umgang der Türkei mit religiösen Gruppen, die nicht offiziell als Minderheit im Sinne des Lausanner Abkommens von 1923 anerkannt werden (so werden die Griechen, Armenier und Juden anerkannt). Die EU sieht neben den Christen, die in der Türkei leben, vor allem die Aleviten (immerhin ca. ein Drittel der Türken) als nicht ausreichend gleichgestellt. So hat die Europäische Kommission in ihrer „Empfehlung zu den Fortschritten der Türkei auf dem Weg zum Beitritt“ vom 4. Oktober 2004 ausdrücklich kritisiert, dass die Aleviten nach wie vor nicht als muslimische Minderheit anerkannt sind.

Geopolitische Aspekte eines Beitritts der Türkei zur EU

Ein Beitritt der Türkei würde viele zu lösende Konflikte in den Aufgabenbereich der EU-Politik stellen. Die Konflikte in den Nachbarstaaten, auf welche sie derzeit nahezu keinen Einfluss nimmt, würden zu Europäischem Tagesgeschäft gehören. Dies bringt die notwendige Absicherung der Grenzen vor einem Übergreifen der Krisen in den Europäischen Raum mit sich. Die zwar schon jetzt über die NATO laufende militärische Zusammenarbeit würde auf EU-Ebene nicht mehr verbessert, vielleicht sogar geschwächt. Die Türkei möchte sich in ihre Handlungsspielraum halten, um die jeweiligen nationalen Interessen zu befriedigen. Mit einem von der EU abhängigen Militär wäre es ihr nicht mehr möglich, die Regionalen Begebenheiten selbst zu interpretieren und sich beispielsweise autonom für eine Aktivität zu entscheiden oder dagegen. So würde sie Souveränität abgeben müssen, die Macht des Militärs weiter einschränken und für die USA weiter an Attraktivität gegenüber dem Irak verlieren.

Die EU müsste ihre Interessen neu abwägen und in den Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien eingreifen, in dessen Zuge sie auf Russland Acht geben muss. Damit würde sie jedoch letztendlich auf eine Ebene mit den USA steigen, da ihr Einfluss bis in den Mittleren Osten reichen würde. Dies ist auch der Grund, warum die USA einen Türkeibeitritt befürworten. Sie könnte von den guten Beziehungen zur EU und von deren Lage profitieren, ob im militärischen oder im energiepolitischen Sinne.

Der Einfluss, den ein Türkeibeitritt auf die Energiepolitik der EU nehmen könnte, ist nicht ermessbar. Die Energieprobleme in Europa, z.B. in Italien oder Griechenland, wären ein sehr weiter Stück näher an ihrer Lösung. Gelder aus dem Strukturfonds der EU könnten die Infrastruktur der Pipelines verbessern und Unternehmen aus dem ganzen Kontinent könnten dort investieren. Der enorme Wasservorrat der Türkei wäre bedeutend für die Union. Allerdings käme hier wiederum ein Konflikt ins Spiel, mit dem Irak und Syrien müsste über eine Lösung des Euphrat-Tigris-Streitpunktes verhandelt werden.

Der Bau von Staudämmen im Rahmen des Südostanatolien-Projekts führt auf Seiten von Syrien zu der Befürchtung, dass die Türkei eines Tages das Wasser als Waffe einsetzen könnte. Die geopolitische Bedeutung der Türkei ist unzweifelhaft sehr groß und mit ihrer Lage wäre die Türkei Bereicherung und Risiko zugleich. Während die USA vor allem die Bereicherung sehen, ist Europa derzeit noch skeptisch. Eine Einflussnahme der EU durch die Türkei auf die Krisenregionen wäre realisierbar – jedoch in Anbetracht der Lage auch notwendig.

Contra: Argumente gegen einen türkischen Beitritt

In wirtschaftlicher Hinsicht bestehen in der Türkei erhebliche Defizite, so dass sich die Frage der Finanzierbarkeit stellt (vor allem im Hinblick auf Agrarsubventionen). Auch gibt es bereits weitreichende Handelsabkommen mit der Türkei, daran würde auch die Mitgliedschaft in der EU nichts ändern, denn für die Türkei gibt es auch keine Alternative zum Handelspartner EU, da kein weiterer großer Absatzmarkt für türkische Produkte und vergleichbarer Partner im Nahbereich existiert. Für die EU ist der türkische Markt aufgrund seiner vergleichsweisen geringen Kaufkraft weniger bedeutend.

Ein weiterer Grund für die ablehnende Haltung ist die Frage nach der Identität der EU: Manche Beitrittsgegner befürchten, dass durch den Beitritt der islamischen Türkei die Identität der EU als durch christlich-abendländische Traditionen geprägte Gemeinschaft schwinden könnte und somit die gemeinsame Basis für eine weitergehende politische Integration entfalle. Außerdem bestehen immer noch weitgehende Defizite in Menschenrechtsfragen und obwohl die gesetzlichen Grundlagen für eine Besserung teilweise geschaffen wurden ist eine vollständige Erfüllung der Kopenhagener Kriterien noch nicht abzusehen.

Viele stellen sich auch die Frage, wo die territorialen Grenzen der EU zukünftig liegen sollen, da die Türkei zum großen Teil auf dem asiatischen Kontinent liegt. Als weiteres Beispiel könnte man anfügen, dass man ja auch nicht Russland in die EU aufnimmt, lediglich weil es über die für den EU-Raum bedeutendsten Energiereserven verfügt.

Das Argument, ein Beitritt der Türkei wäre Vorbild für andere "islamische" Staaten und ein Zeichen der Kooperationsbereitschaft des Westens mit diesen, ist nicht schlüssig, da die Türkei nach Eigendefiniton ein laizistischer Staat ist und zudem in der arabisch-islamischen Welt aus historischen (osmanischer Imperialismus), ethnischen (hier Türken dort Araber) und religiösen Gründen (Türken werden wegen ihrer relativen Liberalität oft nicht als "echte Muslime" bzw. Sunniten angesehen, und auch mit den Shiiten verbindet sie nichts) isoliert ist.

Oft wird auch das Argument vorgebracht, man würde die Türkei seit 40 Jahren hinhalten. Tatsache ist jedoch, dass es die EU als politische Europäische Union noch gar nicht solange gibt und man bis 1999 immer wieder das Ansuchen der Türkei auf Mitgliedschaft zuerst der EG später der EU zurückgewiesen hat. Zudem hat die türkische Regierung selbst 1997 die Gespräche über eine Mitgliedschaft abgebrochen.

Die Türkei wäre schon jetzt mit einer Bevölkerung von 70 Millionen Menschen nach Deutschland das zweitbevölkerungsreichste Land der EU. Damit hätte die Türkei in den EU-Institutionen das gleiche Gewicht wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Während die Bevölkerung in Westeuropa abnimmt, gehen Prognosen davon aus, dass die Bevölkerung der Türkei im Jahr 2050 auf 90 Millionen anwachsen wird.

Die Problematik einer "überalternden" Bevölkerung in Europa wird sich durch den Beitritt auch nicht so einfach lösen lassen, da es sich dabei um einen komplexen Sachverhalt handelt. Beides - der Bevölkerungsrückgang wie die Zuwanderung - hat positive wie auch negative Aspekte und es ist fraglich, ob das erforderliche Ausmaß an Zuwanderung von der Bevölkerung überhaupt erwünscht wäre bzw. ob überhaupt die notwendigen Arbeitsplätze vorhanden wären um das erforderliche Bruttosozialprodukt zu erwirtschaften.

Zuwanderung aus der Türkei ist ja auch nicht zwangsläufig an eine EU-Mitgliedschaft gebunden. Sollte sie in Zukunft tatsächlich erwünscht sein, so sind die Steuerungsmöglichkeiten bei einem Nicht-EU-Mitglied größer als bei Niederlassungsfreiheit, die ja früher oder später bei jedem neuen EU-Mitglied gestattet wird.

Der Zypern-Konflikt ist noch nicht gelöst worden. Der zypriotische Staat (als EU-Mitglied) wird bis heute nicht vom türkischen Staat anerkannt. Die Türkei verweigert zudem 180.000 (hauptsächlich griechisch-orthodoxen) Zyprioten die Rückkehr in das von 30.000 türkischen Soldaten und 300 türkischen Panzern besetzte Nordzypern. Weder hat der türkische Staat sich bisher für die 1974 erfolgte Besetzung von 36% der Insel noch für die Vertreibung von rund 80% der dort ansässigen Bevölkerung entschuldigt.

Die kurdischen Regionen leiden immer noch an den Folgen des Krieges der PKK mit der Türkei. Laut Aussagen der Gesellschaft für bedrohte Völker sind 2,4 Millionen Kurden zwischen 1980 und 1999 von der türkischen Armee aus ihren mehr als 3.400 zerstörten Dörfern vertrieben worden (die zahlen sind jedoch stark umstritten, da hier Wirtschafts- und Armutsflüchtlinge integriert sind).

Die Türkei lehnt auch heute noch jegliche Verantwortung für den Völkermord an den Armeniern ab.

Der türkische Staat verweigert christlichen Kirchen wie auch den Aleviten jegliche Gleichberechtigung. Diesen Religionsgemeinschaften wird weiterhin der öffentlich-rechtliche Status vorenthalten.

Pro: Argumente für den türkischen Beitritt

Befürworter halten dagegen, dass die EU eine Wertegemeinschaft ist und nicht eine Gemeinschaft, die sich in erster Linie auf den christlichen Glauben bezieht. Demnach spielt für die Aufnahme der Türkei einzig und allein die Erfüllung der Kopenhagener Kriterien ein Rolle. Somit kann der islamische Glaube kein Ablehnungskriterium gegen den Beitritt sein, falls die Werte, die in den Kopenhagener Kriterien festgeschrieben sind, in der Türkei rechtlich und gesellschaftlich umgesetzt werden.

Zudem hat die Türkei im Gegensatz zu vielen "islamischen" Staaten eine längere Tradition der Westorientierung. Sie fing schon im Osmanischem Reich an und setzte sich verstärkt durch die Reformen in der Zeit der Republiksgründung durch Atatürk fort. Seit 2001 führt die Türkei weitere gesetzliche Reformen durch, um den europäischen Normen gerecht zu werden.

An die Türkei bestehen seit 40 Jahren politische Zusagen für die Aufnahme in die EU. Diese Zusagen wurden 1999 und 2002 erneuert. Daher darf die EU nicht einfach ihre eigenen Versprechen ignorieren.

Ein weiteres Argument der Befürworter ist, dass ein Beitritt zur EU die Demokratie und die Lage der Menschenrechte in der Türkei weiter stärken würde. Sie sehen darin ein wirksames Mittel, den islamischen Fundamentalismus weiter zurückzudrängen. Die erfolgreiche Integration der Türkei in die EU und die damit einhergehende Wohlstandssteigerung wäre für viele islamisch geprägte Länder eine Vorbildfunktion. Eine demokratische und stabile Türkei würde beweisen, dass Islam und Demokratie kein Widerspruch ist.

Ohne die Aufnahme der Türkei ist es fraglich, ob die EU die weltpolitische Rolle spielen kann, die sie anstrebt. Auch würde die EU erst durch die Aufnahme der Türkei die "kritische" Größe erhalten, um auch zukünftig wirtschaftlich eine wichtige Rolle auf der Welt gegenüber Regionen wie Asien, Nord- und Südamerika zu spielen. Mit der Türkei wächst der Binnenmarkt um weitere 70 Millionen Konsumenten. Mit dem erhofften Ansteigen des Wohlstandes in der Türkei würden Länder wie Deutschland wirtschaftlich durch höhere Exporte in die Türkei profitieren.

Eine in die EU integrierte und stabile Türkei ist auch für die europäische Energieversorgung sehr wichtig. Über die Türkei verlaufen zukünftig wichtige Öl- und Gaspipelines aus dem Kaukasus und den zentralasiatischen Turkstaaten.

Beitrittsgegner führen auch an, dass durch die Aufnahme der Türkei die Grenzen der EU verschwimmen, dass es kein Argument mehr gebe, Staaten wie Russland, die Ukraine und Marokko die Aufnahme zu verweigern. Dieses Argument ist nicht schlüssig, da für diese Länder von der EU keine Versprechen zur Aufnahme vorliegen, und bei jedem Beitrittsgesuch fallspezifisch entschieden werden kann.

Durch die Aufnahme der Türkei wird den alternden Gesellschaften der EU-Länder eine "Verjüngung" zugeführt, was auch zu einer Dynamisierung der EU beitragen kann. Zudem verfügt die Türkei über eine hohe Zahl von gut ausgebildeten Akademikern (2004 waren 1,6 Mio TürkenInnen an den Universitäten des Landes eingeschrieben). Mit ihnen ließe sich der in Deutschland und anderswo in der EU abzeichnende zukünftige Fachkräftemangel reduzieren.

Es ist aber auch fraglich, ob es zu dem befürchteten Zuwandererstrom aus der Türkei nach Westeuropa kommen würde. Der Zuwandererstrom, der nach der Aufnahme Spaniens erwartet wurde, trat ebenfalls nicht ein. Zudem ist die Aufnahme der Türkei erst in 10 bis 15 Jahren, mit anschließendem langen Übergangszeitraum von bis zu 7 Jahren in bezug auf die Freizügigkeit, angedacht. Bis dahin könnte die Türkei aufgrund ihres derzeitigen starken Wirtschaftswachstums die wirtschaftliche Kluft zu Westeuropa schließen. Mit dem steigenden Wohlstand würde auch der Immigrationsdruck nach Westeuropa sinken.

Die türkische Regierung zeigt sich für die Lösung des "Zypernkonflikt" offen. Sie unterstützte den Annan-Plan der eine neu Organisation eines neuen zypriotischen Staates, unter Einbeziehung von Griechen und Türken, vorsah.

Standpunkt der EU-Staaten

Während die Regierungen der europäischen Staaten am 17. Dezember 2004 entschieden haben, ab dem 3. Oktober 2005 mit der Türkei Verhandlungen über den EU-Beitritt aufzunehmen, ist der Standpunkt der Bevölkerung in vielen europäischen Ländern viel uneinheitlicher.

Umfragen zufolge lehnen drei Viertel der Franzosen und 56% der Österreicher einen Beitritt der Türkei in die EU ab, aber die Mehrzahl der Spanier und Italiener sind für die Aufnahme (Stand 2004). Sobald in Frankreich oder Österreich die zugesagten Referenden über eine Aufnahme Ankaras in die EU stattfinden und sich eine Mehrheit gegen einen Beitritt der Türkei ausspricht, müssten die Gespräche abgebrochen werden. Aus heutiger Sicht werden die Referenden wahrscheinlich am Ende der Beitrittsverhandlungen stehen - so sie dann noch stattfinden oder notwendig sind - schon deshalb sind Aussagen über deren möglichen Ausgang hoch spekulativ.

Beschließt der Rat der EU-Regierungen die Aufnahme von Verhandlungen, überträgt er formal das Mandat an die Kommission, die die Verhandlungen führen wird. In den kommenden Jahren reisen EU-Beamte regelmäßig in die Türkei, um die Fortschritte bei der Anpassung der politischen, ökonomischen und rechtlichen Standards an das EU-Regelwerk zu überprüfen. Die Ergebnisse dieses Monitorings fließen in einen Bericht über den Stand der Reformen ein, den die Kommission jeweils im Herbst veröffentlicht. Die Kommission stellt schließlich fest, ob und wann die rund 30 Beitrittskapitel abgeschlossen sind. Nach Anhörung der Kommission und nach Zustimmung des Europäischen Parlamentes erklärt der Rat der EU-Regierungen die Beitrittsverhandlungen für abgeschlossen und setzt ein Datum für den formalen Beitritt fest.

Laut einer Studie der EU-Kommission würde die Mitgliedschaft der Türkei jährlich zwischen 16,5 und 27,5 Milliarden Euro kosten. Einer Hochrechnung der Kommission zufolge könnten bis zu 2,7 Mio. Türken nach einem Beitritt ihr Land verlassen und in anderen EU-Ländern leben und arbeiten wollen. Das entspricht etwa 0,5 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU. Übergangsfristen für die volle Freizügigkeit könnten die Einwanderer aber - ähnlich wie bei der Osterweiterung - regulieren. Das Osteuropa-Institut in München rechnet mit bis zu vier Millionen Zuwanderern.

Als "Notbremse" wird der Brüsseler Gipfelbeschluß eine Ausstiegsklausel enthalten: Wenn ein Drittel der EU-Mitgliedsstaaten es fordert oder wenn der Reformprozeß in der Türkei in den Kernbereichen Menschenrechte, Minderheitenschutz und Meinungsfreiheit ins Stocken gerät, können die Verhandlungen ausgesetzt werden. Zweite Hürde ist die Ratifizierung des Beitrittsvertrages in allen EU-Mitgliedsländern, per Parlamentsentscheid oder Referendum: Scheitert sie in nur einem Land, findet der Beitritt nicht statt.

Die Standpunkte der Bevölkerung in den größten EU-Staaten:

Gründe für einen Beitritt der Türkei Gründe gegen einen Beitritt der Türkei

Siehe auch