Lorenz Böhler
Lorenz Böhler (* 15. Januar 1885 in Wolfurt, Vorarlberg; † 20. Jänner 1973 in Wien) war ein österreichischer Chirurg.
Er gilt neben Kirschner, Küntscher, Rehn, Heinrich Bürkle de la Camp und anderen als einer der wichtigsten Initiatoren und Wegbereiter der modernen Unfallchirurgie. Er war Leiter des später nach ihm benannten Lorenz-Böhler-Unfallkrankenhauses der AUVA in der ebenfalls nach ihm benannten Lorenz-Böhler-Gasse im 20. Wiener Gemeindebezirk. Das von ihm geleitete Krankenhaus galt lange Zeit als Muster für ähnliche Spitäler weltweit. Außerdem gründete er auch das Rehabilitationszentrum Stollhof in Klosterneuburg.
Böhler entwickelte auch spezielle Behandlungsmethoden bei Knochenbrüchen. Die Böhler-Zeichen tragen seinen Namen
Ausbildung
Schon als fünfjähriger soll der aus einer Handwerkerfamilie stammende Lorenz Böhler den Wunsch geäußert haben Chirurg zu werden.[1] Bereits als kleiner Junge hatte er kleines Getier seziert und als am 6. Dezember 1896 das Bild einer von Wilhelm Röntgen geröntgten Hand in einer Illustrierten erschien, schnitt er diese aus und band damit sein Lesebuch ein. 1896 besuchte er das fürsterzbischöfliche Knabenseminar in Brixen. Nach zwei Jahren wechselte er in das Gymnasium in Bregenz, wo er die 3. Klasse wiederholen musste. Die Matura legte Lorenz Böhler 1905 ab.
Von 1905 - 1911 studierte er Medizin in Wien. 1909 machte Böhler für ein halbes Jahr eine militärische Ausbildung beim 4. Regiment der Tiroler Kaiserjäger in Bregenz. 1910 bekam er eine Hospitantenstelle in der Internen im Krankenhaus Bozen, wo er seine spätere Frau – eine Krankenschwester – kennen lernte. Am 1. Juli 1911 wurde Böhler Doktor der Gesamten Heilkunde in Wien.
Ärztliche Tätigkeit bis 1914
Kurzfristig arbeitete Lorenz Böhler 1911 – und dann nochmals 1919, 1920 – an der chirurgischen Klinik seines Professors Dr. Julius Hochenegg. Dieser war einer der ersten, der eine unfallchirurgische Abteilung in seinem Krankenhaus hatte. Für ein paar Monate war er dann als Schiffsarzt tätig, bis er am 1. Mai 1912 im Garnisionsspital 24 in Ragusa, für fünf Monate K.K. Assistenzarzt-Stellvertreter an der Bakteriologie war. Im Herbst 1912 wurde Böhler im Krankenhaus Bozen Sekundararzt und 1913 Sekundararzt und Schularzt in Tetschen.
1914 besuchte Lorenz Böhler einen internationalen Chirurgen-Kongress in New York. Auf dem Weg dorthin lernte er den belgischen Arzt Lambotte kennen, der ihm von den Möglichkeiten der operativen Knochenbruchbehandlung erzählte. Anschließend verbrachte Böhler einige Zeit in der Mayo Clinic, Rochester (Minnesota), wo er Charles Horace Mayo kennenlernte, der Böhler auf die Zentren für Knochenbruchbehandlung in London und Liverpool aufmerksam machte, die es damals im deutschen Sprachraum so noch nicht gab. Von Mayo erhielt er ein Empfehlungsschreiben an Arbouthnot Lane in London, der neben Lambrotte als europäische Kapazität der operativen Knochenbruchbehandlung galt. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges verhinderte aber diesen Besuch.
Erster Weltkrieg
Schon kurz nach seiner Einberufung als Truppenarzt wendete sich Böhler mit einem Gesuch an das Korpskommando in Innsbruck, mit der Bitte als Chirurg Tätig sein zu dürfen. Von 1914-1916 war er Chirurg der Divisions-Sanitäts-Anstalt 8.
Am 1. August 1916 übernahm Böhler das „Reservelazarett für Leichtverwundete“ in Bozen. Sein Wunsch auch Knochen- und Gelenksschüsse behandeln zu dürfen, wurde zunächst abgelehnt und so organisierte er sich selbst Geräte und Patienten, bis es ihm offiziell genehmigt wurde. Es folgte eine Umbenennung des Lazaretts in „Spezialabteilung für Knochenschussbrüche und Gelenkschüsse“. Hier setzte Böhler bereits einige seiner wichtigsten innovativen Ideen um: alles wurde spezialisiert und genormt, die wichtigsten Informationen zum Fall auf den Gipsverband geschrieben, die Patienten nach Art der Verletzung zusammengelegt und Patienten – nach ihren Möglichkeiten - für Arbeit eingespannt. Böhler hatte davor gesehen, dass in Kriegslazaretten Patienten ohne irgendeiner Systematik untergebracht wurden, was neben der Unübersichtlichkeit auch eine organisierte Behandlung erschwerte. Für kurze Zeit geriet Böhler 1918 in Kriegsgefangenschaft und wurde als beratender Chirurg für italienische Kriegsspitäler herangezogen. Ein halbes Jahr nach Kriegsende wurde das Lazarett geschlossen.
Zwischenkriegszeit – Gründung des Unfallkrankenhauses in Wien

Böhlers großes Verlangen war es nun an Spezialabteilungen für Unfallversorgungen durchzusetzen. 1919 nahm er Kontakt mit der Arbeiterunfallversicherung in Wien auf und erklärte ihnen außer den Vorteilen für eine gezielte Behandlung auch die ökonomischen Vorteile von anstaltseigenen Unfallkrankenhäusern. Trotz Zustimmung scheiterte es zunächst an der Umsetzung.
In Bozen errichtete Böhler eine chirurgische Praxis und 1924-1925 war er Primarius in Brixen, als der neue Direktor der Arbeiterunfallversicherungsanstalt für Wien, Niederösterreich und das Burgenland Kontakt mit ihm aufnahm. Am 1. Dezember 1925 wurde in der Webergasse 2-6 in Wien das erste Unfallkrankenhaus in Betrieb genommen, welches Lorenz Böhler leitete.
Besonders bei seinen Wiener Kollegen stieß Böhler lange Zeit auf Ablehnung, während sich die Besucher aus dem Ausland häuften.
Böhler habilitierte in Chirurgie an der medizinischen Fakultät in Wien am 29. März 1930. Am 3. August 1936 bekam er den Titel eines a.o. Prof. verliehen. Seine Lehrverpflichtung lautete: „Lt. erteilten Lehrbefugnis ist er verpflichtet, in der med. Fak. das Fach „Chirurgie“ sowie „Unfallheilkunde u. Begutachtung“ zu vertreten“.[2]
Zweiter Weltkrieg
Böhlers Tätigkeit während des Nationalsozialismus wurde bisher noch nicht wirklich aufgearbeitet. Bekannt ist, dass er am 25. Mai 1938 als NSDAP-Mitglied Nr. 6 361 999 beitrat, [3] sowie dass er 1939 zu den 13 Unterschreibern des A.M.A.-Protestschreibens gehörte[3].
Böhler nach 1945
Böhler konnte seine Tätigkeiten nach dem 2. Weltkrieg fortsetzen, publizierte Artikel zu medizinischen Themen, unterrichtete Medizin (1954 wurde er o. Professor) und leitete das Unfallkrankenhaus bis er 1963 zurück trat. Sein Sohn, der Chirurg Jörg Böhler, war Direktor des Unfallkrankenhauses von 1970-1983.
Böhlers Behandlungsmaximen

Böhler ging es vor allem um die:
- Erhaltung des Lebens
- Erhaltung des Körperteils
- Erhaltung der Funktion
Dies sollte erreicht werden durch:
- eine rasche Diagnose
- Einrichtung unter Vermeidung von Schmerzen
- Ruhigstellung des betroffenen Teils
- Aktive Bewegung aller nicht betroffenen Körperteile unter Vermeidung von Schmerzen
Böhler sprach sich explizit gegen die damals gängigen Behandlungsmethoden - elektrischer Strom, Heißluft und Massage – aus.
Böhlers medizinische Errungenschaften
Auszeichnungen
Lorenz Böhler erhielt etliche Auszeichnungen (Auswahl):
- Österreichisches Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst
- Ritterkreuz des Franz-Josefs-Ordens
- Ehrenzeichen vom Roten Kreuz
- Preußische Ehrenzeichen vom Roten Kreuz
Außerdem war er Ehrenmitglied von weltweit 33 Fachgesellschaften.[3] Der 1972 errichtete Neubau des Unfallkrankenhauses wurde nach ihm benannt, ebenso eine Straße im XX. Wiener Bezirk.
Publikationen
Insgesamt soll Lorenz Böhler über 400 wissenschaftliche Arbeiten verfasst haben.[4]
Als Böhlers Hauptwerk gilt „Die Technik der Knochenbruchbehandlung“ (1929). Von den medizinischen Fachverlagen wurde es zunächst abgelehnt und so wendete sich Böhler an den Wiener Buchhändler Maudrich mit der Bitte ihm bei der Publikation zu helfen. Böhler selbst übernimmt die Druckkosten. Nachdem es – trotz einiger Kritik – sich sehr gut verkaufte, meldeten sich für die zweite Auflage nun auch prominente Verleger, doch Böhler blieb bei Maudrich, für den das Buch den Grundstein und Anlass für seinen medizinischen Verlag darstellte. Das Buch wurde in acht Sprachen übersetzt: Englisch, Spanisch, Französisch, Italienisch, Russisch, Ungarisch, Polnisch und Chinesisch. An dem zunächst nur 176 Seiten umfassenden Buch (das später einmal drei Bande umfassen sollte) hat Lorenz Böhler immer wieder gearbeitet.
Weitere Publikationen (Auswahl):
- Wie schützen wir die Verwundeten vor Amputation und Krüppeltum?, Wien 1924
- Knochenbrüche und Unfallchirurgie in ihren Beziehungen zur Umwelt, Wien 1933
- Verbandlehre für Schwestern, Helfer, Studenten und Ärzte, Wien; München [u.a.] 1971
Literatur
Inge Lehne, Lorenz Böhler. Die Geschichte eines Erfolges, Wien 1991 Fritz Povacz, Der Geist der Böhler-Schule, Wien [u.a.] 2004 Peter Voswinkel (Hg.), Biografisches Lexikon der hervorragenden Ärzte der letzten fünfzig Jahre, Dritter Band Aba-Kom, Hildesheim, Zürich, New York 2002
Einzelnachweise
- ↑ Inge Lehne: Lorenz Böhler, Die Geschichte eines Erfolges S. 14, Wien 1991, ISBN 3-851-75557-X
- ↑ Personalakte Lorenz Böhler, Universitätsarchiv Wien, S 304.90.
- ↑ a b c Peter Voswinkel (Hg.), I.Fischer: Biografisches Lexikon der hervorragenden Ärzte der letzten fünfzig Jahre, Bd. 3, S. 147-148, Olms Georg AG, Hildesheim, Zürich, New York 2002 ISBN 3-487-11659-6 Referenzfehler: Ungültiges
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-Tag. Der Name „Voswinkel“ wurde mehrere Male mit einem unterschiedlichen Inhalt definiert. - ↑ Wolfgang U. Eckart (Hg.), Ärzte-Lexikon, Bd. 1, S. 68, Springer-Verlag, Heidelberg 2006, ISBN 3-540-29584-4
Weblinks
- Lorenz Böhler und das Unfallkrankenhaus
- Täglich Wissenschaft entdecken (Böhler)
- Vorlage:PND
- Vorlage:Aeiou
Personendaten | |
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NAME | Böhler, Lorenz |
KURZBESCHREIBUNG | österreichischer Chirurg |
GEBURTSDATUM | 15. Januar 1885 |
GEBURTSORT | Wolfurt |
STERBEDATUM | 20. Januar 1973 |
STERBEORT | Wien |