Kritischer Rationalismus
Der Kritische Rationalismus ist eine von Karl R. Popper begründete erkenntnistheoretische Philosophie, die als Ausgangspunkt das fehlbare menschliche Wissen postuliert (Fallibilismus).
Falsifikationismus
Der Falsifikationismus ist eine Position der Wissenschaftstheorie, die davon ausgeht, dass Hypothesen niemals verifiziert, sondern immer nur falsifiziert werden können.
Bei der bis dahin vorherrschenden Art der Theorienbildung versucht der Wissenschaftler induktiv aus Daten eine Theorie abzuleiten. Er stellt also eine Theorie auf, wie die Realität in Bezug auf eine bestimmte Fragestellung aufgebaut sein könnte. Dann macht er Experimente und Analysen, um diese Theorie zu bestätigen.
Hier sieht Popper grundsätzliche Gefahren: Keine noch so große Zahl von Messungen und Bestätigungen ermögliche eine sichere Erkenntnis der Wahrheit einer Theorie. Prägend ist für Popper die Newtonsche Physik, die vielfach bestätigt wurde. Gleichwohl entspricht sie nicht der Wahrheit, sondern ist lediglich eine Annäherung an die Einsteinsche Physik. Durch bestimmte Beobachtungen lassen sich auf Newton beruhende Sätze widerlegen. Man kann also durch die genauere Hinterfragung von Theorien die bessere von zwei Theorien erkennen.
Der Kritische Rationalismus erlaubt dabei nur Theorien, zu denen Experimente denkbar sind, mit denen sie widerlegt werden könnten. Überleben sie die Experimente, so steigt nur die Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit. Dieses Instrument hat Popper unter dem Namen Falsifizierung eingeführt. Damit wird insbesondere der Fehler vermieden, unlogische Behauptungen in Theorien einfließen zu lassen. Er lehnt jede Behauptung ab, die sich nicht einmal dann widerlegen ließe, wenn sie unwahr wäre, die also nicht falsifizierbar ist. Nur falsifizierbare (angreifbare) Aussagen sind sinnvoll, alle anderen sind nicht angreifbar und damit für die Wissenschaft und die Philosophie wertlos. Beispielsweise ist die Behauptung, dass es Geister gibt, die unsichtbar und nicht messbar sind und ihre Aktivitäten vor den Menschen verbergen, nicht widerlegbar, und damit keine wissenschaftliche Theorie.
Dabei stellt Popper fundamentale Fragen zur Wissenschaftstheorie und hinterfragt die Art und Weise der Theorien- und Methodenbildung in den Wissenschaften. Ziel ist dabei, den erkenntnistheoretischen Wert von Theorien, Methoden und Fortschritt in der Wissenschaft analysierbar und zugänglich zu machen. Daraus sollte schließlich zu lernen sein, wie man es, falls nötig und möglich, besser machen kann.
Indeterminismus
Neben dem "Falsifikationismus" ist ein starker "Indeterminismus" der wichtigste Bestandteil von Poppers Weltsicht. Er sah sich hierin vor allem von der Quantenmechanik bestätigt. Metaphorisch behauptete er einmal, bisher habe man sich auch Wolken wie sehr komplexe Uhrwerke vorgestellt; tatsächlich seien aber eher Uhrwerke nur scheinbar sehr geordnete Wolken. Diesen Indeterminismus übertrug er auch auf gesellschaftliche Zustände (Die Zukunft ist offen). Im Gegensatz zum Falsifikationismus hat Poppers Indeterminismus unter Wissenschaftlern nicht so viel Zulauf gefunden.
Konsequenzen aus der Fehlbarkeit des menschlichen Wissens
Es gibt keine absolute Sicherheit eine "statische Wahrheit" vollständig erkannt zu haben, sondern nur die heute am besten haltbare "vermutete Wahrheit".
Mit Hilfe der Widerlegung soll jede aufgestellte Theorie aktiv angegriffen werden, und dies intensiv und immer wieder. Wird die Theorie nicht erfolgreich widerlegt, so heißt das nicht zwingend, dass sie wahr ist, sondern nur, dass sie eher der Wahrheit entspricht oder ihr näher kommt als eine vorherige und bereits widerlegte Theorie. In diesem erkenntnistheoretischen Prozess tastet man sich also förmlich an die Wahrheit heran, kann sie laut Popper eventuell auch erreichen, wird das Wissen über ihre absolute Wahrheit aber prinzipiell nicht erlangen. In diesem Sinne ist das Streben nach Wahrheit und Erkenntnis ein dynamischer Prozess.
Dabei hält Popper, trotz seiner Schlussfolgerung, dass man nie wissen kann, ob man die absolute Wahrheit gefunden hat, an ihrer Existenz fest und lehnt den Relativismus, also die Abhängigkeit der Wahrheit von den Umständen, ab.
Relevanz für die Gesellschaft und deren Entwicklung
Der Kritische Rationalismus befürwortet, notwendige und drängenden Probleme systematisch zu lösen. Es sei nicht sinnvoll, nach einer irgendwie als "ideal" anzusehenden Gesellschaftsform oder einem Idealzustand zu suchen. Man solle also die akuten Probleme analysieren und sie durch Reformen Schritt für Schritt so gestalten, dass eine "eingebaute" (systemimmanente) Kontrolle Missbrauch verhindern kann (Checks and Balances). In dieser Hinsicht ergänzt der Kritische Rationalismus auch den Liberalismus.
Popper, der in seiner Jugend Sozialist war, hat sich einen Namen gemacht, indem er versuchte zu zeigen, dass viele Kernaussagen des Marxismus bzw. Kommunismus nicht-angreifbar und damit nicht wissenschaftlich seien bzw. wichtige Voraussagen des Marxismus über die Zukunft (z.B. Form der sozialistischen Revolution) nicht eintrafen und damit den Marxismus falsifiziert hätten. Deshalb wird er von Teilen der Linken gerne als konservativ beurteilt. Weil mit seiner Methodik viele populäre (religiöse) Überzeugungen hinterfragt werden können, wurde Popper auch von deren Verfechtern kritisiert. Insbesondere die Rechte lehnt den Kritischen Rationalismus oft ab, weil es ihm an Werten und Orientierungsmöglichkeiten mangele. Auch seine Forderung nach schrittweisen Reformen wird von vielen besonders weit nach rechts oder links tendierenden Kritikern abgelehnt.
Poppers Anhänger dagegen meinen, sein philosophischer Analyseprozess könnte zu einem Paradigmenwechsel, also einer neuen Grundlage für die Art und Weise des Erkennens und Gewinnens von Wissen führen: Dass wir die Methoden der Wissenschaft und Philosophie ein wenig verbessern, und damit auch politische Verfahren und religiöse Vorstellungen sich Schritt für Schritt ändern. Zuweilen wird diese Neuerung als vergleichbar mit Anpassungen zu Zeiten der Renaissance und der Aufklärung angesehen, wenn auch nicht der Anspruch erhoben wird, dass sie ebenso umwälzend sei.
Weitergehende philosophische Strömungen
Aus dem kritischen Rationalismus wurde von Paul Feyerabend ein Pluralismus der Theorien entwickelt, der allerdings eher auf Aussöhnung verschiedener Denkansätze als auf Weiterentwicklung im Diskurs beruht.
Siehe auch: Theorienbildung, Erkenntnistheorie