Lernbehinderung
Seit den 1960er Jahren, als die "Hilfsschulen" in "Sonderschulen" und später noch in Förderschulen, bzw. Förderzentren umbenannt wurden, existiert der Begriff der Lernbehinderung.
In der ICD-10-Klassifikation ist die Lernbehinderung nicht gesondert aufgeführt. Sie gilt als unterdurchschnittliche Intelligenz mit einem IQ von 70 bis 89. Menschen mit einer Lernbehinderung haben Schwierigkeiten, sich auf kognitivem Weg Kenntnisse anzueignen und besuchen deshalb oft eine Schule für Lernbehinderte.
Die Gruppe der ICD-10-F.81 umfasst sowohl die Lese-Rechtschreib-Schwäche, die isolierte Rechtschreibschwäche, die Rechenschwäche (Dyskalkulie), den Leserückstand als auch die Lernstörung ohne nähere Angabe. Diese Störung hat den Code ICD-10-F.81.9.
Seitdem gab es einige Versuche, den Begriff zu definieren. Die eingängigste und damals plausibelste Definition liefert wohl Kanter mit der These, dass eine Lernbehinderung ein "langandauerndes, schwerwiegendes und umfängliches Schulleistungsversagen" bedeutet, das in der Regel mit einer Beeinträchtigung der Intelligenz einhergeht. Für den Deutschen Bildungsrat (1973) kommen für die Lernbehindertenschule solche Schülerinnen und Schüler in Frage, bei denen
- langandauerndes und umfassendes Schulleistungsversagen und
- Minderbegabung vorliegt,
und die deswegen in der Grundschule und in der Hauptschule nicht ausreichend individuell gefördert werden können.
Unter Schülerinnen und Schüler mit Minderbegabung ordnete der Deutsche Bildungsrat solche mit einem IQ zwischen 55 und 85 ein. Der IQ wird dabei mit einem standardisiertem Intelligenztest, zum Beispiel dem HAWIK ermittelt. Andere Autoren nennen ähnliche Kriterien, jedoch mit leichten Verschiebungen innerhalb des IQ-Bereiches, so etwa Wegener (1969), der "leichtere Grade der Begabungsminderung" in einem Bereich von IQ 70 bis 89 verortet. Lernbehinderung wird auch als geringe Intelligenz (Grenzdebilität) bezeichnet.
Allen Definitionsversuchen gemein ist, dass der Begriff der "Lernbehinderung" nur im schulischen Kontext gesehen wird, so dass lediglich ein kleiner Ausschnitt des menschlichen Lernens darin widergespiegelt wird. Schröder (1996) schlägt vor, die Fachterminologie der Lernbehindertenpädagogik auf vier Begriffe zu begrenzen:
- Lernschwierigkeiten treten auf, wenn schulische Leistungen (gleich in welcher Schulart) unterhalb tolerierbarer Abweichungen von Bezugsnormen liegen.
- Lernbeeinträchtigungen "sind deren spezielle Formen, wenn es um Lernanforderungen der Grund- und Hauptschule [...] geht".
Im Unterschied zu den Lernschwierigkeiten geht es hierbei also um Probleme bei den von der Gesellschaft definierten Mindestanforderungen.
- Lernstörungen als die 'geringere' Form der Lernbehinderung, bezogen auf die drei Dimensionen Schwere, Umfang und Dauer.
- Lernbehinderung (und zwar wieder nur im Sinne der Schule für Lernbehinderte) als schwerwiegende, umfängliche und dauerhafte Lernbeeinträchtigung.
Neuere Definitionen von Lernbehinderung versuchen von monokausalen Erklärungsansätzen abzurücken. Viel zu starr wurden in der Vergangenheit Schülerinnen und Schüler nach IQ-Werten 'einsortiert'. Von Baier (1982) stammt dabei das Zitat: "Es gibt kein eindeutiges Merkmal, das Lernbehinderung als eine in sich geschlossene Gruppe von Nicht-Lernbehinderten unterscheiden läßt. Abgrenzungsprobleme bestehen nicht nur gegenüber Schülern mit Lernschwierigkeiten [...] oder mit Lernstörungen [...], sondern auch zu anderen Behindertengruppen wie zum Beispiel den Verhaltensgestörten und in Einzelfällen auch zu den Geistigbehinderten." Der multikausale Ansatz rückt dabei bei Baier in den Mittelpunkt, wenn er Lernbehinderung definiert als "multifaktoriell bedingte biosoziale Interaktions- und Kumulationsprodukte", die sich im schulischen Kontext negativ niederschlagen.
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