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Föderalismus in Deutschland

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Der Föderalismus ist Bestandteil des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. Die Bundesrepublik ist unterteilt in kleinere autonome Einheiten (Gliedstaaten), die ihrerseits eigene staatliche Aufgaben erfüllen können. Sie sind zu einem übergeordneten Ganzen zusammengeschlossen, dem Bund.

Im föderalen Bundesstaat sind die staatlichen Aufgaben zwischen Bund und Gliedstaaten aufgeteilt, und zwar so, dass beide politische Ebenen für bestimmte (verfassungsgemäß festgelegte) Aufgaben selbst zuständig sind.

Die Autonomie der Gliedstaaten (in Deutschland werden die Gliedstaaten als (Bundes-)Länder bezeichnet) in einem föderativen System zeigt sich darin, dass die Mitglieder des Bundes über eigene Legitimität, Rechte und Kompetenzen verfügen. So hat jedes Bundesland eigenständige politische Institutionen in Exekutive, Judikative und Legislative.

Datei:Instanzen der vertikalen Verwaltungsstruktur Deutschlands.png
vertikale Verwaltungsstruktur Deutschlands

Charakteristika des bundesdeutschen Föderalismus

Der deutsche Föderalismus ist schon immer derart gestaltet gewesen, dass der Bund in der Regel bestimmend war. Dafür sorgte bereits der Umstand, dass die Kompetenzen im deutschen Bundesstaat nach Kompetenzarten verteilt sind und nicht nach Politikfeldern. Dies bedeutet konkret, dass der Bund den Großteil der Gesetze erlässt, es aber den Ländern zufällt, diese auszuführen.

Dem Bund wurden nach 1949 immer mehr Kompetenzen übertragen, wofür im Gegenzug den Ländern eine größere Mitsprache im Bundesrat zugestanden wurde, zumal der Bundesrat nach Art. 81, Abs. 1 des GG ohnehin Mitspracherecht besitzt, wenn der Bund in die Verwaltungsstruktur der Länder eingreift, um Gesetze zu erlassen. Problematisch ist aber immer noch vor allem die Finanzverfassung, wodurch ärmere Länder de facto zu Kostgänger des Bundes geworden sind. Zudem kam es immer mehr zu einer Verflechtung der Kompetenzen, womit schnelle Entscheidungen erschwert wurden (siehe Politikverflechtung). Damit besteht die Gefahr, dass die verschiedenen horizontalen Ebenen sich gegenseitig lähmen. Ebenfalls besteht die Gefahr, dass auf Bundesebene, Gesetze beschlossen werden, deren Bezahlung Ländern und Kommunen obliegt, zumal den Ländern durch die Bundesgesetzgebung kaum eigener Handlungsspielraum geblieben ist (siehe oben; vergleiche auch die Kritik, dass sich der Föderalismus zu einem reinen Exekutivföderalismus entwickle). Ein mögliche Lösung für das letzte Problem bietet das Konnexitätsprinzip.

Allerdings ist jedes föderalistische System auf die Kooperation des Bundes und der Länder angwiesen, es kommt jedoch auf den Grad der Verflechtung an, der damit einhergeht.

Der Einflussbereich der Landespolitik wird zudem gehemmt durch eine umfassende Kooperation der Länder untereinander. Dies ist vor allem mit der Wahrung der Rechtseinheit und der Sicherung der Mobilität im Bundesgebiet zu begründen, senkt aber insbesondere den Einflussbereich der Landtage.

Ein Beispiel für die Verzahnung der Länder untereinander ist auch die Kultusministerkonferenz, die dafür sorgen soll, dass möglichst einheitliche Kriterien im Schulwesen der einzelnen Länder angewendet werden. Ein Teil der Kritiker meint, dass dadurch eine Gleichmacherei entsteht, die den großen Vorteil des Bildungsföderalismus, ein Wettstreit der Länder um das beste System, in einen faulen Kompromiss auflöst. Andere sind der Auffassung, die Schulsysteme hätten sich bereits so weit auseinander entwickelt, dass die Probleme beim Umzug und bei der Anerkennung der Abschlüsse ein echter Standortnachteil Deutschlands seien, auch wenn oft angemerkt wird, dass gerade die Konkurrenz des Föderalismus, wie im kulturellen und wirtschaftlichen Bereich, die Möglichkeit bietet, zu einer besseren Lösung zu gelangen.

Föderalismus im Grundgesetz

Konstitution des Föderalismus

Im Grundgesetz (GG) der Bundesrepublik Deutschland ist der Föderalismus als politisches Organisationsform festgeschrieben. Schon die Präambel bringt zum Ausdruck, dass die Bundesrepublik aus aus mehreren Gliedstaaten besteht:

"[...] Die Deutschen in den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen haben in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands vollendet. [...]"

In Art. 20 Abs. 1 GG wird die Bundesrepublik Deutschland ausdrücklich als Bundesstaat konstituiert; die Unabänderlichkeit wird in Art. 79 III GG erklärt, d.h. der föderalistische Staatsaufbau kann durch kein Verfassungsorgan geändert werden.

Föderale Strukturen

Der Bundesrat ist nach dem Bundestag die zweite Kammer im deutschen Zweikammersystem und das oberste Bundesorgan, durch das "die Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes und in Angelegenheiten der Europäischen Union" mitwirken (Art. 50 GG).

Der Bundesrat hat über alle Gesetze, die zuvor vom Bundestag beschlossen wurden, zu beraten und zu entscheiden. Je nach Rechtsmaterie und Auswirkungen des neuen Gesetzes unterscheidet man Zustimmungsgesetze, die ohne Zustimmung des Bundesrates nicht in Kraft treten können, und Einspruchsgesetze, bei denen der Bundestag den Einspruch des Bundesrats mit gleicher Mehrheit zurückweisen kann. Im Falle der Uneinigkeit zwischen Bundestag und Bundesrat kann vom Bundestag, vom Bundesrat oder der Bundesregierung der Vermittlungsausschuss - ein gemeinsamer Ausschuss aus Vertretern von Bundestag und Bundesrat - angerufen werden (Art. 50 f., 77 GG). (Aber: Bundestag und Bundesregierung können nur bei Zustimmungspflichtigen Gesetzen den Vermittlungsausschuss anrufen; Art. 50 f., 77 GG).

Geschichte

In Deutschland ist die föderative Ordnung das Ergebnis eines historischen Prozesses, in dessen Verlauf sich die bundesstaatliche Organisationsstruktur als Instrument und Form erwies, um zur nationalen politischen Einheit zu gelangen.

Anders als in der Schweiz oder in den USA wurde der Föderalismus in Deutschland daher vor allem als eine nicht zu umgehende politische Notwendigkeit wahrgenommen. Trotz aller Zäsuren und Brüche, wie beispielsweise die Gleichschaltung der Länder 1933, ist es möglich, eine Linie föderaler Tradition vom Heiligen Römischen Reich, über den Deutschen Bund und die Weimarer Republik bis hin zur Staatlichkeit der heutigen deutschen Länder zu ziehen.

Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation

Nach dem Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation 1806, das als partikularistisch-loser Staatenbund existiert hatte, gab es verschiedene Versuche, auf föderativer Grundlage eine neue politische Organisation für „Deutschland“ zu schaffen.


Deutscher Bund

Im Deutschen Bund, einem Staatenbund der 1815 gegründet wurde, gab es bereits föderale Elemente: Die einzelnen Fürstentümer entsandten Vertreter in den Bundestag in Frankfurt. Dieser Bundestag hatte jedoch nicht die Möglichkeit, in die Souveränitätsrechte der einzelnen Bundesstaaten einzugreifen, und regelte in erster Linie den Verteidigungsfall und die gemeinsame Unterdrückung von nationalen und liberalen Bewegungen.

Deutsches Reich

Im Deutschen Reich ab 1871 vertrat der Bundesrat und in der Weimarer Republik ab 1919 der Reichsrat die Interessen der Länder. Mit dem "Gesetz über den Neuaufbau des Reiches" vom Januar 1934 zerschlugen die Nationalsozialisten den deutschen Föderalismus, nachdem sie schon im Zuge der so genannten "Gleichschaltung" die Länderparlamente entmachtet und in allen Ländern Hitler direkt unterstellte Reichsstatthalter eingesetzt hatten. Die Länder wurden zu bloßen Verwaltungseinheiten eines zunehmend zentralistisch strukturierten Einheitsstaats. Gleichzeitig wuchsen der ursprünglichen Parteiorganisation in Gaue - kennzeichnend für Ämterchaos und Kompetenzwirrwarr im "Dritten Reich" - administrative Funktionen zu. Zu einer grundlegenden territorialen Reform, wie sie von einigen Nationalsozialisten, wie Innenminister Frick, gefordert wurde, konnte man sich nie entschließen – es blieb bei einem Gemengelage von Zuständigkeiten.

Nachkriegszeit

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden 1948/1949 aus pragmatischen Erwägungen von den jeweiligen Besatzungsmächten neue Länder gegründet, die nur teilweise an die gewachsenen territorialen Strukturen anknüpften. Der größte Unterschied war die Auflösung Preußens. Man begründete die Entscheidung für einen deutschen Bundesstaat mit der Existenz vorhandener Länder und der einfachen Möglichkeit eines möglichen Beitritts weiterer Länder sowie mit der historischen Tradition und den demokratischen Vorteilungen dieser Regelung.

DDR

In der DDR wurden die Bundesländer 1952 aufgelöst und durch mehr oder weniger von oben gesteuerte Bezirke ersetzt. 1990 wurden die diese Bundesländer der DDR wieder eingerichtet.

Aktuelles Entwicklungen

Vorzüge des föderalistischen Systems

Machtverteilung

Wesentliche Argumente für eine föderale Organisationsform sind zum einen die Beschränkung politischer Macht durch ihre Aufteilung auf unterschiedliche Ebenen, die sog. vertikale Gewaltenteilung, so dass einerseits mehrere Ebenen der politischen Teilhabe und Einflussmöglichkeiten entstehen und sich andererseits unterschiedliche Formen und Wege der politischen Aufgabenerfüllung ergeben. Vor dem Hintergrund der Erfahrung des dritten Reiches ergibt sich auch Durch die Verteilung, insbesondere die örtliche Verteilung und Verschränkung von Kompetenzen auf verschiedene Institutionen und Personen soll eine erneute Kompetenzbündelung verhindert werden.

Politische Integration und Bürgernähe

Ebenso wie der Föderalismus das Demokratieverständnis der Bürger, die durch Wahlen in den Kommunen und Bundesländern stärker in das politische Leben eingebunden sind, stärkt, können auch politische Entscheidungen und Verwaltungshandlungen in föderalistischen Systemen orts- und bürgernäher und dadurch oft auch sachgerechter erfolgen.

Auch stärkt der Föderalismus das Demokratieverständnis der Bürger, die durch die Wahlen in den Kommunen und Bundesländern stärker in das politische Leben eingebunden sind.

Eine sachgerechtere Handhabung beinhaltet auch eine subsidiäre Handhabung. Staatliche Eingriffe des Bundes und öffentliche Leistungen sollen nach diesem Prinzip grundsätzlich nur unterstützend und nur dann erfolgen, wenn die jeweils tiefere hierarchische Ebene (Länder, Kommunen, Familien) nicht in der Lage ist, die erforderliche (Eigen-)Leistung zu erbringen.

Schutz und Integration von Minderheiten

Zum anderen bietet sie Schutz von Minderheiten, z.B. wenn diese nur im Gesamtstaat eine Minderheit, im Teilstaat dagegen eine Mehrheit bilden. So erhalten regionale Minderheiten die Möglichkeit einer gewissen Eigenständigkeit und Selbstverwaltung. Somit bietet ein föderalistischer Staatsaufbau die Möglichkeit, dass auf der einen Seite trotz Vielfalt Integration und Einheit möglich sind (Pluralismus), auf der anderen Seite aber Minoritäten einen gewisser Schutz vor Majorisierung (ständige Überstimmung durch die Mehrheit) zukommt.

Bereicherung und Bewahrung der landestypischen Kultur

Probleme

Reformbedarf

Wirtschaftsexperten sehen in Teilen des deutschen Föderalismus inzwischen einen massiven Standortnachteil und als eine Kernursache für die ökonomischen Probleme Deutschlands. Alle Parteien sind sich einig, dass dringend Reformbedarf herrscht, auch wenn keine den Föderalismus an sich in Frage stellt. Aus diesem Grund wurde eine Reformkommission unter Vorsitz von Edmund Stoiber und Franz Müntefering eingerichtet. Ziel der Reform ist eine stärkere Klärung von Machtbefugnissen. Auch die Zahl der momentan (2004) etwa 60 % durch Länder zustimmungpflichtiger Gesetze soll reduziert werden. Experten aller Lager begrüßen die Kommissionsbestrebungen, lediglich Gewerkschaften zeigen sich skeptisch.

Der Reformprozess scheint jedoch schwierig, da Kompetenzen zahlreicher Gebietskörperschaften und Ministerien betroffen sind. Wiederholt wurde die Arbeit der Reformkommission als zu zaghaft eingeschätzt, und im Dezember 2004 sind die Verhandlungen vorerst gescheitert.

Dauerwahlkampf

Ein Problem, welches durch Föderalismus entstehen kann, ist der so genannte Dauerwahlkampf, der dadurch entsteht, dass durch die Vielzahl der Bundesländer in irgendeinem Teil Deutschlands fast immer die nächste Wahl bevorsteht. Dies lähme auch die Bundespolitik, meinen Kritiker, da sich Bundespolitiker in Wahlkampfzeiten auch in den Bundesländern engagieren und viele Bürger nicht deutlich zwischen Bundes- und Landespolitik unterscheiden. Dieses Problem könnte man lindern, indem man die Wahlen in allen Bundesländern zu einem gemeinsamen Stichtag veranstaltet. Dies würde die Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit der Regierung erhöhen, wird teilweise aber auch recht kritisch gesehen. Es wird überlegt, dass sich dann durch außerplanmäßige Wahlen, etwa nach einem Koalitionsbruch in einem Bundesland die dortige Periode auf die Länge bis zum Zeitpunkt der nächsten planmäßigen Wahl verkürzen sollte, damit dauerhaft gleiche Wahltermine gewährleistet bleiben. Eine Gleichtaktung erregt jedoch regelmäßg Widerspruch aus den Reihen der jeweiligen Oppositionsparteien, die um Stimmen fürchten.

Bürokratie

Weiterhin ist Föderalismus teuer: Eine große Zahl, durch bundesweite Vereinheitlichung und Kompetenzabgabe an den Bund weitgehend einflusslos gewordene Länderparlamente müssen unterhalten werden, dazu die Verwaltungen und Gerichte (mit jeweils eigenen Gesetzen, Anordnungen und Durchführungsbestimmungen, eigenen Drucksachen, eigener Software und speziell ausgebildeten Beamten).

Neugliederung der Länder

Aus diesen Gründen wird seit Beginn der Bundesrepublik immer wieder gefordert, kleinere Bundesländer zusammenzulegen: Im Dezember 2003 forderte beispielsweise der brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck die Zusammenlegung von Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Immer wieder werden auch die Zusammenlegungen von Bremen und Niedersachsen, von Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg, gelegentlich auch von allen fünf norddeutschen Ländern zum sogenannten Nordstaat (s. dort), von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie von Rheinland-Pfalz und dem Saarland gefordert. Durch eine Zusammenlegung würde zugleich die Anzahl der Wahlen sinken. Eine solche Zusammenlegung erfordert aber nach dem Grundgesetz eine Volksabstimmung und stößt auch auf Widerstand aufgrund historisch gewachsener Traditionen (siehe auch Neugliederung, Liste der deutschen Bundesländer, geordnet nach Einwohnerzahl, Liste der deutschen Bundesländer, geordnet nach Fläche).

Siehe auch: Politisches System Deutschlands, Föderalismus, Deutschland

Literatur