Antiblockiersystem
Das Antiblockiersystem (Abk.: ABS) ist ein in Verkehrsmitteln verwendetes technisches System zur Verbesserung der Verkehrssicherheit. Es wirkt vor allem in Gefahrsituationen, indem es bei starkem Bremsen (Vollbremsung) der Blockierneigung der Räder durch Regelung des Bremsdruck in kurzen Intervallen entgegenwirkt. Das durchschnittliche menschliche Reaktionsvermögen reicht in aller Regel nicht aus, um in gefährlichen Situationen die Bremskraft richtig zu dosieren. Das ABS in modernen Kraftfahrzeugen ist dagegen in der Lage, das Bremsverhalten jedes einzelnen Rades nahezu optimal zu steuern. Es bewirkt in erster Linie nicht allein eine Verkürzung des Bremsweges, der sich in manchen Fällen sogar verlängern kann, sondern sorgt hauptsächlich dafür, dass das Fahrzeug im besten Falle während des Bremsvorgangs vollständig steuerbar bleibt.
Prinzip
ABS baut auf der physikalischen Erkenntnis auf, dass eine maximale Bremsverzögerung kurz vor dem Blockieren erreicht wird, wenn also die Radreifen gerade eben noch auf der Fahrbahn haften. Wenn diese Grenze überschritten wird, die Räder also nicht mehr abrollen, sondern auf der Fahrbahn gleiten (Schlupf), dann wird das Fahrzeug nur mehr über die Gleitreibung abgebremst, die typischerweise um 20 % unter der Haftreibung liegt. Überdies kommt es beim Blockieren zu einseitigem Abrieb am Reifen, das Fahrzeug ist kaum noch steuerbar, und ungeübte Fahrer reagieren in dieser Situation selten richtig (richtig wäre, die Bremskraft unverzüglich zu reduzieren, bis die Räder wieder mitdrehen). Die maximale Bremswirkung stellt sich bei 50% Schlupf ein, also wenn das Rad "zur Hälfte über den Untergrund rutscht" und zur anderen Hälfte abrollt. Es legt dabei seinen kompletten Abrollumfang auf der Fahrbahn mit nur einer halben Umdrehung im Vergleich zum ungebremsten Rad zurück. Das ABS reguliert die Bremskraft so, dass der Schlupf während des Bremsvorganges jederzeit möglichst nahe an dieser Grenze bleibt. Übersteigt der Schlupf 50%, sinkt die Bremswirkung wieder rapide ab. Das Fahrzeug bleibt beim Bremsen am besten steuerbar (verhält sich neutral), wenn die Bremskraft an allen Rädern gleichermaßen nach diesem Prinzip geregelt wird.
Aufbau und Wirkungsweise
Beim aktuell (2005) üblichen Standard kommt bei PKW ausschließlich das 4-Kanal-ABS zum Einsatz. An jedem der vier Räder des Pkw/Lkw befindet sich ein Sensor, der die Drehzahl des Rades misst. Die Informationen werden an ein elektronisches Steuergerät weitergeleitet. Die vom Hauptbremszylinder zu den einzelnen Radbremszylindern führenden Bremsleitungen werden im ABS-Gerät in je zwei getrennte Kanäle aufgespalten, von denen jeder mit einem schnellwirkenden Elektromagnetventil verschlossen werden kann. Vier der acht Ventile sind im Normalzustand ständig geöffnet, die anderen ständig geschlossen. Aus Sicherheitsgründen sorgen Druckfedern dafür, dass sie auch bei Ausfall der Stromversorgung in diesen Zuständen bleiben. Beim mäßigen Bremsen im normalen Fahrbetrieb wirkt das Bremssystem wie eine normale Zweikreis-Anlage. Der Bremsdruck vom Hauptzylinder wirkt über die offenen Kanäle direkt auf die Radzylinder. Neigt ein Rad zum Blockieren, wird zunächst das offene Ventil geschlossen und der bis dahin erreichte Bremsdruck konstant gehalten. Ist die Blockierneigung dann immer noch zu hoch, wird das andere (bis dahin geschlossene) Ventil geöffnet. Dieser Kanal führt innerhalb des ABS-Geräts zu einer elektrisch angetriebenen Rückförderpumpe, die gleichzeitig mit dem Öffnen des Ventils anläuft. Die Pumpe fördert die durch das offene Ventil zurückströmende Bremsflüssigkeit in den Kanal zwischen Hauptbremszylinder und geschlossenem Ventil. Der Bremsdruck am Radzylinder sinkt. Gleichzeitig wird damit ein Durchsacken des Bremspedals verhindert, da der Druck gegenüber dem Hauptzylinder aufrechterhalten bzw. leicht erhöht wird. Steigt die Drehzahl wieder an, wird das erste Ventil wieder geöffnet, das zweite geschlossen und der Regelvorgang beginnt erneut. Die Intervalle richten sich je nach System und Hersteller, beim Pkw typischerweise 8 - 12 pro Sekunde, bei Motorrädern bis 15 pro Sekunde. Das Antiblockiersystem wird systembedingt unterhalb einer Fahrgeschwindigkeit von 6 km/h abgeschaltet. Das typische Pulsieren am Bremspedal entsteht durch die kurzen Druckschwankungen während der Regelung. Da es in den meisten PKW zwei getrennte Bremskreise gibt, sind auch zwei Rückförderpumpen vorhanden, die jedoch über eine Welle vom gleichen Elektromotor angetrieben werden. Die trägheitsbedingte Intervallfrequenz von ca. 10/s bedingt einen relativ großen Regelbereich, der schon bei 20% Schlupf beginnt und bis ungefähr 40% reicht. Die theoretisch optimale Bremswirkung bei 50% kann ebenfalls aus Trägheitsgründen nicht erreicht werden. Ein System mit höherer Regelfrequenz würde die Wirkung erheblich verbesern. Derzeit arbeiten verschiedene Hersteller an der Entwicklung einer vollelektrischen Bremse, die ein solches ABS-Bremssystem aufgrund der direkten elektrischen Steuerung an den Radbremszylindern ermöglichen würde.
Bei LKW mit Druckluftbremsanlagen wirkt das ABS nach dem gleichen Prinzip, allerdings können die Rückförderpumpen entfallen, da sich der Druck bei Luft als Steuer- und Übertragungsmedium sehr viel besser dosieren lässt.
Bremskraftverteilung
Neuere Versionen des ABS übernehmen auch die Bremskraftverteilung zwischen Vorder- und Hinterachse (4-Kanal-Systeme) und ersetzen damit früher übliche mechanische Regler (Bremskraftverteiler), die teilweise noch bei Lkw verbaut werden. Daraus ergeben sich mehrere Vorteile:
- Optimale Ausnutzung des Kraftschlußbeiwertes an beiden Achsen - inkl. diagonaler Radlasten, das sich mit mechanischen Reglern nicht optimal darstellen ließ.
- Schon bei leichten Bremsungen wird die Hinterachse mitgebremst und ein bekanntes Problem beseitigt: Bei der mechanischen Bremskraftverteilung konnte es vorkommen, dass die Bremsscheiben an der Hinterachse zu selten durch eine Bremsung gereinigt wurden und so Korrosion an der Oberfläche oder Schmutz die Bremswirkung reduzierte.
Weiterhin gehört auch die Notraderkennung zu neueren Systemen. Noträder haben einen kleineren Abrollumfang und drehen sich schneller, so dass das ABS im Falle einer Vollbremsung die Rückmeldung von dessen Drehzahlsensor korrekt verarbeiten kann.
Inzwischen wird das ABS zunehmend durch ESP ergänzt.
Giermomentenabschwächung
Wenn sich das Fahrzeug auf einer Fahrbahn mit unterschiedlichen Reibwerten zwischen der rechten und linken Seite befindet (beispielsweise Schnee oder nasses Laub am Fahrbahnrand), würde bei einer Vollbremsung das Lenkrad plötzlich einschlagen, weil die Fahrzeugseite auf dem griffigen Untergrund stärker gebremst wird, als die Fahrzeugseite auf dem glatten Untergrund. Bei der Fahrzeugabstimmung sorgen die Hersteller dafür, dass der Bremsdruck am Rad auf griffigem Untergrund nicht so stark ansteigt, wie es physikalisch möglich ist. Dadurch bekommt der Fahrer die Zeit, um auf den selbsttätigen Lenkeinschlag durch Gegenzulenken zu reagieren. Die Zeit, die das ABS braucht, um auf griffigem Untergrund zur vollen Bremsleistung zu kommen, ist Abhängig von der Herstellerphilosophie. Sie ist bei sportlichen Fahrzeugen üblicherweise kürzer, als bei Limousinen. Je durch den verlangsamten Aufbau der Bremskraft verlängert sich auch der Bremsweg.
Inzwischen wird auch daran gearbeitet, die Giermomentenabschwächung durch einen automatischen Eingriff in die Lenkung zu kompensieren und so die Verlängerung des Bremsweges zu verhindern.
Geschichte
Ursprünglich stammt das Prinzip aus der Luftfahrt. Hier wurden mittels mechanischer Systeme verhindert, dass die Räder blockieren, damit das Flugzeug bei der Landung sicher in der Spur bleibt. Bereits 1936 gab es von Bosch ein Patent auf eine Vorrichtung zum Verhüten des Festbremsens der Räder eines Kraftfahrzeuges. Die Geräte bestanden aus etwa 1.000 analogen Bauteilen und waren noch sehr unhandlich und langsam. Durch die Digitaltechnik konnte die Menge der Bauteile auf etwa 140 Stück reduziert werden. Damit war ABS serienreif.
1969 wurde die erste Generation eines ABS (elektronisch geregelten Anti-Blockier-Systems) auf der Internationalen Automobilausstellung IAA vom amerikanischen Unternehmen ITT Automotive ehemals Alfred Teves präsentiert.
Pkw
Der erste PKW mit ABS war wahrscheinlich der Jensen FF mit mechanischem Dunlop-Maxaret-ABS aus dem Jahr 1966. 1978 wurde ABS von Bosch auf den Markt gebracht; gleichzeitig wurde der Begriff ABS von Bosch rechtlich geschützt. Andere Hersteller bezeichnen ihre Systeme teilweise als ABV (Antriebsblockierverhinderer). Zunächst war ABS für die S-Klasse von Mercedes-Benz, dann für BMW verfügbar. Ende 2003 verfügten etwa 90 Prozent der zugelassenen Neufahrzeuge in Deutschland über ABS. Aufgrund einer Selbstverpflichtung der europäischen Automobilindustrie (ACEA) werden seit dem 01.07.2004 alle Fahrzeug mit weniger als 2,5 t zulässigem Gesamtgewicht mit ABS serienmäßig ausgestattet. Die japanischen und die koreanischen Automobilverbände haben gleichlautende Verpflichtungen abgegeben.
Lkw
Seit 1992 dürfen Kfz über 3,5 t nur mit ABS zugelassen werden. Bei Bussen wurde es früher eingeführt.
Motorräder

Bei Motorrädern wurde ABS 1988 zuerst von BMW bei der K 100 als Option eingeführt. Im Gegensatz zur Hochdruckpumpe beim Pkw wird hier über das Plungersystem der Bremsdruck wieder aufgebaut. Im Bundesverkehrsminsterium wird intensiv darüber nachgedacht, für neuzugelassene Motorräder ABS zwingend vorzuschreiben. Dies bedarf jedoch der Übereinstimmung auch auf internationalem Gebiet durch einheitliche EG-Regelungen. Die Schätzungen der Unfallforscher gehen von einer Vermeidung jedes 4. tödlichen Motorradunfalles aus, falls alle Motorräder mit ABS ausgestattet wären. Mittlerweile werden ABS-Motorräder auch von Aprilia, Honda, Yamaha, Ducati und im Sektor Motorroller von Peugeot, Piaggio und Suzuki angeboten.
Vorteile und Nachteile
Unter normalen Umständen, und solange keine Ausweichbewegung nötig ist, verringert sich der Bremsweg mit ABS nicht wesentlich gegenüber einer Vollbremsung eines geübten Fahrers. Auf losem Untergrund (Schotter, Schnee etc.) kann sich der Bremsweg mit ABS verlängern, da sich aufgrund des langsamen Weiterdrehens der Räder das Material nicht vor den Rädern auftürmen und bremsend wirken kann. Der Hauptvorteil besteht aber in der verbleibenden Lenkfähigkeit, die ohne ABS bei Vollbremsung nicht mehr gegeben ist. Dadurch bleibt das Fahrzeug beim Bremsen, auch auf unterschiedlich griffigen Belägen (Laub, Eisplatten o.ä.), in der Spur.
Ein Nebeneffekt von ABS ist, dass es bei Unfällen aufgrund der kaum vorhandenen Bremsspuren schwieriger ist, die Ausgangsgeschwindigkeit der Fahrzeuge zu ermitteln.
Zusammenfassung:
Pro:
- Auto bleibt bei Vollbremsungen lenkbar
- Man kann sich durch die Automatik auf die Gefahrensituation konzentrieren
- Auf normalem Asphalt besseres Bremsverhalten
- Keine Bremsplatten mehr (wenn die Reifen an einer Stelle zu stark abgenutzt sind)
- Man kann schwerer nachweisen wie schnell jemand bei einem Unfall war, da kaum/keine Bremsspuren vorhanden sind.
- Schonung des Reifenprofils
Kontra:
- Bei Kies, Sand, Eis, Schnee etc minimal längerer Bremsweg