Interview

Bei einem Interview ('intevju:) handelt es sich um eine Befragung durch einen oder mehrere Fragesteller (sogenannte Interviewer) mit dem Ziel, persönliche Informationen oder Sachverhalte zu ermitteln.
Typologie
Man unterscheidet grob zwischen unstrukturierten (auch: qualitative, freie, non-direktive, narrative) und strukturierten (auch: quantitative, standardisierte) Interviews, wobei Misch- oder Zwischenformen ebenso möglich sind. Die freieren Formen laufen ähnlich wie normale Gespräche ab, bei denen lediglich das Thema oder ein grober Leitfaden vorgegeben ist. Hingegen arbeitet man in standardisierten Interviews einen strikt vorgegebenen Fragenkatalog ab, der meist kategoriale (Ja/Nein) oder skalierte (1="Stimme nicht zu", 5="Stimme voll und ganz zu") Antwortenga verlangt, die später statistisch analysiert werden.
Das Interview kann als einmalige oder als wiederholte Befragung angelegt sein, um bestimmte Entwicklungen des Meinungsbildes nachvollziehen zu können. Es kann als Einzel-Interview oder auch als Gruppen-Interview durchgeführt werden.
Anwendungsgebiete
Journalistische Formen
Die bekannteste Form ist das journalistische Interview, das für Textbeiträge, den Rundfunk und das Fernsehen mit einer Person der Zeitgeschichte (Politiker und andere Persönlichkeiten, die ein öffentliches Interoesse betreffen) durchgeführt wird. Es taucht sowohl als Darstellungsform, aber auch als Recherchemittel auf.

Während in der Presse- und Radioberichterstattung mit Interviews vor allem journalistische Ziele verfolgt werden, nehmen in den Fernsehprogrammen außerhalb der speziellen Berichterstattungssendungen vorwiegend unterhaltende Spielformen des Interviews breiten Raum ein. Medienwissenschaftler konstatieren, dass sowohl von den Zuschaueranteilen als auch vom öffentlichen Prestige etwa die Talkshow mit Sabine Christiansen die klassischen TV-journalistischen Formate ("Im Kreuzfeuer") in den Schatten gestellt haben. Vom deutschen Fernsehen her prominente Interviewer sind z.B.: Günter Gaus ("Zur Person"), Sandra Maischberger, Johannes B. Kerner.
In einigen Wissensgebieten haben sich journalistische Sonderformen zunehmend Geltung und Sendeplätze erobert, namentlich Wissenschaftsjournalisten und Medizinjournalisten, deren Arbeitsmittel neben der Durchforstung der aktuellen Forschungsresultat und deren allgemeinverständliche mediengerechte Aufbereitung das Experteninterview ist.
Kommerzielle Bedeutung
Interviews werden in der empirischen Sozialforschung, in der Meinungsforschung und in der Marktforschung eingesetzt, um durch mehr oder weniger standardisierte Fragen ein Meinungsbild einer größeren Gesamtheit (z.B. der Bevölkerung einer Region oder des ganzen Landes) zu bestimmten Themen, Zeitfragen oder Produkten zu erhalten. Eher aktualitätsbezogene und kurze Fragekataloge können per telefonischer Befragung ermittelt werden, während umfassendere Fragestellungen nach wie vor von geschulten Interviewern per Hausbesuch durchzuführen sind.
Da in Zeiten der Marktsättigung in vielen Wirtschaftszweigen (z.B. Pharmaindustrie, Nahrungsmittelindustrie, Möbelindustrie) die Ausgaben für Marketing die Ausgaben für Forschung und Entwicklung übertreffen, verwundert es nicht, dass es sich hier um einen Milliardenmarkt handelt. Denn die Entwicklungen der Werbeindustrie beruhen weitgehend auf der ständigen Marktbeobachtung mit Hilfe der Interviews der Marktforschungsunternehmen.
Nur Fachleuten ist hingegen klar, dass die meisten aktuellen, veröffentlichten Wirtschaftsnachrichten und -analysen in weitem Umfang auf Fragebögen, Direktinterviews und PR-Arbeit aus den Unternehmen beruhen, die von zum Teil spezialisierten Nachrichtendiensten dann mediengerecht aufbereitet und verbreitet werden. Auch dies ist ein Markt, in dem viel Geld umgesetzt wird.
Wissenschaftliche Einsatzgebiete
Einen großen Stellenwert als Basis für die Analyse- und Dokumentationsarbeit haben Interviews wissenschaftlich in der Sprachwissenschaft (Sprachatlas, Mundartforschung), in der Volkskunde (Gewährsleute, Oral History) und in der Geschichtswissenschaft (Zeitzeugen, Technikgeschichte, Sozialgeschichte).
Neben Experimenten und anderen Beobachtungstechniken wird in der wissenschaftlichen Psychologie auch weiterhin ganz überwiegend mit validisierten, statistisch auswertbaren ausführlichen Fragebögen gearbeitet. In der Sozialpsychologie insbesondere werden häufig standadisierte Interviews zugrundegelegt, diese aber mit explorativen, offenen Interviews vorbereitet und für komplexere Fragen damit ergänzt.
In der Biographieforschung werden durch ausführliche wissenschaftliche Interviews Lebensverläufe bestimmter Bevökerungsgruppen dokumentiert, um geglückte oder auch problematische individuelle Verhaltensweisen, Mentalitäten und soziale Entwicklungen genauer untersuchen zu können. Besonders in der Kriminologie (Jugendkriminalität, Intensivtäter, Gewaltprävention) liegt die dringende Notwendigkeit und Relevanz solcher Forschung unmittelbar auf der Hand. In der Geschlechterforschung werden durch unterschiedliche Interviewformen die spezifischen Unterschiede in Verhalten und Habitus zwischen Männern und Frauen sowie unterschiedlichen Untergruppen derselben herausgearbeitet.
Sonderformen
Die alltäglichste Erscheinungsform des Interviews ist das Vorstellungsgespräch bei der beruflichen Bewerbung, dem in Großunternehmen häufig ein strukturiertes Einstellungsinterview in Gestalt eines umfangreichen standadisierten Fragebogens vorausgeht.
In der medizinischen Diagnostik nennt man das Interview durch den behandelnden oder in der Klinik stationär aufnehmenden Arzt die Anamnese.
In der psychologischen und psychologisch-pädagogischen Diagnostik dienen diagnostische Interviews dazu, über einzelne Individuen möglichst umfangreiche, aussagekräftige Informationen zutage zu fördern. In qualitativen Interviews soll durch gezieltes Hinterfragen von Antworten und durch freies Erzählen sowie themenzentrierte Ausführungen der Probanden ein möglichst vorurteilsfreies und nicht von normengestützten Vergleichsinteressen geleitetes Bild der Persönlichkeit oder der individuellen Denkleistungen erzeugt werden. So können z.B. Aussagen über das individuelle, inhaltlich-mathematische Denken (siehe auch: Qualitative Diagnostik) oder andere Sachgebiete gemacht werden.
Weitere Abwandlungen des Interviews sind das polizeiliche Verhör und die gerichtliche Befragung.
Literatur
- Jochen Gläser, Grit Laudel: "Experteninterviews und qualitative Inhaltsanalyse : Instrumente rekonstruierender Untersuchungen". 1. Aufl. UTB, Stuttgart 2004. 340 S. ISBN 3-8252-2348-5
- Cornelia Helfferich: "Die Qualität qualitativer Daten : Manual für die Durchführung qualitativer Interviews; Lehrbuch. 1. Aufl. - Wiesbaden : VS, Verl. für Sozialwiss., 2004. 187 S. ISBN 3-8100-3756-7
- Gerhard Amendt: "Scheidungsväter". 1. Aufl. - Bremen : IGG, Institut für Geschlechter- und Generationenforschung, 2004. 238 S. ISBN 3-88722-570-8
- Alexander Bogner: "Das Experteninterview : Theorie, Methode, Anwendung". Opladen: Leske + Budrich, 2002. 278 S. ISBN 3-8100-3200-X
- Peter Alheit, Kerstin Bast-Haider, Petra Drauschke: "Die zögernde Ankunft im Westen : Biographien und Mentalitäten in Ostdeutschland". Frankfurt [u.a.] : Campus, 2004. 349 S. Reihe Biographie- und Lebensweltforschung des Interuniversitären Netzwerkes Biographie- und Lebensweltforschung (INBL); ISBN 3-593-37484-6
- Gerald Richter: "Was misst das strukturierte Einstellungsinterview? : Studien zur Konstruktvalidität des Multimodalen Interviews". 144 Bl. Marburg, Univ., Dissertation 2003.
- Christiana Berner: "Der Topmanager zwischen Anspruch und Realität : Aufgaben - Images - Selbstverständnis". Tectum-Verl., Marburg 2003. 271 S. (Kassel, Univ., Diss., 2001) ISBN 3-8288-8462-8
- Ginsburg, Herbert P. / Jacobs, Susan F. / Lopez, Luz Stella: The Teacher's Guide to Flexible Interviewing in the Classroom. Learning what Children know about Math. Needham Heights 1998, Allyn&Bacon, ISBN 0-205-26567-7
- Wehrmann, Michael: Qualitative Diagnostik von Rechenschwierigkeiten im Grundlagenbereich Arithmetik, Verlag Dr.Köster, Berlin, 2003, ISBN 3-89574-474-3 Rezension
Weblinks
- arbeitsblaetter.stangl-taller.at/ Das qualitative Interview
- arbeitsblaetter.stangl-taller.at/ Das narrative Interview
- http://www.rhetorik.ch/Interviewtechnik/Interviewtechnik.html Interviewtechnik
- Planet-Interview.de Portal für Interviews mit Interview-Ticker, Interview-News, Link-Datenbank und einer Sammlung von ca. 350 Interviews mit Prominenten
- startalk.ch Das Schweizer Personality-Portal