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Naomi Klein

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Naomi Klein (2008)

Naomi Klein (* 5. Mai 1970 in Montreal, Québec) ist eine kanadische Schriftstellerin, Journalistin und Globalisierungskritikerin.

Leben

Naomi Klein ist die Tochter der Filmemacherin Bonnie Sherr Klein und des Arztes Michael Klein, die aus Protest gegen den Vietnamkrieg aus den USA nach Kanada emigriert waren. Ihre Großeltern, amerikanische Marxisten, waren in den 30er und 40er Jahren politisch aktiv. Ihr Großvater verlor seinen Posten als Trickfilmer, nachdem er den ersten Streik bei den Disney Studios organisiert hatte.[1][2]

Sie studierte Anglistik und Philosophie an der Universität von Toronto, wo sie ebenfalls ihre Karriere als Journalistin und Chefredakteurin der Studentenzeitung The Versity begann. Nach eigener Aussage wurde sie aktive Feministin nach dem Amoklauf an der Polytechnischen Hochschule Montréal 1989, bei dem ein Algerokanadier aus Frauenhass 14 Menschen ermordete und sich anschließend selbst richtete.[3][4] Nachdem sie mit 19 Jahren einen umstrittenen Israel-kritischen Artikel verfasst hatte (Victim To Victimizer), wurde sie heftig kritisiert und nach eigenen Angaben gewalttätig bedroht. Sie habe unerkannt an einer Veranstaltung einer zionistisch orientierten Studentenorganisation gegen ihren Artikel teilgenommen und sich dort zu der Autorenschaft wie ihrem Judentum bekannt mit den Worten „Ich bin Naomi Klein, ich habe Victim To Victimiser geschrieben, und ich bin ebenso jüdisch wie jeder einzelne von euch.“ Klein habe niemals wieder so etwas wie das Schweigen danach erlebt, sie sei damals 19 Jahre alt gewesen, und es habe sie stark gemacht.[4]

Sie brach ihr Studium ab, um ein Volontariat bei der Zeitung The Globe and Mail in Toronto anzutreten und wurde in der Folge beim This Magazine angestellt. Zurzeit arbeitet sie als freie Journalistin u.a. für das Magazin Saturday Night und schreibt eine wöchentliche Kolumne für The Globe and Mail sowie für die britische Tageszeitung The Guardian. Neben vielbeachteten Buchveröffentlichungen (u.a. No Logo!, Die Schock-Strategie) hat sie zusammen mit ihrem Ehemann, dem Fernsehjournalisten Avi Lewis, den Film The Take (The Take – Die Übernahme) 2004 produziert.

Klein bezeichnet sich selbst als demokratische Sozialistin und befürwortet eine gemischte Wirtschaftsform.[5] Klein lebt in Toronto. Ihr Bruder Seth leitet ein Zentrum für alternative Politik in British Columbia.

Standpunkte, Werk und Rezeption

Globalisierungs- und Konsumkritik

Seit dem Erscheinen ihres globalisierungs- sowie konsumkritischen Bestsellers No Logo! im Jahre 2000 gilt Klein als intellektuelle Vorreiterin und Ikone der Globalisierungskritiker. Das Buch selbst gilt als Manifest der globalisierungskritischen Bewegung. Die Londoner Tageszeitung The Times erklärte die damals Dreißigjährige nach Erscheinen von No Logo! zur „wohl einflussreichsten Person unter 35 Jahren weltweit“.[6][7] Die Band Radiohead wurde durch das Buch veranlasst, bei einer England-Tour auf Firmenwerbung zu verzichten und die Konzertsäle zur „logo-freien“ Zone zu erklären.[2]

Naomi Klein bei einer Buchvorstellung in Berlin (2007)

Klein analysierte die Firmen- und Markenkultur der 90er Jahre und widersprach dabei indirekt positiven und linken Einschätzungen derselben. So hatte Richard Cobden von „Frieden durch Handel“ gesprochen und Thomas L. Friedman in The Lexus and the Olive Tree (Globalisierung verstehen) die auf das Logo der Hamburgerkette McDonalds gemünzte „Theorie von den goldenen Bögen der Konfliktprävention“ publiziert. Demnach seien kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Staaten, in denen globale Handels und Franchise-Ketten wie Dell und McDonalds präsent seien, nahezu ausgeschlossen, was spätestens mit dem Kosovokrieg 1999 widerlegt wurde.

Klein selbst weist eine „Heroisierung“ ihrer Person weit von sich. So sagt sie zur Aussage „Bibel einer Bewegung“ über ihr Buch: „Wenn Journalisten außer Kontrolle geraten, bin ich nicht dafür verantwortlich.“ Auf die Frage, ob sie das Lob nicht stolz mache: „Nein. Die Einzigen, die sich darum scheren, welche Kleider Naomi Klein trägt oder welchen Kaffee sie trinkt, sind Journalisten. Der Bewegung ist das egal. Sie braucht keine Führerin und keine Prominenten.“ Derartige Äußerungen werden einerseits als bescheiden und zurückhaltend gewertet, andererseits wurde Klein auch unterstellt, ihre große Anhängerschaft für eine Auseinandersetzung zu mobilisieren, ohne ein Ziel vorzugeben. Klein erzeuge ein Gefühl der Hilflosigkeit, ohne einen Ausweg zu zeigen.[8]

Kritik an „postkolonialen Kriegen zur Durchsetzung des Neoliberalismus“

Klein wandte sich danach vermehrt der Auseinandersetzung mit dem Neoliberalismus wie auch dem Irakkrieg zu.[1] 2004 analysierte sie die vor dem Einmarsch in den Irak erstellten Nachkriegspläne der Regierung Bush.[9] Demnach hätten die amerikanischen Neokonservativen geplant, den Schock der militärischen Niederlage auf der Basis der Theorien Milton Friedmans zu nutzen, um eine neokonservative Utopie eines marktradikalen Systems dort aufzubauen und den Reichtum des Landes ins Ausland zu bringen. 2007 erweiterte sie die These zu dem Buch Die Schock-Strategie. Demnach seien Milton Friedmans Theorien, die sie als „marktradikal“ bezeichnet, grundsätzlich nach wirtschaftlichen Schocks, militärischen Niederlagen oder Naturkatastrophen dazu genutzt worden, um breite Privatisierungsmaßnahmen durchzusetzen. Nach dem exemplarischen sogenannten „Wunder von Chile“ unter Pinochet sei die Schock-Strategie auch in Margaret Thatchers Großbritannien nach dem Falklandkrieg, in der ehemaligen Sowjetunion Russland unter Jelzin und in den Vereinigten Staaten nach dem Hurrikan Katrina sowie im Irak nach dem Einmarsch geschehen oder geplant gewesen (wobei laut Johan Norberg Milton Friedman ein ausgesprochener Gegner des Irakkriegs war[10]). Nach Kleins Einschätzung tragen Friedmans Thesen, die großen Einfluss auf die Politik von IWF und Weltbank hätten, zur Verelendung und Ausbeutung in weiten Teilen der Welt bei.

Kritik an Kleins Analyse

Johan Norberg nannte als Gegenbeispiel den Stopp der marktwirtschaftlichen Reformen in China nach dem Tian'anmen-Massaker 1989.[10] Er widerspricht Klein auch hinsichtlich der Entwicklung der weltweiten Armut, die entgegen vielen ihrer Äußerungen seit 1990 in erheblichem Maße gesunken sei, dies sei in Übereinstimmung, nicht im Gegensatz zu marktwirtschaftlichen Öffnungen. Der Irakkrieg habe hingegen Anlass zu vermehrten Staatsausgaben und Protektionismus gegeben, in ihm hätten so Norberg Kleins Vorstellungen kulminiert.[11]

Von sehr unterschiedlichen Seiten, so in CounterPunch wie in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung,[12] wurde Klein unterstellt, eine allgemein menschliche Vorgehensweise, schwerwiegende Ereignisse und Niederlagen auch als Chance und Möglichkeit für Reformen und Erneuerung zu sehen, schwarz zu malen und auf den Neoliberalismus zu verengen.

Das schöpferische Zerstören und Neugestalten durch Unternehmer, etwa im Sinne Joseph Schumpeters wie auch die schon im Manifest der Kommunistischen Partei positiv beschriebene Innovationskraft des Kapitalismus, sei historisch wie theoretisch nicht nur auf Milton Friedman und das Wunder von Chile zu münzen. Alexander Cockburn unterstellt Klein, den bedeutenden Einfluss auch anderer, linker und linksliberaler Wirtschaftstheoretiker wie John Maynard Keynes, Jeffrey Sachs, Paul Krugman und Robert Pollin auf internationale Wirtschaftsinstitutionen und deren Vorgehensweise zu ignorieren.[13]

Veröffentlichung zum israelisch-palästinensischen Konflikt

In einem Kommentar in der britischen Zeitung The Guardian vom 25. April 2002 erklärt Klein den Kampf gegen den Antisemitismus für unabdingbar, sowohl an sich, als auch im Kampf gegen die Brutalität der israelischen Regierung, die den Antisemitismus als "Waffe" für ihre Zwecke missbraucht.[14]

Ebenfalls in der Zeitung The Guardian rief Klein im Januar 2009 dazu auf - nach dem Vorbild des Massenboykotts gegen die Politik der Apartheid in Südafrika - die Wirtschaft Israels zu boykottieren, wie in der Mitte 2005 von palästinensischen Organisationen lancierten Kampagne Boycott, Divestment and Sanctions (BDS) gefordert, um das Ende der israelischen Besetzung der palästinensischen Gebiete herbeizuführen.
Bei der Veröffentlichung ihres Buches The Shock Doctrine in Israel habe sie die Boykott-Strategie der BDS-Kampagne insofern befolgt, als sie einem kleinen, gegen die Besatzungspolitik engagierten israelischen Verlag die Vermarktung des Buches und die Einkünfte daraus überlassen habe. Ihre Absicht sei es, die israelische Wirtschaft, nicht Israelis, zu boykottieren.[15]

Deutsche Kritik

In einem Artikel in der Zeit bezeichnet der Journalist Thomas Assheuer Kleins Boykottaufruf als "antisemitischen Reflex, der sich bei Globalisierungskritikern zuverlässig immer dann einstellt, wenn sie die israelische Regierung im Besonderen oder den Kapitalismus im Allgemeinen ins Visier nehmen." [16] Auch in der tageszeitung (taz) wird Klein von Martin Altmeyer des Antisemitismus' bezichtigt.[17] Demgegenüber weist Daniel Bax in einem Kommentar in der taz vom 4. Februar 2009 darauf hin, dass Naomi Klein "oft genug davor gewarnt hat, Antisemitismus zu bagatellisieren und das Bedürfnis vieler Linker kritisiert, sich in Konflikten auf eine, vermeintlich "richtige" Seite zu schlagen" und vermerkt, "wenn ausgerechnet deutsche [nicht-jüdische] Publizisten eine jüdische Globalisierungskritikerin darüber belehren wollen, was Antisemitismus ist, entbehrt das nicht eines gewissen Hautgouts. Ist das schon die Gnade der späten Geburt?"[18]

Ehrungen

Für ihr Buch No Logo: Taking Aim at the Brand Bullies gewann Naomi Klein 2000 als jüngste Gewinnerin den mit 20'000 CAN$ dotierten kanadischen National Business Book Award, der von PricewaterhouseCoopers zusammen mit der Bank of Montreal und the Globe and Mail seit 1985 jährlich vergeben wird und 2001 den vom französischen Senat mitorganisierten Prix Médiations.

Für ihren im Harper's Magazine erschienen Artikel "Baghdad year zero: Pillaging Iraq in pursuit of a neocon utopia" erhielt Naomi Klein 2004 den vom Hunter College New York verliehenen James Aronson Award for Social Justice Journalism.

Der Dokumentarfilm The Take von Avi Lewis, den Naomi Klein produzierte und zu dem sie das Drehbuch schrieb, erhielt 2004 den Grand Jury Prize des American Film Institute, Los Angeles in der Kategorie Dokumentarfilm.

Im Oktober 2005 stand Naomi Klein auf dem elften Platz im 2005 Global Intellectuals Poll, einer von den Magazinen "Prospect" (UK) und "Foreign Policy" (USA) durch eine Leserinternetumfrage ermittelten Liste der 100 wichtigsten lebenden, in der Öffentlichkeit stehenden Intellektuellen.

Im Jahr 2007 erhielt Naomi Klein den Honorary Doctor of Civil Laws der University of King’s College, Nova Scotia, Kanada.

Für ihr Buch The Shock Doctrine: The Rise of Disaster Capitalism erhielt Naomi Klein den 2009 zum ersten Mal vergebenen, mit 50.000 £ dotierten Warwick-Preis der englischen Universität Warwick.[19][20]

Veröffentlichungen

Filme

  • The Take. Dokumentarfilm. Regie: Avi Lewis, 2004
Commons: Naomi Klein – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Fußnoten

  1. a b n+1: Seattle to Baghdad. 10. Mai 2005
  2. a b The Guardian: Hand-to-brand-combat. 23. September 2000
  3. Big Think: Naomi Klein: The Montreal Massacre. 27. Januar 2008 (Video, 1:32 min)
  4. a b The Guardian: Hand-To-Brand-Combat (part two). 23. September 2000
  5. Socialist Review: The Shock Doctrine. Oktober 2007
  6. alpha press: Den Seelenverkäufern auf der Spur. März/April 2001
  7. The Washington Post: The Ad Subtractors, Making a Difference. 29. Juli 2003
  8. Süddeutsche Zeitung: Naomi Klein – Erst der Schock und dann das Heil. 10. September 2007
  9. Harper’s Magazine: Bagdad year zero: Pillaging Iraq in pursuit of a neocon utopia. September 2004
  10. a b Cato Institute: The Klein Doctrine: The Rise of Disaster Polemics. 14. Mai 2008
  11. Cato Institute: Three Days After Klein's Response, Another Attack. 4. September 2008
  12. Frankfurter Allgemeine Zeitung: Chicago regiert die Welt. 12. Oktober 2007
  13. CounterPunch: On Naomi Klein’s „The Shock Doctrine“. 22./23. September 2007
  14. The Guardian:Anti-semitism sustains Israel's brutal leader - the fight against it must be reclaimed. 25. April 2002
  15. The Guardian:Enough. It’s time for a boycott. 10. Januar 2009
  16. Die Zeit:Verblendet. 15. Januar 2009
  17. taz: Antisemitismus von links. 22. Januar 2009
  18. taz:Die dritte Kraft.4. Februar 2009
  19. Naomi Klein's The Shock Doctrine wins first Warwick Prize for Writing
  20. The Guardian:Outstanding 'complexity' wins Naomi Klein £50,000 inaugural Warwick prize. 25. Februar 2009