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Zur Frage der Gesetze

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Zur Frage der Gesetze ist ein Aufsatz von Franz Kafka aus dem Jahre 1920. Er wurde postum 1931 veröffentlicht [1].

Inhalt

Kafka beschreibt eine Gesellschaftsordnung, in der eine Adelsgruppe das Volk mit unbekannten Gesetzen beherrscht. Dabei ist es dem Volk unmöglich, etwas über die Gesetze zu erfahren, mit denen es regiert wird. Die Unkenntnis der juristischen Ordnung führt hier zu deren Mißachtung [2]. Sie werden als "Scheingesetze" oder "nur ein Spiel des Verstandes" bezeichnet.

Form

Das Prosastück ist am ehesten als juristisch-soziologischer Aufsatz ohne direkte Handlung zu bezeichnen. Es wird aus der "wir"- bzw. "ich"-Perspektive erzählt, eine bei Kafka eher seltene Perpektive. Das "wir" umfaßt hier ausdrücklich die Gemeinschaft des Volkes in Abgrenzung zur Adelsgruppe.

Der Aufsatz besteht aus 3 Absätzen. Im ersten Absatz entwickelt sich ein zunehmend sprachlich komplizierterer Duktus. Der häufig bei Kafka zu findende nüchtern-klare Stil tritt hier nicht auf. Im zweiten Absatz, den man als Hauptteil sehen kann, werden alle Aspekte der geheimen Gesetze und deren Bedeutung für das Volk sozusagen durchexerziert in der Art eines atemlosen, verschlungenen Monologes. Der dritte Absatz gibt eine Äußerung eines Schriftstellers wider, die auf den Erhalt des Adels als "einzig sichtbares, zweifelloses Gesetz" hinzielt, um das man sich doch nicht selbst bringen wolle. Erscheint hier der Schriftsteller als Bewahrer der alten Ordnung?

Bezug zu anderen Kafka-Werken

Der vorliegende Aufsatz hat einen Bezug zur Parabel Vor dem Gesetz. Dort versucht ein Mann vom Lande vergeblich in die Sphäre des Gesetzes vorzudringen [3]. In der Strafkolonie beinhaltet das Thema des Delinquenten, der das Gesetz, gegen das er verstossen hat, nicht kennt. Ein ähnlichen Vorgang beinhaltet der Roman Der Process.

Der Aufsatz entstandt 1920 ebenso wie die fragmentarischen Prosastücke Die Abweisung und Die Truppenaushebung unter dem Einfluß tibetanischer Reiseberichte. Es ist Kafkas Ansatz, die gesellschaftliche Einbindung des Individuums und die Subordination unter dem Diktat eines Machtapparates einer geheimnisvoll wirkenden Adelskaste zu beschreiben [4].

Interpretationsansätze

  • Das Gesetz ist nicht abhängig von seinem Gesetzestext, sondern von seiner Auslegung. Das Gesetz ist nicht für alle gleich und wird somit nichtig.
  • Kritik an der Resignation des Volkes, das sich nicht gegen unfaire Gesetzesauslegungen wehrt.
  • Ambivalenz der Gesetze: Einerseits Kontrolle, Sicherheit, Moral, andererseits Unterdrückung, Durchführung der Gesetze als gottähnliche Strafe.
  • Kritik an der Obrigkeit (symbolisiert durch den Adel); allein der Adel hat das Recht das Recht auszulegen. Das Volk ist hierbei der Willkür des Adels ausgeliefert. Das Volk hat kein Gesetz. Notfalls muss, mangels Alternativen, das Gesetz des Adels auf das Volk angewendet werden.
  • Kritik an der Religion, die sich stumpfsinnig von einer Autorität leiten lässt.
  • Das Volk unterwirft sich lieber willkürlichen Gesetzen, als die vermeintliche Sicherheit, Geborgenheit und Gewissheit, die diese Gesetze mit sich bringen, zu verlieren. Dies lässt auf eine antianarchische Einstellung schließen.
  • Dennoch besteht die Hoffnung, dass das Gesetz eines Tages in der Hand des Volkes liegt, was auf eine schwache Sehnsucht nach Demokratie oder Sozialismus schließen lässt.

Einzelnachweise

  1. Franz Kafka Sämtliche Erzählungen S. Fischer Verlag 580-ISBN-3-596-21078-x S.405
  2. Peter-André Alt: Franz Kafka: Der ewige Sohn. Eine Biographie. München: Verlag C.H. Beck, 2005, ISBN 3-406-53441-4 S. 411
  3. Peter-André Alt S. 411
  4. Peter-André Alt S. 579