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Solidarität

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Soli-Briefmarke der DDR von 1981

Begriff und Definitionen

Übersicht

Der Begriff Solidarität wird in vielfältiger, gelegentlich als inflationär kritisierter Weise verwendet.

  • Er bezeichnet unter anderem eines der Grundprinzipien des menschlichen Zusammenlebens: das Zusammengehörigkeitsgefühl von Individuen und Gruppen (im weiteren Sinne auch von Staaten in Bündnissen), das sich in gegenseitiger Unterstützung und Hilfe äußert.
  • In der Arbeiterbewegung wurde "Solidarität" als Tugend der Arbeiterklasse (s. a. Brüderlichkeit) hervor gehoben. (Sie hat hier eine ähnliche Bedeutung wie das Wort "Kameradschaft" beim Militär und anderswo.)

Gelegentlich wird unterschieden zwischen

  • Solidarität der Gesinnung (Einheitsbewusstsein)
  • Solidarität des Handelns (gegenseitige Hilfsbereitschaft) und
  • Interessen-Solidarität (die durch Interessengleichheit in einer bestimmten Situation wirksam ist und nach dem Erreichen des gemeinsamen Zieles endet).

Die politische Soziologie unterscheidet noch zwischen

  • mechanischer Solidarität, die auf vorgegebenen gemeinsamen Merkmalen einer Gruppe beruht (z.B. Wir Arbeiter, Wir Frauen, Wir Deutschen) und
  • organischer Solidarität, deren Basis das Angewiesensein aufeinander (z.B. Spezialisten in arbeitsteiligen Gesellschaften) ist.
  • Eng verbunden mit der Arbeiterbewegung ist die Forderung der internationalen Solidarität. Sie zeigte sich im 19. Jahrhundert vor allem in der Unterstützung des polnischen Freiheitskampfes durch die Internationale Arbeiterassoziation. Auf den Kongressen der Zweiten Internationale wurde die Frage erörtert, ob die Arbeiterschaft durch einen Generalstreik in verschiedenen Ländern den sich abzeichnenden Ersten Weltkrieg verhindern könne. Effektiver waren internationale Solidaritätsaktionen für die Sowjetunion: 1920 verhinderte die englische Arbeiterbewegung durch die Androhung des Generalstreiks die Intervention Englands in den polnisch-russischen Krieg. Der Kampf gegen den Faschismus wurde durch die Spaltung der Arbeiterbewegung in eine sozialistische und eine kommunistische Internationale erschwert. Heute werden die Fragen der internationalen Solidarität unter den Bedingungen und Auswirkungen der Globalisierung diskutiert.

Definition nach Alfred Vierkandt

Der Soziologe Alfred Vierkandt (1969) definierte Solidarität folgendermaßen: "Solidarität ist die Gesinnung einer Gemeinschaft mit starker innerer Verbundenheit". "Solidarität ist das Zusammengehörigkeitsgefühl, das praktisch werden kann und soll." Solidarität impliziert ein Prinzip der Mitmenschlichkeit; Solidarität konstituiert sich aus freien Stücken (Karl Otto Hondrich, Claudia Koch-Arzberger, Solidarität in der modernen Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1994).

Historische Aspekte

Römisches Recht

Im Römischen Recht bedeutete Solidarität eine besondere Form der Haftung: In einer Gemeinschaft, meist einer Familie, muss jedes Mitglied für die Gesamtheit der bestehenden Schulden aufkommen, so wie umgekehrt die Gemeinschaft für die Schulden jedes einzelnen haftet: "Einer für alle und alle für einen". Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde der strenge Schuldbegriff auf nichtrechtliche Beziehungen erweitert.

Institutionalisierung des Solidaritätsprinzips

Europa des 19. Jh.: Gewerkschaftsbewegung als Beispiel

Im Europa des 19. Jahrhunderts hat sich im Zusammenhang mit der Industrialisierung eine Institutionalisierung des Solidaritätsprinzips entwickelt: Die gegenseitige Absicherung innerhalb der Arbeiterschaft gegen für sie als existentiell bedrohlich wahrgenommene Entwicklungen der kapitalistischen Industrialisierung wurde zur Grundlage und zum Kampfbegriff der Arbeiterbewegung. Arbeiter schlossen sich in solidarischen Vereinigungen (beispielsweise in Gewerkschaften) zusammen und kämpften gemeinsam für bessere Arbeitsbedingungen, Verkürzung der Arbeitszeit und höhere Löhne.

20. Jahrhundert: sozialistische und sozialdemokratische Parteien

Im 20. Jahrhundert wurde Solidarität zu einem der zentralen Begriffe in sozialistischen/sozialdemokratischen Parteien.

Solidaritätsprinzip und Versicherungen: Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit

Das institutionalisierte Solidaritätsprinzip kommt auch in bestimmten rechtlichen Formen der Versicherung zum Ausdruck, und zwar in den vier klassischen Risikobereichen von Arbeit: Krankheit, Unfall, Alters-Vorsorge und Arbeitslosigkeit (vgl. die juristische Gesellschaftsform des "Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit" (VVaG). Jedes Mitglied dieser Gemeinschaft bezahlt Beiträge in die gemeinsame, von einer Versicherungsgesellschaft verwaltete Kasse. Daraus werden denen, die einen Schaden erleiden, finanzielle Mittel zur Deckung zur Verfügung gestellt. In der umlagebasierten Pensionsvorsorge kommt Solidarität in Form des Generationenvertrages zum Ausdruck. Als Gegensatz dazu könnte man die private Pensionsvorsorge betrachten, mit der jeder Einzelne sein eigenes Risiko abzusichern versucht, auch mit dem Risiko, dass die eigene Pensionskasse bankrott geht. Bei der Arbeitslosenversicherung sichert sich eine Risikogemeinschaft gegen durch Arbeitslosigkeit bedingte Einkommenseinbußen ab.

Wertewandel zum "homo oeconomicus": Eigenverantwortung statt Solidarität

In den Mainstream-Medien hat der Gebrauch des Wortes abgenommen, stattdessen wird zunehmend von Eigenverantwortung und entsprechenden Konzeptionen und Menschenbildern gesprochen. Dies spiegelt auch einen Wertewandel wieder (Homo oeconomicus).

Solidarität und Freiwilligkeit

Kritiker der Verwendung des Solidaritätsbegriffs im ökonomischen Kontext weisen darauf hin, dass verpflichtete bzw. erzwungene Solidarität (z.B. gesetzliches Versicherungssystem) ihre Bedeutung verliert, da der Begriff Freiwilligkeit impliziere. Dem steht gegenüber, dass abstrakte Solidarität mit dem Geldbeutel untermauert werden muss, um mehr als nur eine Phrase zu sein.

Literatur

Siehe auch