Brot (Roman)
Brot ist der 1930 in Leipzig bei Insel erschienene Debütroman des österreichischen Dichters Karl Heinrich Waggerl. Seine antimoderne Tendenz sowie Äußerungen des Autors selbst machten den seinerzeit überaus erfolgreichen Bauern- und Siedlerroman offen für eine vereinnahmende Rezeption im Geiste der Blut- und Bodenideologie der Nationalsozialisten.[1]
Entstehung
Der Roman entstand und erschien zur Zeit der Weltwirtschaftskrise. Die in ihm geschilderte „rückwärts gewandte Utopie ländlichen Lebens, die beherztes Selbsthelfertum und ein gerechtes Schicksal feiert“[2] steht im Zusammenhang mit dieser Entstehungszeit. In der Zeitkonstellation ist gleichfalls eine Motivierung des enormen Publikumserfolg des Buches zu sehen.
Waggerl schrieb das Werk in knapp vierzig Tagen nieder.[3] Neben dem unübersehbaren Versuch einer Knut-Hamsun-Adaption (in erster Linie zu dem 1918 erschienen Segen der Erde weist der Roman eine Fülle von Bezugspunkten auf[4]) prägte den Roman auch stark Autobiografisches.
Werkbeschreibung
Handlungsgerüst
Die Handlung des Romans spielt in erster Linie weit oben im rauen Gebirge der Alpen am Rande Ebens. Diese verlassene karge Örtlichkeit hat der patente Simon Röck, ein Mann im mittleren Alter (laut Romantext „von irgendwoher“), ausgewählt, um eine bäuerliche Existenz aufzubauen. Die ihm feindlich gesonnene Umwelt, die Unfruchtbarkeit des Landes sowie raue Wetter machen ihm zu schaffen und bringen ihm den Spott der Bewohner des Dorfes am Fuße des Berges ein, doch Simon gewinnt den Kampf, wird zum „Mann im Triumph, (...) König David in seiner Glorie“. Er baut einen florierenden Handel mit Holz und Viehnahrung auf und mit Hilfe einer zupackenden Ehefrau erarbeitet er sich schließlich auch noch eine Mühle. Ein Sohn der jungen Familie, Peter, entwickelt sich prächtig. Im Dorf vollzieht sich derweil begünstigt durch die Entdeckung einer Heilquelle der Wandel zur hektisch betriebsamen Stadt. Die Quelle hat der Müller und Dorfälteste in seinem Steinbruch gefunden. Der arbeitsame Simon aber ist dem reichsten Mann des Dorfes ein Dorn im Auge und er schmiedet Intrigen gegen den Konkurrenten. Schließlich aber verstrickt er sich in diese und seine Fehlkalkulationen befördern am Ende den Ruin des ganzen Dorfes, woraufhin er sich das Leben nimmt. Derweil ist Peter zu einem Mann herangewachsen, der bald alle Tätigkeiten des Vaters auf den Feldern übernimmt. Am Ende können die in die Jahre gekommenen Röcks in einem Herbstidyll auf ein erfülltes Leben zurückschauen. Gleichzeitig sehen sie dabei der inzwischen bevorstehenden Geburt eines Enkels entgegen.
Die in dem Roman beschriebene „Landnahme“ Simons und seiner Familie wird laut Walther Killys Literaturlexikon
- von sozialen, politischen und ökonomischen Zusammenhängen abstrahiert und eine archaisch anmutende, »natürliche« und patriarchalische Welt vorgestellt, in der der Mensch sich in einer scheinbar ewigen, unveränderlichen Ordnung aufgehoben weiß, deren Kontinuität durch den Kreislauf der Natur noch unterstrichen wird.[5]
Stil
Der lebendige, anschauliche Stil wird in dem der Hauptströmung des Realismus zuzuordnenden Werk von einer im Wesen schlichten Sprache getragen. Poetische Mittel finden sich nur wenig, dafür ist das Dichterische vor allem in Rhythmus und Klang der Sprache sowie in der Komposition des Textes unverkennbar.
Waggerls Erzählhaltung ist auktorial, hierbei nimmt der Autor bereits die später für sein Erzählwerk typisch werdende von Bescheidenheit und konservativen Werten geprägte Erzählrolle ein. Eine äußerst sparsam eingesetzte, eigentümlich auf den Punkt kommende wörtliche Rede unterstreicht den im Roman beschriebenen bergbäuerlichen Menschentypus.
Kindlers Literatur Lexikon bemerkt zudem auch stilistische Anleihen bei Hamsun.
Lesarten
Bauernroman
Das Werk ist sowohl als „konservativer Verkündungsroman starken Bauerntums“ als auch als „Beschwörungsroman des Starken und Gesunden sowie des Stabilen und Dauernden“ bzw. als „esoterischer Reinigungsroman“ begreifbar.[6]
Schlüsselroman
Zahlreiche Romanfiguren und Umstände der Erzählung hat Waggerl nach Ansicht der Literaturwissenschaft seiner eigenen Lebenswelt entnommen, so dass Brot zudem als Schlüsselroman gelten könne. So sei die Hauptfigur Simon Röck einem Spannbergbauern, den Waggerl aus Wagrain kannte, nachempfunden, Simons Frau seiner eigenen Mutter, wie er sie später in dem Erinnerungsbuch Fröhliche Armut (1948) beschrieb. Ferner fänden sich Hinweise auf Bekannte und Freunde, erlebte Geldnöte, Krankheit und das Gemeindeleben zu Waggerls Zeit in Bad Gastein und Wagrain. Auch ein im Roman vorkommener Gewissenskonflikt um eine Abtreibung hätten einen realen Ursprung im Leben des Dichters.[7] Unerwünschte Teile seines Selbst habe Waggerl zudem in die wenig durchsetzungsfähig daherkommende Romanfigur Sebastian, aber auch in Simons Opponenten, den Müller, eingebracht.[8]
Segen der Erde-Adaption
Die Fülle an Bezugspunkten von Brots zu Hamsuns Segen der Erde zeigen sich in der im wesentlichen gleichen den Roman tragenden Fabel, in einer Reihe von Einzelmotiven und sogar im Stil (Kindler). Als wesentlichster Unterschied zu Segen der Erde ist in erster Linie zu nennen, dass Waggerl beim Verfassen seines Werks im Gegensatz zu Hamsun nicht auf epische Breite zielte.
Titel
Der Titel „Brot“ ist einer zentralen Gedankenäußerung der Protagonisten des Romans entnommen: „Brot! dachte Simon. Ruhm! dachte der Müller“, wird an der Stelle die Unvereinbarkeit zweier Lebenseinstellungen deutlich. Die vom Autoren und der Geschichte favorisierte Lebensart zeigt sich gleichsam in der Titelwahl. Um sie gab es allerdings einen Disput: Der österreichische Schriftsteller Georg Rendl hatte dem Insel-Verlag um die Zeit der Entstehung des Buches ebenfalls einen Romanmanuskript mit dem Titel Brot angeboten, das zudem mit Hamsun verglichen wurde nachdem es später bei der DVA unter dem Titel Vor den Fenstern erschienen war[9]. Rendl bezeichnete Waggerls Titelgebung später als eine Anleihe bei ihm. Waggerl gab Jahre danach Auskunft, aus jugendlicher Halsstarrigkeit bei der Titelwahl unnachgiebig gewesen zu sein.[10]
Wirkungsgeschichte
Zeitgenössischer Diskurs
Die zeitgenössische Literaturkritik fand in ihrer Aufnahme vorwiegend Lob für den Roman. Dabei waren es Zeitungen unterschiedlichster Prägung – von deutsch-völkisch ausgerichteten bis hin zu Blättern des Sozialismus – die hochbegeisterte Rezensionen verfassten. Radio Wien sah im August 1931 mit Brot „aus harter Bauernerde (...) die Blüte [einer] neuen deutschesten Dichtung“[11] aufsprießen. Die Blätter für sozialistisches Bildungswesen verkennen immerhin den „antisozialistischen Mythos des Romans“[12] zum „Hohelied der Arbeit des Bauern“ und die sozialdemokratisch ausgerichtete Wiener Arbeiter-Zeitung nennt Waggerl ob des Romans gar einen geistigen „Führer“ sowie seinen Protagonisten den „Schöpfer einer Gemeinschaft“[13] Anlass zur Kritik sahen Rezensenten allenfalls in der starken Nähe von Brot zu Werken Knut Hamsuns. Hart urteilte diesbezüglich Karl Heinz Ruppel, Waggerl sei „ein Zauberlehrling, dem der Meister noch im Wege steht“ und angesichts eines Werkes, welches „bis in den letzten Winkel“ mit einem „von Hamsun bezogenen Inventar ausstaffiert“ sei, „seiner eignen Kunst [noch nicht] auf die Spur gekommen“.[14] Dem Germanisten und Waggerl-Biografen Karl Müller folgend sah jedoch
- die große Mehrheit der Kritik (...) Waggerl (...) die Hamsun-Abhängigkeit nach, indem sie auf das „ursprünglich Dichterische“ (Herbert Scheffler) der Sprache – „klar, einfach, notwendig“ (Ludwig Gorm in der DAZ) – hinwies und mit politisierendem Unterton „von der Reinigung unseres verdorbenen Buchgeschmacks“, so Kurt Münzer in der „Neuen Freien Presse“ (Wien), sprach.[15]
Müllers Einschätzung des Grundtons der Rezensionen liegen über dreißig Kritiken in zeitgenössischen Publikationen von der Vossischen Zeitung bis hin zur London Times zugrunde. Selbst ein Schriftstellerkollege wie Hermann Hesse zeigte Bewunderung für den sprachlichen Stil Waggerls, wenn er 1932 in Die Literatur u.a. auf Brot Bezug nehmend zitiert wird: „Die eigentlich dichterischen Bücher in unsrer Literatur werden immer seltener, und die von Waggerl gehören zu ihnen.“[16]
Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten
Zunächst durch die Nähe zu dem Roman Segen der Erde von Hamsun, der zur Zeit des Dritten Reichs zu einer Leitfigur der NS-Literatur avancierte, geriet auch Brot und sein Schriftsteller in den Bannkreis dieser Literatur.
Geplante Verfilmung
Seit seiner Veröffentlichung gab es jahrelang konkrete Pläne, das Buch zu verfilmen. Ab 1931 hatte zunächst Hanns Arens jahrelang mit Nachdruck für die Verfilmung geworben, oft jedoch ohne Absprache mit dem Verlag oder Autor.
Zuletzt hatte Luis Trenker 1940 angegeben die Verfilmung nun energisch voranzutreiben.
Auslandserfolg
Waggerls Werk wurde zeitnah zu seinem Erscheinen in mehrere Sprachen übersetzt.
Literaturwissenschaftliche Einordnung
Waggerlscher Werkkontext
Brot blieb im wesentlichen das Hauptwerk, das Karl Heinrich Waggerls literarischen Rang begründete. Späterhin sah sich der Autor, dessen nachfolgendes literarisches Werk ebenfalls eine ungeheure Verbreitung erlangte[17][18] und im autoritären österreichischen Ständestaat wie im Dritten Reich mit Würdigungen bzw. Förderungen bedacht wurde, von der seriösen Literaturkritik häufig übergangen. Waggerl selbst bezeichnete Brot, der häufig als sein bester Roman genannt wird, als sein „Gesellenstück“. Tatsächlich hatte er mit ihm bereits Sprache und Stil gefunden, welche später sein Gesamtwerk charakterisieren sollten. Ebenso können Millieu, Figuren und Raum der Handlung im Rückblick als für Waggerls Schaffen typisch bezeichnet werden.[19]
Frühere Erzählungen Waggerls waren nur in Zeitungen und Zeitschriften erschienen. Auch sie handelten zwar bereits von „Außenseiterschicksalen“, stellten „die sozialen Gegebenheiten [jedoch noch] pessimistisch und schonungslos dar“, so Killys Literaturlexikon.[20] Brot wie auch die Nachfolgewerke weisen dagegen eine zunehmende Tendenz zur Idealisierung und Stilisierung des Land- und Arbeitslebens auf. Dabei deutet schon der zweite Roman Waggerls (Schweres Blut, 1932) Killy folgend die in ihm dargestellten „komplexen ökonomische Zusammenhänge (...) aus einer naiven, nahezu infantilen Perspektive“[21] Der Protagonist in diesem zweiten Roman Waggerls bleibt dabei dem Simon Röck aus Brot recht ähnlich, zumindest insoweit, als dass auch dieser als kraftstrotzender Übermensch gezeichnet wird.
Im Werk nach 1945, das beim Lesepublikum noch erfolgreicher wurde als die frühen Romane[22], treten ideologische Ansätze in Waggerls Werk, die in Brot und den direkt nachfolgenden Arbeiten noch unverkennbar sind, nahezu ganz zurück bzw. werden nicht mehr offen formuliert.[23]
Heutige Bedeutung
Kindlers Literaturlexikon hebt hervor, dass es sich bei Brot um „einen extremen Fall von künstlerischer Anlehnung an ein literarisches Vorbild“ handelt und bemerkt ein „unterschwelliges agitatorisches Moment“ in dem schmal-modellhaft verfassten Werk. Reclams Romanlexikon nennt das Buch heute einen klischeehaften Bauernroman, der „ein Loblied der eigenhändigen Arbeit und des naturnahen Lebens“ singt. Besonders wird eine holzschnittartige Grenze, die ihn durchziehe und seine Figuren ordne, bemängelt: „unten die intriganten Dörfler, weit oben im Lande Eben die bärbeißigen, fehlbaren, aber im Kern aufrichtigen Menschen“.[24] In anderen renommierten Literaturlexika und Literaturgeschichten wird der Roman zum Teil gar nicht mit einem eigenen Werksartikel gewürdigt, sein Autor bisweilen nicht einmal erwähnt[25].
Einzelbelege
- ↑ Richard Faber: Säkularisierung und Resakralisierung: Zur Geschichte des Kirchenlieds und seiner Rezeption, Königshausen & Neumann 2001; S. 177
- ↑ Olaf Kutzmutz: Werksartikel „Brot“. In: Reclams Romanlexikon; Phillip Reclam Junior, CD-Rom Ausgabe Stuttgart 2002
- ↑ Deutsch-Österreichische Literatur-Gesellschaft: Die Literatur. Monatsschrift für Literaturfreunde, Deutsche Verlags-Anstalt 1932; S. 376
- ↑ Autoren- und Werklexikon: Waggerl, Karl Heinrich, S. 1. Digitale Bibliothek Band 9: Killy Literaturlexikon, S. 21602 (vgl. Killy Bd. 12, S. 83)
- ↑ Autoren- und Werklexikon: Waggerl, Karl Heinrich, S. 1 f.. Digitale Bibliothek Band 9: Killy Literaturlexikon, S. 21602 f. (vgl. Killy Bd. 12, S. 83)
- ↑ Karl Müller: Karl Heinrich Waggerl. Eine Biographie mit Bildern, Texten und Dokumenten. Salzburg u.a.: Müller 1997, S. 149 ff.
- ↑ Karl Müller: Karl Heinrich Waggerl. Eine Biographie mit Bildern, Texten und Dokumenten. Salzburg u.a.: Müller 1997, S. 149
- ↑ Karl Müller: Karl Heinrich Waggerl. Eine Biographie mit Bildern, Texten und Dokumenten. Salzburg u.a.: Müller 1997, S. 151
- ↑ hier sah man Bezugspunkte jedoch vor allem zu Hamsuns Roman Hunger
- ↑ Karl Müller: Karl Heinrich Waggerl. Eine Biographie mit Bildern, Texten und Dokumenten. Salzburg u.a.: Müller 1997, S. 144
- ↑ vgl. Munzinger-Archiv
- ↑ Karl Müller: Karl Heinrich Waggerl. Eine Biographie mit Bildern, Texten und Dokumenten. Salzburg u.a.: Müller 1997, S. 154
- ↑ Arbeiter-Zeitung (AZ) Wien, Ausgabe vom 23. Dezember 1930
- ↑ Karl Heinz Ruppel: Deutsche Romane Dezember 1931. In: Die neue Rundschau 42 (1931), Band 2, S. 840
- ↑ Karl Müller: Karl Heinrich Waggerl. Eine Biographie mit Bildern, Texten und Dokumenten. Salzburg u.a.: Müller 1997, S. 154
- ↑ Die Literatur: Monatsschrift für Literaturfreunde, Deutsche Verlags-Anstalt 1932, S. 377
- ↑ Rainer Schmitz: Was geschah mit Schillers Schädel. Alles was Sie nicht über Literatur wissen; Berlin 2006, S. 110 f.
- ↑ Autoren- und Werklexikon: Waggerl, Karl Heinrich, S. 3. Digitale Bibliothek Band 9: Killy Literaturlexikon, S. 21604 (vgl. Killy Bd. 12, S. 84)
- ↑ Christiane Caemmerer und Walter Delabar: Dichtung im Dritten Reich? Zur Literatur in Deutschland 1933-1945, 1996, S. 120
- ↑ Autoren- und Werklexikon: Waggerl, Karl Heinrich, S. 1. Digitale Bibliothek Band 9: Killy Literaturlexikon, S. 21602 (vgl. Killy Bd. 12, S. 83)
- ↑ Autoren- und Werklexikon: Waggerl, Karl Heinrich, S. 2. Digitale Bibliothek Band 9: Killy Literaturlexikon, S. 21603 (vgl. Killy Bd. 12, S. 84)
- ↑ Rainer Schmitz: Was geschah mit Schillers Schädel. Alles was Sie nicht über Literatur wissen; Berlin 2006, S. 110 f.
- ↑ Autoren- und Werklexikon: Waggerl, Karl Heinrich, S. 2 f.. Digitale Bibliothek Band 9: Killy Literaturlexikon, S. 21603 f. (vgl. Killy Bd. 12, S. 84)
- ↑ Olaf Kutzmutz: Werksartikel „Brot“. In: Reclams Romanlexikon; Phillip Reclam Junior, CD-Rom Ausgabe Stuttgart 2002
- ↑ vgl. beispielsweise Frenzels Standardwerk Daten deutscher Dichtung aus dem Deutschen Taschenbuchverlag