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Böhmischer Landtag

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Der Böhmische Landtag (tschechisch: Zemské sněmy zemí Koruny české) war über mehrere Jahrhunderte bis 1918 in Prag der Landtag für die Verwaltung des Königreichs Böhmen.

Stände und Absolutismus

Die Stände Böhmens wählten den polnischen Jagiellonen Vladislav II. 1471 zum König. Im Jahr 1500 wurde die nach dem König benannte Vladislavsche Landesordnung im Landtag verabschiedet. Sie sicherte den böhmischen Herren und Rittern weitgehende politische Mitspracherechte und gilt als älteste geschriebene Verfassung Böhmens. Vorsitzender des Landtags war der Oberstburggraf. Er führte die Geschäfte mit acht vom Landtag nominierten Beisitzern, zwei aus jedem Stand.[1]

Nach der Niederlage der böhmischen Stände in der Schlacht am Weißen Berg 1620 erließ Ferdinand II. die Verneuerte Landesordnung, in der die Monopolstellung der Stände zugunsten der Landesherrschaft verschoben wurde. Trotz dieser Beschränkungen blieb der Landtag mit seinen Ausschüssen, wie dem Landesausschuss, ein wirksames Mittel der politischen Mitentscheidung. In den in der Regel jährlich stattfindenden Sitzungen konnten die Stände über das Mittel der Steuerhoheit dem Landesherren entgegentreten. Alle direkten und indirekten Steuern, ausgenommen Zolleinnahmen blieben in der Steuergewalt der Stände.[2] Der Landtag war also mehr Relikt des ständischen Staates, als Instrument absolutistischer Herrschaft. Schon in den 1630ern war der Landtag wieder Plattform für die Organisation der Opposition und Ort für politische Auseinandersetzungen.[3]

Erst unter der Regierung Maria Theresias wurde die Mitherrschaft der Stände nachhaltig eingeschränkt.[4] Während der Revolution von 1848 und dem Prager Pfingstaufstand wurde der Landtag, immer noch ein Relikt der böhmischen Selbstbestimmung, aufgelöst.

Cisleithanien

Seit dem österreichisch-ungarischen Ausgleich von 1867 gehörte Böhmen zum cisleithanischen Teil der Doppelmonarchie. Nach 1867 boykottierten die Tschechen, den Landtag genauso wie den Wiener Reichsrat.[5] 1871 beschloss der Landtag, unter Boykott der deutschen Abgeordneten, die Schaffung einer autonomen Verfassung („Fundamentalartikel“) zum Schutz des gleichen Rechts der böhmischen und der deutschen Nationalität im Königreich Böhmen.[6]

Der österreichische Ministerpräsident Eduard Taaffe erließ am 19. April 1880 Sprachverordnungen. Diese besagten, dass Tschechisch neben Deutsch auch in jenen Territorien Amtssprache wurde, wo die Bevölkerung in ihrer Majorität deutsch war. Außerdem bewog Taaffe den Reichsrat dazu, das Wahlrecht zu erweitern. Die Mindeststeuerleistung („Zensus“), die Männer nachweisen mussten, um das Wahlrecht zu haben, wurde von zehn auf fünf Gulden heruntergesetzt. Dadurch erhielten die Tschechen 1883 erstmals die Mehrheit im Landtag.[7]

Ab den 1880er Jahren wuchs auf tschechischer wie auf deutscher Seite eine neue Generation nach, die immer mehr auf Konfrontation setzte. Die Jungtschechen (Mladočeši), 1874 gegründet, erreichten bei den Landtagswahlen 1889 und 1891 die Mehrheit. Ihre Wähler wollten die größtmögliche Selbstständigkeit des Landes erreichen und strebten nicht mehr nach einem deutsch-tschechischen Ausgleich, wie ihn die konservativen Alttschechen versuchten.

Zahlreiche Gesetzentwürfe nationalpolitischen Inhalts wurden dem Landtag vorgelegt und beschäftigten ihn jahrelang, ohne dass es jemals zu einem greifbaren Resultat gekommen wäre.[8] Beschlüsse der tschechischen Mehrheit, wie der 1900 von Karel Kramář eingebrachte Adressentwurf mit der Forderung auf das unbestreitbare Recht des Königreiches auf die selbständige Gesetzgebung und Verwaltung, hatten in der Realität kaum Auswirkungen. Durch die Obstruktion der deutschen Abgeordeten war der Landtag 1903/04 ebenso handlungsunfähig wie der Reichsrat.[9] Außerstande sich in nationalen Fragen zu einigen, wurden wichtige Gesetze im Bereich Wirtschaft und Sozialem verhindert.[10] Der böhmische Landtag bestand 1910 aus 242 Mitgliedern;[5] er war einer der wenigen Landtage der Monarchie, der bis 1914 keine Wahlrechtsreform zur Einführung einer allgemeinen Wählerklasse zustande gebracht hatte.[11]

Einzelnachweise

  1. Eila Hassenpflug-Elzholz: Böhmen und die böhmischen Stände in der Zeit des beginnenden Zentralismus. Eine Strukturanalyse der böhmischen Adelsnation um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Verlag Oldenbourg, München 1982, ISBN 3-486-44491-3, S. 437.
  2. Eila Hassenpflug-Elzholz: Böhmen und die böhmischen Stände in der Zeit des beginnenden Zentralismus. Eine Strukturanalyse der böhmischen Adelsnation um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Verlag Oldenbourg, München 1982, ISBN 3-486-44491-3, S. 20 und 41ff.
  3. Petr Mat’a: Die Habsburgermonarchie 1620 bis 1740. Leistungen und Grenzen des Absolutismusparadigmas. Verlag Steiner, Stuttgart 2006, ISBN 3-515-08766-4, S. 320.
  4. Karl Bosl: Böhmen als Paradefeld ständischer Repräsentation vom 14. bis zum 17. Jahrhundert. In: Karl Bosl (Hrsg.): Aktuelle Forschungsprobleme um die Erste Tschechoslowakische Republik. Verlag Oldenbourg, München 1969, S. 9–21.
  5. a b Böhmen auf aeiou
  6. Helmut Slapnicka: Die Ohnmacht des Parlamentarismus. In: Ferdinand Seibt (Hrsg.): Die Chance der Verständigung. Absichten und Ansätze zu übernationaler Zusammenarbeit in den böhmischen Ländern 1848 - 1918. Verlag Oldenbourg, München 1987, ISBN 3-486-53971-X, S. 147−174, hier: S. 151.
  7. Helmut Slapnicka: Die Ohnmacht des Parlamentarismus. In: Ferdinand Seibt (Hrsg.): Die Chance der Verständigung. Absichten und Ansätze zu übernationaler Zusammenarbeit in den böhmischen Ländern 1848 - 1918. Verlag Oldenbourg, München 1987, ISBN 3-486-53971-X, S. 147−174, hier: S. 152.
  8. Helmut Slapnicka: Die Ohnmacht des Parlamentarismus. In: Ferdinand Seibt (Hrsg.): Die Chance der Verständigung. Absichten und Ansätze zu übernationaler Zusammenarbeit in den böhmischen Ländern 1848 - 1918. Verlag Oldenbourg, München 1987, ISBN 3-486-53971-X, S. 147−174, hier: S. 162.
  9. Ernst Rutkowski: Briefe und Dokumente zur Geschichte der österreichisch-ungarischen Monarchie. Band 2: Der verfassungstreue Großgrundbesitz 1900-1904. Verlag Oldenbourg, München 1991, ISBN 3-486-52611-1, S. 332 und 927.
  10. Helmut Slapnicka: Die Ohnmacht des Parlamentarismus. In: Ferdinand Seibt (Hrsg.): Die Chance der Verständigung. Absichten und Ansätze zu übernationaler Zusammenarbeit in den böhmischen Ländern 1848 - 1918. Verlag Oldenbourg, München 1987, ISBN 3-486-53971-X, S. 147−174, hier: S. 173.
  11. Robert R. Luft: Die Mittelpartei des Mährischen Großgrundbesitzes. In: Ferdinand Seibt (Hrsg.): Die Chance der Verständigung. Absichten und Ansätze zu übernationaler Zusammenarbeit in den böhmischen Ländern 1848-1918. Verlag Oldenbourg, München 1987, ISBN 3-486-53971-X, S. 187−243, hier: S. 193.