Zum Inhalt springen

Wilhelm Creizenach

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 4. März 2009 um 15:45 Uhr durch Stauba (Diskussion | Beiträge) (Literatur). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Wilhelm Michael Anton Creizenach (*4. Juni 1851 in Frankfurt am Main; † 13. Mai 1919 Dresden) war ein deutscher Literaturwissenschaftler insbesondere auf dem Gebiet des deutschen und englischen Dramas, Professor in Krakau und Mitglied der Polnischen Akademie der Künste und Wissenschaften.

Leben und Wirken

Creizenach entstammte einer alten, in Frankfurt hoch angesehenen jüdischen Familie. Sein Großvater Michael Creizenach[1] war ein aufgeklärter Theologe in der Nachfolge Moses Mendelssohns und Reformpädagoge, sein Vater Theodor[2] ein Gymnasialprofessor[3] und Literaturhistoriker, dessen „Dichtungen” und „Gedichte” zwar im Judentum wurzelten, der aber „sein Volk durch die Freiheit heben und wahrhaft deutsch machen” wollte[4] und 1854 zum Protestantismus übertrat. Über eine Taufe seiner Mutter, der Bankierstochter Louise Amalie geb. Flersheim (1824-1907), ist jedoch nichts bekannt.

Wilhelm Creizenach studierte Geschichte, Germanistik und Romanistik von 1870 bis 1874 in Göttingen und Leipzig sowie noch eine Jahr Sanskrit bei Berthold Delbrück in Jena. In Leipzig promovierte er 1875 bei Friedrich Zarncke mit einer Dissertation über Judas Ischariot in Legende und Sage des Mittelalters, die im selben Jahr auch im Druck erschien, und habilitierte sich dort auch 1879 auf Grund einer Arbeit Zur Entstehung des neueren deutschen Lustspiels. In den Jahren dazwischen forschte bzw. arbeitete er an den Universitätsbibliotheken von Jena und Breslau, und während der Zeit als Privatdozent für Deutsche Sprache und Literatur an der Universität Leipzig konnte er 1882/83 auch die Bibliothèque nationale in Paris als Bibliotheksassistent nutzen[5].

1883 erhielt Creizenach einen Ruf als außerordentlicher Professor für Deutsche Sprache und Literatur and die berühmte Jagiellonen-Universität im damals österreichischen Krakau, wo 1850 die erste Lehrkanzel für Germanistik errichtet und mit Karl Weinhold besetzt worden war. Zwei Jahre später nach Creizenachs Berufung wurde die Lehrkanzel zu einem Seminar (d.i. Institut) für Germanistik, Anglistik und Skandinavistik erweitert[6] und Creizenach zu dessen erstem Direktor bestellt.[7] 1886 erfolgte seine Ernennung zum ordentlichen Professor, 1901/02 war er Dekan der philosophischen Fakultät, 1895 wurde er zum korrespondierenden und 1904 zum ordentlichen Mitglied der Akademie der Künste und Wissenschaften (Akademia Umiejętości) in Krakau gewählt. 1912/13 zog er sich vom Lehrbetrieb zurück und übersiedelte nach Dresden, um sich ganz der Fertigstellung seines Lebenswerkes, der fünfbändigen Geschichte des neueren Dramas zu widmen, die bis heute ein Referenzwerk geblieben ist.

Creizenach erforschte und lehrte insbesonders die Geschichte der deutschen Literatur vom Mittelalter bis zur Romantik, befasste sich dabei besonders mit dem Drama, mit Goethe, dessen Wilhem Meisterer in Kürschners Deutscher Nationalliteratur edierte, mit der Faustgestalt, aber auch mit historischer Grammatik. Größte Anerkennung fand Creizenach im angelsächsischen Raum als Erforscher des englischen Dramas zur Zeit Shakespeares, wie die mehrfachen Neudrucke seiner diesbezüglichen Arbeiten bei britischen und amerikanischen Verlagen bis in die jüngste Zeit beweisen. Die internationale Anerkennung, die seine Forschungen fanden, zeigt sich auch durch seine ehrenvolle Wahl zum „auswärtigen Mitglied” der Niederländischen Literaturgesellschaft in Lüttich und zum Ehrenmitglied der Shakespeare-Gesellschaft.[8] Er publizierte nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Englisch und ab 1883 sogar auf Polnisch.

Creizenachs literarischer Nachlass befindet sich z.gr.T. im Archiv der Polnischen Akademie der Künste und Wissenschaften (PAU) in Krakau, seine Korrespondenz in der Bibliothek (Biblioteka Jagiellońska) der Jagiellonen-Universität Krakau, der er 1919 auch seine Sammlung von fast 3000 Bänden vorwiegend zur Geschichte des Dramas vermacht hatte.[9]

Veröffentlichungen (Auswahl)

  • Legenden und Sagen von Pilatus. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur (PBB) 1 (1874), S. 89-107.
  • Judas Ischariot in Legende und Sage des Mittelalters. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 2 (1876), S.12-207
  • Versuch einer Geschichte des Volksschauspiels von Doctor Faust, Diss. Leipzig, Niemeyer, Halle/Saale 1878
  • Zur Entstehungsgeschichte des neuen deutschen Lustspiels, Niemeyer, Halle/Saale 1879
  • Die Bühnengeschichte des Goethe'schen "Faust", Frankfurt/Main 1881
  • "Faust" w pomyśle Lessinga (1883)
  • Studien zur Geschichte der Dramatischen Poesie im siebzehnten Jahrhundert (1886) * Dramatischer Nachlass von J. M. R. Lenz. Zum 1. Male hrsg.v. Karl Weinhold. In: Literarisches Centralblatt für Deutschland Jg. 1884, Nr. 37, Leipzig 1884, Sp. 1290f.
  • O młodych latach Schillera (1887)
  • Zur Geschichte der Weihnachtsspiele und des Weihnachtsfestes. In: Beiträge zur Volkskunde. FS für Karl Weinhold zum 50jährigen Doktorjubiläum, dargebracht im Namen der Schlesischen Gesellschaft für Volkskunde von Wilhelm Creizenach, Koebner, Breslau 1896. (= Germanistische Abhandlungen; 12) Marcus, Breslau 1896. Nachdruck: Olms, Hildesheim-New York 1977. ISBN 3-487-06166-X
  • Die Schauspiele der englischen Komödianten (= Kürschners Deutsche National-Literatur XXIII), Spemann, Berlin-Stuttgart 1889. Reprint: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1967, Nachdruck: Sansyusya, Tokyo 1974,
  • Der bestrafte Brudermord (=Berichte der philologisch-historischen Klasse der Königlich-Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften 1886) Dresden 1887, S. 1 ff.
  • Der 'Bestrafte Brudermord' and Its Relation to Shakespeare's 'Hamlet' (Modern Philology 1904,10) University of Chicago Press, Chicago 1904
  • Geschichte des neueren Dramas, 5 Bände, Niemeyer, Halle/Saale 1893-1916

-1.Band: Mittelalter und Frührenaissance, Halle 1893
-2.Band: Renaissance und Reformation 1.Teil, Halle 1901
-3.Band: Renaissance und Reformation 2.Teil, Halle 1903
-4.Band: Das englische Drama im Zeitalter Shakespeares Teil 1, Halle 1909
-5.Band: Das englische Drama im Zeitalter Shakespeares Teil 2, Halle 1916

  • The English Drama in the Age of Shakespeare, Philadelphia-London 1916. Neudrucke: Russell & Russell, New York 1967; University Press of the Pacific, 2005 ISNB 978-1-4102-2240-33; Verlag INTL LAW & TAXATION PUBL, 2005 ISNB 1-4102-2403-1
  • O niemieckim opracowaniu "Hamleta" Szekspirowskiego z XVII wieku (1904)
  • Badania nad komedyą Szekspira "Poskromienie złośnicy" (1909)
  • The Early Religious Drama. In: Cambridge History of English Literature, Cambridge Universitry Press, Cambridge 1910, Band 5,1
  • (Hg.)Goethe, Johann Wolfgang:Wilhelm Meisters Wanderjahre mit Einleitung und Anmerkungen von Wilhelm Creizenach.(= Goethes sämtliche Werke, Jubiläumsausgabe in 40 Bänden, hg. von Eduard von der Hellen, Band 17/18) Cotta, Stuttgart 1904
  • 17 Biographien in der Allgemeinen Deutschen Biographie (ADB)

Literatur

  • Adam Kleczkowski: Wilhelm Creizenach, Krakau 1938
  • Biogramy uczonych polskich - Nauki społeczne, Band 1: A-J, Wrocław 1983
  • Paul Arnsbog:Wilhelm Creizenach. In: Die Geschichte der Frankfurter Juden seit der Französischen Revolution Band 3. Biographisches Lexikon , Darmstadt 1983, S. 88-89
  • Christoph König et al.: Internationales Germanistenlexikon 1800-1950. de Gruyter, Berlin-New York 2003. ISBN 3-1101-5485-4, ISBN 978-3-1101-5485-6

Einzelnachweise

  1. Adolf Brülls Biographie von W.Creizenachs Großvaters in ADB 1903, Bd. 47, S. 546 ff.
  2. siehe W. Creizenachs Biographie seines Vaters in ADB 1903, Bd. 47, S. 549 ff.
  3. Meyers Conversationslexikon 1888, S, 4.331und Brockhaus' Konversationslexikon, 14. Auflage, Leipzig-Berlin-Wien 1894-1896 , Band 4, S. 585
  4. Der Große Brockhaus, 20 Bände, Leipzig 1928-1935, Band 4 (1929), S. 273
  5. Christoph König: Internationales Germanistenlexikon 1800-1950, de Gruyter, Berlin-New York 2003, S. 346
  6. Olga Dobijanska-Witeczakowa: Die Geschichte des Lehrstuhls für Germanistik, Anglistik und Skandinavistik in Polen, Westpfälzische Verlagsdruckerei, St. Ingbert 1995, S. 75-98
  7. [http://books.google.at/books?id=ouGfY8RBauAC&pg=PA736&vq=Creizenach&source=gbs_search_r&cad=1_1#PPA346,M1 IGL 1800-1950, S. 346
  8. IGL 1800-1950, S. 346
  9. Bernhard Fabian: Handbuch deutscher historischer Buchbestände in Europa Band 6: Eine Übersicht über Sammlungen in ausgewählten Bibliotheken, Georg Olms Verlag, Hildesheim-New York 1997, S. 109 ISBN 3487103591, 9783487103594]