Dzodzi-Entscheidung
Die Dzodzi-Entscheidung ist ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 18. Oktober 1990.[1] Diese Entscheidung hat Bedeutung für die Frage, wie weit der Europäische Gerichtshof auch in Fällen entscheiden kann, für die durch das nationale Recht europarechtliche Vorschriften entsprechend für anwendbar erklärt werden, obwohl das Europarecht den Sachverhalt nicht regelt. Der Europäische Gerichtshof entschied, dass er im Vorabentscheidungsverfahren die Kompetenz zur Entscheidung besitze, wenn Gerichte der Mitgliedstaaten ihm Fälle vorlegen und er nicht prüfe, ob dieser Vorlage ein rein interner Rechtsstreit zugrundeliege. An dieses Urteil knüpft die sogenannte Dzodzi-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes an.[2]
Sachverhalt
Es ging in dem dem Gerichtshof durch den Cour d' appel Brüssel mit Beschluss vom 16 . Mai 1989 vorgelegtem Rechtsstreit um das Aufenthalts- und Verbleiberecht der togolesischen Staatsangehörigen Massam Dzodzi. Diese war die Witwe eines belgischen Staatsangehörigen. Die Eheleute hatten am 14. Februar 1987 in Belgien geheiratet. Frau Dzodzi stellte nach der Heirat einen erfolglosen Antrag auf eine Aufenthaltserlaubnis. Kurz darauf begab sich das Ehepaar, ohne die belgischen Behörden zu informieren, nach Togo. Kurz nachdem Frau Dzodis Ehemann nach Belgien zurückgekehrt war, verstarb er am 28. Juli 1987.
In Art. 40 des damals geltenden belgischen Gesetzes über die Einreise, den Aufenthalt, die Niederlassung und die Ausweisung von Ausländern[3] enthielt folgende Regelung:
„soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, ... folgende Personen ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit einem EG-Ausländer gleichgestellt : 1 . ihr Ehegatte; ... Ebenfalls gleichgestellt sind die ausländischen Ehegatten eines Belgiers ...“
Frau Dzodzi stellte weitere Anträge auf Erteilung einer längeren Aufenthaltserlaubnis, die jedoch abgelehnt wurden. Schließlich erging an sie die Anordnung Belgien zu verlassen. Hiergegen wandte sich sich an das Tribunal de première instance Brüssel, das das Verfahren aussetzte und im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens dem EuGH mit Beschluss vom 5 . Oktober 1988 vorlegte. Frau Dzodzi hatte sich auf die damals noch geltende Verordnung (EWG) Nr. 1251/70 der Kommission vom 29. Juni 1970 über das Recht der Arbeitnehmer, nach Beendigung einer Beschäftigung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zu verbleiben[4] berufen.
Sie legte Rechtsmittel beim Cour d' appel Brüssel gegen den Beschluss ein, da das Gericht nicht über die Zulässigkeit der Klage entschieden hatte und keinen vorläufigen Rechtsschutz gewährte. Der Cour d' appel Brüssel gab der Republik Belgien mit Beschluss vom 16 . Mai 1989 auf Massam Dzodzi bis zum vollständigen Verfahrensabschluss ein Aufenthaltsrecht zu gewähren und legte auch seinerseits dem Europäischen Gerichtshof den Rechtsstreit zur Vorabentscheidung vor.
Stellungnahmen und Schlussanträge
Sowohl die Europäische Kommission als auch Belgien gingen in ihren Stellungnahmen davon aus, dass das Europarecht nicht auf den Fall anwendbar sei, da es sich um eine rein interne Angelegenheit des belgischen Staates handele. Die Republik Belgien ging daher davon aus, dass der Europäische Gerichtshof nicht zuständig für derartige Fälle sei. Die Kommission beantragte, dass der Gerichtshof feststellen möge, dass die europarechtlichen Regelungen nicht anwendbar seien.
Der Generalanwalt Marco Darmon ging davon aus, dass es „kein Gemeinschaftsrecht außerhalb des Anwendungsbereichs des Gemeinschaftsrechts“ gebe[5], durch eine Verweisung des nationalen Rechts auf das Gemeinschaftsrecht ergäbe keine Ausweitung von dem Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechtes. Er warnte nachdrücklich vor einer Ausweitung des Anwendungsbereiches des europäischen Rechtes auf rein interne Angelegenheiten.[6]
Entscheidung des Gerichtes
Das Gericht hatte zunächst über seine Zuständigkeit zu entscheiden, bevor es in der Sache entscheiden konnte.
Zuständigkeit
Der Europäische Gerichtshof entschied, dass eine Vorlage und damit das Verfahren nach Art. 177 EGV (seit dem Vertrag von Amsterdam Art. 234 EGV) zulässig war. Es ging hier bei davon aus, dass der Zweck dieser Regelung im EGV die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten der Europäischen Union und dem Europäischen Gerichtshof sei. Es liege dabei grundsätzlich in der Verantwortung der nationalen Gerichte über die Erforderlichkeit einer Vorlageentscheidung für den Erlass eines Urteils und die Entscheidungserheblichkeit zu entscheiden. Der Europäische Gerichtshof habe bei einer erfolgten Vorlage dann zu entscheiden. Insbesondere sei es Zweck des Art. 234 (ex-177) EGV eine einheitliche Anwendung europarechtlicher Vorschriften sicherzustellen, unabhängig davon, aus welchen Gründen diese zur Anwendung kämen. Eine Ausnahme hiervon gelte nur, insoweit es sich um die Entscheidung eines rein fiktiven Rechtsstreites handelt oder aber die Unanwendbarkeit des europäischen Rechtes offensichtlich sei. In solchen Fällen würde das Vorabentscheidungsverfahren zweckentfremdet werden. [7]
Der Europäische Gerichtshof sei hierbei aber nur befugt über die Auslegung europarechtlicher Bestimmungen zu entscheiden. Welche Auswirkungen Verweisungen im nationalen Recht haben müssen die jeweiligen nationalen Gerichte beurteilen. Etwa, als wie weitgehend eine solche Verweisung zu verstehen ist.[8]
Einzelnachweise
- ↑ Rs C-297/88, C-197/89; EuGH Slg. I 1990, 3763.
- ↑ Ehricke in: Rudolf Streinz (Hrsg.), EUV, EGV - Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (Kommentar), Verlag C. H. Beck, München 2003, ISBN 3-406-48457-3, Art. 234 EGV RdNr. 15.
- ↑ Moniteur belge vom 31 . Dezember 1980, S . 14584
- ↑ Verordnung (EWG) Nr. 1251/70 der Kommission vom 29. Juni 1970, ABl. L 142 vom 30.6.1970, S. 24–26; mittlerweile aufgehoben und ersetzt durch die Verordnung (EG) Nr. 635/200 vom 25. April 2006, ABl. L 112 vom 26.4.2006, S. 9–9.
- ↑ EuGH Slg. 1990 I, S. 3763 Rdnr. 11.
- ↑ EuGH Slg. 1990 I, S. 3763 RdNrn. 11- 15.
- ↑ EuGH Slg. I 1990, S. 3763, RdNrn. 31 - 41.
- ↑ EuGH Slg. I 1990, S. 3763, RdNrn. 42 und 54.