Ruhemembranpotential
Alle biologischen Zellen besitzen ein Membranpotential, eine elektrische Potentialdifferenz oder Spannung über der Plasmamembran zwischen Außen- und Innenraum der Zelle.
Der Begriff Ruhemembranpotential (auch Ruhepotential) kennzeichnet in elektrisch erregbaren Zellen das Membranpotential, das die Zellen in Abwesenheit von Erregung aufweisen. In elektrisch nicht erregbaren Zellen gibt es nur wenig Abweichungen des Membranpotentials vom Ruhemembranpotential.
Die Fähigkeit zur Ausbildung eines solchen Potentials ist von grundlegender zellphysiologischer Bedeutung, unter anderem für die Erregungsleitung der Nerven, die Steuerung der Muskelkontraktion und den Transport von Molekülen durch die Membran. Elektrisch erregbare Zellen treten kurzzeitig aus dem Zustand des Ruhemembranpotentials heraus, wenn ein Aktionspotential ausgelöst wird.
Kurz und bündig
Das Ruhemembranpotential braucht zu seiner Entstehung zwei Voraussetzungen:
1. Die Tätigkeit der Natrium-Kalium-ATPase, einer Ionenpumpe, die Natrium-Ionen aus der Zelle heraus- und Kalium-Ionen in die Zelle hineinpumpt. Das Resultat ist ein großes Konzentrationsgefälle für diese beiden Ionen über der Membran.
2. Die selektive Permeabilität der Membran für Kalium-Ionen. Verantwortlich dafür sind Kalium-Kanäle, die auch in Ruhe geöffnet sind.
K+ hat das Bestreben, nach außen zu strömen, weil sich dort sehr wenige K+ Ionen befinden. Dieser Prozess bedingt nun aber, dass nicht nur ein "Stofftransport", sondern (da es sich um Ionen handelt) auch ein Ladungstransport stattfindet.
Wenn nun einige K+ nach außen diffundiert sind, hat sich ein kleines elektrisches Feld aufgebaut. Durch dieses Feld wirkt nun eine zweite Kraft auf die Ionen. Die erste Kraft (verursacht durch das Konzentrationsgefälle der Ionenarten) zieht K+ nach außen, die zweite Kraft wirkt nun aber genau entgegen.
Es bildet sich ein Gleichgewicht zwischen beiden Kräften aus.
Der Ruhezustand dieses Systems ist also der, dass eine kleine Spannung über der Membran anliegt.
Messung der Ruhemembranpotentials
Man kann das mit zwei Mikroelektroden experimentell bestimmen. Eine der beiden, die Messelektrode, wird in die Zelle hineingestochen, die zweite, die Bezugselektrode, wird von außen an die Zelle gehalten. An einem Voltmeter oder Kathodenstrahloszilloskop kann man zwischen den Elektroden eine Spannung in der Größenordnung von -70 mV (viele Säugetiere) ablesen: das Ruhepotential. Definitionsgemäß ist diese Spannung von außen nach innen zu verstehen, das Zellinnere ist negativ geladen.
Die gemessenen Werte sind je nach Zelltyp unterschiedlich und schwanken zwischen -50 und -100 mV. Bei menschlichen Neuronen liegt der Wert typischerweise bei -70 mV, Gliazellen, Herz- und Skelettmuskelzellen weisen -90 mV auf.
Ursachen des Ruhepotentials
Grund für das Ruhemembranpotential sind bestimmte Eigenschaften der Plasmamembran, nämlich
- grundsätzliche Impermeabilität der Lipiddoppelschicht für Ionen
- der Konzentrationsgradient wichtiger Ionen durch die Aktivität der Natrium-Kalium-ATPase
- spezifische hohe Permeabilität der Membran für Kaliumionen durch bestimmte Kanäle.
Einfluss haben weiterhin die
- geringe, aber doch vorhandene Permeabilität der Membran für Natrium- und Calciumionen
- Permeabilität für Chloridionen.
Diffusionspotential
Nicht auf die Biologie beschränkt ist das Phänomen des Diffusionspotentials. Voraussetzung sind zwei Kompartimente mit unterschiedlich hohen Konzentrationen eines Salzes, zum Beispiel eines Kaliumsalzes, die durch eine nur für Kalium permeable Membran (auch synthetisch herstellbar) getrennt sind.
- In der Ausgangslage ist das Gefäß elektrisch neutral, da zwar auf der einen Seite mehr Kaliumionen, aber auch mehr negativ geladene Gegenionen des Salzes vorhanden sind.
- Nur das Kalium kann durch die Membran hindurchtreten und wird das auch tun, und zwar in beiden Richtungen. Allerdings versuchen das auf der einen Seite wesentlich mehr Ionen als auf der anderen, so dass in der Summe Ionen vom hoch- in das niedrigkonzentrierte Kompartiment übertreten. Triebkraft ist der chemische Konzentrationsgradient.
- Kaliumionen besitzen aber eine Ladung. Sobald ein Ion übertritt, ist das zweite Kompartiment positiv bzw. das erste negativ geladen. Es herrsct ein elektrisches Feld, oder, was gleichbedeutend ist, eine elektrische Potentialdifferenz oder Spannung über der Membran. Dieses Feld übt auf die Ionen eine Kraft aus, die sie gegen den chemischen Gradienten wieder zurücktreibt.
- Zwischen den beiden Kräften bildet sich ein Gleichgewicht aus, bei dem pro Zeiteinheit genauso viele Teilchen in die eine wie in die andere Richtung diffundieren. Dieser Zustand ist genau dann erreicht, wenn der Energieaufwand für den einen Weg gleich dem des anderen ist. Setzt man die Ausdrücke für die elektrische Arbeit und die chemische Arbeit entlang eines Konzetrationsgradienten gleich, erhält man die Nernst-Gleichung.
Das Potential an diesem Punkt ist das Gleichgewichtspotential.
Situation an der Membran
Die biologische Membran erfüllt die Voraussetzungen für ein Diffusionspotential. Die Lipiddoppelschicht ist für Ionen nicht durchlässig. In dieser Schicht sitzen Transmembranproteine, die hochspezifische Kanäle für die Kationen K+, Na+, Ca2+, oder für Anionen darstellen. Die Öffnung dieser Kanäle kann durch verschiedene Mechanismen kontrolliert werden, die aber für das Ruhepotential nicht von Bedeutung sind.
Die meisten Kanäle sind während des Zustands des Ruhepotentials geschlossen, nur bestimmte Kaliumkanäle sind offen (beim Menschen je nach Zelltyp die Gruppe der spannungsunabhängigen Kalium-einwärts-Gleichrichter-Kanäle Kir, die 2-P-Domänen- oder Hintergrundkanäle, und ein erst bei sehr negativen Spannungen schließender spannungsabhängiger Kanal). Die Kanäle für Natrium und Calcium sind geschlossen.
Ionenungleichgewicht
An der Membran herrschen physiologischerweise große Konzentrationsgradienten für die wichtigen Ionen. Der für das Ruhemembranpotential nötige Gradient wird durch die Natrium-Kalium-ATPase erzeugt, eine energieabhängige Pumpe, die pro gespaltenem ATP-Molekül drei Na+-Ionen heraus und zwei K+-Ionen hereinpumpt. Dadurch entsteht zwar auch schon ein Ladungsungleichgewicht, das aber nur gering (10%) am Ruhemembranpotential beteiligt ist. Das Potential ist also nicht, wie häufig angenommen und auch gelehrt, allein auf die Aktivität der Na+/K+-ATPase zurückzuführen. Diese ist nur ein Baustein.
Ion | Konzentration intrazellulär (mmol/l) | Konzentration extrazellulär (mmol/l) | Verhältnis | Gleichgewichtspotential nach Nernst |
---|---|---|---|---|
Na+ | 7-12 | 144 | 1:12 | +80 mV |
K+ | 160 | 4 | 40:1 | -91 mV |
Ca2+ | 10-5-10-4 | 2 | +125 mV bis +310 mV | |
Cl- | 4-7 | 120 | -24 mV | |
HCO3- | 8-10 | 26-28 | -27 mV | |
Anionische Proteine | 155 | 5 |
Ausbildung der Potentials
Da nun eine selektiv permeable Membran und ein Konzentrationsgradient gegeben ist, kann sich ein Gleichgewichtspotential entwickeln.
Entscheidend für das Ruhemembranpotential ist der Konzentrationsgradient des Kalium-Ions. Das Ruhemembranpotential wird vom Gleichgewichtspotential des Kaliumions bestimmt.
Diese Behauptung gilt trotz der Tatsache, dass das Ruhemembranpotential nie genau bei dem von der Nernst-Gleichung für Kaliumionen vorgegebenen Wert liegt. Der Grund dafür ist, dass die Leitfähigkeit der Membran für Natrium- und Calciumionen zwar sehr gering, aber doch nicht null ist, und beide Ionen weit von ihrem Gleichgewichtspotential (siehe Tabelle) entfernt liegen, was eine hohe elektrochemische Triebkraft bedeutet. Daher gibt es immer Natriumleckströme (in geringerem Maß auch Calcium) ins Zellinnere, die das Potential ins Positive verschieben und wieder Kaliumionen aus der Zelle treiben. Würde nicht beständig die Natrium-Kalium-ATPase gegen diese Leckströme arbeiten, wäre das Ruhepotential schon bald nivelliert.
Auch für Chloridionen ist die Membran durchlässig. Ihr Gleichgewichtspotential liegt aber nahe dem für Kaliumionen. Dennoch ist auch das Chloridion am Ruhemembranpotential beteiligt.
Aufgrund der Beteiligung auch anderer Ionen reicht die Nernst-Gleichung für eine genaue Berechnung nicht aus. Eine bessere mathematische Beschreibung ist mit der Goldman-Hodgkin-Katz-Gleichung möglich, die neben Kalium- auch Natrium- und Chloridionen in die Berechung einbezieht.
Die oben genannten Gleichungen beschreiben einen stationären Zustand der Potentials über der Zellmembran, also das Ruhemembranpotential. Betrachtet man jedoch die Möglichkeit einiger Ionenkanäle, ihre Leitfähigkeit in Abhängigkeit der anliegenden Spannung zu ändern, wird die Membranleitfähigkeit zu einer Funktion der Spannung über der Membran und es herrscht kein stationärer Zustand mehr. Dies ist im Hodgkin-Huxley-Modell beschrieben, was die elektrischen Zustände einer oder mehrerer Zellen bei unterschiedlichen Bedingungen beschreibt. ,
Bedeutung des Ruhepotentials
Wie schon erwähnt ist die Ausbildung und Aufrechterhaltung eines Ruhepotentials grundlegende Voraussetzung für eine Reihe von Aufgaben der Zellen.
Informationsübertragung
Ein schwarzes Blatt Papier stellt keine Information dar. Entsprechend würde eine Nervenzelle, die ständig erregt ist (etwa bei +30 mV), keine Information weiterleiten können. Das Ruhepotential ermöglicht sozusagen erst die Erzeugung von Aktionspotentialen und damit die Weiterleitung von elektrischen Informationen an einer Nervenzelle.
Auslösen von Vorgängen
Die durch eine Abweichung von Ruhepotential übertragene Information kann nicht nur weitergeleitet, sondern auch zum Auslösen verschiedener Vorgänge benutzt werden. So reagieren Muskelzellen auf eine Depolarisation - unter Vermittlung von Calciumionen - mit ihrer spezifischen Aufgabe, nämlich der Kontraktion.
Transportvorgänge
Auch elektrisch nicht erregbare Zellen nutzen ihr Ruhemembranpotential, häufig um bestimmte Substanzen im Zellinneren anzureichern. Das Portential liefert dabei die Energie, die benötigt wird, den Konzentrationsgradienten aufzubauen.
Siehe auch Aktionspotential, Gleichgewichtspotential, Schwellenpotential, Depolarisation, Hodgkin-Huxley-Modell
Weblinks
Das Ruhepotential auf der Homepage von Ulrich Helmich