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Benjamin von Tudela

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Die Reisen des Benjamin von Tudela.

Benjamin von Tudela, auch Benjamin ben Jona, eigentlich Benjamín bar Jonás de Tudela (* etwa in den ersten Jahrzehnten des 12. Jahrhunderts in der nordspanischen Stadt Tudela, Navarra, † ca. 1173 in Kastilien) war der bedeutendste jüdische Reisende des Mittelalters. Sämtliche Informationen über ihn stammen aus seinem Reisebericht „Massaot Binjamin mi-Tudela“ (Reisen des Benjamin aus Tudela).

Reiseweg und Reisebericht

Benjamin von Tudela in den Sahara

Benjamin reiste zwischen 1160 und 1173 über Südfrankreich, Italien, Griechenland und das heilige Land bis nach Mesopotamien an die Grenzen Persiens und weiter nach Ägypten. Er wird von nichtjüdischen Schriftstellern oftmals als "Rabbi" bezeichnet, obwohl abgesehen vom Buchstaben ר, der seinem Namen in hebräischen Quellen vorangestellt wird, keine Beweise dafür vorliegen, dass er als Rabbiner amtiert hat.

Über Saragossa, Tarragona, Barcelona und Gerona reiste er zunächst in die Provence, wo er die Städte, das Wirtschaftsleben und die jüdischen Gelehrten in Narbonne, Béziers, Montpellier, Lunel, Posquières und Arles recht genau beschrieb. In Marseille nahm er ein Schiff nach Genua und reiste von dort aus weiter über Pisa nach Rom, wo er sich wohl recht lange aufgehalten hat, da er die antiken Monumente der Stadt detailliert beschreibt. Er erwähnt auch die jüdische Gemeinde in Rom und ihre Beziehungen mit Papst Alexander III. Es wird deshalb engenommen, dass Benjamins Aufenthalt in Rom in die Zeit kurz nach dem Beginn des Pontifikats von Alexander III. im September 1159 fällt. Von Rom aus reiste Benjamin weiter über Süditalien und beschrieb unter anderem Salerno, Amalfi, Melfi, Benevento und Brindisi. In Otranto reiste er zu Schiff über Korfu nach Arta. In Griechenland erwähnte er die jüdischen Seidenweber sowie die landwirtschaftliche Kolonie in Krissa am Parnass. Besonders lange Zeit scheint er in Konstantinopel verbracht zu haben, von wo er einen genauen Bericht erteilt.

Zu weiteren Reisezielen Benjamins gehörten Patras, Korinth, Theben, Thessaloniki, Zypern, Beirut, Jerusalem, Damaskus, Mosul, Bagdad, Sura und Pumbedita, Alexandria. (Siehe auch Aitoliko).

Benjamins Angaben zu Arabien, Persien, Indien, China und Äthiopien setzen sich aller Wahrscheinlichkeit nach aus Berichten zusammen, die ihm, vielleicht in Bagdad, zu Gehör kamen. Allein aus zeitlichen Gründen kann es Benjamin nicht möglich gewesen sein, alle diese Länder zu bereisen. 1168 und 1169 war er in Palästina, das zu jener Zeit unter der Herrschaft der Kreuzfahrer stand. Sein Bericht über die heiligen Stätten in Palästina, besonders über die Bauten in Jerusalem, ist für die damalige Geschichte Palästinas von herausragender Bedeutung. 1170 war er in Mosul, 1171 in Ägypten und spätestens 1173 zurück in Spanien (innerhalb nur eines Jahres vom Irak über Persien, Indien nach China und zurück sowie weiter nach Äthiopien und Ägypten zu gelangen, ist ausgeschlossen). Zudem weisen bestimmte Formulierungen zu diesen Ländern in seinem Bericht auf fremde Erzählungen hin. Benjamin ist aber wohl der erste Europäer, der über den Handel mit Indien berichtet, ohne selbst dort gewesen sein zu müssen. Zudem gilt er als erster Europäer, der China mit seinem jetzigen Namen erwähnt.

Da eines der Ziele seiner Reise und seines Berichtes war, etwas von der Lebenssituation der jüdischen Glaubensgenossen und der jüdischen Gemeinden zu erfahren, hat er in seinem in hebräischer Sprache gehaltenen Reisebericht (Massaot) u. a. viele Orte angegeben, in denen Juden lebten. Oftmals werden die Namen der Rabbiner genannt sowie die Zahl der dort ansässigen Juden (oder jüdischen Familien), manchmal auch deren Berufe (z. B. Färber oder Seidenweber).

Benjamin vermerkt aber auch Sehenswürdigkeiten, wie in Konstantinopel die Hagia Sophia, in Bagdad den Palast des Kalifen oder in Alexandria den noch aus der Antike stehenden Pharos, den berühmten 110 Meter hohen Leuchtturm, eines der sieben Weltwunder (eine der letzten Beschreibungen des Turms, die wir kennen, bevor er nach über 1600 Jahren 1326 einstürzte). Der Abstand der von Benjamin bereisten Orte wurde in Tagesreisen oder Parasangen angegeben (1 Tagesreise = 10 Parasangen, 1 Parasange = etwa 4 Kilometer).

Seine Berichte über den Reichtum und die Schwächen des Byzantinischen Reiches, die Assassinen im Libanon oder über die Oghusen sind erstrangige historische Quellen. Sein Reisebericht wurde in fast sämtliche europäischen Sprachen übersetzt und gilt für Mediävisten als Primärquelle.

Anlass der Reise

Benjamins Reiseziel ist unbekannt. Es wird vermutet, dass er Juwelenhändler war, da er an mehreren Stellen seines Berichts Interesse am Korallenhandel zeigt. Ein weiterer Grund war, da Juden über alle Welt zerstreut in unterschiedlichsten Lebensverhältnissen in allen möglichen Herrschaften und Kulturen lebten, in Erfahrung bringen – wie einst Joseph (1. Buch Mose, Kap. 37, Vers 14) – wie die Glaubensbrüder lebten und wie ihr Wohlbefinden ist.

Ein nicht zu vernachlässigender weiterer Grund ist die Lage der Juden in Spanien und ganz Europa. Sowohl in christlich als auch in islamisch beherrschten Gebieten wurde das Leben für die Juden im Hochmittelalter immer bedrohlicher. Auf der moslemischen Seite eroberten 1148 fanatische Almohaden Córdoba. 1146 verkündete Abd al-Mumin, Begründer des Almohadenreichs, in Fès zu Juden und Christen: Ihr habt nur die Wahl: Islam oder Tod! Auf der christlichen Seite begannen die Kreuzzüge mit grausamen antijüdischen Ausschreitungen im Rheinland des 11. und 12. Jahrhunderts und setzten sich auch während des Zweiten Kreuzzugs fort, als flämische und deutsche Kreuzfahrer 1147 und 1148 in Tortosa ein Blutbad unter den Juden anrichteten. Es kann vermutet werden, dass Benjamin auch Fluchtwege aus Spanien und Unterschlupf für seine Glaubensbrüder in den bereisten Gebieten erkundete.

Literatur

  • Jüdische Reisen im Mittelalter: Benjamin von Tudela; Petachja von Regensburg. Aus dem Hebräischen übersetzt, mit Anmerkungen und einem Nachwort von Stefan Schreiner. Leipzig 1991, ISBN 3-7350-0140-8
  • Syrien und Palästina: nach dem Reisebericht des Benjamin von Tudela. (ADPV 12). Übersetzt und erklärt von Hans Peter Rüger. Wiesbaden: Harrassowitz 1990. ISBN 3-447-02881-5
  • Meyer Kayserling: Geschichte der Juden in Spanien und Portugal. Hildesheim: Gerstenberg Verlag 1978. Erster Teil, S. 81.
  • Paul Borchardt: Der Reiseweg des Rabbi Benjamin von Tudela und des Rabbi Petachia aus Regensburg in Mesopotamien und Persien. In: Jahrbuch der Jüdisch-Literarischen Gesellschaft 1924, S. 137–162.