Weibliche Genitalverstümmelung
Unter weiblicher Genitalverstümmelung (englisch: female genital mutilation oder kurz FGM) versteht man das Entfernen von Schamlippen und teilweise auch der Klitoris bei Mädchen und Frauen. Die teilweise auch verwendete Bezeichnung „Beschneidung“ ist irreführend, da der Eingriff sehr viel schwerwiegender ist als die Entfernung der Vorhaut, die in der Regel mit „Beschneidung“ gemeint ist.
In bestimmten Ländern Afrikas, Arabiens und Teilen Indonesiens und Malaysias ist es bei einigen Völkern üblich, bei jungen Mädchen eine rituelle Verstümmelung der Geschlechtsorgane vorzunehmen. Diese wird durch so genannte Beschneiderinnen durchgeführt. Von ihr sind etwa zwei Millionen Mädchen im Jahr weltweit betroffen.
Dabei wird – je nach lokalen Gebräuchen – nur die Vorhaut der Klitoris oder die Klitorisspitze entfernt (so genannte ‚sunnitische Beschneidung‘), die Klitoris und die inneren Schamlippen (Klitoridektomie, die häufigste Form) entfernt, oder sowohl der hervorstehende Teil der Klitoris, innere und äußere Schamlippen entfernt und die entstehenden Hautreste vernäht oder mit Dornen zusammengeheftet (‚pharaonische Beschneidung‘ mit Infibulation).
Dieses Bild zeigt eine vollendete Infibulation: Bild:Totalcut-f.jpg
Von manchen wird die weibliche Genitalverstümmelung fälschlicherweise als Gebot des Islam angesehen. Tatsächlich bekämpfen zahlreiche islamische Organisationen diese Tradition, da sie nichts mit dem Islam zu tun hat, sondern traditioneller Brauch der verschiedenen Völker selber ist.
Die UNO, UNESCO, UNIFEM und verschiedene Menschenrechtsorganisationen wenden sich gegen die weibliche Genitalverstümmelung.
Verschiedene Arten der weiblichen Genitalverstümmelung
Die Sunna ist die mildeste Form der Beschneidung. Als Sunna gelten Ritzen, Einstechen oder Entfernung der Klitorisvorhaut, der Klitorisspitze oder der ganzen Klitoris. Wenn also eine Frau sagt, sie habe eine Sunna, steht das Ausmaß des Eingriffs noch nicht fest. Sunna ist ein arabisches Wort und bedeutet Tradition.
Bei der Exzision (modifizierte Sunna) wird die Klitoris herausgeschnitten. Zusätzlich werden die kleinen Schamlippen weggeschnitten, manchmal auch die großen Schamlippen gestutzt oder ganz entfernt.
Die Infibulation (auch als die pharaonische Beschneidung bekannt) ist die radikalste Beschneidungsform. Dabei wird die Klitoris, die inneren und äußeren Schamlippen entfernt und der Rest zugenäht. Es bleibt nur ein kleines Loch für Urin und Menstruation. Gelegentlich werden dem Opfer auch 40 Tage die Beine zusammengebunden, bis der gleiche Effekt eingetreten ist. In die Wunde wird ein Bambusstäbchen gesteckt, um eine möglichst kleine Öffnung zum Wasserlassen und für das Menstruationsblut offen zu halten.
Die Refibulation wird durchgeführt bei Frauen, die eine Geburt hinter sich haben, verwitwet oder geschieden sind, um eine jungfräuliche Vagina vorzutäuschen. Dieses Verfahren wird „Straffen“ genannt und meistens bei Frauen angewandt, die vorher eine pharaonische Beschneidung hatten. Die Ränder der Narbe werden abgeschnitten und zusammengenäht. Oder das lose, hängende Gewebe um die Öffnung wird zugenäht. Das Endresultat ist eine sehr enge Vaginalöffnung. Die Refibulation wird manchmal auch als „männliche Beschneidung“ bezeichnet, weil sie dazu da sei, Männern ein größeres, sexuelles Vergnügen zu bereiten.
Siehe auch: Übersicht - die Formen der Weiblichen Genütalverstümmelung in Afrika nach Ländern
]
Folgen der weiblichen Genitalverstümmelung
Die Operationen werden meist ohne Narkose und unter unhygienischen Bedingungen durchgeführt. Dies bedeutet eine Lebensgefahr beim Eingriff; insbesondere bei der pharaonischen Beschneidung ist das Risiko des Verblutens oder schwerer Infektionen infolge des Eingriffs sehr groß.
Lebenslange Schmerzen unter anderem beim Geschlechtsverkehr und beim Wasserlassen werden durch die Vernähung der Hautreste (Infibulation) hervorgerufen. Außerdem werden durch die Klitoridektomie das Lustempfinden und die Orgasmusfähigkeit stark reduziert oder auch völlig zerstört. Die Menstruation wird extrem schmerzhaft, da das Blut oft nicht abfließen kann und sich staut. In vielen Fällen treten chronische Unterleibs- und Harnsysteminfektionen auf. Auch die Geburt kann erschwert sein, da das vernarbte Gewebe unflexibel ist. Nach einer pharaonischen Beschneidung kann es bei der Geburt zum Verbluten der Beschnittenen kommen, da das Gewebe häufig wieder aufgetrennt werden muss, um eine Geburt zu ermöglichen. Nach einer Geburt wird das Genital in der Regel wieder zugenäht.
Wer wird beschnitten?
In Gebieten, in welchen die weibliche Genitalverstümmelung Tradition hat, werden alle Frauen zirkumzisiert. Allerdings wird unterschieden, welche Beschneidungsform an welcher Frau angewendet wird. Vieles hängt von der sozialen Stellung der Familie, der Tradition und v.a. vom Entscheid des Vaters ab. Es wurde festgestellt, dass die Infibulation oft in den ärmeren Gesellschaftsschichten vorkommt, wobei die Sunna den reicheren Frauen vorbehalten ist. Das Beschneidungsalter variiert nach lokaler Tradition und Kultur. Im Allgemeinen werden die Mädchen zwischen der ersten Lebenswoche und der Vorpubertät zirkumzisiert. Unter bestimmten Umständen kann es vorkommen, dass auch erwachsene Frauen noch beschnitten werden. Heutzutage ist eine Tendenz sichtbar, dass sich immer mehr gebildete Familien gegen eine Beschneidung ihrer Mädchen entscheiden, während ärmere Populationsschichten, die keinerlei Bildung geniessen, dazu tendieren sich für eine Genitalverstümmelung auszusprechen.
Wer beschneidet?
Die Ausführenden der Beschneidung, sind in den verschiedenen Regionen sehr . Es kann sich dabei um traditionelle Hebammen, Heilerinnen oder professionelle Beschneiderinnen handeln. In den Städten wird die Prozedur in reichen Schichten von Ärzten, ausgebildeten Krankenschwestern oder Hebammen unter klinikähnlichen Bedingungen durchgeführt. Eher selten, wie z.B. im Norden Zaire’s, kommt es vor, dass männliche „Priester“ die Mädchen zirkumzisieren. Traditionelle Beschneiderinnen lernen das Handwerk von ihren Müttern. Wie genau beschnitten wird, bleibt ein Geheimnis, das nicht weitergegeben wird. Familien sparen viele Jahre für die Beschneidung ihrer Töchter hin, denn die Beschneidung gehört zu den höchsten aber auch „lohnenswertesten“ Ausgaben, die ein Haushalt tragen muss.
Geschichtlicher Hintergund
Die Ursprünge der Beschneidung sind nicht vollständig geklärt. Sicher ist aber, dass die FGM nichts mit der islamischen Religion zu tun hat, obwohl sie in islamischen Gebieten stark verbreitet ist. Denn die Beschneidung geht sehr weit in die Geschichte der Menschheit zurück. Davon zeugen ägyptische, weibliche Mumien aus dem 16. Jh. v. Chr., bei welchen Spuren einer Beschneidung gefunden wurden. Die islamische Religion hingegen ist noch relativ jung. Sie wurde erst um 610 n. Chr. von Mohammed gegründet. Der Brauch der Mädchenbeschneidung war ebenfalls in Israel bekannt. Selbst Christen in Ägypten und Äthiopien sowie die Falaschas und ein Indianerstamm in Peru beschneiden bis heute ihre Mädchen. So zeigt sich, dass die FGM nicht an eine bestimmte Religion gebunden ist.
Was aber trieb Menschen unterschiedlicher ethnischer Zugehörigkeit, geographischer Bedingungen und Lebensformen schon lange vor unserer Zeitrechung zu solchen Handlungen?
Entstehung
Bis heute gibt es keine klaren Aussagen darüber, warum die weibliche Genitalverstümmelung entstand. Der Brauch der Beschneidung existiert wahrscheinlich schon seit dem Beginn der Menschheitsgeschichte. Man vermutet, dass vor Tausenden von Jahren der Glaube an verschiedene Götter stark verwurzelt war. Menschenopfer waren nichts Ungewöhnliches gewesen um die Götter zu besänftigen. Später mag man nur noch den fruchtbarsten Teil der Menschen geopfert haben, der für die Weitergabe des Lebens zuständig war: einen Teil der Geschlechtsorgane. So hat die Beschneidung vermutlich Menschenopfer abgelöst.
Eine andere Erklärung für die Genitalverstümmelung wäre, dass es im Leben eines jeden Menschen wichtige Abschnitte, wie die Geburt, das Kinderkriegen und das Sterben gibt. Neben der Geburt und dem Tod stellte der Übergang von der Kindheit in die Welt der Erwachsenen ein sehr wichtiges Ereignis dar. Der Eintritt ins Erwachsenenleben wurde dementsprechend mit grossen Feiern zelebriert, wie z.B. bei den Indianern Ostperus. So war die Beschneidung eine lebenslange Bestätigung, eine dauerhafte Erinnerung an den neuen Status als erwachsene Frau. Eine andere Deutung liesse sich im Zusammenhang mit Geschlechtskrankheiten geben. Wurden die Genitalorgane geschädigt, war das Leben direkt gefährdet. Dahinter konnte nur der Teufel stecken. Um dem Teufel möglichst wenig Ansatzpunkte zu geben, entfernte man überflüssiges Gewebe, zumal sich darunter Böses, also Krankheits-erregendes, hätte verbergen können. Im weiteren Verlauf der Menschheitsgeschichte wird man den ursprünglichen Sinn der Beschneidung vergessen und die Beschneidung nur noch als Zeichen einer bestimmten Religions- oder Volkszugehörigkeit gesehen haben. So ist nicht geklärt, wann diese Praktiken begannen, sich mit dem Jungfräulichkeitsideal der islamisch - arabischen Welt zu vermischen. Ab dem 5. Jh. v. Chr. tauchen Berichte griechischer Gelehrter auf, welche die weibliche Beschneidung erwähnen und sie als einen Brauch aus Äthiopien oder Ägypten deklarieren.
Verbreitung in Afrika
Der Ursprung der Beschneidung in Afrika liegt vermutlich in Ägypten und im Niltal. Stämme arabischer Händler verbreiteten diesen Brauch an den Küsten des roten Meeres weiter. Es gibt Vermutungen, dass in wasserarmen Gebieten eine Geburtenkontrolle notwendig wurde, da sich durch anhaltende Trockenheit, fruchtbare Gebiete immer mehr in Wüsten umwandelten. Viele wasserarme Gebiete hätten einen Bevölkerungswachstum nicht verkraftet. Die Bevölkerungsdichte musste demnach möglichst gering gehalten werden. Die Infibulation wurde ein geeignetes Mittel, die Geburtenrate niedrig zu halten, da die Frauen vor dem Geschlechtsverkehr geöffnet werden mussten und somit nicht ohne Kontrolle schwanger werden konnten.
Beschneidung im alten Ägypten, bei den Römern, im mittelalterlichen Europa und in den USA
Zu unterschiedlichen Zeiten und aus ganz unterschiedlichen Gründen wurde die Beschneidung in verschiedenen Teilen der Erde praktiziert. Die ältesten Funde, die einen Rückschluss auf die Beschneidung der weiblichen Genitalien zulassen, stammen aus Ägypten. Dort entdeckten Forscher Mumien , die auf eine Beschneidung hinweisen. Im alten Ägypten wurde die FGM durchgeführt, da man an die Doppelgeschlechtlichkeit der äußeren Genitalien glaubte. D.h. die Vorhaut des Penis entspricht dem weiblichen Teil im Mann, während die Klitoris den männlichen Teil der Frau darstellt. Um keine Mischung aus männlich und weiblich zu sein, wurde den Männern die Vorhaut und den Frauen die Klitoris entfernt. Die FGM wurde auch im römischen Imperium praktiziert. Allerdings war die Beschneidung nur für Sklavenmädchen reserviert. Durch die Infibulation sollte eine Schwangerschaft verhindert werden. Eine zugenähte Jungfrau erzielte auf dem Sklavenmarkt einen viel höheren Preis. So scheint die Beschneidung im alten Rom ein Zeichen für Versklavung und Unterwerfung gewesen zu sein. Zu Beginn des 19. Jh. war in Europa die Vorstellung verankert, die Masturbation sei eine Perversion. Diese sollte mit allen Mitteln verhindert werden. Zunächst griff man auf sanfte Behandlungsmethoden zurück: Überwachung, kalte Bäder und Trinken von Mineralwasser. Später trugen die Frauen Keuschheitsgürtel. In England entdeckte der Arzt Isaac Baker Brown Mitte des 19. Jh. die operative Behandlung: den Frauen wurde die Klitoris entfernt. Damit sollten Masturbation sowie Hysterie behandelt werden. Im Europa des 19. Jh. galt es als edel, beschnitten zu sein , denn diese Operation zeugte von Luxus, der sich nicht jeder leisten konnte. So wurden nur die Frauen des gehobenen Bürgertums ihres empfindlichen Organs beraubt. Browns Methode fiel später auch in Amerika auf fruchtbaren Boden. Bis 1880 wurden zusätzlich sogar die Eiderstöcke und auch die Gebärmutter entfernt. Laut Dokumentationen wurde in den USA bis 1937 die Sunna durchgeführt.
Aktuelle Entwicklungen
Der Familiensenat des Karlsruher BGH hat 2005 (unter dem Aktenzeichen AZ XII ZB 166/03) entschieden, dass der Plan einer Frau, ihre Tochter nach Gambia zu bringen – einem Land, in dem etwa 80–90% der Frauen der pharaonischen Beschneidung unterzogen werden – ausreicht, ihr das Sorgerecht für das Kind zu entziehen und es in eine Pflegefamilie zu geben.
Abschiebestopp bei drohender Genitalverstümmelung - Das hessische Verwaltungsgericht hat einen Asylanspruch festgestellt, wenn Genitalverstümmelung droht (April 2005).
Literatur
- Waris Dirie: Wüstenblume (Autobiographie). München: Schneekluth Verlag 1998. ISBN 3-7951-1626-0
- Waris Dirie: Schmerzenskinder. München: Marion Von Schroeder Verlag 2005. 256 S. ISBN 3-547-71067-7
- Terre des Femmes (Hg.): Schnitt in die Seele - Weibliche Genitalverstümmelung - eine fundamentale Menschenrechtsverletzung. Mabuse-Verl., Frankfurt am Main 2003. ISBN 3-935964-28-5
- Marion Hulverscheidt: Weibliche Genitalverstümmelung : Diskussion und Praxis in der Medizin während des 19. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum. Mabuse-Verl., Frankfurt am Main 2002. 189 S. (Mabuse-Verlag Wissenschaft 63; Zugl.: Göttingen, Univ., Dissertation 2000) ISBN 3-935964-00-5
- Eiman Okroi: Weibliche Genitalverstümmelung im Sudan = Female genital mutilation. 1. Aufl. Akademos-Wiss.-Verl., Hamburg 2001. 150 S. (Zugl.: Berlin, Humboldt-Univ., Dissertation 2001) ISBN 3-934410-29-4
Siehe auch
Weblinks
- www.intact-ev.de (I)NTACT Christa Müller gründete 1996 die Organisation, die in Afrika sehr erfolgreiche Schulungsprogramme fördert.
- www.target-human-rights.com Menschenrechtsorganisation, deren Hauptzweck der Kampf gegen die weibliche Genitalverstümmelung ist - 2000 von Rüdiger Nehberg gegründet
- www.flensburg-online.de/ Karawane der Hoffnung - Aktion von Rüdiger Nehberg im Januar 2005
- www.nocirc.org Gemeinnützige pädagogische Organisation, die sich für das Recht männlicher und weiblicher Kinder auf intakte Geschlechtsorgane einsetzt
- members.aol.com/ Offizielle Website von NOCIRC Deutschland
- www.icgi.org International Coalition for Genital Integrity Internationale Koalition für die genitale Unversehrtheit
- www.verein-tabu.de Verein Tabu (Wir brechen ein TABU) gegen weibliche Genitalverstümmelung unterstützt ein Projekt in Kenya
- www.schuelerpatenschaften-senegal.at Ekando Kumer Das Sudan-Projekt soll Eltern und Kinder aufklären und sozial ausgegrenzten Mädchen (unbeschnitten bedeutet nicht rein) helfen
- www.frauenrechte.de Terre des Femmes e.V. Menschenrechte für die Frau ist eine gemeinnützige Menschenrechtsorganisation für Frauen und Mädchen, die durch internationale Vernetzung, Öffentlichkeitsarbeit, Aktionen, Einzelfallhilfe und Förderung von einzelnen Projekten Frauen und Mädchen unterstützt.
- diestandard.at/ Geschätzte 8.000 genitalverstümmelte Frauen in Österreich (12/2004)