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Religionskritik

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Religionskritik bezeichnet die rationale Infragestellung von religiösen Glaubensaussagen, Konzepten und praktischen Erscheinungsformen. So wie es verschiedene Religionen und Religionsbegriffe gibt, so ist auch die Kritik historisch vielschichtig. Ihre Ansätze lassen sich grob einteilen in philosophische, naturwissenschaftliche, sozialwissenschaftliche und psychologische Kritik.

Philosophische Kritik

Griechische Philosophie

Die abendländische Geistesgeschichte hat seit der griechischen Ursprungsphilosophie das Konzept der "Vernunft" (griech. λογος) ins Zentrum ihrer Reflexion gerückt. Die "Warum"-Frage, aus dem Staunen über den Kosmos geboren, nach seinem Grund und Sinn suchend, ist der Beginn dieser philosophischen Haltung. Damit begann "das Sterben der Götter": In allen Varianten griechischen Geistes war eine Kritik an überkommener Religion, am Mythos der Götterwelt, am Schein oder am falschen Sein des allzu selbstverständlich Gegebenen, an der Unvernunft möglich, angelegt und großenteils auch ausformuliert. Wissen stand tendenziell von vornherein gegen Glauben.

Schon die vorsokratischen Naturphilosophen suchten den Urgrund aller Dinge (griech. αρχη) nicht jenseits der Welt, sondern in ihr. Thales von Milet (um 630-560 v. Chr.) fand ihn in einem einheitlichen Urstoff, für ihn das Wasser. Auch die Theogonie Homers und Hesiods sah "Okeanos" als Ursprung aller Götter: ein uralter Schöpfungsmythos, der auch hinter der biblischen Vorstellung von der "Urflut" (Gen. 1, 2) steht. Doch Thales transformierte diesen Gedanken von einer mythischen in eine wissenschaftliche Aussage mit Anspruch auf empirische Prüfbarkeit.

Sein Schüler Anaximander (um 610-547 v. Chr.) versucht aus dem damals zugänglichen Wissen erstmals ein konsistentes Weltmodell abzuleiten. Er kommt vom Gedanken der unendlichen Zeit (Werden und Vergehen) zum negativen Grenzbegriff des Grenzenlosen (griech. απειρον): Der Urgrund kann selber kein bekannter Stoff sein, da alle Stoffe zeitlicher Veränderung unterliegen. Er muss in Allem enthalten sein, ohne je wahrnehmbar und bestimmbar zu werden. Das schließt alle positiven Aussagemöglichkeiten über ihn aus.

Für Anaximenes (um 585 - 524 v. Chr.) dagegen muss die grenzenlose Ursubstanz bestimmbar sein, da sonst aus ihr keine konkreten Dinge entstehen könnten. Er findet sie in der "Luft", die alle Substanzen durchdringt und als ständige Bewegung ihre Qualitätsänderungen bewirkt.

Pythagoras (ca. 580 - 500 v. Chr.) führt die Veränderungen der Dinge nicht auf einen Urstoff, sondern auf mathematisch berechenbare Gesetzmäßigkeiten zurück. Diese sind dem Menschen erkennbar, weil seinem Geist das Zahlensystem innewohnt. Damit nahm er Platons Ideenlehre vorweg und begründete - ausgehend von den Proportionen der Obertonreihe - die Lehre der Sphärenharmonien. Er bekämpfte die Göttermythen Homers und lehrte eine unpersönliche Gottheit ohne menschliche Eigenschaften. Aber er glaubte unter ägyptischem Einfluss auch an die zyklische Wanderung der unsterblichen Seelen und übernahm Rituale aus dem Apolloskult und dem Orpheuskult. Die von ihm gegründete Ordensgemeinschaft hatte Züge einer religiösen Sekte (Esoterik).

Auch Xenophanes (570 - 475 v. Chr.) kritisiert den Anthropomorphismus der Homerischen Göttermythen und sieht darin Projektion ("jedes Volk stellt sich die Gottheit so vor, wie es selbst aussieht"). Er argumentiert ethisch gegen die Vielheit der Götter, die diesen unsittliches Verhalten zutraue, für die Reduktion des Göttlichen auf ein einheitsstiftendes Urprinzip. "Gott" muss ein einziges, umfassendes, alle Vorstellungen übersteigendes vollkommenes Verstandeswesen (griech. νους) sein: darin der Kugelform ähnlich.

Sein Schüler Parminedes (geb. um 540, Todesjahr unbekannt) stellt den Begriff des Seins (Οων) ins Zentrum seiner Reflexion und gibt der abendländischen Philosophie damit jahrhundertelang ihr Thema vor. Er geht (wie später Descartes, s.u.) vom Denken aus und schließt in einem klassischen Syllogismus das Nichtsein als undenkbar aus: Denken bedeutet Seiendes denken und ist nur als logisches Urteilen in Form des Aussagesatzes (Subjekt - Prädikat) möglich. Das "ist" im Urteilssatz beweist das Dasein des gedachten Gegenstandes. Das "Sein" ist nicht nur Objekt, sondern auch Mittel des Denkens, ja es denkt selber. Damit nimmt Parminedes den ontologischen Gottesbeweis schon vorweg.

Empedokles (um 483 - 423 v. Chr.) erkennt nur dem Stoff Sein zu, der bleibt. Werden ist Bewegung, die als Kraft auf quantitativ beständigen Stoff wirkt: Das begründete die mechanische Physik. Aber die Vielfalt des Werdens lässt sich unmöglich aus einem einzigen Urstoff erklären. So lehrt er die vier Elemente Feuer-Wasser-Erde-Luft, die sich ständig neu verbinden und trennen und so Werden und Vergehen erzeugen, ohne je das Gesetz der Stofferhaltung zu brechen: Das begründete die Chemie. Doch auch er hielt die Idee einer nichtstofflichen Geisterwelt fest und glaubte an die Seelenwanderung als Strafe des Schicksals für in diesem Leben begangene Verbrechen.

Bei Demokrit (460 - 390 v. Chr.) wird daraus eine konsistente materialistische Weltanschauung mit vier Grundaussagen:

  • Nichts existiert als Atome und leerer Raum.
  • Substanz besteht ewig und unveränderlich. Aus Nichts kann nichts entstehen.
  • Alles Werden ist mechanische Bewegung.
  • Nichts geschieht ohne Ursache: Das Kausalgesetz gilt universal.

Darauf baut er sein Weltbild auf, das etwa moderne Theorien der Planetenentstehung und den biologischen "survival of the fittest" (das Überleben der Stärksten) schon erstaunlich genau vordachte. Für Götter und Geister war nun kein Raum mehr: Auch die Seele ist feinstofflich und zerstreut sich nach dem Tod des Einzellebens.

Anaxagoras (um 500 - 428 v. Chr.) fragt nach dem wahren "ersten Bewegenden" des mechanischen Prozesses, das Demokrit offen ließ. Zugleich lehrt er andere, feste Elementarteilchen (spermata), aus denen auch Feuer und Luft sich zusammensetzen. Alles "entsteht" aus Allem, indem es sich neu mischt und scheidet; Eigenschaften sind nur Mischungsverhältnisse. Umso mehr fragt sich, was zur ständigen Neuordnung der Teilchen den Anstoß gibt: Es kann nicht in der Materie selbst liegen, sondern muss Geist (νους) sein, der alle Dinge sinnvoll und zweckmäßig ordnet. Er sah diese einfache, mächtige und wissende Essenz aber nicht als Gottheit, sondern als feinsten aller Stoffe, der so von allen übrigen Substanzen geschieden ist und sie doch alle umgibt, durchflutet und umherwirbelt. Nur der Mensch hat Anteil an diesem Wesen; darum kann er es erkennen und die Welt der Dinge, Pflanzen und Tiere beherrschen. - Anaxagoras wurde als "Atheist" angeklagt und verließ Athen deshalb.

Aristoteles kritisiert mit seiner metaphysischen Fragestellung nach der prima causa (ersten Ursache) sowohl die gewöhnliche Naturreligion, die an eine Vielzahl menschenähnlicher Götter glaubt, als auch das mechanistische und atomistische Weltbild, das der Vielfalt der Erscheinungen nicht gerecht werde. Sein Begriff des notwendigen, aber transzendenten "unbewegten Bewegers" als Weltgrund kritisiert alle Ursprungsideen, die das Göttliche als Teil der Welt denken.

Die Stoa wiederum kritisiert mit ihrer aus Naturbeobachtung gewonnenen Idee der "providentia dei" (Vorsehung) eben jene Gottesvorstellungen, die einen Weltgrund von der Welt getrennt denken, als rationale Erfindung.

Die Skepsis kritisiert die metaphysische Kosmologie wie die empirische Teleologie (Zielgerichtetheit) als menschliche Konstrukte, die an der widersprüchlichen Naturerfahrung zerbrechen. Sie bestreitet die Möglichkeit eines metaphysischen Rückschlussverfahrens zum Erweis eines Weltgrundes oder der Sinnhaftigkeit der Welt.

Die Zielrichtung skeptischer Kritik ist also divergent: Sie kann den Gottesbegriff (als Reflexion auf den Weltgrund) ebenso bestreiten wie die Gotteserfahrung (als Reflexion auf das eigene Welterleben). Sie zielt in jedem Fall auf die Behauptung einer Notwendigkeit eines - wie auch immer gearteten - Gottes für die Welt und den Menschen. Dabei ist der Ansatz dieser Kritik seinerseits empirisch:

  • Ohne direkte Hinweise auf die Existenz überirdischer Wesen gibt es keine Notwendigkeit, ihre Existenz anzunehmen. Dies betrifft alle Religionen, die an Götter glauben, besonders aber personale Gottesvorstellungen.
  • Ohne direkte Hinweise auf die Existenz übernatürlicher Wirkungen gibt es keine Notwendigkeit, ihre Existenz anzunehmen. Dieser Kritikpunkt zielt auf religiöse Konzepte wie eine 'Weltkraft' oder einen 'Weltgeist', also auf der Natur und Geschichte inhärente Gottesvorstellungen.

Im Ergebnis kommt diese philosophische Kritik jedoch nicht über die allgemeine Skepsis an allen positiven Glaubensaussagen hinaus: Religion als Begegnung des Menschen mit einer existierenden oder gedachten Transzendenz ist philosophisch weder zu beweisen, noch zu widerlegen.

Epikur gibt dann erstmals eine rationale Erklärung für das Entstehen der Religion, die den Projektionsverdacht Feuerbachs (s.u.) schon vorwegnimmt: Ihre Lehren seien nur ein Abbild menschlicher Ideen, die keine äußeren Einwirkungen zu ihrer Erklärung benötigen. Die Götter der griechischen Mythologie erwiesen sich duch ihre anthropomorphen (menschenähnlichen) Züge als Wunschgebilde. Diese Kritik trifft auch das personal gedachte Gottesbild der Bibel, das den Schöpfergott mit menschlichen Eigenschaften ausstattet und vom "eifersüchtigen", "zornigen", "reuigen" und "liebenden" Gott spricht.

Philosophie der Aufklärung

Mit Rene Descartes gewinnt die Antithese zwischen Philosophie und Theologie in der frühen Neuzeit an Schärfe: Erstmals begründet das denkende Subjekt Selbstbewusstsein autonom. Von der intuitiven Erfahrung des "cogito, ergo sum" (ich denke, also bin ich) aus gewinnt der Begriff Gottes nur noch sekundär stützende Funktion. Damit ist die Vorherrschaft der Scholastik mit ihrer Synthese von natürlicher Theologie und Offenbarung gebrochen.

Immanuel Kant führt die "Kritik der reinen Vernunft" durch: Alle metaphysischen Gottesbeweise überschreiten unzulässig die kategorialen Grenzen menschlicher Vernunft. Er beweist insbesondere die Unmöglichkeit des ontologischen Rückschlusses von der Essenz zur Existenz Gottes (Anselm von Canterbury), auf den er die übrigen Gottesbeweise zurückführt.

Gotthold Ephraim Lessing betrachtet Religion in Gestalt von Judentum, Christentum und Islam einerseits als historischen Ursprung, andererseits als zu überwindende Vorstufe einer selbsttätigen Vernunftreligion. Er fordert einerseits Toleranz und gegenseitige Achtung von den Weltreligonen (Nathan der Weise), andererseits Aufklärung des in Religionssytemen gefesselten Kinderglaubens zu Gunsten eines zukünftigen sittlichen Humanismus ("Erziehung des Menschengeschlechts").

Romantik, Idealismus und Humanismus

In der deutschen Romantik versuchte Schleiermacher, das religiöse "Gefühl der schlechthinigen Abhängigkeit" den Gebildeten wieder nahezubringen. Er sah das subjektive, nicht begrifflich fassbare Erleben der Unendlichkeit als rein rezeptive, passive Form des Selbstbewusstseins, die sich jedem aktiven kritischen Zugriff der Ratio entzieht. Damit kam er in gewisser Weise der mittelalterlichen Mystik nahe.

Im deutschen Idealismus versuchte Hegel, das begrenzte subjektive Selbstbewusstsein - den religiösen Glauben - als Teilmoment der Selbstentfaltung des zu sich kommenden Weltgeistes dialektisch "aufzuheben". Damit machte er gegen die Romantiker die Arbeit des Begreifens, den Anspruch der Wahrheit auf das Ganze - die Totalität der erfahrbaren Dinge inklusive der menschlichen Geschichte - wieder geltend.

Ludwig Feuerbach, Schüler Hegels, wendete den zu-sich-selbst-kommenden Begriff kritisch gegen die Religion und "entlarvte" sie als Projektion: "Gott" ist nur der an den Himmel projizierte Selbstausdruck des endlichen Selbstbewusstseins, das sich Unendlichkeit ersehnt. Er entfaltete diese Kritik vor allem auch an Zentralgedanken der Theologie Martin Luthers: Die Inkarnation - "Gott wird endlicher Mensch" - ist eigentlich "nicht anderes als" der verkehrte Wunsch des Menschen, unendlich und unsterblich - wie Gott - zu werden. Indem er dies erkennt, kann die in der Religion fehlgeleitete Vernunft zur Humanisierung freigesetzt werden: In der zwischenmenschlichen Liebe findet der Mensch seine wahre Erfüllung. Damit lehnte Feuerbach das religiöse Element des menschlichen Selbstbewusstseins nicht per se ab, wollte es aber "übersetzen" und einsetzen für die Gestaltung eines humanen Zusammenlebens.

Philosophische Religionskritik der Gegenwart

Die Philosophie zeigt von jeher ein kritisches Interesse an Religion, weil deren Glaubensaussagen auf metaphysische Fragen bezogen sind, die die Philosophie selbst stellt. Die kirchliche, vor allem die katholische Theologie hat diese Fragen oft wiederum als Vorstufe oder Hinführung zur Offenbarung interpretiert und als Natürliche Theologie integriert (Thomas von Aquin).

Seit Kant ist die moderne Philosophie jedoch von deutlicher Distanz zu jeder Art von Metaphysik geprägt und sieht religiöse Deutungsmuster der Wirklichkeit unter dem Vorzeichen des Irrealen und Irrationalen. Der neuzeitliche Atheismus ist methodisch für die Naturwissenschaft verbindlich. Er tritt nun aber auch geisteswissenschaftlich als konsistent ausformulierte Position auf, die real existierende Religion nicht nur aufzuklären und zu humanisieren, sondern als Ganzes zu überwinden strebt.

Andere Denkströmungen, wie Karl Jaspers (Existentialismus), Ernst Bloch (Neo-Marxismus) oder Jürgen Habermas (sozialkritischer Kantianismus) sehen den Empirismus in teilweise derselben Beweisnot wie die Religion: So sei auch der entschiedene A-Theismus einem negativen Gottesbild verhaftet, für das es in der Realität kaum Anhaltspunkte gebe. Der Nicht-Glaube an Gott sei letztlich auch nur eine (negative) Glaubensüberzeugung.

Eine weit verbreitete Haltung ist daher heute der Agnostizismus, der die Existenz eines "Gottes" als weder beweisbar noch widerlegbar ansieht. Er bestätigt die philosophische Auffassung Kants, dass metaphysische Fragen, die auf eine transzendente Realität zielen, sinnlose Fragen sind, da die Antworten jenseits des menschlichen Erkenntnisvermögens liegen. Ein Beipsiel hierfür ist Emil Heinrich du Bois-Reymonds "Ignoramus et ignorabimus" (lat. "Wir wissen es nicht und wir werden es niemals wissen").

Ebenso verbreitet ist ein postmoderner Relativismus, der jedem Menschen seine individuelle Form von Religiosität zugesteht und auf die Wahrheitsfrage weitgehend verzichtet. Diesem entspricht - ähnlich wie im Hellenismus um die Zeitenwende - ein neues Aufleben religiöser Strömungen, die sich nicht mehr von den großen Weltreligionen, Kirchen und Glaubensrichtungen her definieren, sondern Elemente daraus auswählen (Eklektizismus) und mit paganen Motiven zu einem Synkretismus und Pluralismus auch im Blick auf die Gottheit verbinden. Dies findet man heute vor allem in der Esoterik, aber auch in eher nichtreligiösen Richtungen. Ihnen ist die Abgrenzung von den traditionell monotheistischen Religionen gemeinsam, die mit dem Glauben an einen einzigen universalen Gott oft einen Absolutheitsanspruch ihrer Lehre verbinden. In der Philosophie stimmte etwa Odo Marquard ein "Lob des Polytheismus" an (in: "Abschied vom Prinzipiellen", 1981).

Naturwissenschaftliche Kritik

Die Lehren vieler Religionen enthalten mehr oder weniger konsistente Grundannahmen über die Natur als Ganzes, über die Entstehung, aber auch die Zukunft ("Erlösung") der Welt und des Menschen. Wurde mit diesen ein Anspruch auf allgemeingültige deskriptive Wahrheit verbunden, dann gerieten die Religionen auf der Ebene von Tatsachenprüfung unvermeidbar in die rationale Kritik der Naturwissenschaft.

Kopernikanische Wende im Mittelalter

Mit Kopernikus, Johannes Kepler und Galileo Galilei zerbrach das kirchliche Wahrheitsmonopol, das sich in der Scholastik dem phytagoreischen und thomistischen geozentrischen Weltbild verschrieben hatte. ...

Die Emanzipation der experimentellen Naturwissenschaft ließ sich trotz theologischer Bevormundung nicht mehr aufhalten.

Herausforderung durch Charles Darwin und Albert Einstein

... Im Ergebnis der rasanten wissenschaftlichen Entwicklung stehen praktisch alle mythologischen, metaphysischen und theologischen Paradigmen in Frage. Ihnen widersprechen offenkundig die aktuellen Theorien und Erkenntnisse der Naturwissenschaften:

  • Das Konzept einer Schöpfungsgeschichte (jüdisch-christlich-islamische Tradition) lässt sich nicht mit der Theorie vom Urknall in Einklang bringen.
  • Das Konzept einer "ewigen Wiedergeburt" (Hinduismus, Buddhismus) findet keine Bestätigung in der historischen Genese des Lebens und der Evolution der Arten.
  • Intelligentes Bewusstsein wird in manchen Religionen als Qualitätssprung angesehen, der nicht evolutionär denkbar sei, sondern auf einen Schöpfer oder eine Weltvernunft (z.B. das Brahman) hinweise. Dagegen zeigt die Evolutionstheorie mit dem Konzept der Emergenz wie sich eine graduelle Entwicklung des menschlichen Großhirns vollzieht.
  • "Wunder" als kontingente Ereignisse ohne physikalische Erklärung setzen voraus, dass ein "höheres Wesen" die Naturgesetze beliebig ein- und ausgeschalten könnte. Für ein solches unerklärbares Aussetzen des Ursache-Wirkungs-Prinzips gibt es aber keine empirischen Hinweise ("es geht alles mit rechten Dingen zu!").
  • Transzendente Zukunftserwartungen wie das jüdisch-christlich-islamische Konzept der "Auferstehung" widersprechen ebenfalls dem gesetzmäßigen Energieausgleich gemäß dem 2. Hauptsatz der Thermodynamik und der berechenbaren Endlichkeit des Universums gemäß der allgemeinen Relativitätstheorie, die durch astronomische Beobachtung gestützt wird.

Sozialwissenschaftliche Kritik

Stand im 18. Jahrhundert die kirchliche Vormacht auf Welterklärung im Feuer der aufgeklärten Kritik, so rückte im 19. Jahrhundert die soziale Funktion der (vor allem christlichen) Religion in den Vordergrund des kritischen Interesses. Sie wird nun immer stärker als Sammlung von Methoden der Selbstberuhigung, Fremdkontrolle und Herrschaftssicherung angesehen. Vorausgegangen waren große Umbrüche im theoretischen Selbstverständnis von Religion, sowohl in der Theologie wie der Philosophie.

Karl Marx übernimmt Feuerbachs Religionskritik und sieht sie als notwendige Vorstufe der Gesellschaftskritik. In deren Verlauf kritisiert er zugleich Feuerbachs rein individualistischen, selbst noch dem Idealismus verhafteten Ansatz und stellt ihm seine berühmten "11 Thesen zu Feuerbach" entgegen, die in der Aussage gipfeln:

"Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an sie zu verändern."

Mit diesem Impetus begreift Marx in seinen Frühschriften Religion als :"...Protestation gegen das Elend...Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volkes."

Damit hat Marx bereits klar die Ambivalenz religiösen Bewusstseins ausgesprochen: Es ist für ihn - wie für Feuerbach - Ausdruck eines grundlegenden Mangels im sozialen Miteinander. Es kann sich daher sowohl als Protest gegen das Elend wie als Flucht aus dem Elend in einen illusionären Rausch, also als Selbsttäuschung und Beruhigung über das Elend äußern. In beidem verbirgt sich jedoch eine fundamentale Unfähigkeit, dessen wahre Ursachen zu entdecken und ihnen praktisch abzuhelfen. Darum geht Marx nun immer stärker von der Religionskritik zur Kritik der politischen Ökonomie, also zur Analyse der auf gesetzmäßiger Ausbeutung gegründeten Klassengesellschaft über. Er kritisiert jene Religionskritiker, die diesen Sprung nicht mitvollziehen und sich an der äußeren Erscheinung der Religion abarbeiten. Mit der Überwindung des Kapitalismus, so erwartet er, wird auch die Religion ihre scheinhafte Notwendigkeit verlieren und - wie der Staat, dessen soziales Ferment sie ja ist - in der klassenlosen Gesellschaft "absterben".

Max Weber antwortete auf Marx mit einem eher geisteswissenschaftlichen und historischen Ansatz: Er sieht Religion in Gestalt des europäischen Protestantismus als Wegbereiter der modernen kapitalistischen Industriegesellschaft. Die "Lohnethik" Johannes Calvins habe zu einer asketischen Verzichtshaltung und zum Aufschub unmittelbarer Bedürfnisbefriedigung beigetragen. Dies habe die Einführung von industriellen Fertigungsmethoden, Produktion von Überschüssen, Realisierung von Mehrwert in neuen Fabriken ermöglicht. Anders als Marx sieht er darin nicht nur ein negatives Element von Klassenherrschaft, sondern auch ein Element des Fortschritts und größerer geistiger Freiheit.

Psychologische Religionskritik

Freud ist davon überzeugt, dass ein religiöses Bewusstsein eine Selbstentzweiung ist und eine Neurose. Der Mensch sieht Gott als Vaterfigur, da der Mensch einen Vater braucht, der Verantwortung übernimmt. Gottesglaube sei hiernach der Wunsch nach Erklärung und Sicherheit, also reiner Irrglaube und letztlich ein psychologisches Problem. Freud setzte sich jedoch nie mit der Existenz Gottes auseinander.

Nietzsche, aus einem evangelischen Pastorenhaus stammend, lernte das Christentum in seiner idealistischen, von Luther, Kant und Schleiermacher geformten Gestalt kennen. Er lehnte es zunehmend als Irrlehre und Dummheit ab. Er kritisierte nicht nur das Gottesbild, sondern vor allem auch das Menschenbild vieler Religionen als klischeehaft, da es Menschen entweder prinzipiell als "gut", "perfekt" bzw. "heilig" ansehe oder aber als "schlecht" bzw. "sündig". Dagegen stellte er psychologische Beobachtung, die den großen Einfluss von Abstammung und Erziehung auf die Entwicklung moralischer Begriffe zeigen.

Nietzsche kritisierte nicht das Wesen der Religion an sich: Von Arthur Schopenhauer übernahm er eine gewisse Verehrung des Buddhismus. Auch wird er als des "christlichen Evangeliums unglücklich Liebender" bezeichnet, denn er terminiert das moderne Christ-Sein und dessen Riten mit der im Evangelium festgeschriebenen Voraussetzung, dem Urbewusstsein der christlichen Religion.

In seiner Spätzeit wurde Nietzsche zu einem regelrechten Hasser des Christentums: Er sah in der Anbetung eines Gekreuzigten eine barbarische Schwächung aller edlen Eigenschaften des Menschen, so dass er sich die Befreiung zum wahren Menschsein nur als totales Abstreifen des abendländischen Christentums vorstellen konnte. In seiner Theorie vom "Übermenschen" gelangt er zu einer Verherrlichung des Dionysoskults. In seiner Idee der "ewigen Wiederkehr aller Dinge" übernimmt er eine aus Indien stammende Reinkarnationslehre, die bei ihm ganz auf die Steigerung des Lebensgefühls und der Lebensmacht ausgerichtet ist.

Neue Fortschritte in kognitiver Psychologie und Neuropsychologie legen nahe, dass Religion ihren Ausgangspunkt in der Funktionsweise des Gehirns selbst hat. Pascal Boyers Buch Religion Explained versucht, Religion daraus zu erklären. Er kommt damit zu einer wissenschaftlichen Begründung der Position Schleiermachers (s.o.), der Religion als eine allgemein menschliche Anlage und Wahrnehmungsfähigkeit sah und darauf seine subjektivistische Theologie aufbaute. Darum wird dieser Ansatz auch mit dem Begriff Neurotheologie bezeichnet. Fraglich bleibt jedoch, wie sich allgemeine Religiosität zu ausformulierten Glaubenssätzen (Dogmen, Lehren) verhält, die weiterhin der Kritik unterliegen.



Zitate

"It seems to me that with or without religion good people will behave well and bad people will do evil things. But for good people to do evil things, that takes religion." (Dr. Steven Weinberg, Physiknobelpreisträger)

Literatur

  • Joachim Wehler, "Grundriss eines rationalen Weltbildes" (Reclam Verlag UB 8680).
  • M.S.Salomon, "Stollbergs Inferno" (Roman, Alibri Verlag, Aschaffenburg 2003)
  • Ludwig Feuerbach, "Das Wesen der Religion" (Verlag Lambert Schneider, Heidelberg)
  • derselbe, "Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde"
  • derselbe, "Das Wesen des Christentums", Reclam UB 4571, Stuttgart 2002, ISBN 3150045711


Siehe auch