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Flammarions Holzstich

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Flammarions Holzstich, Paris 1888
Universum – koloriert von Hugo Heikenwaelder, Wien 1998; die Vorlage für die farbige Gestaltung weist den sachlich unsinnigen lateinischen Zusatz „Urbi - Orbi“ auf.

Flammarions Holzstich ist eine oft reproduzierte Darstellung eines Menschen, der am Rande der Welt den Kopf durch die Himmelsphäre steckt und die Mechanik des Universums erblickt.

Gemäß dem mittelalterlichen Weltbild lag hinter der Himmelskuppel, außerhalb des Fixsternhimmel, noch ein Kristallhimmel (das primum mobile) und darüber der Feuerhimmel (das empyreum). Im Feuerhimmel enthalten sind Ätherwellen und Ätherkugeln sowie zwei in sich selbst bewegte Räder. Diese sind ein altes, gebräuchliches Gottessymbol für den „unbewegten Beweger“ oder „primum movens“, was als Vorstellung noch auf Aristoteles zurückgeht.[1]

Geschichte

Die Darstellung wurde erstmals 1888 im Buch von Camille Flammarion über „die Atmosphäre“ verwandt.[2]

Der Untertext zum Bild lautete:

Un missionnaire du moyen age raconte qu'il avait trouvé le point où le ciel et la terre se touchent...
Ein Missionar des Mittelalters erzählt, dass er den Punkt gefunden hat, wo sich Himmel und Erde berühren.

Es ging dem Autor in dem zu der Abbildung gehörigen Textabschnitt darum, eine mittelalterliche Vorstellung des Himmelsgewölbes zu karikieren, nach der man durch Ersteigen von Bergen an den Rand der Atmosphäre gelangen könne. Er verweist demgegenüber auf eigene Versuche, wobei auch mit Ballonflügen die Atmosphärengrenze nicht erreichbar war. Es wird angenommen, dass Flammarion die unsignierte Darstellung als Holzstich von einem unbekannten Graphiker anfertigen ließ.[3]

Wirkungsgeschichte

Die Abbildung wurde in der Folge irrtümlich als mittelalterlicher Holzschnitt angesehen, der das Weltbild am Ende des Mittelalters darstellt.

Im 19. Jahrhundert wurde die Vorstellung von einem „dunklen Mittelalter“ herausgebildet, wonach die Bildung der Antike unter den Verwüstungen der Völkerwanderung sowie der dogmatischen Zensur der christlichen Kirche verschwunden sein soll.

So soll auch die antike Erkenntnis über die Kugelgestalt der Erde einem Bild der flachen Erde als Scheibe gewichen sein.

Diese Vorstellung von einer mittelalterlichen Flacherdelehre ist aber nicht historisch. Sie ist vielmehr erst nach dem Mittelalter entstanden. Dahinter stand das Bedürfnis der Neuzeit, sich polemisch von der vorhergehenden Zeit abzugrenzen. (Siehe dazu Flache Erde)

Literatur

  • Bruno Weber: Ubi caelum terrae se coniungit. Ein altertümlicher Aufriß des Weltgebäudes. In: Gutenberg-Jahrbuch 1973, S. 381–408.
  • Hans Gerhard Singer: „Wanderer am Weltenrand“ – ein Raumforscher um 1530? Überlegungen zu einer peregrinatio inventiva. In: Jan A. Aertsen, Andreas Speer (Hrsg.): Raum und Raumvorstellungen im Mittelalter. De Gruyter, Berlin u. a. 1998, ISBN 3-11-015716-0, S. 793–827.

Anmerkungen

  1. Rudolf Simek, Erde und Kosmos im Mittelalter, Augsburg 2000.
  2. Camille Flammarion: L’atmosphère: météorologie populaire. Paris 1888, S. 163.
  3. Magruder, Kerry a.a.O.