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Dispensationalismus

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Dispensationalismus oder Heilszeitentheologie ist eine Bibelauslegung, die die Heilsgeschichte in verschiedene Zeitalter aufteilt.

Sie geht dabei von der Wortverwendung "Verwaltung der Gnade" (Eph. 1:1-11) aus. Eine Verwaltung (griech. oikonomia = "Hausgesetz", v. lat. dispensatio, engl. dispensation) wird demnach als eine Zeitspanne in Gottes Heilsplan definiert, in der eine bestimmte charakteristische geistliche Zielsetzung erkannt werden kann, die sie von anderen unterscheidet. Sie läßt den Menschen dieser Zeit gewisse Gaben, Segnungen und Güter zukommen, die es zu anderen Zeiten so nicht gegeben hat oder geben wird, gleichwohl die Grenzen nicht scharf gezogen werden können. Eine oder mehrere Dispensationen bilden zusammen einen Äon.

Nach dispensationalistischer Überzeugung gibt Gott auch dem jeweiligen Zeitabschnitt seines Heilsplans entsprechend unterschiedliche Anweisungen, weswegen manche Anhänger des Dispensationalismus jeden Christen, der sich nicht an die Opferregeln und Speisegesetze des AT hält, in diesem Sinn als Dispensationalisten betrachten.

Ansätze in der Alten Kirche

Während der Prämillenarismus in den ersten Jahrhunderten im Christentum sehr verbreitet war, erkennen nur Anhänger des Dispensationalismus bereits in der Alten Kirche Änsätze einer dispensationalistischen Einteilung. Oft berufen sie sich auf bestimmte Kirchenväter, die -- ob zu recht oder zu unrecht, ist heute umstritten -- ein Zurückgehen der besonderen Gaben des Heiligen Geistes in der Kirche feststellten und daraus schlossen, dass nun ein neues Zeitalter der Heilsgeschichte angebrochen sei: das Christentum habe sich nun in der ganzen (damals bekannten) Welt verbreitet, in dieser missionarischen ersten Zeit seien besondere Charismen nötig gewesen, um die Menschen zu überzeugen, in der jetzt anbrechenden Zeit sei dies nicht mehr nötig.

Augustin von Hippo führte in seinem Werk "Vom Gottesstaat" (413-427) einen Plan von sieben Weltzeitaltern auf (1. Adam-Noah, 2.Noah-Abraham, 3. Abraham-David, 4. David-Exil, 5. Exil - Inkarnation, 6. Inkarnation - Parusie, 7. Millennium).

Im Unterschied zum Dispensionalismus ist beim historischen Prämillenarismus keine besondere Rolle von Israel vorgesehen.


Verbreitung heute

Das erste modernere System des Dispensationalismus entstand um 1820 in der kleinen Gemeinde der Plymouth Brethren in England und Irland und wurde von John Nelson Darby (Mitbegründer der Brüdergemeinde und Mitautor der Elberfelder Bibelübersetzung) insbesondere in den USA verbreitet. In Deutschland bekannt ist auch die Version, die in der Scofield-Bibel beschrieben ist. A.E. Knoch (1874-1965) hat diesen Plan in Prinzip beibehalten, aber um 5 Haushaltungen erweitert, bzw. verfeinert.

Der Dispensationalismus ist aufgrund seiner Entstehungsgeschichte insbesondere im christlichen Fundamentalismus in den Vereinigten Staaten verbreitet und hat dort auch den protestantischen Mainstream stark beeinflusst. Er findet auch bei einem Teil der evangelikalen Christen in Europa Anhänger, hierzulande hat er allerdings bisher kaum Einfluss auf die größeren Kirchen gehabt.

Auch andere religiöse Gemeinschaften wie z.B. die Siebenten-Tags-Adventisten und die Pietisten haben Stufenmodelle der menschlichen Erlösungsgeschichte entwickelt.

Dispensationalistische Lehren

Dispensationalismus ist stark verknüpft mit dem Prämillenarismus und gekennzeichnet durch eine wörtliche Interpretation der biblischen Vorhersagen, bei der strikt zwischen den Nationen, dem von Gott erwählten Israel und der herausgerufenen Gemeinde getrennt wird. (Die Gemeinde unterscheidet sich von der Zusammensetzung her als einziger geistlich reiner Personenkreis von den anderen Gruppen (innerhalb und außerhalb Israels), weil sie ausschließlich aus erretteten Angehörigen des Volkes Israel und der Nationen besteht.)

Klassische Dispensationalisten wie Darby gehen davon aus, dass Gott in der Zukunft unterschiedliche Pläne für die Auswahl aus dem Volk Israel und die herausgerufene Gemeinde hat. Nachdem das auserwählte Volk Israel Jesus Christus nicht als Messias angenommen hatte, gründete Gott eine andere Heilskörperschaft: Die christliche Gemeinde mit dem Apostel Paulus als Lehrer. Progressive Dispensationalisten sehen diese Trennung nicht mehr so absolut sondern nähern sich dem historischen Prämilleniarismus an, der sich weniger mit dem nationalen Israel sondern mit der Gemeinde als geistlichem Israel befasst.

Wie alle futuristischen Prämillenaristen erwarten die Dispensationalisten die Herrschaft des Antichristen und die Entrückung der Gemeinde in den Himmel (1.Thess 4,13-18; 1.Kor 15,51-52).

Über die Abwicklung des Endzeitgeschehens im Einzelnen gibt es auch unter Dispensationalisten unterschiedliche Theorien: Die Mehrheit vertritt, dass die Herrschaft des Antichristen die Gemeinde nicht treffen kann, sondern nur die nicht erretteten Angehörigen des Volkes Israel und der Nationen (griechisch ethnos; Dispensationalisten lehnen die häufig gebrauchte Übersetzung "Heiden" ab) (Prätribulationismus). Die Christen werden bereits vor der Ankunft des Antichristen in den Himmel entrückt durch eine erste unsichtbare Wiederkunft Christi für die Heiligen (Röm 5,9; 1.Thess 1,10.5,9). Diese Anhänger des Dispensationalismus rechnen jederzeit und ohne Vorwarnungen mit ihrer Entrückung. Andere Richtungen sehen die Entrückung der Christen erst in der Mitte (Mediotribulationismus) oder am Ende (Posttribulationismus) der Herrschaft des Antichristen.

Die zweite, sichtbare Wiederkunft beendet die Herrschaft des Antichristen. Darauf erfolgt das Millennium, wo Christus zusammen mit seiner Gemeinde die Herrschaft auf der Erde ausüben wird. Anschließend wird Satan noch einmal losgebunden, es folgt eine letzte große Schlacht und das Weltgericht.

Dispensationen nach Darby und Scofield

1. Unschuld - von der Erschaffung des Menschen bis zum Sündenfall,
2. Gewissen oder moralische Verantwortung - vom Sündenfall bis zur Sintflut
3. Menschliche Regierung - von der Sintflut bis zur Berufung Abrahams,
4. Versprechen - von der Berufung Abrahams bis zum Exodus
5. Gesetz - vom Sinai bis zu Jesus Christus
6. Gnade - von Pfingsten bis zur Entrückung
7. Königreich - von der Entrückung bis zur Ewigkeit.

Dispensationen nach Knoch

1. Unschuld (im Garten Eden),
2. Gewissen (bis zur Flut),
3. Regierung,
4. Verheißung (an Israel),
5. Gesetz (Israel gegeben),
6. Fleischwerdung (Jesu),
7. Pfingsten (Kräfte des Millenniums werden kurz sichtbar),
8. Übergang (in das Evangelium des Paulus),
9. Geheimnis (Gnade, die heutige Haushaltung),
10. Gericht (Tag des Zorns),
11. Königreich (Millennium) und
12. Vervollständiung (Neuer Himmel, neue Erde)

Die Dispensationen 1+2, 3-10, 11 und 12 werden bei Knoch zu Äonen zusammengefasst.

Dispensationalismus in der Praxis

Die einfachste Form des Dispensationalismus ist in der Praxis die einfache Unterscheidung von

a) Israel (=der Alte Bund) und der Gemeinde (=der Neue Bund) b) Apostelzeit und Endzeit

Wenn der Leser dies genau beachtet und ausserdem genau darauf achtet, wer angeredet ist, z.B. "seine Jünger" bzw. "Juden", entsteht automatisch eine Form des gemilderten Dispensationalismus.

Kritik

  • Kritker meinen, dass die Grenzen zwischen den Dispensationen recht willkürlich gezogen wurden. Unbestritten gibt es wörtlich eine "Dispensation (oikonomia) der Gnade" (Eph. 1:1-11), jedoch werden die anderen Bezeichnungen in der Bibel direkt nicht genannt. "Menschliche Regierung" beispielsweise, wie der Titel der dritten Dispensation lautet, gab es vorher und nachher ebenfalls. Sicher sei nur noch das Millennium.
  • Manche Kritiker beurteilen die Weltsicht des Dispensationalismus als negativ, weil rein menschliche Friedensbestrebungen zur falschen Zeit zur Erfolglosigkeit verurteilt sind oder sogar als Förderung der Regierung des Antichristen angesehen werden könnten. Zukünftige Kriege und Hungersnöte seien im Dispensationalismus unvermeidlich, da sie zu Gottes Plan gehören.
  • Kritiker weisen auch darauf hin, dass der Dispensationalismus erst entstand, als christliche fundamentalistische Bewegungen aufgrund ihrer Ablehnung der kirchlichen Tradition zur Lehre der Irrtumslosigkeit der Bibel kamen und von daher die bei wörtlicher Auslegung widersprüchlichen Theologien des Alten und Neuen Testaments erklären mussten.
  • Eine weitere These von Kritikern interpretiert den Dispensationalismus als Verlegenheitslösung der Kirchenväter, die zudem den Unterschied zwischen "gewöhnlichen" und "besonderen" Gaben des Heiligen Geistes überbetone. Die These sei "Ausfluss eines Schubladendenkens, das letztlich auf das unverkraftete Erbe des Schismas zwischen Juden und Griechen zurückgeht." (Martien Parmentier, a.a.O., S. 149)

Politischer Einfluss

Einige Politwissenschaftler vertreten die Ansicht, dass der Dispensationalismus einen wesentlichen Einfluss auf die Außenpolitik der Vereinigten Staten habe, da es in der Republikanischen Partei einflussreiche Anhänger des Dispensationalismus gibt. Dieser Einfluss bewirke die starke Unterstützung des Staates Israel und die Ablehnung eines eigenständigen palästinensischen Staates ebenso wie das allgemeine Misstrauen gegen multinationale Organisationen wie die Uno. Einige Autoren, die den Dispensationalismus vertreten, gingen so weit, den Antichristen ausdrücklich mit der Sowjetunion oder der EU zu identifizieren.

Dispensationalismus in der Belletristik

In den vereinigten Staaten gibt es zahlreiche Romane, die die Endzeit aus aus dispensationalistischer Sicht beschreiben. Beispielsweise wurde die Romanserie Finale (Englisch Left Behind) von Tim LaHaye und Jerry Jenkins in den Vereinigten Staaten zum Bestseller. Einige Analysen sehen es als problematisch, dass diese Serie dort von zahlreichen Lesern für Realität gehalten wird, was ihre Sicht der Welt und gegenwärtigen politischen Lage beeinflusst.

Literatur

  • Martien Parmentier: Die Unhaltbarkeit des Dispensationalismus, in: Internationale Kirchliche Zeitschrift 86 (3) 1996, S. 147-160
  • Karl Fr. Hering: Die biblische Schau - Gottes Plan für dieses Zeitalter und die Stellung und Aufgabe der Gemeinde darin im Unterschied von Israel und den Völkern, Verlag R. Brockhaus, Wuppertal-Elberfeld, 1947
  • Wilhelm Prolingheuer: Israel - Ein Heiliger Überrest - und wir, Konkordanter Verlag Pforzheim, 1992
  • Heinz Schumacher: Der Plan der Zeitalter (Äonen) Gottes, Paulus Verlag Karl Geyer, Heilbronn, 1984
  • A.E. Knoch: Der Kalender Gottes, Konkordanter Verlag Pforzheim
  • C.I. Scofield: Scofield Bibel -Rev. Elberfelder Bibel, Brockhaus, Haan, 2001, ISBN 3417258227
  • Arnold Fruchtenbaum: Handbuch biblischer Prophetie, Gerth Medien, Asslar, 1995, ISBN 3894372664
  • Eade, Giesler, Müller: Bibelpanorama : Die sieben Zeitalter des Heilswegs in zwölf farbigen Darstellungen, Christliche Verlagsgesellschaft, ISBN 3894363363
  • John H. Gerstner: Wrongly Dividing the Word of Truth: A Critique of Dispensationalism (Second Edition), 2000, ISBN 1573580686
  • Karl-Hermann Kauffmann: Der Schlüssel - Ein Leitfaden zum heilsgeschichtlichen Verständnis der Heiligen Schrift 1998 im Selbstverlag des Verfassers.

Siehe auch