Cäsaropapismus
Der Begriff Cäsaropapismus (von lat. caesar = Kaiser und papa = Papst) bezeichnet eine Staatsform, in der 1. das Staatsoberhaupt gleichzeitig auch Oberhaupt der Kirche und oberster Richter in theologischen und dogmatischen Fragen ist oder 2. in der der weltliche Herrscher zwar nicht direkt die weltliche und geistliche Macht in sich vereint, aber die Kirche den staatlichen Instanzen untergeordnet ist. Am häufigsten wird der Ausdruck für die Zeit des byzantinischen Reiches verwendet, aber auch zum Beispiel für England unter Heinrich VIII. oder Russland von Peter dem Großen bis 1917. De facto bestand auch im Heiligen Römischen Reich unter den Ottonen Cäsaropapismus, da der Papst von den Kaisern willkürlich eingesetzt wurde.
Cäsaropapismus ist eine Form der Staatskirche, die es aber auch in vielen anderen Ausprägungen gibt. Als gegensätzliche Prinzipien sind einerseits die Unterordnung der Staatsgewalt unter die Kirche (Papocäsarismus, z. B. im Kirchenstaat), und andererseits der Gedanke der Trennung von Religion und Staat (Laizismus/Zwei-Schwerter-Theorie im Mittelalter) zu verstehen.
Geschichte
Die Identität von weltlicher und religiöser Herrschaft hat es historisch in verschiedenen Kulturen und Religionen gegeben.
Ägypten
Die Pharaonen im Alten Ägypten waren nicht nur König, sondern zugleich auch Gott.
Azteken
Die aztekischen Hochkönige führten wie die ägyptischen Pharaonen ihre Abstammung auf die Götter zurück.
Römisches Reich
Das Römische Reich erhob, bei sonstiger relativer Liberalität in Religionsfragen, einen Anspruch auf die gottgleiche Verehrung des Kaisers (wobei man bedenken muss, dass dieser "Gott" nicht als allwissend, allmächtig und unsterblich verstanden wurde, sondern eher als "Übermensch"). Eine Verweigerung des Kaiserkults (z. B. durch Christen) wurde hart geahndet (siehe Christenverfolgungen im Römischen Reich). Durch das Toleranzedikt von Mailand 313 wurde das Christentum von der verfolgten zur tolerierten – und im Laufe der Zeit schließlich zur privilegierten – Religion. Kaiser Konstantin der Große favorisierte Christen unter seinen Hofbeamten, was unter den übrigen Beamten zu zahlreichen Bekehrungen führte.
391 verbot Theodosius I. jeden heidnischen Kult und machte damit das orthodoxe Christentum faktisch zur Staatsreligion. Damit wurde der Kaiser jedoch noch nicht zum Oberhaupt der Kirche, sein Einfluss auf die Kirche war vorerst begrenzt: 390 zwang der Bischof Ambrosius von Mailand Kaiser Theodosius I. unter Drohung der Exkommunikation zur öffentlichen Reue und Buße für das Massaker von Thessaloniki: „Der Kaiser ist in der Kirche, nicht über der Kirche.“ Es wurden allerdings auch andere Positionen vertreten - die Donatisten gingen davon aus, der Kaiser habe mit der Kirche nichts zu schaffen, Optatus hingegen stellte fest, die Kirche sei dem Reich und daher dem Kaiser untergeordnet.
Das Arrangement mit der Macht führte bei zahlreichen Kirchenoberen zu einer Erhöhung von Wohlstand und weltlichem Einfluss. Viele Gläubige und auch einige Theologen (z. B. Gregor von Nazianz in seinen Predigten in Konstantinopel) sahen das als Korrumpierbarkeit und moralischen Niedergang an. Aus Protest dagegen wuchsen asketische Bewegungen wie Einsiedlertum und Mönchtum.
Byzantinisches Reich
Da die Kaiser des Westens seit dem 4. Jahrhundert zumeist nicht mehr in Rom residierten, konnten sich die dortigen Bischöfe immer weiter emanzipieren. Im politisch immer schwächer werdenden Weströmischen Reich wurde 476 der letzte Kaiser vom germanischen Heerführer Odoaker abgesetzt, und in der Folge entwickelte sich das Papsttum. Derweil wurde der Kaiser in Konstantinopel immer mehr zur kirchlichen Autorität; zunächst weniger in theologischer Hinsicht als in organisatorischer. So wurden etwa die ersten Ökumenischen Konzile und eine ganze Reihe lokaler Synoden jeweils vom Kaiser einberufen.
Kaiser Theodosius II. stand dem Konzil von Konstantinopel (448) als archiereus basileus („hohepriesterlicher König“) vor, Kaiser Markian (451) als sacerdos imperator („Priesterkaiser“). Das Amt des Patriarchen blieb allerdings immer bestehen und wurde nicht von den Kaisern selbst bekleidet. Da die Herrscher aber seit Theodosius I. in Konstantinopel residierten, konnte sich der dortige Patriarch nicht so sehr emanzipieren wie der römische Bischof. Zunehmend beanspruchten die spätantiken Kaiser für sich eine Art "Gottesgnadentum". Unter dem theologisch interessierten Justinian I. (527–565), der auch selbst einige bis heute gebräuchliche liturgische Gesänge verfasste, schloss die Herrschaft des Kaisers über die Kirche dann nicht mehr nur organisatorische Fragen, sondern auch Dogmen ein. Man sprach von der symphonia von Staat und Kirche.
In mittelbyzantinischer Zeit wurden die Verbindungen zwischen Kaiser und Kirche noch enger. Seit 602 wurde der Herrscher in einer Kirche gekrönt, nicht mehr im Hippodrom oder im Palast. Wie der byzantinische Bilderstreit oder die unpopuläre Unterwerfung unter den Papst auf dem Konzil von Basel zeigen, konnten jedoch kaiserliche Dogmenentscheide in der Kirche auch so massiven Widerstand hervorrufen, dass sie nicht durchsetzbar waren und schließlich aufgehoben wurden. Aus diesem Grund hat die neuere Forschung überwiegend davon Abstand genommen, für Byzanz von Cäsaropapismus zu sprechen (auch wenn diese Ansicht in älteren Arbeiten sehr weit verbreitet war): Der oströmisch-byzantinische Kaiser stand nicht an der Spitze der Kirche und hatte diese auch nie vollständig unter Kontrolle.
Russland
Im 16. Jahrhundert wurde der byzantinische Cäsaropapismus von Zar Iwan IV. für Russland übernommen, wo er als Prinzip bis zur Revolution in Kraft blieb. Peter der Große steigerte die Abhängigkeit noch weit über das byzantinische Maß hinaus, indem er das Patriarchat von Moskau abschaffte und stattdessen einen ihm hörigen Heiligen Synod einsetzte, der nach dem Vorbild der protestantischen Staatskirchen Westeuropas in der Art eines staatlichen Ministeriums arbeitete. Das Patriarchat wurde erst 1917 wiederhergestellt. Als Folge des byzantinischen und russischen Cäsaropapismus besteht bis heute in vielen östlich-orthodoxen Kirchen eine enge Beziehung zwischen Kirche und Staat (siehe hierzu auch Klerikalismus).
Römisch-Katholische Kirche
In der katholischen Kirche konnte es nicht zum Cäsaropapismus kommen, da dem weltlichen Herrscher der Papst gegenüberstand. Es gab zwar Streitigkeiten mit verschiedenen Ländern bezüglich des Rechts der Investitur und bezüglich der Steuerhoheit und darüber, ob der geistliche über dem weltlichen Herrscher steht oder nicht – aber es kam nie zu einer Situation, in der ein weltlicher Herrscher in theologischen Fragen über dem Papst stand. Die umgekehrte Situation, dass der Papst über dem weltlichen Herrscher stand, trat de facto ebenfalls nicht ein – obwohl de jure ebendies von vielen Päpsten behauptet wurde. Im Kirchenstaat war allerdings der geistliche und der weltliche Herrscher identisch, und die Fürstbischöfe übten in ihrem Herrschaftsbereich weltliche wie auch geistliche Macht aus; als Kurfürsten wirkten einige von ihnen auch direkt auf die Kaiserwahl ein.
Lutherische Kirche
Nachdem Martin Luther in der höheren kirchlichen Hierarchie auf heftige Ablehnung seiner Lehre stieß, wandte er sich stattdessen an die weltliche Hierarchie in Gestalt der deutschen Landesfürsten und anderen Adel; viele von ihnen waren seinen Ideen gegenüber aufgeschlossener. Im Ergebnis entstand das so genannte landesherrliche Kirchenregiment, in dem ein evangelischer Landesfürst zugleich Bischof seiner Kirche war. Dieser Zustand dauerte in Deutschland im Wesentlichen bis 1918 an (vgl. Staatskirchenrecht).
Anglikanische Kirche
Eine andere Ausprägung von Cäsaropapismus entstand in England, als sich Heinrich VIII. anstelle des Papstes zum Oberhaupt der Kirche ernannte und auch bestimmend eingriff. Dies hatte jedoch schon mit seiner Tochter Elisabeth I. ein Ende, die sich strikt weigerte, in theologischen Fragen mitzureden.
Siehe auch: Reichskirche, Cäsarismus