Muhammad Hussein Fadlallah
Muhammad Hussein Fadlallah, dt. auch Mohammed Hussein Fadlallah (*1934 oder 1935 in Nadschaf/Irak),[1] ist der führende schiitische Geistliche im Libanon und geistiger Führer der durch terroristische Aktivitäten[2][3] bekannten Hisbollah. Sein Einfluss als Großayatollah reicht jedoch weit über den Libanon hinaus.
Leben
Fadlallahs Familie stammte aus dem Libanon. Er erlebte eine klassische muslimische Bildung, in deren Mittelpunkt der Koran steht. Nach Gründung der „Gemeinschaft der Ulama in Nadschaf“ 1958 durch Geistliche unter der Führung des Scheichs Murtada al-Yasin wurde diese Gruppe zum Forum junger Geistlicher in den Koranschulen von Nadschaf. Dabei kam dem späteren Großayatollah Mohammed Baqir al-Sadr eine führende Rolle zu.[4] Er veröffentlichte zuerst eine Kampfschrift gegen den Kommunismus („Unsere Philosophie“) und legte 1961 in seinem Hauptwerk „Unsere Wirtschaft“ Ideen einer vom islamischen Glauben geprägten staatlichen Zentralwirtschaft vor.[5] Baqir al-Sadr unterstützte zudem die Etablierung einer islamischen Regierung im Irak. Einer seiner engsten Mitstreiter war Fadlallah.[6]
Seit Mitte der 1960er Jahre lebt Scheich Fadlallah im libanesischen Beirut und erlebte dort während des Bürgerkrieges 1976 auch christlich-islamische Gewalttätigkeiten. Die Vertreibung von Schiiten aus dem Beiruter Wohnquartier Nabaa könnte dabei sein Fundamentalerlebnis gewesen sein, radikale Gewalt als legales Mittel anzusehen.[7] Noch während des Bürgerkriegs stellte er daher die These auf, daß Schiiten das Recht hätten, ihre Zielsetzungen mit allen Mitteln der Gewalt durchzusetzen.
Fadlallah unterstützte auch die „islamischen Revolution“ im Iran und hielt enge Kontakte zur revolutionären Teheraner Führung unter Ajatollah Khomeini.[8] Er befürwortete eine Ausdehnung der dortigen radikal-religiösen Stimmungen auf andere Staaten des Mittleren Ostens. Als bekennender Verehrer Khomeinis, wollte er sein Vorbild als spirituellen „Führer aller Moslems der Welt“[9] sehen, der aus seinem Heimatland, dem Libanon, innerhalb von weniger als zehn Jahren einen islamischen Staat formen könnte.[10]
Im Zuge der Umwälzungen im Iran begann Khomeini zu Beginn der achtziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts die bis dahin festgelegten schiitischen Traditionen zum islamischen Märtyrertod aufzuweichen. Eine dieser Traditionen besagte, daß nicht nur religiösen Führern und die Glaubensgemeinschaft ihre Zustimmung zum selbstmörderischen Märtyrertod von Heranwachsenden geben müssen, sondern auch die Eltern. Khomeini hielt die Meinung der Eltern jedoch für nicht mehr notwendig. Fadlallah schloß sich dieser Meinung an und ging noch einen Schritt weiter. Er sah es als Pflicht von Mädchen und Jungen, auch ohne Zustimmung der Eltern in den Tod zu gehen.[11] Neu ist dabei auch der Gedanke, daß jetzt Frauen den Märtyrertod sterben können. Dies war nach schiitischer Tradition bis dahin untersagt.
Fadlallah stellte sich von Anfang an die auf die Seite der ab 1983 vom Iran direkt finanzierten schiitisch-islamistische Terrororganisation Hisbollah, (übersetzt: Gefolgsleute Gottes)[12] mit ihren „Gotteskriegern“ und wurde ihr geistiger Mentor[13][14].
Am 8. März 1985 verfehlte ein Autobomben-Attentat in Beirut, das Fadlallah galt, sein Ziel. Dennoch mußten 72 Menschen sterben und 256 wurden verletzt.[15]
Politik
Hussein Fadlallah, dessen politisches Instrument hauptsächlich die Hisbollah ist, zielt bis heute auf einen nationalen religiös geführten Staat und die Einführung der Scharia, des islamischen Rechtswesens, wobei er es vermieden hat, direkt von einem Gottesstaat zu sprechen[16].
Hisbollah
Hauptartikel: Hisbollah
Werkzeug des panislamischen Glaubens
Ganz im Sinne ihres obersten geistigen Seelsorgers, Muhammad Hussein Fadlallah, sieht sich die Hisbollah als Gemeinschaft aller gläubigen Muslime, die für die Verwirklichung des islamischen Staates unter der Herrschaft religiöser Rechtsgelehrter arbeitet. In Khomeini sahen sie den Stellvertreter des bei den imamitischen Schiiten zum Glaubensbild gehörenden Verborgenen Imams, der als Erlöser dereinst kommen würde um die Welt zu retten. Die Hisbollah verfolgte eine panislamische Idee über alle Staatsgrenzen hinweg. Als erster im Libanon sprach Fadlallah über die Hisbollah von der Gründung eines islamischen Staates in seiner Heimat und bekannte sich offen zur Ausschaltung der dort lebenden christlichen Bevölkerung. Als soziale Komponente forderte die Hisbollah zudem „soziale Gerechtigkeit“, die „Befreiung des Libanon“ und der „Kampf gegen ausländische Unterdrückung“.[17]
Finanzierung
Die 1985[18] offiziell gegründete Hisbollah ist heute – im Gegensatz zu ihrer Frühphase – ein Beispiel für die Privatisierung des Terrorismus. Dennoch erhält sie noch immer geschätzte 100 bis 200 Millionen US-Dollar aus dem Iran. Seit den 1990er Jahren soll der Iran jedoch mehr und mehr zurückgetreten sein um Platz für arabischen Privatfinaziers zu schaffen.[19] Die frühgewonnene Popularität der Hisbollah im armen Libanon soll auch auf den hohen Sold zurückzuführen sein, der nur durch die iranischen Zahlungen möglich wurde.[20]
Eine wichtige Einnahmequelle der Hisbollah ist heute der internationale Schmuggel, wobei die Terrororganisation dafür u.a. ihre langjährigen Kontakte zu muslimischen Migrantengruppen in Nord- und Südamerika nutzt. Die Hisbollah hat dabei eine kriminelle Rolle übernommen, die früher allein der Mafia zukam. Die Liste der Straftaten ist sehr lang: Drogen-, Zigaretten-, Waffen- und illegaler Diamantenhandel, Raubkopienverkauf aber auch Kreditkartenbetrug, Urkundenfälschung und Geldwäsche.[21] Zur Verfügung steht der Hisbollah dabei eine große Zahl an hilfswilligen muslimischen Migranten in aller Welt.
Überweisungen in den Nahen Osten, meist als Spenden für Familienangehörige gedacht, deren Angehörige im Kampf gegen Israel umgekommen sind, stammen heute vorwiegend von Libanesen, die in Südamerika und Afrika Geschäfte machen. Teilweise werden die durch illegalen Handel erworbene Millionenbeträge auch mittels Geldkuriere der Hisbollah in den Libanon geschmuggelt.[22] Als Geldwäschezentren der Hisbollah gelten neben Südamerika auch [[Miami und Hongkong.[23]
Besonders bei der Nutzung von Deckorganisationen, die als muslimische Hilfsorganisationen getarnt, die Geldgeschäfte der Hisbollah verschleiern und gleichzeitig die Familien islamistischer Kämpfer finaziell betreuen, wird die Vernetzung des internationalen Terrorismus deutlich. So hat eine inwischen verbotene Hilfsorganisation sowohl die Hisbollah als auch die Hamas und Al-Kaida unterstützt.[24]
Terror gegen Israel
Fadlallah stellt das Existenzrecht des Staates Israel in Frage, „weil der Nachbarstaat arabisches Land besetzt halte“[25]. Ein wesentlicher Baustein seine Ziele zu erreichen ist für Fadlallah die Zurückdrängung des amerikanischen und israelischen Einflusses[26]. So gab Fadlallah im Mai 2002 ein islamisches Rechtsgutachten (Fatwa) heraus, das zum Boykott von amerikanischen Produkten aufrief. Eine weitere von ihm ausgestellte Fatwa vom 12. August 2002, verbot den Moslems, an einem eventuellen Militärschlag der Vereinigten Staaten gegen den Irak teilzunehmen.[27]
Im Libanonkrieg 2006 beging die Organisation laut Amnesty International Völkerrechtsbruch, als sie „vorsätzlich Zivilpersonen und zivile Objekte in Israel anvisiert oder nicht zwischen militärischen und zivilen Zielen“ unterschied.[28] Zudem hält Fadlallah auch heute noch die Selbstmord-Attacken gegen Israel für legitim.[29]
Internationaler Terror
Fadlallah lehnt es offiziell ab, den islamischen Kampf in den USA fortzusetzen, wie dies bei den Terroranschläge am 11. September 2001 in New York geschah. So verurteilt er die Angriffe von Al-Kaida als „nicht mit der Scharia [...] und dem wahren islamischen Dschihad vereinbar“. Für den Schiiten Fadlallah sind die Kämpfer der sunnitisch geprägten Al-Kaida keine Märtyrer, sondern „bloße Selbstmörder“.[30]
Dies ist jedoch nur die halbe Wahrheit, da die Hisbollah, die auch mit südamerikanischen Rebellen- und Drogenorganisationen zusammenarbeitet, 2002 und 2004 Bombenattentate gegen israelische Einrichtungen in Buenos Aires durchgeführt hat.[31] Zudem operieren die islamistischen Terrororganisationen im Klima instabiler Staaten. Dort gehen sie nicht nur ihren kriminellen Machenschaften nach, sondern übernehmen teils mit regionalen Gruppen die Kontrolle über ganze Gebiete. Vielfach wird so Gewalt gegen dort lebende Menschen ausgeübt.
Religionspolitik
Fadlallah ist kein öffentlicher Sprecher für eine Islamisierung Europas: „In all unseren Botschaften und Fatwas an die Muslime im Westen betonen wir, daß sie der Sicherheit und allgemeinen Ordnung des Landes, in dem sie sich aufhalten, keinen Schaden zufügen dürfen. Sie sollten aufgeschlossen sein gegenüber der Gesellschaft, in der sie leben.“ [32]
Als Befürworter einer umfassenden islamisch-schiitischen Lehre lehnt er auch überkommene lokale Traditionen wie Ehrenmorde vehement[33] ab. Im August 2008 erließ Fadlallah daher eine Fatwa, in der er darlegte, daß Morde im Namen der Familienehre abstoßend und nach islamischen Recht illegal sind.[34]
Fadalallah wehrt sich heute auch gegen eine Vereinnahmung seines Heimatlandes durch ausländische islamische Politiker und Geistliche. So zweifelte er an der Legitimität des iranischen Religionsführer Ajatollah Chamenei, der im Geiste eines weltumspannenden Kalifats auf Werbeplakaten im Libanon als „Hüter des Auftrags, die Muslime der Welt zu regieren“ bezeichnet wird. Für Fadalallah könne die Würde schiitischer Religionsgelehrter nur gewahrt bleiben, wenn sie von den Muslimen als Vorbilder im Glauben (Marja-e taqlid) selbst gewählt sind[35], was bei Chamenei nicht der Fall war.
Einzelnachweise
- ↑ Martin Stäheli: Die syrische Aussenpolitik unter Präsident Hafez Assad" (Doktorarbeit) Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2001, ISBN 3515078673, S. 341
- ↑ EU-Parlament: EU-Parlament bestätigt terroristische Aktivitäten der Hisbollah, 8. März 2005
- ↑ EU-Rat: Gemeinsamer Standpunkt 2008/586/GASP des Rates vom 15. Juli 2008
- ↑ Ute Meinel: Die Intifada im Ölscheichtum Bahrain", LIT Verlag, Berlin-Hamburg-Münster 2003, ISBN 3825864014, S. 149
- ↑ Werner Ende, Udo Steinbach, Renate Laut: Der Islam in der Gegenwart", C.H.Beck Verlag, München 2005, ISBN 3406534473, S. 183
- ↑ Ute Meinel: Die Intifada im Ölscheichtum Bahrain", LIT Verlag, Berlin-Hamburg-Münster 2003, ISBN 3825864014, S. 150
- ↑ Martin Stäheli: Die syrische Aussenpolitik unter Präsident Hafez Assad" (Doktorarbeit) Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2001, ISBN 3515078673, S. 341
- ↑ Martin Stäheli: Die syrische Aussenpolitik unter Präsident Hafez Assad", (Doktorarbeit) Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2001, ISBN 3515078673, S. 341
- ↑ Gerhard Konzelmann: Der unheilige Krieg", Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1985, ISBN 3455082424, S. 19
- ↑ Gerhard Konzelmann: Der unheilige Krieg", Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1985, ISBN 3455082424, S. 20
- ↑ Hans G Kippenberg: Gewalt als Gottesdienst", C.H.Beck, München 2008, ISBN 3406494668, S. 94
- ↑ Martin Stäheli: Die syrische Aussenpolitik unter Präsident Hafez Assad" (Doktorarbeit) Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2001, ISBN 3515078673, S. 341
- ↑ Joseph Croitoru: Der Märtyrer als Waffe", Carl Hanser Verlag, München 2003, ISBN 3446203710, S. 132
- ↑ Martin Stäheli: Die syrische Aussenpolitik unter Präsident Hafez Assad" (Doktorarbeit) Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2001, ISBN 3515078673, S. 341
- ↑ Wofgang Wagner (Hrsg.): Die internationale Politik", Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, Verlag R. Oldenbourg, München 1985, S. 47
- ↑ Martin Stäheli: Die syrische Aussenpolitik unter Präsident Hafez Assad" (Doktorarbeit) Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2001, ISBN 3515078673, S. 341
- ↑ Ute Meinel: Die Intifada im Ölscheichtum Bahrain", LIT Verlag, Berlin-Hamburg-Münster 2003, ISBN 3825864014, S. 206
- ↑ Ute Meinel: Die Intifada im Ölscheichtum Bahrain", LIT Verlag, Berlin-Hamburg-Münster 2003, ISBN 3825864014, S. 203
- ↑ Yves Dubitzky: Finanzierung des islamistischen Terrorismus, Forschungsarbeit, GRIN Verlag, München-Ravensburg 2008, SBN 3638911411, S. 31
- ↑ Ute Meinel: Die Intifada im Ölscheichtum Bahrain", LIT Verlag, Berlin-Hamburg-Münster 2003, ISBN 3825864014, S. 206
- ↑ Yves Dubitzky: Finanzierung des islamistischen Terrorismus, Forschungsarbeit, GRIN Verlag, München-Ravensburg 2008, SBN 3638911411, S. 34
- ↑ Yves Dubitzky: Finanzierung des islamistischen Terrorismus, Forschungsarbeit, GRIN Verlag, München-Ravensburg 2008, SBN 3638911411, S. 32
- ↑ Yves Dubitzky: Finanzierung des islamistischen Terrorismus, Forschungsarbeit, GRIN Verlag, München-Ravensburg 2008, SBN 3638911411, S. 37
- ↑ Yves Dubitzky: Finanzierung des islamistischen Terrorismus, Forschungsarbeit, GRIN Verlag, München-Ravensburg 2008, SBN 3638911411, S. 33
- ↑ Deutsche Welle: Interview mit Mohammad Hussein Fadlallah Fadlallah, 14. September 2006
- ↑ Deutsche Welle: Inteview mit Mohammad Hussein Fadlallah Fadlallah, 16. September 2006
- ↑ Hanspeter Mattes: Nahost – Jahrbuch 2002", VS-Verlag, Wiesbaden 2004, ISBN 3810038806, S. 118
- ↑ Amnesty International: AI: Hisbollah hat in Israel Kriegsverbrechen begangen, 14. September 2006
- ↑ Deutsche Welle: Interview mit Mohammed Hussein Fadlallah, 16. September 2007
- ↑ Michael Mann: Die ohnmächtige Supermacht", Campus Verlag, Frankfurt 2003, ISBN 3593373130, S. 226
- ↑ Yves Dubitzky: Finanzierung des islamistischen Terrorismus, Forschungsarbeit, GRIN Verlag, München-Ravensburg 2008, SBN 3638911411, S. 35
- ↑ Deutsche Welle: Interview mit Mohammed Hussein Fadlallah, 16. September 2007
- ↑ Amnesty International: Amnesty Jahresbericht 2008 – Naher Osten und Nordafrika
- ↑ Amnesty International: Amnesty Jahresbericht 2008 – Libanon
- ↑ Le Monde: – Ahmad Salamatian: Die Schiiten und ihr Kampf um Gott