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Michel Foucault

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Michel Foucault [miˈʃɛl fuˈko] (* 15. Oktober 1926 in Poitiers; † 25. Juni 1984 in Paris), Inhaber des Lehrstuhl für die Geschichte der Denksysteme am Collège de France in Paris, war ein oftmals dem Poststrukturalismus zugerechneter französischer Philosoph, Psychologe und Begründer der Diskursanalyse.

Foucault untersuchte, wie Wissen entsteht und Geltung erlangt, wie Macht ausgeübt wird und wie Subjekte konstituiert und diszipliniert werden. Bekannt ist Foucault auch für die Einführung neuer Begriffe wie „Dispositiv“ oder die Präzisierung und terminologische Verwendung von Ausdrücken wie „Macht“, „Wissen“, „Diskurs“ oder „Archiv“. Seine Analyen richteten sich auf die „Geschichte der Gegenwart“, „Ethnologie unserer Kultur“ und die geschichtliche Entwicklung von „Wahrheitsspielen“. Konkret untersuchte er unter anderem die Geschichte des Begriffs „Wahnsinn“ und die damit einhergehenden gesellschaftlichen Praktiken, insbesondere des Ausschlusses; ferner den Begriff der Krankheit und die Entwicklung medizinischer Techniken, die Entstehung der Humanwissenschaften und ihrer Grundbegriffe, die Institutionen des Gefängnisses und der Bestrafungsverfahren und die Anheizung der Rede über Sexualität. Außerdem äußerte er sich zu grenzüberschreitenden Formen der Literatur, insbesondere bei Stéphane Mallarmé, Georges Bataille, Raymond Roussel und Marquis de Sade, sowie Möglichkeiten politischer Intervention und des Selbstentwurfs von Subjekten, vor allem hinsichtlich dessen „Gebrauch der Lüste“.

Leben

Foucault war das zweite Kind von Paul-André Foucault, Chirurg und Universitätsprofessor der Anatomie, und Anne-Marie Foucault, geborene Malapert. Nach seiner Schulzeit in Poitiers absolvierte er ein Philosophiestudium in Paris, ab 1946 als Schüler von Louis Althusser; parallel dazu studierte er Psychologie. 1951 bestand er die Agrégation in Philosophie, 1952 folgte ein Diplom in Psychopathologie. Darauf folgten Auslandsaufenthalte in Uppsala, Warschau und Hamburg (1959/60 als Leiter des Institut Français). 1954 erschien seine erste größere Publikation: Maladie mentale et psychologie (dt. Psychologie und Geisteskrankheit). Ab 1960 war er Privatdozent für Psychologie an der Universität Clermont-Ferrand. Seine Dissertationsschrift erschien 1961 unter dem Titel Folie et déraison. Histoire de la folie à l'âge classique (dt. Wahnsinn und Gesellschaft). Er thematisierte darin die Geschichte des Wahnsinns und das Zustandekommen einer Abgrenzung von geistiger Gesundheit und Krankheit und die damit einhergehenden sozialen Mechanismen.

1962 wurde Foucault auf eine Professur in Clermont-Ferrand berufen, dort lernte er seinen späteren Lebensgefährten Daniel Defert kennen, mit dem er bis zu seinem Tod eine offene Beziehung führte.

1966 übernahm Foucault eine Lehrtätigkeit an der Universität von Tunis. Mit Les mots et les choses (dt. Die Ordnung der Dinge) 1966 erzielte er seinen ersten großen Erfolg. In seiner folgenden Arbeit L'archéologie de savoir (dt. Archäologie des Wissens) 1969 reflektierte er systematisch die Methodik dieses Werkes.

1968 kehrte Foucault nach Frankreich zurück und wurde Dozent und Leiter der Abteilung für Philosophie an der neugegründeten Reform-Universität Paris VIII in Vincennes, die aus der 68er-Bewegung hervorging.

1969 hielt Foucault am Collège de France den Vortrag Was ist ein Autor?, der einen wichtigen Beitrag zur Debatte um die Rolle des Autors in der modernen Literatur leistete (siehe Tod des Autors).

1970 wurde er auf den Lehrstuhl Geschichte der Denksysteme am Collège de France berufen, den er, wie am Collège üblich, neu definierte. In seiner Antrittsvorlesung L'ordre du discours (dt. Die Ordnung des Diskurses) formulierte er ein Forschungsprogramm, dessen Diskursbegriff einen Übergang zwischen der Archäologie des Wissens und den späteren machtanalytischen Arbeiten markiert. Er engagierte sich in der Öffentlichkeit für die Rechte von Gefangenen. 1975 erschien sein Buch Surveiller et punir. La naissance de la prison (dt. Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses) mit einer Analyse der Entstehung von Disziplinartechniken und Machtpraktiken in der Neuzeit.

Stein zur Erinnerung an Michel Foucault, geschaffen von dem Künstler Tom Fecht

Ab dieser Phase seines Werkes setzte Foucault sich vertieft mit der Beziehung zwischen Macht und Wissen auseinander (siehe auch Wissenssoziologie). In Der Wille zum Wissen grenzte er sich von seinem früheren, juridisch-diskursiven Machtbegriff ab, nach dem Macht als repressiv verstanden wurde und auf Gehorsam (z. B. gegenüber Gesetzen) abzielte. Die von ihm geprägte strategisch-produktive Vorstellung von Macht betont dagegen, dass Machtbeziehungen multipel sind, überall entstehen und wirken. Sie sind allen anderen Arten von Beziehungen (z. B. ökonomischen) immanent und durchziehen somit auch kursierendes Wissen.

1976 veröffentlichte er den ersten Teil seines letzten umfassenden Werkes, der Histoire de la sexualité (dt. Sexualität und Wahrheit), La volonté de savoir (dt. Der Wille zum Wissen). Danach folgte eine längere Pause in der Veröffentlichungstätigkeit, in der er in seinen Forschungen immer weiter in der Geschichte zurückging, und die Frage nach dem Begehren des Menschen weicht der Erörterung der Generierung des Menschen des Begehrens oder des begehrenden Menschen.

Erst 1984 erschienen die Bände zwei und drei des nun neukonzipierten Werks: L'usage des plaisirs (dt. Der Gebrauch der Lüste) und Le souci de soi (dt. Die Sorge um sich), in denen er untersuchte, wie das Sexualverhalten vom klassischen griechischen Denken als Bereich moralischen Ermessens und moralischer Wahl geprägt worden ist.

Am 25. Juni 1984 starb Foucault in Paris an Aids, das als Krankheit zu diesem Zeitpunkt noch kaum bekannt war.

Der vierte und letzte Band Les aveux de la chair (dt. Die Geständnisse des Fleisches) lag zu diesem Zeitpunkt in bereits weitgehend redigierter Form vor. In diesem Band wird die Rolle untersucht, die in den ersten Jahrhunderten des Christentums die Hermeneutik und die reinigende Enträtselung der Begierde in der Konstitution sexueller Erfahrung spielten. Der Text wird aber von den Erben aufgrund seines quasi-testamentarisch geäußerten Wunsches, „keine posthumen Veröffentlichungen“ zu erlauben, nicht zur Publikation freigegeben.

Foucault lässt sich nicht eindeutig einer philosophischen Richtung zuordnen und hat sich selbst oft gegen solche Versuche gewandt. Dennoch ist es heute üblich, Foucault als Poststrukturalisten zu bezeichnen. Obwohl er besonders in der Archäologie des Wissens strukturalistische Gedanken und Verfahren verwendete, war er kein Strukturalist, wie er selbst wiederholt betonte. Ähnliches gilt für seine Auseinandersetzung mit dem Marxismus. In den 1950ern war er für kurze Zeit Mitglied in der Kommunistischen Partei.[1]. Später distanzierte er sich vom Marxismus, und sein Denken wird von Marxisten – wohl auch wegen Foucaults Kritik am Marxismus – einer Logik des fortgeschrittenen Kapitalismus zugeschrieben. [2] Gleichzeitig kritisierte man, er stelle kritisches Denken durch eine fiktionalistische Festschreibung eines Erkennens durch Ununterscheidbarkeit in Frage.

Werk

Grundbegriffe seiner Analysen

In der Durchführung und späteren methodologischen Erläuterung seiner Analysen entwickelte Foucault zentrale Begriffe, die er als „Werkzeuge“ bezeichnete.

Macht/Wissen

Foucault wandte sich Anfang der 1970er Jahre dem Thema gesellschaftlicher Machtverhältnisse zu und erweiterte den herkömmlichen Machtbegriff. Danach lässt sich Macht als «produktives Vermögen» und Kräfteverhältnis verstehen. Außerdem sieht er Macht und Wissen verflochten. «Wissen» wird hier nicht „als Effekt der Regelstrukturen von Diskursen begriffen, aber auch nicht als (...) Abbild einer tatsächlichen Realität oder als kritischer Maßstab und Korrektiv zur Anklage von Herrschaft, sondern als unumgänglich kontingentes Ergebnis von Kräfteverhältnissen und in sich selbst machthaltiger Zugriff auf die Welt.“ [3]

Man muß wohl einer Denktradition entsagen, die von der Vorstellung geleitet ist, daß es Wissen nur dort geben kann, wo Machtverhältnisse suspendiert sind, daß das Wissen sich nur außerhalb der Befehle, Anforderungen, Interessen der Macht entfalten kann. (...) Eher ist wohl anzunehmen, dass die Macht Wissen hervorbringt (...); dass Macht und Wissen einander unmittelbar einschließen; dass es keine Machtbeziehung gibt, ohne dass sich ein entsprechendes Wissensfeld konstituiert, du kein Wissen, das nicht gleichzeitig Machtbeziehungen voraussetzt und konstituiert. Diese Macht/Wissen-Beziehungen sind darum nicht von einem Erkenntnissubjekt aus zu analysieren, das gegenüber dem Machtsystem frei und unfrei ist. Vielmehr ist in Betracht zu ziehe, dass das erkennende Subjekt, das zu erkennende Objekt und die Erkenntnisweisen jeweils Effekte jener fundamentalen Macht/Wissen-Komplexe und ihrer historischen Transformationen bilden.[4]

Wahnsinn und Gesellschaft

Wahnsinn und Gesellschaft: Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft (Folie et déraison) erschien 1961 – Foucaults erstes größeres Buch, das er während seiner Zeit in Schweden schrieb. Es betrachtet die Art, wie das Konzept des Wahnsinns sich mit der Zeit verändert.

Foucault beginnt mit einer Analyse des Mittelalters. In dieser Zeit werden Leprakranke aus der Gesellschaft ausgeschlossen und weggeschickt (15. Jahrhundert). Nach dem Verschwinden der Leprakrankheit wurden an Wahnsinn Erkrankte zunehmend wie zuvor die Leprakranken behandelt und weggeschickt; im 17. Jahrhundert ging man dazu über, sie einzusperren. Schließlich wird der Wahnsinn eine Krankheit der Seele und – seit Freud – eine geistige Krankheit.

Foucault betont, wie der Wahnsinnige sich von einem akzeptierten, integrierten Teil der gesellschaftlichen Ordnung zu einer Person entwickelt, die eingeschlossen und ausgeschlossen wird. Er betrachtet auch die Behandlungsmethoden, besonders die von Philippe Pinel und Samuel Tuke. Er behauptet, dass ihre Methoden nicht weniger Kontrolle ausüben als frühere Behandlungsweisen. Der von Tuke propagierte Rückzug auf das Land bestrafe den Wahnsinnigen solange, bis er normales Verhalten lerne. In ähnlicher Weise funktioniere auch Pinels Behandlung des Wahnsinnigen durch eine Aversionstherapie, die solche Behandlungen wie eiskalte Duschen und den Gebrauch der Zwangsjacke einschloss. Für Foucault bedeuten beide Ansätze wiederholte Grausamkeit, die den Patienten dazu zwingen sollte, Urteil und Strafe zu verinnerlichen.

Die Geburt der Klinik

Foucaults zweites größeres Buch Die Geburt der Klinik: Eine Archäologie des ärztlichen Blicks (im Original Naissance de la clinique: une archéologie du regard medical) wurde 1963 veröffentlicht. In Fortsetzung von Wahnsinn und Gesellschaft spürt die Geburt der Klinik der Entwicklung der Medizin und besonders der Institution der Klinik nach, womit hauptsächlich universitäre Lehrkrankenhäuser gemeint sind. Das Konzept des Blicks (frz. regard) hat einige Folgediskussion ausgelöst; Foucault distanziert sich von ihm in der Archäologie des Wissens.

Die Ordnung der Dinge

Foucaults Die Ordnung der Dinge: Eine Archäologie der Humanwissenschaften (Les Mots et les choses. Une archéologie des sciences humaines) wurde 1966 veröffentlicht. Der deutsche Titel entspricht dem Wunsch Foucaults, der sich für die französische Ausgabe den Titel L'Ordre des Choses wünschte, aber davon auf Wunsch des Herausgebers Pierre Nora absah.

Das Buch beginnt mit einer längeren Besprechung des Bildes Las Meninas von Diego Velázquez und seiner komplexen Anordnung von Sichtlinien, Verborgenem und Sichtbarem. Die Bildbesprechung leitet eine Analyse mehrerer Epochen ein: der Renaissance, dem „klassischen Zeitalter“ (einer in Frankreich üblichen Bezeichnung für die Epoche, die grob den Zeitraum von Mitte des 17. Jahrhunderts bis 1800 umfasst) sowie der Moderne, die Foucault in der Ordnung der Dinge von etwa 1800 bis ins 20. Jahrhundert verfolgt. [5] Über diese Zeitspanne betrachtet Foucault insbesondere die Entstehung bzw. Entwicklung von drei Wissensbereichen, die sich in diesem Zeitraum zunehmend als akademische Disziplinen etablieren: die Naturgeschichte, die man heute als Teil der Biologie betrachtet, das Wissen von den Reichtümern, das man heute der Ökonomie zurechnet, und die Grammatik, die man heute als Teil der Linguistik begreift.

In der vergleichenden Betrachtung dieser Teilgebiete entdeckt Foucault eine Reihe von Parallelen, für die er den neuen Begriff der episteme prägt. Neben diesem wissenschafts- bzw. ideengeschichtlichen Thema, das Foucault auch als archäologisch bezeichnet, gehört ferner der Mensch bzw. exakter: das Konzept des Menschen, zu den Kernthemen des Buches. Wie vor allem vom Untertitel und dem Schlusskapitel des Buches angedeutet, sind Naturgeschichte, Ökonomie und Linguistik als akademische Disziplinen, die sich mit unterschiedlichen Dimensionen menschlichen Lebens befassen, maßgeblich an der „Erschaffung“ oder - weniger poetisch - der Wandlung des Bildes vom Menschen beteiligt.

Die Ordnung der Dinge machte Foucault in Frankreich als intellektuelle Figur bekannt. In der Folge attackierte Jean-Paul Sartre in einer Aufsehen erregenden Rezension Foucault. Sartre, der sich als Vertreter des Existenzialismus dem Humanismus gegenüber verpflichtet sah, richtete seine Kritik an Foucaults Absage an den Humanismus.

Aus der Perspektive Foucaults sei der Humanismus im 20. Jahrhundert theoretisch unfruchtbar und praktisch-politisch in Ost und West eine reaktionäre Mystifikation. Insbesondere im Erziehungssystem schneide er den Menschen von der Realität der technisch-wissenschaftlichen Welt ab.[6] Zu beachten ist dabei allerdings, dass er bei seiner Kritik weniger den Humanismus an sich in den Fokus nahm, sondern die Humanwissenschaften.[6]

Archäologie des Wissens

Die 1969, vor Foucaults Wahl ins Collège de France erschienene Studie zur Archäologie des Wissens (frz. L'Archéologie du savoir) ist seine umfangreichste methodologische Publikation und bestimmt die Methode, die Foucault in seinen konkreten Studien angewendet hatte. Sein Vorgehen beschreibt er als Arbeit an „Archiven“ oder als „Archäologie“ von Diskursformationen. Die kulturwissenschaftliche Methodendiskussion spricht üblicherweise von Diskursanalyse [7]

Foucault sieht die Archäologie des Wissens als ergänzende Alternative zur Ideengeschichte. Foucault interessiert sich aber weniger für individuelle Urheber von Ideen (für „Autoren“). Man kann Foucaults Slogan vom „Tod des Autors“ verbinden mit seiner Metapher vom Tod des durch die Humanwissenschaften hervorgebrachten Begriffs des „Menschen“.[8] In dieser Hinsicht ähnelt Foucaults Vorgehen strukturalistischen Ansätzen in der Psychoanalyse, der Ethnologie und der Linguistik. Allerdings bezieht er eine diachrone (historische) Perspektive mit ein.[9]. Foucault weist von sich, als „Strukturalist“ klassifiziert zu werden. Er sieht sich der Annales-Schule der Historiographie nahe. Deren Interesse für mentalitätsgeschichtliche, demographische und andere Entwicklungen über lange Perioden lässt ebenfalls das individuelle Wirken von Personen weniger hervortreten. Auch Georges Canguilhem und Gaston Bachelard sieht sich Foucault nahe.

Neben Autor, Subjekt und humanwissenschaftlichen Orientierungen werden zahlreiche weitere Begriffe der klassischen Ideengeschichte ausgeklammert, etwa Einfluss, Werk oder Tradition. Deren Anwendbarkeit gingen epochenspezifische „diskursive“ Vorgaben voraus. Der Ausdruck „Diskurs“ meint hier nicht nur Ensembles von sprachlichen oder schriftlichen Äußerungen, sondern verallgemeinert den an diesen vorfindlichen Aspekt, in Praktiken zu bestehen, welche die Handlungsmöglichkeiten anderer beeinflussen.

Überwachen und Strafen

In Überwachen und Strafen setzt Foucault seine Untersuchungen über die polymorphe Macht, ihre Techniken und Wirkungsweisen v. a. am Beispiel des Gefängnisses fort. Prototypisch hierfür gilt ihm das von Jeremy Bentham entworfene, aber nie realisierte, Panoptikum, ein „ideales“ Gefangenenlager, weil der Beobachter jeden Zelleninsassen beobachten kann.

Später verlagerte sich dieser allsehende Blick in die Subjekte. Exemplarisch dafür ist die Funktion der Pastoralmacht, die der „gute Hirte“ ausübt, wenn er das Gewissen seiner Schafe prüft - eine Technik, die dann „verinnerlicht“ wird. Das Thema der Subjektivierung durch Machtbeziehungen verfolgt Foucault bis in die Analyse zeitgenössischer Biomacht und der von Focault so genannten „Gouvernementalität“.

In anderen Schriften[10] äußert sich Foucault zum Thema der Utopien und gesellschaftlicher Gegenorte, die er Heterotopien nennt.

Sexualität und Wahrheit

Sein Werk Sexualität und Wahrheit hatte Foucault ursprünglich auf sechs Bände angelegt, zu Lebenszeit als Monographien erschienen sind aber nur drei Bände. Der erste, 1976 erschienene Band analysiert anhand des Diskurses über den Sex exemplarisch die Wirkungsweise von Machtstrukturen. Das Reden über den Sex sei fortwährend angeheizt worden, von mittelalterlichen Beichtkatalogen bis zur modernen Psychoanalyse. Gerade Verbot und Tabuisierung unterbinden nicht, sondern fördern das Reden über den Sex. Besondere Berücksichtigung findet in diesem Band die Entwicklung im 19. Jahrhundert. Hier werden vier Hauptelemente oder Dispositive unterschieden, denen die besondere Aufmerksamkeit der Wissensproduktion gewidmet ist: Homosexualität, Masturbation, Hysterie der Frau und Perversion. Abschließend bemerkt Foucault, die Ironie des Machtdispositivs der Sexualität (Sexualitätsdispositiv) sei gerade, uns einzureden, es ginge dabei um unsere (sexuelle) Befreiung.

Der Wille zum Wissen

Der Gebrauch der Lüste

Im zweiten Buch setzt sich Foucault mit der Sexualethik, und allgemein dem „Gebrauch der Lüste“ des antiken Griechenlands auseinander. Besondere Aufmerksamkeit richtet Foucault auf Homosexualität und Knabenliebe und ihre moralethischen Mechanismen. Für das christliche Ideal der Askese findet er in der hippokratischen Diätetik (Maßnahmenprogramm für ein gesundes Leben) eine Wurzel; hierbei handele es sich allerdings nicht um historische Kontinuitäten.

Die Sorge um sich

Im dritten Band führt Foucault die Untersuchung des zweiten Bands fort. Dabei betont er die allgemeine Bedeutung der „Selbstsorge“ in der Ethik der griechisch-römischen Antike, die er als „Kultur seiner selber“ als zentrales Motiv der antiken Freiheitspraktiken erkennt. Die Themenfelder, an denen Foucault dieses Motiv untersucht, sind die Traumdeutung, die Gemeinschaft mit den anderen, sowie erneut der Körper, die Frau und der Knabe. Der vierte und letzte Band, Die Geständnisse des Fleisches (frz. Les aveux de la chair), bleibt bis heute aufgrund einer testamentarischen Verfügung unveröffentlicht.

Weitere Schriften

Neben den erwähnten größeren Werken existieren zahlreiche kleinere Schriften, darunter Arbeiten zur Literatur und Kommentare zu aktuellen Ereignissen, weniger bekannte Werke wie Raymond Roussel und zahlreiche erst nach seinem Tod herausgegebene Vorlesungen am Collège de France. Foucault hatte sich testamentarisch gegen posthume Publikationen verwehrt, weshalb zur Edition die Dokumentation des in Vortragsform „veröffentlichten“ Worts, maßgeblich also die vorhandenen Tonbänder, herangezogen wurden.

Wirkungsgeschichte

Bedeutung seiner Arbeiten

Foucault hat den Begriff „Diskurs“, der sich durch seine Publikationen zieht, entscheidend geprägt. Seine methodisches Konzept einer Diskursanalyse bleiben aber vage bzw. verändern sich mit der Zeit. Explizit diskutiert wird der Diskursbegriff und die Methodik der Analyse in der Archäologie des Wissens, die aber eine rückblickende Methodenreflexion und -kritik ist und sich als methodisches Lehrbuch wenig eignet. In Anlehnung an seine Theorie haben sich jedoch zahlreiche Wissenschaftler mit Diskursen und Möglichkeiten, sie zu analysieren, beschäftigt. In der deutschen Forschung sind z. B. die Namen Jürgen Link und Siegfried Jäger zu nennen. In den Geistes- und Sozialwissenschaften wird die Diskursanalyse erst in den letzten Jahren zu einer etablierten Methode und es entstehen zunehmend Arbeiten, die sich auf Foucault stützen.

Kritik an Foucault

Im Jahre 1998 begegnete der Sozialhistoriker Hans-Ulrich Wehler Foucaults Werk mit harscher Kritik.[11] Wehler zufolge erfreue sich Foucaults Werk in der Wissenschaftsgemeinde zu Unrecht großer Resonanz, denn seine Theorie sei an zahlreichen Stellen unzulänglich und von inneren Widersprüchen durchzogen. Wehler kritisiert unter anderem Unzulänglichkeiten in der historischen Analyse. Auch leide Foucaults Werk unter einem Frankozentrismus, was schon daran erkennbar sei, dass Foucault die Arbeiten zentraler Theoretiker wie Max Weber und Norbert Elias nicht zur Kenntnis genommen habe. An Foucaults Diskurstheorie kritisiert Wehler vor allem, dass sich die Diskurse verselbständigen würden. Subjekte seien aber nicht die Diskurse selbst, sondern die Träger der Diskurse, von denen bei Foucault keine Rede sei. Den Machtbegriff Foucaults hält Wehler für „zum Verzweifeln undifferenziert“.[12] Foucaults These der „Disziplinargesellschaft“ sei überhaupt nur dadurch möglich, dass Foucault keine Unterscheidung von Autorität, Zwang, Gewalt, Macht, Herrschaft und Legitimität kenne. Hinzu komme, dass sich Foucaults These von der „Disziplinargesellschaft“ auf eine einseitige Quellenauswahl (psychiatrische Anstalten, Gefängnisse) stütze und andere Organisationstypen wie beispielsweise Fabriken außen vor lasse. Insgesamt kommt Wehler zu dem Ergebnis, dass Foucault „wegen der endlosen Mängelserie seiner sogenannten empirischen Studien […] ein intellektuell unredlicher, empirisch absolut unzuverlässiger, kryptonormativistischer ‚Rattenfänger‘ für die Postmoderne“ sei.[13]

Der Philosoph Urs Marti, der 1999 ein Buch über Foucault veröffentlichte, meint, Foucault habe in Anlehnung an Friedrich Nietzsche einen anarchistischischen Nihilismus vertreten.[14] Er würdigt aber die „befreienden Impulse“, die von seinem Werk ausgegangen seien, insbesondere seine „archäologisch-genealogischen“ Analysen der Humanwissenschaften und der Aspekte des Regierens.[15] Er sei kein Vertreter der Gegenaufklärung, sondern habe es für absurd gehalten, in der Aufklärung eine Ursache des Totalitarismus zu sehen.[15] Der Philosoph Bernhard Taureck betont Foucaults Interesse daran, wie Individuen sich Praktiken einer Beschäftigung mit sich selbst aneignen, „die an und in jedem einzelnen verhindern können, dass sich faschistische Züge ausprägen“.[16]

Werke (Auswahl)

  • Wahnsinn und Gesellschaft. Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft. Frankfurt am Main 1993 (fr. Ausgabe Histoire de la folie à l'âge classique – Folie et déraison, 1961).
  • Die Wahrheit und die juristischen Formen, Frankfurt am Main 2002 (fr. Ausgabe La verité et les formes juridiques, Paris 1994)
  • Maladie mentale et personnalité (1954); reed. 1995 Maladie mentale et psychologie.
  • Die Geburt der Klinik. Eine Archäologie des ärztlichen Blicks. Frankfurt am Main 1988. ISBN 3-596-27400-1 (fr. Ausgabe Naissance de la clinique – une archéologie du regard médical, 1963).
  • Die Ordnung der Dinge. Frankfurt am Main 1974; Taschenbuchausgabe: Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2003. ISBN 3-518-06734-6 (fr. Ausgabe Les mots et les choses – Une archéologie des sciences humaines, Paris 1966).
  • La pensée du dehors (1966).
  • Archäologie des Wissens. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2002. ISBN 3-518-27956-4 (fr. Originaltitel L'archéologie du savoir).
  • Von der Subversion des Wissens, Frankfurt am Main 1987.
  • Ceci n'est pas une pipe (1973).
  • Schriften zur Literatur, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2003. ISBN 3-518-29275-7
  • Die Ordnung des Diskurses. München 1974 (fr. Originaltitel L'ordre du discours).
  • Der Faden ist gerissen (zus. mit Gilles Deleuze), Berlin 1977.
  • Überwachen und Strafen, Frankfurt am Main 1977. ISBN 3-518-38771-5 (fr. Ausgabe Surveiller et punir – la naissance de la prison, Paris 1975).
  • Vom Licht des Krieges zur Geburt der Geschichte, Berlin 1986.
  • Sexualität und Wahrheit 1–3:
    • Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1, Frankfurt am Main 1983. ISBN 3-518-28316-2 (fr. Ausgabe Histoire de la sexualité, vol. 1: La volonté de savoir, Paris 1976).
    • Der Gebrauch der Lüste. Sexualität und Wahrheit 2, Frankfurt am Main 1989 (fr. Ausgabe Histoire de la sexualité, vol. 2. L´usage des plaisirs, Paris 1984).
    • Die Sorge um sich. Sexualität und Wahrheit 3, Frankfurt am Main 1989 (fr Ausgabe Histoire de la sexualité, vol. 3. Le souci de soi, Paris 1984).
  • Was ist Kritik?, Berlin 1992. ISBN 3-88396-093-4
  • Diskurs und Wahrheit. Berkeley-Vorlesungen 1983, Berlin 1996. ISBN 3-88396-129-9

Vorlesungen am Collège de France

  • Die Anormalen. Vorlesungen am Collège de France (1974- 1975). Aus dem Französischen von Michaela Ott. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2003. ISBN 3-518-58323-9 (fr. Originaltitel Les Anormaux).
  • In Verteidigung der Gesellschaft, Frankfurt a. M., Suhrkamp, 1999, (fr. Ausgabe Il faut défendre la societé, Paris, Gallimard, 1996. ISBN 3-518-29185-8).
  • Geschichte der Gouvernementalität, 2 Bände, Frankfurt am Main 2004.

Gesamtausgabe der Aufsätze und Reden

  • Schriften, Frankfurt a. M., 2001 ff., 4 Bände (fr. Ausgabe Dits et Ecrits, Paris, Gallimard, 1994, 4 volumes).

Sekundärliteratur

Philosophiebibliographie: Michel Foucault – Zusätzliche Literaturhinweise zum Thema

Biographie
Einführungen
Kompendien
  • Gary Gutting (Hg.): The Cambridge Companion to Foucault, Cambridge: Cambridge University Press 2. A. 2005.
  • Clemens Kammler / Rolf Parr / Ulrich Johannes Schneider (Hg.): Foucault-Handbuch. Leben - Werk - Wirkung. Stuttgart/Weimar: J. B Metzler 2008. ISBN 978-3-476-02192-2
Rezeption

Einzelnachweise

  1. Eribon, Didier: Michel Foucault. Eine Biographie. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1991, S. 69
  2. Eribon, Didier: Michel Foucault. Eine Biographie. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1991, S. 251
  3. Reiner Keller 2008: Michel Foucault. Konstanz.
  4. Foucault: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt a.M. 1977, 39f
  5. Gutting, Gary: Michel Foucault's archaeology of scientific reason. Cambridge: Cambridge University Press: 1989, S. 139f.
  6. a b Urs Marti: Michel Foucault. 2., überarb. Aufl., Bremen 1999, S. 58 und 129 f., ISBN 3-406-45543-3.
  7. s. z.B. Konersmann, Ralf in: Foucault, Michel: Die Ordnung des Diskurses, Frankfurt am Main: Fischer, 2001 und Stichwort 'Diskursanalyse' in Metzler-Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Stuttgart:Metzler 2001.
  8. Am bekanntesten hierfür ist der Schlussteil der Ordnung der Dinge
  9. s. Gutting, Gary: Michel Foucault's archaeology of scientific reason. Cambridge: Cambridge University Press: 1989, S. 227-231.
  10. Andere Räume, DE4, 931ff
  11. Hans-Ulrich Wehler: Die Herausforderung der Kulturgeschichte. München 1998, S. 45–95.
  12. Hans-Ulrich Wehler: Die Herausforderung der Kulturgeschichte. München 1998, S. 81.
  13. Hans-Ulrich Wehler: Die Herausforderung der Kulturgeschichte. München 1998, S. 91.
  14. Urs Marti: Michel Foucault. 2., überarb. Aufl., Bremen 1999, S. 149 f.
  15. a b Urs Marti: Michel Foucault. 2., überarb. Aufl., Bremen 1999, S. 130 und 165.
  16. Bernhard H.F. Taureck: Nietzsche und der Faschismus. Ein Politikum. Leipzig 2000, S. 248, ISBN 3-379-01687-X.
Primärliteratur
Commons: Michel Foucault – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Sekundärliteratur

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