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Soziale Marktwirtschaft

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Die Soziale Marktwirtschaft bezeichnet ein Modell einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung, in welchem dem Staat hauptsächlich die Aufgabe zukommt, den Ordnungsrahmen der Wirtschaft zu gestalten. Sie gilt als Leitbild der Wirtschafts- und Sozialpolitik von Ludwig Erhard.

Die theoretische Grundlage der Sozialen Marktwirtschaft bilden Vorstellungen, die in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts in unterschiedlicher Ausprägung als Neoliberalismus entwickelt worden waren und später auch als Ordoliberalismus (nach lat. ordo = Ordnung) bezeichnet wurden.[1]

Begriffsgeschichte

Der Begriff Soziale Marktwirtschaft wurde 1947 von Alfred Müller-Armack, Wirtschaftswissenschaftler und späterer Staatssekretär des Bundeswirtschaftsministers Ludwig Erhard, in seinem Buch Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft erstmals schriftlich erwähnt. Müller-Armack bezeichnete mit diesem Begriff eine zukünftige Wirtschaftsordnung für das vom Krieg zerstörte Deutschland als dritte Form neben rein liberaler Marktwirtschaft und Lenkungswirtschaft: „Wir sprechen von ,Sozialer Marktwirtschaft‘, um diese dritte wirtschaftspolitische Form zu kennzeichnen. Es bedeutet dies, dass uns die Marktwirtschaft notwendig als das tragende Gerüst der künftigen Wirtschaftsordnung erscheint, nur dass dies eben keine sich selbst überlassene liberale Marktwirtschaft, sondern eine bewusst gesteuerte, und zwar sozial gesteuerte Marktwirtschaft sein soll.“ [2]

Die genaue Ausgestaltung dieses Leitbilds hatte er zunächst bewusst offen gelassen, da er der Meinung war, dass sich Rahmenbedingungen verändern können und dass sich ein Wirtschaftssystem daran dynamisch anpassen müsse. Der richtungsweisende Sinn der Sozialen Marktwirtschaft sei es, „das Prinzip der Freiheit auf dem Markt, mit dem Prinzip des sozialen Ausgleichs zu verbinden“ [3].

Erstmals einer größeren Öffentlichkeit bekannt und inhaltlich konkretisiert wurde der Begriff durch die Düsseldorfer Leitsätze vom 15. Juli 1949, die als Wahlprogramm von CDU und CSU für die erste Bundestagswahl fungierten. Hierin wurden insbesondere Leistungswettbewerb und Monopolkontrolle als Grundlage dieser Wirtschaftsordnung beschrieben.[4]

Für Ludwig Erhard, den sogenannten „Vater der Sozialen Marktwirtschaft“, war der Begriff ein Pleonasmus, denn für ihn war der Markt an sich sozial und brauchte nicht erst sozial gemacht zu werden. Erhard konkretisierte diesen Gedanken noch, indem er betonte „je freier die Wirtschaft, umso sozialer ist sie auch“.[5] Populär wurde seine Botschaft "Wohlstand für alle", die er auch als Buchtitel benutzte. Schließlich erkannte er die Integrationswirkung, die sich mit dem Etikett Soziale Marktwirtschaft erzielen ließ. Seitdem ist der Begriff in der Bevölkerung untrennbar mit der Person Ludwig Erhards und dem Wirtschaftswunder verbunden.

In den 1990er Jahren wurde die nach Müller-Armack „gestaltungsoffene Konzeption einer sozialpflichtigen Marktwirtschaft“[6] gewissermaßen überdehnt, als, wie der Wirtschaftswissenschaftler Ralf Ptak konstatierte, „auch die Sozialdemokratie und der Deutsche Gewerkschaftsbund sich zur Sozialen Marktwirtschaft bekannten“, was verwundere, da beide „lange Zeit gegen die ökonomische und politische Intention der Sozialen Marktwirtschaft argumentiert und ihr programmatisch ein keynesianisch fundiertes Modell des Wohlfahrtsstaates entgegengestellt hatten“ [7].

Einen besonderen Stellenwert besitzt zudem die Diskussion um das Verhältnis von Ökonomie und Ökologie, was einige Autoren auch zu der begrifflichen und konzeptionellen Erweiterung Ökosoziale Marktwirtschaft veranlasst hat.[8]

Heute ist der Begriff in Deutschland positiv besetzt und alle im deutschen Bundestag vertretenen Parteien berufen sich auf die Soziale Marktwirtschaft. Jedoch wird sie im Sinne des jeweiligen Parteiprogramms interpretiert und ist somit zu einem diffusen, willkürlich verwendeten Schlagwort geworden. [9]

Ideengeschichte / theoretische Grundlagen

Konzeptionell basiert die Soziale Marktwirtschaft im Sinne von Alfred Müller-Armack und Ludwig Erhard wesentlich auf Ideen, die von einer Reihe von Wissenschaftlern schon vor dem Zweiten Weltkrieg entwickelt und unter dem Begriff Neoliberalismus zusammengefasst wurden. Innerhalb des Neoliberalismus spielte für Deutschland die Freiburger Schule (siehe Ordoliberalismus) eine besondere Rolle, als deren wichtigster Vertreter der Wirtschaftswissenschaftler Walter Eucken gilt.[1] Der Grundgedanke bestand darin, dass die Marktwirtschaft ihre wohlstandsmehrende wie koordinierende Funktion nur entfalten könne, wenn sie durch eine strenge staatliche Ordnungspolitik auf Wettbewerb verpflichtet wird. Die wichtigste wirtschaftspolitische Aufgabe des Staats war für Eucken daher, wirtschaftliche Machtkonzentrationen durch Monopole, Kartelle und andere Formen der Marktbeherrschung zu verhindern, auch auf den Arbeitsmärkten, auf denen weder Anbieter noch Nachfrager über monopolistische Machtpositionen verfügen sollten. [10] [11]

Müller-Armack geht von den Vorstellungen der Freiburger Schule aus, geprägt von der katholischen Soziallehre setzt er aber mit einer stärkeren Betonung der Sozialpolitik und mit einem größeren Pragmatismus, z.B. hinsichtlich einer prozesspolitischen Beeinflussung der Konjunktur eigene Akzente. Die sozialpolitisch orientierte Korrektur der Einkommensverteilung finde ihre Grenzen jedoch dort, wo die Funktionsfähigkeit einer Wettbewerbswirtschaft beeinträchtigt wird und die Eigenverantwortung und Initiative der Bürger durch einen Versorgungsstaat gelähmt wird.[1]

Der Ökonom Richard Reichel sieht Erhard „eindeutig in der Tradition des Ordoliberalismus“ und beschreibt dessen Unterschiede zu Müller-Armack: „Begriffe wie der der sozialen Gerechtigkeit waren ihm fremd“ und „das Ergebnis einer ordnungspolitisch richtig gesteuerten Marktwirtschaft sei per se sozial. .. Andere Akzente setzte Alfred Müller-Armack, der dem modernen Sozialstaat größere Bedeutung zubilligte.“ [12].

Elemente der Sozialen Marktwirtschaft

Die Soziale Marktwirtschaft basiert auf den Gestaltungselementen der freien Marktwirtschaft. Dazu gehören freie Preisbildung für Güter und Leistungen am Markt, Privateigentum an Produktionsmitteln und Gewinnstreben als Leistungsanreiz. Durch die Schaffung eines rechtlichen Rahmens sollen die persönlichen Freiheitsrechte, wie Gewerbe-, Konsum-, Vertrags-, Berufs- und Koalitionsfreiheit gewährleistet werden.

Darüber hinaus soll durch staatliche Wettbewerbspolitik der Wettbewerb gesichert und private Marktmacht verhindert werden. Für Erhard ist die Erhaltung des freien Wettbewerbs eine der wichtigsten Aufgaben des auf einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung beruhenden Staats[13]. Von großer Bedeutung ist ebenfalls die Sicherung des Geldwerts, insbesondere durch eine unabhängige Notenbank[14]. Der Staat kann durch aktive Eingriffe in die Wirtschaft das Marktgeschehen ergänzen (z.B. durch sozialpolitische, konjunkturpolitische oder arbeitsmarktpolitische Maßnahmen), wenn dies im allgemeinen Interesse für notwendig erachtet wird. Diese müssen jedoch „marktkonform“ erfolgen, d. h. sie müssen mit der marktwirtschaftlichen Ordnung vereinbar sein und das Zusammenwirken von Angebot und Nachfrage am Markt nicht behindern. Art und Umfang der staatlichen Eingriffe sind jedoch nicht genau festgelegt und waren häufig Gegenstand von Auseinandersetzungen.

Mitbestimmung

Die gewerkschaftliche Konzeption zur Neuordnung der Wirtschaft mit ihrem Kernelement der Mitbestimmung und die ordoliberale Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft standen sich in der ersten Dekade der Bundesrepublik diametral gegenüber.[15] Dennoch wird heute Mitbestimmung von vielen als wichtiger Bestandteil der Sozialen Marktwirtschaft gesehen. So hat die Bundeskanzlerin Angelika Merkel die Mitbestimmung als „eine große Errungenschaft“ und als „ein nicht wegzudenkender Teil unserer Sozialen Marktwirtschaft“ bezeichnet.[16] Führende Gewerkschafter, wie z. B. der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, Hubertus Schmoldt sehen in der Mitbestimmung ein „konstitutives Element der Sozialen Marktwirtschaft“.[17]

Literatur

  • Ludwig Erhard: Wohlstand für alle, Düsseldorf und Wien : Econ 1957, (8. Auflage 1964 (PDF)
  • Michael von Hauff (Hrsg.): Die Zukunftsfähigkeit der Sozialen Marktwirtschaft, Marburg : Metropolis 2007. ISBN 978-3-69516-594-6
  • Alfred Müller-Armack: Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft, 1946 (2. Aufl. 1948), wiederabgedruckt in: „Wirtschaftsordnung und Wirtschaftspolitik“, Bern und Stuttgart : Haupt 1966 (2. Aufl. 1976) und als Sonderband wieder unter dem Originaltitel, München : Kastell 1990. ISBN 978-3-924592-28-8
  • Alfred Müller-Armack: Genealogie der Sozialen Marktwirtschaft: Frühschriften und weiterführende Konzepte, Sozioökonomische Forschungen, Band 1, Bern und Stuttgart : Haupt 1974 (2. Aufl. 1981). Darin u.a.: Vorschläge zur Verwirklichung der Sozialen Marktwirtschaft (Mai 1948).
  • Alexander Ebner: The intellectual foundations of the social market economy, in: Journal of Economic Studies, 3/2006 (33), S. 206-223
  • Ralf Ptak: Vom Ordoliberalismus zur Sozialen Marktwirtschaft. Stationen des Neoliberalismus in Deutschland, Diss., Opladen : Leske + Budrich 2004. ISBN 3-8100-4111-4

Einzelnachweise

  1. a b c Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland Grundlagen, Konzeption und Durchsetzung der Sozialen Marktwirtschaft, 5. aktual. Aufl. Opladen: Leske+Budrich 2003. Online: Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2003.
  2. Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft, S. 88
  3. Alfred Müller-Armack: Soziale Marktwirtschaft, in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, Band 9, hrsg. v. Erwin von Beckerath, Stuttgart 1956, S. 390
  4. Düsseldorfer Leitsätze (Kurzfassung)
  5. Alfred C. Mierzejewski: Ludwig Erhard – Der Wegbereiter der Sozialen Marktwirtschaft, Siedler 2005, S. 59
  6. Heiko Körner: Wurzeln der sozialen Marktwirtschaft, in: Michael von Hauff (Hrsg.): Zukunftsfähigkeit der Sozialen Marktwirtschaft, Marburg 2007, S. 22.
  7. Ralf Ptak: Mythos Soziale Marktwirtschaft
  8. Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland - Soziale Marktwirtschaft/Wirtschaftspolitik Probleme und Perspektiven, 5. aktual. Aufl. Opladen: Leske+Budrich 2003. Online: Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2003.
  9. Robert Soyka meint, dass ein regelrechter Kampf um die Interpretationshoheit bzgl. dieses Begriffs entbrannt sei, und jede im Bundestag vertretene Partei würde versuchen, den Mythos für ihre Zwecke zu nutzen. Der Wahlkampf dieser Parteien bestehe in weiten Teilen darin, den Bürger davon zu überzeugen, sie selbst seien die wahren Vertreter der „Sozialen Marktwirtschaft“. Die Soziale Marktwirtschaft – Ludwig Erhard und das Wirtschaftswunder Ein historischer Rückblick vor aktuellem Hintergrund, in zeitreport Nr. 163 Januar/Februar 2007
  10. Lüder Gerken / Andreas Renner: Die ordnungspolitische Konzeption Walter Euckens. In Walter Eucken und sein Werk. Tübingen 2000. S.22f
  11. Hans-Rudolf Peters: Wirtschaftspolitik. Oldenbourg 2000. S. 156
  12. Richard Reichel: Soziale Marktwirtschaft, Sozialstaat und liberale Wirtschaftsordnung, S.6
  13. Weiter schreibt Erhard, dass ein auf Verbot gegründetes Kartellgesetz das unentbehrliche „wirtschaftliche Grundgesetz“ sei. Versage der Staat auf diesem Felde, dann sei es auch bald um die Soziale Marktwirtschaft geschehen. Dieses Prinzip würde dazu zwingen, keinem Staatsbürger die Macht einzuräumen, die individuelle Freiheit zu unterdrücken oder sie namens einer falsch verstandenen Freiheit einschränken zu dürfen. Wohlstand für alle S. 9
  14. Für Erhard ist die soziale Marktwirtschaft ohne eine konsequente Politik der Preisstabilität nicht denkbar. Nur diese Politik würde gewährleisten, dass sich nicht einzelne Bevölkerungskreise zu Lasten anderer bereichern. Wohlstand für alle S. 15
  15. Walther Müller-Jentsch: Arbeit und Bürgerstatus - Studien zur sozialen und industriellen Demokratie, VS Verlag, 2008, ISBN 3531160516, S.196
  16. So auf der Festveranstaltung zum 30. Jahrestag des Mitbestimmungsgesetzes, siehe Hans-Böckler-Stiftung: Mehr Demokratie in der Wirtschaft. Dokumentation der Jubiläumsveranstaltung vom 30.8.2006 – 30 Jahre Mitbestimmungsgesetz von 1976, S. 22.
  17. Hubertus Schmodt in: ifo-Schnelldienst Nr.22/2004, S. 3.