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Mindestlohn

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Ein Mindestlohn ist ein in der Höhe durch den Staat oder durch einen Gesamtarbeitsvertrag festgeschriebenes Arbeitsentgelt, das vollbeschäftigten Arbeitnehmern als Minimum zusteht. Einen gesetzlichen Mindestlohn gibt es in den meisten europäischen Staaten und Nordamerika. In Deutschland, Österreich und der Schweiz gibt es dagegen keinen von der jeweiligen Bundesregierung festgelegten Mindestlohn, es wird großen Wert auf die Tarifautonomie gelegt.

Intention des Mindestlohns

Befürworter von Mindestlöhnen sehen darin einen Mindeststandard: Ein Mindestlohn sichere den Beschäftigten eine für die Lebenshaltung auskömmliche Lohnhöhe (Existenzminimum). Sie argumentieren ferner, es gäbe Fälle von Marktversagen, in denen der freie Markt nicht immer fähig sei, die Lohnhöhe selbst zu regulieren. Durch Mindestlöhne werde dieses Gleichgewicht geschaffen. Zudem führe ein Mindestlohn zu einer Qualitätssicherung: Durch einen Mindestlohn werde sichergestellt, dass die Arbeitnehmer genügend motiviert sind. Die Qualität der Arbeitsleistung sei somit gewährleistet. Schließlich diene ein Mindestlohn der verbesserten Gleichstellung von Männern und Frauen, da Frauen für gleichwertige Arbeit oft schlechter bezahlt werden als Männer.

Kritiker betonen, dass Mindestlöhne zu Arbeitslosigkeit führten: Mindestlöhne erhöhten die Arbeitslosigkeit, da Unternehmen durch die Lohnhöhe davon abgeschreckt würden, Stellen zu schaffen. Zu den ökonomischen Effekten eines Mindestlohns in der volkswirtschaftlichen Theorie siehe unten. Kritisiert wird zudem ein Interventionismus: Der freie Markt sei fähig, die Lohnhöhe selbst zu regulieren. Durch Mindestlöhne würde dieses Gleichgewicht gestört. Zudem entstünde ein Nettowohlfahrtsverlust: Durch den Eingriff in den freien Markt sänke die Nettowohlfahrt. Der Mindestlohn führe auch zu geringerer Produktivität, wenn der Produktionsfaktor Arbeit teurer wird, und damit zum Ansteigen der Preise. Durch den Sozialhilfesatz bestehe faktisch ein Mindestlohn, niemand würde für weniger arbeiten, als ihm auch ohne Arbeit zusteht.

Im nachfolgenden Abschnitt werden die Argumente etwas konkreter beleuchtet.

Effekte in der Theorie

Die klassische volkswirtschaftliche Theorie steht Mindestlöhnen skeptisch gegenüber. Zusammenfassend stellt sie fest, dass Mindestlöhne entweder keine Wirkung zeigen (wenn sie unter dem Gleichgewichtslohn liegen) oder zu unerwünschter Arbeitslosigkeit führen. Der Wirtschaftsweise Wolfgang Franz äußerte 2005: „Über kaum einen anderen Sachverhalt besteht in der Volkswirtschaftslehre so viel Einigkeit wie über die schädlichen Wirkungen von Mindestlöhnen.“'

Niedriger Mindestlohn

Datei:Niedriger Mindestlohn.PNG
Niedriger Mindestlohn (wie in der VWL oftmals üblich, sind die Achsen vertauscht. Die Lohnhöhe bestimmt somit die Anzahl der Arbeitsplätze und nicht etwa umgekehrt. S = supply/Angebot. D = demand/Nachfrage.)

Nach den Gesetzen von Angebot und Nachfrage (s. dort für eine ausführliche Begründung) stellt sich in einem freien Marktgeschehen unweigerlich ein Gleichgewicht ein. Es handelt sich dabei um die Situation, bei der Angebotspreise und -mengen mit Nachfragepreise und -mengen übereinstimmen.

Liegt der Mindestlohn unterhalb des Gleichgewichtslohns , so hat die Einführung eines Mindestlohns in der Theorie keinerlei Auswirkungen auf die Lohnhöhe W oder Arbeitsmenge L. Beispielsweise würde die Einführung eines Mindestlohns von 200 Euro pro Monat für Hochschulabsolventen keinerlei Wirkung zeigen. Der sich aus dem Marktgeschehen ergebende Gleichgewichtspreis würde als Ausdruck der Knappheit von Hochschulabsolventen dennoch bezahlt werden.

Hoher Mindestlohn

Datei:Hoher Mindestlohn.PNG
Hoher Mindestlohn

Liegt der Mindestlohn so hoch, dass er Auswirkungen auf die Lohnhöhe hat, ist nach klassischer Lehrmeinung Arbeitslosigkeit die Folge.

Liegt der Mindestlohn über dem Gleichgewichtslohn – darf also unterhalb des Mindestlohns keine Arbeit mehr angeboten bzw. nachgefragt werden – hat das folgende Effekte:

  1. Die Unternehmen als die Nachfrager von Arbeit (Kurve D) sind zu dem höheren Preis nur mehr bereit, eine geringere Menge Arbeit nachzufragen () als im Gleichgewicht ().
  2. Die Menschen als die Anbieter von Arbeit (Kurve S) wären zu dem höheren Preis bereit, mehr Arbeit () anzubieten als im Gleichgewicht.

Die Menge an unfreiwilliger Arbeitslosigkeit besteht aus der Differenz zwischen und .

Mindestlöhne und Sozialhilfe

Auch wenn Deutschland nicht in der Liste der Staaten mit Mindestlohn-Vorschriften zu finden ist, sehen viele Volkswirte die vergleichsweise hohen Sozialleistungen de facto als Mindestlöhne an. Während ein Mindestlohn gesetzlich verbietet, unterhalb dieses Niveaus Arbeit anzubieten oder nachzufragen, verhindert ein Transfereinkommen wie die Sozialhilfe dies de facto. Es ist für die Menschen ökonomisch irrational, eine Arbeit für weniger Geld anzunehmen, als sie an Sozialhilfe erhalten. Deshalb ist es ein Wunder, dass immer noch Leute auf Familiensozialhilfeniveau arbeiten.


Erst wenn der Lohn ihren Anspruch auf Sozialhilfe ausreichend übersteigt (Reservationspreis), wird sich für sie die Erwerbsarbeit wieder lohnen. Der ökonomische Effekt ist also de facto derselbe, auch wenn man streng genommen dann nicht mehr von unfreiwilliger Arbeitslosigkeit sprechen kann. In Deutschland existiert bisher kein gesetzlicher Mindestlohn. Die Diskussion ist allerdings neu entbrannt, weil osteuropäische Arbeitnehmer - die in Deutschland nicht sozialhilfeberechtigt sind - zunehmend zu Niedrigstlöhnen Arbeit in Deutschland anbieten.

Empirie

Empirisch lässt sich aufgrund der Schwierigkeit, die Auswirkungen eines einzelnen Elements in einem komplexen Wirtschaftsgefüge zu messen nur schwer der Nachweis führen, dass Mindestlöhne Arbeitslosigkeit verursachen. Zahlreiche Länder wie Frankreich, Großbritannien und Luxemburg (Liste siehe unten) verfügen über eine Mindestlohnregelung, ohne dass signifikante Verschlechterungen der Arbeitsmarktsituation beobachtbar sind. Tatsächlich wurde der gesetzliche Mindestlohn in Großbritannien zwischen 1999 und 2004 von 3,60 auf 4,85 britische Pfund (etwa 7,10 Euro) angehoben. Gleichzeitig fiel die Arbeitslosenquote von 6,2 Prozent (1998) auf 4,7 Prozent (2004). Umstritten ist dabei, ob die Erhöhung des Mindestlohns Folge oder Ursache der günstigen Arbeitsmarktentwicklung ist.

Alternative Deutung

Ein oft genannter Kritikpunkt an der klassischen Ökonomie ist die ungenügend berücksichtigte nachfragestützende Wirkung des Mindestlohns. Einzelne Unternehmen handeln mikroökonomisch gesehen vernünftig, wenn sie ihre Lohnkosten und damit die Löhne gering halten wollen. Nach der keynesianischen Theorie handeln sie aber makroökonomisch volkswirtschaftlich schädlich, weil die realisierbare Nachfrage mit den Löhnen gleichfalls sinkt.

Allerdings ist bei dieser Argumentation zu beachten, dass neben Arbeitnehmern auch Unternehmen eine Nachfrage haben, die bei sinkenden Lohnkosten ihrerseits steigen kann. Viele Volkswirte bezweifeln die langfristige Gültigkeit dieser alternativen Deutung, die beispielsweise von den Gewerkschaften vertreten wird.

Mindestlohn in ausgewählten Staaten

Staat gesetzlich vorgeschriebener
Mindestlohn pro Monat
in Euro (Stand:
01/2004) Eurostat
Luxemburg 1.403
Niederlande 1.265
Belgien 1.186
Frankreich 1.173
Irland 1.073
Vereinigtes Königreich 1.083
USA 727
Griechenland 605
Malta 543
Spanien 537
Portugal 498
Slowenien 471
Türkei 240
Tschechien 207
Ungarn 191
Polen 177
Estland 159
Slowakei 148
Litauen 125
Lettland 121
Russland ca. 10 (300 Rubel)
Schweden, Dänemark Branchenregelungen
Österreich über Sozialpartner
Deutschland (in der Diskussion)
Schweiz (in der Diskussion)

In den meisten EU-Ländern wird der Mindestlohn als Monatslohn definiert, in den USA, England und Irland als Stundensatz. Im Jahr 2005 hatten 18 von 25 Mitgliedstaaten der Europäischen Union einen gesetzlich festgelegten Mindestlohn, der von 121 EUR (Lettland) bis 1.403 EUR (Luxemburg) reicht. In einigen anderen Staaten bestehen Branchen- und andere Regelungen. Mit Ausnahme der USA passen die meisten westlichen Länder die Mindestlöhne regelmäßig an die gestiegenen Lebenshaltungskosten an.

Die „Reichweite“ von Regelungen

In einigen EU-Ländern bestehen zwar keine gesetzlichen Regelungen zum Mindestlöhn, doch gibt es sie de facto in freierem Rahmen - z.B. in Schweden in Form industrieller Branchenregelungen durch Kollektivverträge.

In der Schweiz gibt es nur wenige Gesamtarbeitsverträge, die Angaben zu Mindestlöhnen enthalten. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund empfiehlt einen Mindestlohn von 3.550 CHF (~ 2.300 €). Dies gilt als das Existenzminimum für eine alleinerziehende Person mit einem Kind. Es gibt Branchen, vorwiegend in der Gastronomie und beim Detailhandel, die Leute zu tieferen Löhnen anstellen (rund 2.700–3.300 CHF). Dabei gelten Löhne unter 3.000 CHF (~2.000 €) von der Bevölkerung gewöhnlich als inakzeptabel unabhängig der Beschäftigung und es gibt Diskussionen, vor allem seitens des Gewerkschaftsbundes, einen gesetzlichen Mindestlohn von 3.000 CHF einzuführen.

In Österreich ist die Situation vergleichbar. Jene Betriebe, die (Zwangs-) mitglieder in der Wirtschaftskammer sind (im wesentlichen alle gewerblich oder industriell tätigen Wirtschaftsbetriebe), unterliegen zwingend den für sie stellvertrend zwischen der Wirtschaftskammer und der zuständigen Gewerkschaft abgeschlossenen Kollektivverträgen. Dort sind - je nach Einstufung der Tätigkeit und dem Dienstalter - verbindliche Mindestlöhne festgelegt. Allerdings gibt es auch Berufsgruppen, die keine Mitglieder der Wirtschaftskammer sind - dort gibt es dann u.U. keinen Kollektivvertrag und daher auch keine Mindestlöhne.

In Deutschland entfaltet die Allgemeinverbindlichkeitserklärung eine ähnliche Wirkung. Diese gilt allerdings bisher nur in wenigen Branchen, unter anderem im Baugewerbe. Von der ausserdem bestehenden gesetzlichen Grundlage zur Bestimmung von Mindestlöhnen im "Gesetz über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen" ist bislang kein Gebrauch gemacht worden.

Doch auch in Ländern mit gesetzlichem Mindestlohn sagt dessen Existenz nur wenig über seine Reichweite aus. So erfasst die Regelung in Spanien nur 0,8 % der Vollzeitkräfte; in England und Holland sind die entsprechenden Werte 1,9 und 2,3 Prozent. In Frankreich erhalten 13 % aller abhängig Beschäftigten den Mindestlohn.

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