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Peenemünde-West

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In Peenemünde auf Usedom wurde 1936 eine Heeresversuchsanstalt („Peenemünde-Ost“) errichtet, die 1938 durch die Erprobungsstelle der Luftwaffe „Peenemünde-West“ ergänzt wurde.

Geschichte

Die Erprobungsstelle der Luftwaffe „Peenemünde-West“ wurde am 1. April 1938 eröffnet und war zu diesem Zeitpunkt auch schon im Wesentlichen fertiggestellt.

Auf dem Flugplatz mit betonierter Piste, den Schleudern und Raketenstartplätzen wurden bis Anfang 1945 die verschiedensten Modelle und Prototypen von der Luftwaffe getestet. Die bekannteste Entwicklung der Anlage ist sicherlich die Fieseler Fi 103 („V1“), der Vorläufer der modernen Marschflugkörper. Von Peenemünde aus erfolgten aber lediglich Versuchsstarts in Richtung Ostsee, da die Flugbombe V1 eine zu geringe Reichweite aufwies, um von Peenemünde aus geeignete feindliche Ziele erreichen zu können.

Weniger bekannt ist, dass daneben viele andere bedeutsame technische Erfindungen ihren Ausgang in „Peenemünde-West“ nahmen: die He 176 (das erste Raketenflugzeug der Welt mit Flüssigkeitsraketentriebwerk), die Me 163, Flugabwehrraketen wie die Enzian, verschiedene Gleitkörper, Fernlenkwaffen, Lenk- und Zielsuchsysteme, Fernbomben, Jägerraketen, automatische Zünder und vieles mehr.

Am 17. Februar 1945 begann die Räumung des Geländes, die Evakuierung konnte bis Anfang März abgeschlossen werden. Peenemünde wurde am 4. Mai 1945 von sowjetischen Truppen besetzt. Diese demontierten die größtenteils noch erhaltenen Anlagen bis 1946 und transportierten sie in die UdSSR. Nicht demontierte Anlagen wurden durch eine deutsche Firma gemäß Beschluss des Alliierten Kontrollrates gesprengt. Die Sowjetische Militäradministration für Mecklenburg legte fest, dass die Baumaterialien den Neubauern kostenfrei zur Verfügung gestellt wurden.

Blick über die Flugzeugbunker auf dem Flugplatz Peenemünde, im Hintergrund ist das Kernkraftwerk Greifswald in Lubmin zu erkennen

1945–1956 war Peenemünde sowjetischer Marine- und Luftwaffenstützpunkt. 1956 erfolgte die Übergabe des Stützpunktes an die NVA der DDR. Peenemünde diente von da an unter anderem als Marinestützpunkt der 1. Flottille der Volksmarine. Bis 1990 war der gesamte nördliche Bereich der Insel Usedom bis hinunter nach Karlshagen Sperrgebiet der NVA, die dort einen wichtigen militärischen Flugplatz betrieb. Der schon zur Erprobungsstelle der Luftwaffe gehörende Flugplatz wurde 1961 erweitert, so dass er auch von strahlgetriebenen Flugzeugen des Jagdfliegergeschwaders 9 der NVA genutzt werden konnte. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands erfolgte 1993 die Auflösung des Truppenstandortes.

Heute finden vom Flugplatz Peenemünde aus Rundflüge mit Kleinflugzeugen statt. Daneben werden auch Bustouren durchgeführt, bei denen die einstigen Bunker der NVA und die Überreste der Abschussrampen der V1 besichtigt werden können. Wegen seiner für Kleinflugzeuge überdimensionierten Piste ist der Flugplatz Peenemünde auch ein Standort für Flugschulen.

Anlage

Überreste einer V1 Startstelle

Am nordwestlichen Ende des Flugplatzes sind noch einige Überreste von Startstellen für die Flugbombe V1, den sogenannten „Walter-Schleudern“ (Nachfolger der „Borsig-Schleudern“), erhalten.

Südöstlich des Flugplatzes wurde ein großer Hochbunker errichtet, der über vier 3,7-cm-Fla-Kanonen verfügte. Er wurde zwar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Zuge der Demilitarisierung Deutschlands auf Befehl der sowjetischen Besatzungsmacht gesprengt, steht jedoch heute noch teilweise.

Von den unzähligen während der Zeit der Erprobungsstelle der Luftwaffe „Peenemünde-West“ auf dem Gelände von KZ-Häftlingen der Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald errichteten Hallen, Baracken und anderen Gebäuden ist heute keine mehr intakt.

1956 erhielt der Flugplatz eine neue 2465 Meter lange Betonpiste, die in nordwestlicher Richtung orientiert ist und auch den Start moderner Düsenjäger gestattet. Eine Besonderheit sind auch die am nordwestlichen Ende gelegenen Funkfeuer, die auf künstlichen Inseln im Meer errichtet wurden.

Heute noch in Betrieb ist die Eisenbahn Zinnowitz–Peenemünde, die einst den Beschäftigten von Peenemünde-Ost und Peenemünde-West als Verkehrsmittel diente. Allerdings wird sie heute nicht mehr, wie von 1943 bis zum 21. April 1946, elektrisch mit Gleichstrom von 1200 Volt und Oberleitung betrieben. Die Wagen gelangten als Peenemünder Schnellbahnzüge zur Berliner S-Bahn und wurden bis 1952 in die bestehenden Baureihen integriert.

Noch heute sind die einstigen Bahnsteige der Werkbahn zu erkennen. Sie sind in Form von Betonmauern aus Fertigelementen neben der Bahnlinie erhalten, die zum Teil abgekippt werden mussten, um modernen Zügen die Durchfahrt zu gestatten.

Bis zu Beginn der 1990er-Jahre war auch noch das Anschlussgleis des Flugplatzes für Schienenfahrzeuge befahrbar, allerdings wurde die Anschlussweiche mittlerweile ausgebaut.

Auswirkungen und Bedeutung

Die Erprobungsstelle der Luftwaffe Peenemünde-West (später: Versuchsstelle der Luftwaffe Karlshagen) war anders als die Heeresversuchsanstalt Peenemünde in der Regel nicht direkt an der Entwicklung und Herstellung der Waffensysteme beteiligt. Ihre Aufgabenstellung war der Test der Industrieentwürfe vor der Auftragserteilung und die Sicherstellung der Qualität während der Produktion, die Vorbereitung und Begleitung der Truppeneinführung. Allerdings flossen Erkenntnisse und Verbesserungsvorschläge der Erprobung in die Entwürfe und Prototypen und damit auch in die Serienproduktion ein. In geringem Umfang erfolgten auch Eigenentwicklungen.

In der Erprobungsstelle wurden überwiegend sogenannte Sonderwaffen getestet. Entwickelnde Industriefirmen waren in die Erprobung oft eng eingebunden, teilweise nutzten die Herstellerfirmen auch die technischen Möglichkeiten und Ressourcen in der Erprobungsstelle für eigene Tests.

In Peenemünde-West wurden unter anderem erprobt:

Die Bedeutung der Erprobungen in Peenemünde-West auf die Nachkriegstechnik ist nicht so offensichtlich wie die der HVA Peenemünde auf die Weltraumfahrt. Oft wurden technische Details erprobt und verbessert bzw. zur Frontreife entwickelt, die auch heute noch Grundlagen technischer Weiterentwicklungen sind. An ehesten ist eine unmittelbare Auswirkung der Arbeit in Peenemünde-West noch auf die heutigen Marschflugkörper erkennbar.

Weniger bekannt ist, dass hier auch die Grundlagen für heutige unbemannte Drohnen geschaffen wurden, in dem der Beweis erbracht wurde, dass ein Flugzeug ferngesteuert sowohl sicher starten als auch landen kann.

Die in Peenemünde-West erprobten Huckepack-Flugzeuge (Mistelprojekt) erinnern stark an die spätere Idee der NASA, das Space Shuttle auf dem Rücken einer Boeing 747 zu transportieren.

Auch die Grundlagen für die heutigen so genannten „intelligenten“ Bomben wurden in Peenemünde-West mit der Erprobung bis zur Truppeneinführung von ferngelenkten und selbstgesteuerten Gleit- und Fallbomben gelegt (Präzisionsgelenkte Munition). Die Selbststeuerung und Zielsuche kam aber nicht mehr zur Einsatzreife.

Bedeutend sind auch die zusammen mit der Industrie entwickelten Starthilferaketen, mit denen (insbesondere militärische) Flugzeuge auch noch starten können, wenn sie ihr maximales Startgewicht überschritten haben. Ähnliche Projekte wurden auch von anderen Ländern im Zweiten Weltkrieg durchgeführt. Die deutschen Starthilferaketen waren technisch aber führend.

Getestet wurden auch Flugabwehrraketen. Diese sind die Vorläufer sämtlicher heutiger raketengestützter Flugabwehrsysteme. Es wurden Versuche mit ferngesteuerten, radar- und infrarotgelenkten Systemen sowohl mit Boden-Luft- als auch mit Luft-Luft-Raketen unternommen.

Siehe auch

Literatur

  • Botho Stüwe:
    • Peenemünde-West - Die Erprobungsstelle der Luftwaffe für geheime Fernlenkwaffen und deren Entwicklungsgeschichte, Weltbild Verlag, Augsburg, 1998, ISBN 3-8289-0294-4
    • Peenemünde-West - Die Erprobungsstelle der Luftwaffe für Geheimwaffen - Ein Bildband von Botho Stüwe, aero-verlag, Petershausen, 1. Auflage 2003, ISBN 3-934596-31-2
  • Volkhard Bode, Gerhard Kaiser: Raketenspuren. Peenemünde 1936-1996. Eine historische Reportage mit aktuellen Fotos, Christoph Links, Berlin 1995, ISBN 3-86153-112-7, verschiedene Neuauflagen (zuletzt 2004) auch mit anderen ISBN
  • Joachim Engelmann: Geheime Waffenschmiede Peenemünde. V2-„Wasserfall“-„Schmetterling“, Podzun-Pallas-Verlag, Friedberg, ISBN 3-7909-0118-0
  • Harald Tresp, Sven Grempler: Trümmer einer vergangenen Zeit in Zempin - Eine fast unbeachtete Stätte der Erprobung deutscher Geheimwaffen, Heimatverein Zempin e.V., Zempin, 2001
  • Jürgen Michels: Peenemünde und seine Erben in Ost und West. Entwicklung und Weg deutscher Geheimwaffen, unter Mitarbeit von Olaf Przybilski, Bernard & Graefe, Bonn, 1997 (Schwerpunkt: Technik)
Commons: Historisch-technisches Informationszentrum Peenemünde – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Koordinaten: 54° 8′ 53,5″ N, 13° 47′ 38,5″ O