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Humoralpathologie

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Die zwischenzeitlich veraltete Humoralpathologie oder Viersäftelehre wurde von den Hippokratikern in ihrer Schrift Über die Natur des Menschen (um 400 v. Chr.) ausgehend von der Elementenlehre des Empedokles (490-430 v. Chr.) als Krankheitskonzept entwickelt und niedergeschrieben.

Die vier Säfte sind

Die Beziehung der Säfte zu den Elementen - Feuer, Wasser, Luft und Erde - und die den Säften zugeordneten Qualitäten - Warm, Kalt, Feucht und Trocken - bestimmten nach dieser Ansicht in ihrer Ausgewogenheit (Eukrasie) die Gesundheit des Menschen. Krankheiten entstanden nach diesem Konzept durch Störungen (Dyskrasie) dieser Ausgewogenheit.

Galen, der das gesamte medizinische Wissen seiner Zeit zusammen gefasst hatte und den Vorstellungen der Hippokratiker folgte, betonte, dass es die Aufgabe des Arztes sei, dieses Ungleichgewicht durch Diätetik, Arzneimittel oder auch chirurgische Maßnahmen wieder aufzuheben. Er übte nicht zuletzt aufgrund seiner rhetorischen Begabung, seiner monotheistischen Weltsicht und seiner Überzeugung, dass die Natur vollkommen sei und nichts umsonst mache - damit folgte er den Anschauungen des Aristoteles - einen außerordentlichen Einfluss bis ins 19. Jahrhundert unserer Zeitrechnung aus.

Die von ihm vertretenen Theorien bildeten die Grundlage der Medizin der Hildegard von Bingen, der Physiognomik eines Johann Kaspar Lavaters und der Ernährungslehre. Im Übrigen bezog sich auch Sebastian Kneipp bei seiner Wasserkur auf die Erkenntnisse Galens, indem überflüssige Säfte aus dem Körper abgeleitet werden müssten.

Jeder dieser Säfte wird Galen zufolge in einem eigenen Organ gebildet und steht entsprechend der Vier-Elemente-Lehre mit einem dieser Elemente in Beziehung. Die unterschiedlichen Charaktere der Menschen seien damit ebenso zu erklären wie die Veränderungen der Befindlichkeit, da die vier Jahreszeiten und die unterschiedlichen Lebensalter ihren Einfluss auf die Produktion dieser Säfte ausübten.

So sieht Galen folgende Zusammenhänge, zum Beispiel mit den Tierkreiszeichen:

  1. Blut, das im Herzen gebildet wird, sei der konstituierende Saft der Sanguiniker und dem Element Luft, dem Morgen, dem Frühling und der Kindheit anverwandt. Einen bestimmenden Einfluss übe neben den Sternbildern der Zwillinge, des Stiers und des Widders auch der Jupiter aus.
  2. gelbe Galle, die aus der Leber stamme, wird den Cholerikern sowie dem Element Feuer, dem Sommer, der Jugend, dem Mittag und den Sternbildern Jungfrau, Löwe, Krebs und dem Planeten Mars zugeordnet.
  3. schwarze Galle, die in der Milz und den Hoden produziert werde, bestimme den Charakter der Melancholiker und dem Element Erde dem Herbst, dem Erwachsenenalter, dem Nachmittag und den Sternbildern Waage, Skorpion, Schütze und dem Planeten Saturn zugeordnet.
  4. Schleim, der im Gehirn produziert werde, bestimme das Wesen der Phlegmatiker und habe Bezug zum Element Wasser, dem Abend, dem Winter und dem Greisenalter sowie den Sternbildern Fische, Wassermann, Steinbock und dem Mond.

Dieses System lässt natürlich außerordentlich viel Platz für philosophische Betrachtungen, und konnte ohne Zweifel manche Fragen eines Patienten zu dessen Zufriedenheit klären helfen. Richtig meinte Galen demnach auch, ein guter Arzt müsse ebenfalls ein guter Philosoph sein. Mit der Entwicklung der modernen Medizin und Psychologie wurde dieses ganze System jedoch hinfällig. Heutzutage ist offensichtlich, dass nicht vier Säfte eine Persönlichkeit definieren, sondern dass Aussagen dieser Art Hinweise auf die Persönlichkeit geben.

Der Beginn einer Beobachtung von Gesetzmäßigkeiten in der Natur und die Herstellung eines Bezugs zu Gesundheit und Krankheit des Menschen stellt aus wissenschaftsphilosophophischer und -historischer Sicht jedoch einen wesentlichen Fortschritt gegenüber jenen früheren Ansichten dar, die die Befindlichkeit des Menschen als von den Göttern alleine bestimmt gesehen hatten. Mit der Humoralpathologie begannen die Ärzte des Altertums letztlich, systematisch die Ursachen der Unterschiede zwischen den Menschen zu beschreiben. Deren Einfluss auf die weitere Geschichte der Medizin zeigt aber auch, wie sehr ein geschlossenes System und dessen eloquente Vertretung dem Fortschritt im Wege stehen können.