Am Brunnen vor dem Tore


Am Brunnen vor dem Tore, da steht ein Lindenbaum ist ein bekanntes deutsches Kunst- wie Volkslied.
Text
Der Text des Liedes stammt von Wilhelm Müller. Er wurde zuerst unter dem Titel Der Lindenbaum veröffentlicht, und zwar in Urania – Taschenbuch auf das Jahr 1823, einem der beliebten Taschenbücher des frühen 19. Jahrhunderts, die auf mehreren hundert Seiten Gedichte, Erzählungen und Berichte enthielten. Das Werk bildete dort das fünfte Gedicht eines Zyklus, überschrieben Wanderlieder von Wilhelm Müller. Die Winterreise. In 12 Liedern. Diese Erstveröffentlichung war die Vorlage für Schuberts Vertonung.
Musik
In der Urfassung handelt es sich um das Stück Nr. 5 des Liederzyklus Winterreise von Franz Schubert (Deutsch-Verzeichnis Nr. 911-5). Auch Der Lindenbaum wurde ursprünglich für Solostimme und Klavier konzipiert. Das Lied ist nicht durchgängig in einem Tongeschlecht gehalten, sondern wechselt mehrmals, der inhaltlichen Stimmung folgend, zwischen Dur und Moll.
Entstehung und Werkbeschreibung
Wo Wilhelm Müller den Text für das Lied verfasst hat und was ihn dazu inspirierte, ist nicht eindeutig geklärt. Eine ganze Reihe von Städten nimmt für sich in Anspruch, ihn zu dem Text inspiriert zu haben - viele davon entlang der von Müller häufig bereisten Straße von Dessau nach Worms. Eine besondere Rolle spielt dabei Bad Sooden-Allendorf, vor deren Stadttor sich, im Schatten einer Linde, der sogenannte Zimmersbrunnen befindet.
Zum ersten Mal wurde das Lied im Freundeskreis von Schubert aufgeführt. Joseph von Spaun hat berichtet, dass eines Tages Schubert zu ihm kam und zu ihm sagte: „Komme heute zu Schober, ich werde euch einen Zyklus schauerlicher Lieder vorsingen.“ Mit dem hier erwähnten Zyklus ist nur die erste Abteilung der Winterreise gemeint, die Schubert Anfang 1827 komponierte und schon im Februar 1827 vor seinen Freunden aufführte. Zu dieser Zeit lebte Schubert zur Untermiete bei seinem Freund Schober, der ihm sogar eine eigene Bibliothek einrichtete.
Der Lindenbaum ist das einzige Stück der ersten zehn Lieder, welches im Dur-Tongeschlecht steht. Da E-Dur die Doppeldominante von d-Moll, der Ausgangstonart der Winterreise, darstellt, kann man das Fliehen in die Traumwelt durch die weit entfernte Tonart bestätigen.
Im Gesamtzyklus verkörpert Der Lindenbaum die schwermütige Erinnerung an das vergangene Liebesglück des jetzt einsam durch die unwirtliche Welt reisenden lyrischen Ichs. Die Linde, in deren Rinde er einst „so manches liebe Wort“ geschnitten hatte, weckt in ihm heute - in dunkler, stürmischer Nacht - die Erinnerung an Ruhe und Glück. Er geht aber trotzdem an ihr vorbei und will sie nicht ansehen. Wenn ihm ihre Zweige „Komm her zu mir, Geselle, hier find'st Du deine Ruh'!“ zuzurauschen scheinen, könnte diese Einladung aber auch auf Todesgedanken, wenn nicht gar latente Selbstmordabsichten hindeuten - weshalb sich das lyrische Ich auch nicht nach der Linde umwendet.
In vielen deutschen Ortschaften markierte die Linde den Versammlungs-, Gerichts- und Festplatz und wurde so zu einem Sinnbild der Gemeinschaft, als Baum der germanischen Göttin Freya, auch als Symbol der Liebe. So steht sie im Text in großem Kontrast zur Einsamkeit des Wanderers.
Bearbeitungen
Ursprünglich für Solo-Stimme und Klavier geschrieben, wurde „Am Brunnen vor dem Tore“ vielfach bearbeitet. Bekannt geworden ist insbesondere die vereinfachte Fassung von Friedrich Silcher, in der Der Lindenbaum zu einem der populärsten deutschen Volkslieder geworden ist. Es wird heute häufig ohne Kenntnis seiner ursprünglichen Herkunft gesungen. Eine starke Rezeption erfolgte auch im Ausland, wo das Lied vielfach als typisch deutsch gilt.
Wirkungsgeschichte
In vielen Bearbeitungen ist Der Lindenbaum zu einem beliebten Bestandteil des Repertoires der Gesangsvereine geworden. Dabei ist die ambivalente Haltung des Liedes oft einer verharmlosenden Romantisierung gewichen.
Eine leitmotivische Rolle spielt Der Lindenbaum im Roman Der Zauberberg von Thomas Mann. Im Kapitel Fülle des Wohllauts hört es sich Hans Castorp hingebungsvoll auf einer Grammofon-Platte an. Im Schlusskapitel Der Donnerschlag zieht er mit dem Lied auf den Lippen in den Krieg; der Lindenbaum wird zum Symbol seiner sieben sorglosen Jahre im Sanatorium Berghof. Verdeckt zitiert wird das Lied auch in Manns Doktor Faustus.
Am Brunnen vor dem Tore ist auch der Titel eines 1952 von Kurt Ulrich produzierten Heimatfilms mit Sonja Ziemann und Heli Finkenzeller, wo ein Gasthaus seinen Namen dem Liedtitel entlehnt.
Das Lied im Fernsehen
The Simpsons Folge 7G03 Szene 03 Bart Simpsons rappt dieses Lied. Text stark verändert, Musik unverändert.
Literatur
- Dietrich Fischer-Dieskau: Franz Schubert und seine Lieder. Frankfurt 1999, ISBN 3458342192
- Elmar Budde: Schuberts Liederzyklen. München 2003, ISBN 3406448070
- Wilhelm Müller: Werke, Tagebücher, Briefe in 5 Bänden und einem Registerband. Hrsg. von Maria-Verena Leistner. Mit einer Einleitung von Bernd Leistner. Berlin, Verlag Mathias Gatza, 1994. ISBN 3928262211