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Kernfusionsreaktor

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Als Kernfusionsreaktor bezeichnet man nukleare Reaktoren, die durch Verschmelzung (Fusion) von Atomkernen Wärme und damit wiederum Strom erzeugen. Bisher ist es noch nicht gelungen, Kernfusionsreaktoren zu bauen, die dauerhaft mehr elektrische Energie produzieren, als sie verbrauchen. Gelänge es, einen solchen Reaktor zu bauen, könnte er aber mit vergleichsweise geringem Brennstoffverbrauch große Mengen an Strom erzeugen. An Kernfusionsreaktoren wird seit etwa 1960 intensiv geforscht. Die grundlegenden nuklearen Reaktionen und deren immenses Potenzial zur Energiefreisetzung sind durch die Entwicklung der Wasserstoffbombe bestens bekannt. Jedoch verläuft dort die Reaktion unkontrolliert. Die erste kontrollierte Kernfusion gelang 1970 mit Tokamak 3 in der Sowjetunion. Die meisten Experten schätzen, dass die ersten kommerziellen Kernfusionsreaktoren erst ungefähr in fünfzig Jahren zu erwarten sind. Hauptproblem ist die Beherrschung der für die Kernfusion notwendigen hohen Drücke und Temperaturen. Der erste Versuchsreaktor, der mehr Energie erzeugen soll, als zum Aufbau des Fusionsplasmas benötigt wird, ist der ITER, dessen Planungsphase abgeschlossen ist. Zur Zeit laufen Verhandlungen, ob er in Frankreich oder Japan gebaut wird.

Für und Wider

Die Kernfusion wird von ihren Befürwortern als Energiequelle der Zukunft angesehen, die nach Überwindung der technischen Schwierigkeiten auf lange Sicht zur Verfügung stehen werde. Die genannten Vorteile sind:

Die ersten Fusionsreaktoren sollen die Deuterium-Tritium-Reaktion (D+T) nutzen:

Diese Reaktoren erbrüten das Tritium aus dem relativ seltenen Metall Lithium, und stellen daher nur eine bedingte langzeitige Sicherung des Energiebedarfs der Menschheit (einige tausend Jahre) dar. Erst mit der Deuterium-Helium-3 () oder der Deuterium-Deuterium-Reaktion (D+D), die allerdings erst bei noch wesentlich höheren Temperaturen stattfinden, wäre eine dauerhafte Energieversorgung gegeben.

Im Vergleich zur Kernspaltung wird vergleichsweise wenig radioaktives Material erzeugt. Es entsteht aufgrund der Aktivierung der Reaktorwände durch die bei der Fusionsreaktion freigesetzten Neutronen. Durch Wahl geeigneter Baumaterialen können die entstehenden Isotope, und somit deren Halbwertzeiten, kontrolliert werden. Es gilt als sicher, dass die Halbwertszeiten der entstehenden Isotope generell nur Hunderte, nicht aber Zehntausende von Jahren betragen. Daher entfällt eine Endlagerung zum größten Teil.

Kritiker weisen auf die in weiter Zukunft liegende Verfügbarkeit hin und geben zu bedenken, dass Fragen der Sicherheit und Umweltverträglichkeit erst bei einem weiter entwickelten Konzept beantwortbar seien. Das im Reaktor erbrütete Tritium ist radioaktiv, das Brutmaterial Lithium ist höchst reaktionsfreudig. Außerdem sei noch nicht klar, inwiefern die Kernfusion mit herkömmlichen Energiequellen konkurrieren könne, da man zwar mit nur geringen Kosten für den Brennstoff rechnen müsse, der Bau des eigentlichen Reaktors jedoch einen erheblichen finanziellen Kraftakt bedeutet. Kalkulationen ergeben etwa das 1-2fache des heutigen Strompreises. Da Fusionskraftwerke aus physikalischen Gründen Groß-Kraftwerke im GW-Bereich sein werden, lassen sie sich nicht leicht in die bestehenden Stromnetze einfügen.

Bislang stehen noch bedeutende technische Probleme zwischen den theoretischen Kenntnissen und einem laufenden Prototypen. Es ist nicht endgültig geklärt, ob ein Fusionsreaktor kommerziell nutzbare Energie liefern kann. Mit ITER soll gezeigt werden, dass die Vergrößerung des Reaktors das erhoffte bessere Verhältnis von aufgewendeter zu gewonnener Energie liefert. Der Nachfolger von ITER, DEMO, soll um das Jahr 2040 schließlich kommerziell nutzbare Energiegewinnung demonstrieren.

Das Kernproblem ist der Einschluss des heißen Wasserstoffplasmas bei einer Dichte und einer Temperatur (100 Mio Grad), bei der die Kernfusion stattfinden kann.

Reaktortypen

Ein Reaktor muss zwei Zwecke erfüllen:

  1. Einschluss des Plasmas derart, dass eine dauerhafte Reaktion aufrechterhalten wird;
  2. Abfuhr von Energie zur technischen Nutzung.

Es werden mehrere Möglichkeiten verfolgt, den Einschluss zu bewerkstelligen: Magnetfeldeinschluss: In Tokamaks und Stellaratoren schließt ein torusförmiges verdrilltes Magnetfeld das Plasma ein. Tokamaks erzeugen die Verdrillung durch Induzieren eines elektrischen Stroms in das Plasma, Stellaratoren haben dazu spezielle, komplizierte Formen der Magnetfeldspulen.

Inertieller oder Trägheitseinschluss: Hierbei wird der Brennstoff in Form kleiner Kügelchen (Pellets) durch Laserpulse oder Schwerionenstrahlen in kurzer Zeit zur Zündung gebracht. Die Reaktion läuft so lange ab, wie der Brennstoff durch seine Masseträgheit zusammenhält.

Farnsworth-Hirsch-Fusor-Reaktoren verzichten weitgehend auf einen Einschluss, erzeugen aber in einem dünnen Gas durch elektrische Entladung ausreichend viele schnelle Ionen. Diese werden in Richtung auf die innere, hohle, kugelförmige Elektrode beschleunigt, so dass es im Inneren dieser Elektrode dann zu Stößen und Fusionsreaktionen kommt. Die begrenzte thermische Belastung auf dieser inneren Elektrode verhindert aber zugleich den Betrieb bei hohen Stromdichten. Damit ist der Fusor eine gute regelbare Neutronenquelle im Labormaßstab, aber keine Energiequelle.

Einige Forscher haben behauptet, Kernfusion im Reagenzglas an Katalysatoren bei tiefen Temperaturen beobachtet zu haben. Diese kontroversen Experimente gelten heute als pseudowissenschaftlich. Die damals gemessenen Wärmefreisetzungen werden von Wissenschaftlern zumeist mit unerwarteten chemischen Reaktionen erklärt.

Der Begriff "Kalte Fusion" geht auf einen Vorschlag von Andrej Sacharow von 1948 zurück, die (funktionierende, aber ineffiziente) Myonen-katalysierte Kernfusion: Ein Myon verdrängt das Elektron eines Tritiumatoms. Auf Grund der hohen Masse des Myons ist sein Orbital um den Tritiumkern wesentlich kleiner als das des Elektrons. Dieses myonische Tritiumatom lagert sich einem Deuteriummolekül an. Deuterium- und Tritiumatom kommen sich dabei nahe genug, um zu fusionieren. In 99.4% der Fälle wird das Myon wieder freigesetzt und kann so weitere Kernreaktionen katalysieren. Mit einer Lebensdauer von 2.2 Mikrosekunden (= = μs) überlebt ein Myon mehr als 100 Reaktionen, dabei werden etwa 2 GeV (GigaElektronenvolt) an Energie frei. Leider gibt es keinen effizienten Weg, um Myonen (Ruhemasse = 106 MeV) herzustellen. Für die Produktion in Teilchenbeschleunigern muss pro Myon etwa eine Energie von 3 GeV aufgewendet werden.

Im Jahr 2002 machte ein Team rund um den Forscher Rusi Taleyarkhan mit einem spektakulären Fusionsexperiment[1] auf sich aufmerksam. Demzufolge wurden im Rahmen der Sonolumineszenz die Produktion von Neutronen beobachtet. Dabei handelt es sich um Gasblasen in Flüssigkeiten, die durch Ultraschall angeregt werden und beim Kollabieren kurzzeitig sehr hohe Drücke und Temperaturen erreichen. Dabei kommt es zur Licht-Aussendung und der zitierten Arbeit zufolge auch zur Kernfusion Sonofusion. Hauptkritikpunkt an den Arbeiten war, dass auch Neutronen verwendet wurden, um die Gasblasen ursprünglich zu erzeugen. Das Messgerät könne diese Anregungsneutronen nicht sicher genug von den Fusionsneutronen unterscheiden. 2004 wiederholte Taleyarkhan seine Experimente mit einer verbesserten Messausrüstung, um seine Kritiker zu überzeugen. Die Ergebnisse wurden in der Märzausgabe 2004 von "Physical Review E" [2]veröffentlicht.

Es handelt sich hier zwar, falls die Experimente sich bestätigen, ebenfalls um Kernfusion in kleinen Anlagen, aber nicht um "kalte" Kernfusion, da kurzzeitig extrem hohe Temperaturen und Drücke erreicht werden. Unklar ist auch hier die Energiebilanz, also das Verhältnis aus zugeführter Schallenergie zu erzeugter Fusionsenergie.

Heizen des Plasmas

Während einer laufenden Kernfusion können die gebildeten Heliumkerne die Energie zur Aufrechterhaltung der für die Fusionsreaktion notwendigen Temperatur liefern. Um die Fusion in Gang zu bringen, muss das Wasserstoffplasma allerdings auf etwa 100 Millionen Grad aufgeheizt werden. Zu diesem Zweck sind verschiedene Konzepte entworfen worden.

Elektrisches Heizen

Das Plasma ist ein elektrischer Leiter und kann mittels eines induzierten elektrischen Stroms erwärmt werden. Allerdings sinkt die Leitfähigkeit des Plasmas mit steigender Temperatur, so dass der dem Strom entgegengesetzte Widerstand ab etwa 20-30 Millionen Grad nicht mehr ausreicht, das Plasma stärker zu erwärmen.

Neutralteilchen-Einschuss

Das Einschießen von neutralen Atomen in das Plasma ist eine weitere Methode. Die kinetische Energie der Atome (die im Plasma sofort ionisiert werden) dient zum Aufheizen des Plasmas.

Magnetische Kompression

Ein Gas kann durch schnelles ("adiabatisches") Zusammenpressen erwärmt werden. Dasselbe kann mit einem Plasma durchgeführt werden und ein Magnetfeld ist geeignet, das Plasma zusammenzupressen. Ein zusätzlicher Vorteil dieser Methode ist, dass das Plasma gleichzeitig dichter wird und somit eine höhere Reaktionsrate erhält. Nachteilig ist, dass das komprimierte Plasma unter Umständen nur noch einen kleinen Teil des Volumens des Reaktionsgefäßes einnimmt.

Elektromagnetische Wellen

Mikrowellen können die Ionen und Elektronen im Plasma auf ihren Resonanzfrequenzen anregen, und somit Energie in das Plasma übertragen.

Selbstheizung der Reaktion

20% der freigesetzten Energie ist kinetische Energie der erzeugten Helium-Atomkerne. Durch Stöße wird diese Energie auf die im Plasma befindlichen Deuterium- und Tritium-Atome übertragen, wodurch sich die Temperatur des Plasmas erhöht.

Brennmaterial

Deuterium-Tritium-Reaktoren

Die einfachste erreichbare Kernfusion ist die zwischen Deuterium und Tritium. Daher wird sie auch zuerst eingesetzt werden.

Diese Reaktion besitzt allerdings folgende Nachteile:

  1. Das erforderliche Tritium ist radioaktiv.
  2. Bei der Reaktion entstehen viele Neutronen, die das Reaktormaterial radioaktiv aktivieren.
  3. Es ist schwierig, genau so viel Tritium zu erzeugen, wie verbraucht wird.

Die Erbrütung von Tritium findet meistens im Blanket des betreffenden Fusionsreaktors statt.

Insbesondere der Neutronenfluss, der den eines typischen Kernspaltungsreaktors um den Faktor 100 übertrifft, stellt ein Problem dar. Zum einen altern die Materialien, aus denen der Reaktor besteht, dadurch verstärkt. Zum anderen können durch Kernreaktionen zwischen den Neutronen und Wandatomen radioaktive Isotope gebildet werden. Bei der Wahl der verwendeten Materialien muss dies berücksichtigt werden, um möglichst wenig radioaktives Material zu erzeugen, und die Lebensdauern der erzeugten Isotope kurz zu halten.

Die Neutronen sind die Teilchen, deren Energie letztlich zur Stromerzeugung verwendet wird, da sie als neutrale Teilchen das einschließende Magnetfeld verlassen und ihre Energie an einen Kühlkreislauf abgeben können. Weiterhin soll mit ihrer Hilfe das in der Natur nicht vorkommende Tritium aus Lithium erbrütet werden:

(7.6% Vorkommen)

(92.4% Vorkommen)

Der Wirkungsquerschnitt für die exotherme Reaktion mit 6Li ist für Fusionsneutronen (kinetische Energie etwa 14 MeV) geringer als für die Reaktion mit 7Li, bei der auch wieder ein Neutron abgegeben wird. Allerdings haben diese sekundären Neutronen geringere Energie, weil die Reaktion endotherm verläuft und auch Energie an die anderen Reaktionsprodukte abgegeben wird. Dadurch ist für die sekundären Neutronen der Wirkungsquerschnitt für eine weitere Reaktion mit 7Li viel geringer, der für 6Li aber höher.

Da bei jeder Fusionsreaktion ein Neutron freigesetzt wird, muss man im Durchschnitt durch jedes Neutron ein Tritiumatom erzeugen, um den Tritiumbedarf decken zu können. Wegen der Erfahrung mit Brutreaktoren rechnet man damit, dass man aufgrund von Neutronenverlusten noch zusätzliche Neutronenmultiplikatoren wie Beryllium benötigt.

Deuterium-Deuterium-Reaktoren

Bei der D-D-Reaktion ist kein Erbrüten des Brennstoffs nötig. Zwei Reaktionen sind möglich:


Folgereaktionen:

Schwerere Materialien

Es ist vorgeschlagen worden, Materialien wie Lithium, Beryllium oder Bor zu fusionieren. Derartige Reaktionen würden wenige Neutronen freisetzen, und die Energie in geladenen Teilchen abgeben, also leicht zu nutzen sein.

Trotz dieser attraktiven Eigenschaften wird der Einsatz solcher Materialien aufgrund einer im Vergleich zur D-T-Reaktion 5-fach höheren Reaktionstemperatur nicht erwartet.

Kernfusionexperimente

Trägheitseinschluss (Laserfusion)