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Leonardo Boff

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Leonardo Boff (* 14. Dezember 1938 in Concordia, Santa Catarina) ist ein brasilianischer Theologe. Er gilt als einer der Schöpfer der Befreiungstheologie und Verteidiger der Menschenrechte.

Als Sohn italienischer Einwanderer besuchte er die Schule in Concordia, danach in Rio Negro (Paraná) und in Agudos (Sao Paolo). 1959 trat er dem Franziskanerorden bei.

Nach dem Studium der Philosophie in Curitiba und der Theologie in Petropolis schrieb er seine Dissertation für beide Fächer 1970 in München: Einer seiner Doktorväter damals war Joseph Ratzinger, der heutige Papst Benedikt XVI. Als Theologie- und Philosophieprofessor lehrte Boff nun u.a. als Gastdozent an den Universitäten Lissabon (Portugal), Salamanca (Spanien), Harvard (USA), Basel (Schweiz) und Heidelberg (Deutschland) und erhielt zahlreiche Ehrentitel.

1981 erschien sein Buch "Kirche und Macht" auf Portugiesisch mit dem Untertitel "Eine militante Ekklesiologie". Beides - das Thema wie die Militanz - führten zum "Fall Boff" (siehe Literatur): Sein anderer Doktorvater, der Franziskaner Bonaventura Kloppenburg, warf ihm daraufhin öffentlich "Häresie" vor. Als Boff daraufhin an Ratzinger schrieb und ihn um Rat bat, erhielt er im Mai 1984 eine Vorladung nach Rom. Im September fand das Geheimgespräch mit der Kurie statt. Obwohl Boff danach rehabilitiert zu sein schien, erhielt er überraschend Anfang 1985 ein Rede- und Lehrverbot für ein Jahr von der römischen Kongregation für die Glaubenslehre. Er verlor alle kirchlichen Funktionen. 1986 erhielt er diese zwar - einen Monat vor Ablauf der Frist - zurück, zugleich wurde die "Theologie der Befreiung" aber offiziell vom Vatikan als kirchenfeindliche Ideologie verurteilt.

Kern des Konflikts zwischen Boff und Ratzinger war nicht - wie bei anderen Befreiungstheologen - der Vorwurf eines Marxismus in christlicher Tarnung: Vielmehr standen betont theologische Aussagen seines Buchs im Zentrum der vatikanischen Kritik. Denn er hatte die wahre Kirche des Heiligen Geistes der falschen Kircheninstitution mit ihren Machtansprüchen über die Gläubigen gegenübergestellt und dabei ausdrücklich auf die Reformation Bezug genommen. Er kritisierte den dogmatischen Sakramentalismus und stellte ihm die lebendige, prozessuale Kirche der Armen gegenüber: In ihr - konkret in Gestalt von über 100.000 Basisgemeinden allein in Brasilien - fand er das echte "Sakrament des Heiligen Geistes" mit dem "Charisma" als "Organisationsprinzip" (Kapitelüberschriften).

Ratzingers Vorladung benannte bereits die Konfliktpunkte: Er warf Boff vor, dass

  • Jesus Christus für ihn keine bestimmte Kirchengestalt befohlen habe, so dass andere als das katholische Kirchenmodell aus dem Evangelium heraus denkbar würden,
  • Offenbarung und Dogma bei ihm nur eine untergeordnete Rolle spielten, so dass kein ausreichender Schutz gegen häretische Verzerrung des christlichen Glaubens gegeben sei (Boff hatte in einem Kapitel sogar die befreienden Elemente des "Synkretismus" der Volksfrömmigkeit gelobt);
  • Boff historischen Machtmissbrauch der Kircheninstitution unnötig polemisch und respektlos beschrieben und der Kircheneinheit damit geschadet habe.

Nach seiner Rechtfertigung vor der Kurie erklärte Boff, dass er das Dogma als Schutz vor Häresie anerkannt habe: Jedoch sei es der lebendige Heilige Geist selber, der die Kirche vor häretischer Erstarrung in "zeitlosen Wahrheiten" schütze. Die zeitlose Auffassung des Dogmas könne nur zum Verlust des Glaubens führen. Boff kritisierte die gesellschaftliche Funktion der Kirchenhierarchie weiterhin scharf und warf ihr seinerseits "religiöse Ausbeutung" der Hoffnungen des armen Volkes vor. "Von oben" angebotene Vergebung zeigten ein paternalistisches Sakramentsverständnis: "Die Kirche der Reichen für die Armen verneint die Macht des Volkes, sich zu befreien." Die Kurie verweigere den Dialog mit dem Volk selbst; europäisch geprägte Theologen könnten die reale Glaubenserfahrung der Armen in den Slums nicht nachvollziehen. Ihre Dominanz könne nur zu weiterer Marginalisierung der Armen, politischer Machtkonzentration und kirchlich-instituioneller Hybris führen. Dagegen wollte er die Macht der Kirche im "Dienst" der lebendigen, sich verändernden Kirche der Armen, die ihr Leben mit dem Volk teilt und Privilegien abbaut, begründen.

Im Jahr seines Rede- und Lehrverbots hatte Boff Weltruhm erlangt und vier weitere Bücher verfasst, die seine Christologie, Ekklesiologie und Sakramentenlehre ausführten. 1992 jedoch sah er einem erneuten Rede- und Lehrverbot entgegen. Er gab sein Priesteramt nun freiwillig auf und widmete sich vermehrt seinen Aktivitäten als Theologe, Autor sowie der Führung von Verbänden und sozialen Bewegungen. Seit 1993 ist Professor für Ethik und Theologie in Rio de Janeiro. Er schrieb mehr als 60 Bücher im Bereich der Theologie, Philosophie, Anthropologie und Mystik, darunter ein eigenständiges ökologisches "Weltethos", eine humorvolle Erklärung der Sakramente, Bücher über die "Logik des Herzens" und das "Mitgefühl" als zentrale Ausgangspunkte für sozialistisches Engagement.

2001 erhielt er mit anderen den Alternativen Nobelpreis. Er spricht heute nicht mehr von "Befreiung", sondern vom "Lebensschutz" für die "Ausgeschlossenen" und weist auf die gegenwärtige Realität seines Landes hin: Dort erhalten ein Drittel der Bevölkerung - allein 50 Millionen Menschen - keinerlei staatliche Hilfen gegen Kriminalität, Verhungern und Arbeitslosigkeit.

Literatur

  • Kardinal Joseph Ratzinger /Leonardo Boff: Dokumente eines Konfliktes um die Theologie der Befreiung. Das Buch "Kirche: Charisma und Macht" in der Diskussion. 1985, ISBN 388095013X
  • Claus Schwambach: Rechtfertigungsgeschehen und Befreiungsprozess: Die Eschatologien von Martin Luther und Leonardo Boff im kritischen Gespräch. Vandenhoeck & Ruprecht 1996, ISBN 352556239X