Revisionismus
Mit dem Begriff Revisionismus (v. lat.: re wieder; videre durchsehen) wird, meist polemisch, das Bestreben eines Teiles einer Interessengruppe bezeichnet, von einer als gemeinsam und verbindlich anerkannten Grundlage abzugehen. Der Begriff kann je nach Zusammenhang unterschiedliche Bedeutungen annehmen:
1. Revisionismus (als Begriff 1903 geprägt) bzw. das revisionistische Abweichen wird in der Politik und Politikgeschichte in der Regel als die moderate, pragmatische und realitätsnahe Herangehensweise beim Durchsetzen der jeweiligen Ziele begriffen. Die dabei an den Tag gelegte Kompromissbereitschaft wird von der jeweils orthodoxeren Gruppe als Verrat beargwöhnt.
- In der deutschen Geschichte der Arbeiterbewegung wurde das Schlagwort des Revisionismus zum Grundvorwurf der kommunistischen Partei gegen die Sozialdemokratie. Diese würde die revolutionären Lehren revidieren und damit Verrat am Klassenkampf üben. Heftige Kritik erntete vor allem die Regierung Ebert/Noske zu Beginn der Weimarer Republik.
- Diese Argumentation wurde 1959 wieder aufgegriffen, als die SPD das Godesberger Programm verabschiedete. Mit dieser Revision ihrer Ziele erkannte die Partei die soziale Marktwirtschaft an und vollzog den Schritt von einer Klientel-Partei der linksgerichteten Arbeiterschaft zur Volkspartei.
2. Aber auch der Gegensatz zu dieser Position, das zugespitzt fundamentalistisch - ideologische, das intolerante und gewaltbereite Herangehen beim Durchsetzen des Programms kann als Revisionismus beschrieben werden.
- So lehnte die 1925 gegründete militante Revisionistische Zionistische Allianz in Palästina jegliche Zusammenarbeit sowohl mit der britischen Mandatsregierung als auch mit den benachbarten Arabern radikal ab.
3. Mit "Revisionismus" bezeichnet man weiterhin in der deutschen Geschichte das Bestreben, insbesondere die historischen Fakten über die Verbrechen des Nationalsozialismus zu relativieren, "revidieren" und zu verharmlosen.
- Im Zentrum revisionistischen Bemühens steht die Leugnung des Holocaust sowie die Leugnung der Kriegsschuldfrage. Zu den Revisionisten zählen u.a. Ernst Zündel und Fred Leuchter. Als Zentrale des "Revisionismus" kann man das Institute for Historical Review Kalifornien ansehen.
4. Der Begriff wurde zudem (wann) verwandt, als einige us-amerikanische Geschichtswissenschaftler die Rolle der USA im 1. Weltkrieg untersuchten und mit ihren Forschungsarbeiten ein bis dahin interessengeleitetes Geschichtsbild korrigierten.
- In Anlehnung an diese ursprüngliche Bedeutung wurden Mitte der 1990er israelische Historiker wie Benny Morris oder Ilan Pappe als Revisionisten bezeichnet, die unabhängig von einander die Vertreibung der arabischen Bevölkerung kurz vor der Gründung Israels 1948 untersuchten. Die Arbeiten erregten international Aufsehen, da die Quellenlage bis dahin kaum erschlossen und das Geschichtsbild sowohl auf israelischer wie auf palästinensischer Seite propagandistisch gefärbt war.
5. Schließlich bezeichnet Revisionismus in der Geschichte der Politik das Bestreben, bestimmte, häufig in der Folge von Kriegen zu vertraglichem Recht gewordene Fakten rückgängig zu machen. Hauptsächlich sucht der Revisionismus, bestimmte zum Territorium eines anderen Landes gehörende Gebiete als legitimen und ursprünglich eigenen Besitz darzustellen, und deren Erwerb zu erreichen.
- Mit der Annexion von Elsass-Lothringen 1870/71 rief Deutschland einen französischen Revisionismus hervor.
- Die mit dem Ausgang des 1. Weltkrieges verbundenen Gebietsabtretungen an die Slowakei und Rumänien schürten den ungarischen Revisionismus.
- Das revisionistische Vorgehen der Nationalsozialisten unter Hitler gegen den Versailler Vertrag fand in Deutschland 1933 uneingeschränkte Zustimmung.
- Nach 1945 bestreitet der Revisionismus in Deutschland die im Zuge des Potsdamer Abkommens gezogenen deutschen Grenzen nach Osten. Diese völkerrechtlich gültigen Grenzen, insbesondere die von Deutschland als unantastbar angesehene Oder-Neiße-Linie unterliegen anhaltender Kritik revisionistischer Kreise.