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Anthroposophie

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Die Anthroposophie (wörtlich Die Weisheit vom Menschen) ist eine von Rudolf Steiner begründete weltweit vertretene spirituelle Weltanschauung mit europäischen Wurzeln. Der Begriff ist nicht zu verwechseln mit Anthropologie (wörtlich Lehre vom Menschen).

Allgemeines

Die Anthroposophie versteht sich als eine christliche und humanistische Methode der Bewusstseinsentwicklung. Sie schöpft aus esoterischen und okkulten Quellen und umfasst Elemente des Gnostizismus und des Rosenkreuzertums. Aufgrund dieser Verbindung sehr unterschiedlicher Konzepte kann sie als synkretistische Weltanschauung bzw. als eklektischer Mystizismus betrachtet werden. Sie beinhaltet einen umfassenden (kosmischen) Evolutionsbegriff sowie ein vielschichtiges Konzept der Wiederverkörperung (Reinkarnation) und des Schicksals (Karma). Anders als in der Theosophie, aus der sie hervorging, spielt in der Anthroposophie das Christentum – in einer individuellen Variante – eine zentrale Rolle.

Unter Anthroposophie lassen sich zum einen die theoretischen Lehren Rudolf Steiners verstehen und zum anderen der von ihm entwickelte „geisteswissenschaftliche“ Schulungsweg, über den es möglich sein soll, die theoretischen Lehren nachzuvollziehen.

Die anthroposophische Bewegung ist soziologisch, weltanschaulich-religiös und politisch sehr heterogen. Die Interpretation von Steiners Werk ist aufgrund der verschiedenen Themengebiete und des großen Umfangs (28 Schriften und ca. 5900 Vorträge) innerhalb der Anthroposophie nicht einheitlich.

Die Impulse, die von der Anthroposophie ausgehen umfassen so unterschiedliche Lebensbereiche, wie Pädagogik/Heilpädagogik (Waldorfschule), Medizin (anthroposophisch erweiterte Medizin), Landwirtschaft (biologisch-dynamische Landwirtschaft), Gesellschaft (Dreigliederung des sozialen Organismus) und Religion (Christengemeinschaft, selbst nicht zur Anthroposophie gehörend)

Als Zentrum der Anthroposophischen Gesellschaft wurde das Goetheanum erbaut.

Geschichte

Steiner übernahm den Begriff "Anthroposophie" um 1895 von seinem Wiener Lehrer Robert Zimmermann, der bereits ein System idealer Weltsicht veröffentlicht hatte. In den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelte er daraus in Berlin als freier Publizist in zahlreichen Vorträgen und Aufsätzen die Grundzüge der heutigen Weltanschauung. Nach anfänglich enger Verbindung mit der Theosophie (Steiner war Vorsitzender der Theosophischen Gesellschaft), trennte sich Steiner 1912 von dieser Richtung und gründete in Köln die Anthroposophische Gesellschaft, ohne religiösen Anspruch, aber auch in expliziter Distanzierung von der rational-wissenschaftlichen Aufklärung. Im gleichen Jahr wurde in Dornach bei Basel (Schweiz) das erste Goetheanum erbaut, als Veranstaltungsraum und Zentrum der Gesellschaft. Gleichzeitig begannen vielfältige Aktivitäten im sozialen, kulturellen und gesellschaftlichen Bereich. 1919 gründete etwa Emil Molt, Generaldirektor der Zigarettenfabrik Waldorf-Astoria, in Stuttgart für die Kinder seiner Angestellten die erste Waldorfschule mit anthroposophischer Ausrichtung. 1921 wurde die Pharmafirma Weleda AG gegründet, die anthroposophische und homöopathische Arzneimittel herstellt und vertreibt. 1922 gründet eine Gruppe von Theologen die Christengemeinschaft, eine Bewegung zur Erneuerung des Christentums mit anthroposophischer Ausrichtung.

Gleichzeitig formieren sich Gegner. In der Sylvesternacht 1922 brennt das aus Holz errichtete erste Goetheanum bis auf seine Grundmauern nieder, vermutlich von Unbekannten in Brand gesetzt. Daraufhin entwarf Steiner ein zweites, größeres Goetheanum, das erst 1928 fertiggestellt wurde. 1923 reorganisiert sich die Anthroposophische Gesellschaft als Dachorganisation von unabhängigen Landesgesellschaften in zahlreichen europäischen Staaten; Rudolf Steiner wird Vorsitzender und außerdem Leiter der sog. Freien Hochschule für Geisteswissenschaft. Nach Steiners Tod übernimmt Albert Steffen diese Position.

Die Anthroposophie im Nationalsozialismus

Am 1. November 1935 wurde die Anthroposophische Gesellschaft wegen ihrer "Beziehungen zu ausländischen Freimaurern, Juden und Pazifisten" verboten. Schon vorher hatten alle jüdischen Mitglieder ihre Ämter in der Gesellschaft abgegeben, und ein Großteil der jüdischen Mitglieder war ausgetreten. Nach dem Verbot bemühten sich einige Anthroposophen um eine Wiederzulassung. Diese Versuche scheiterten 1939 endgültig, als Rudolf Heß die "Gleichbehandlung mit ehemaligen Freimaurern" anordnete. Die acht Waldorfschulen durften bis 1940 keine Einschulungen mehr vornehmen. Einzelne Schulen wurde verboten (1938 Stuttgart und 1941 Dresden). Von den acht anthroposophischen heilpädagogischen Heimen wurden drei massiv bedroht, davon zwei geschlossen. Trotz dieser Repressionsmaßnahmen gab es auch Mitglieder, die sich mit dem System arrangierten oder sogar aktiv in den Gremien der NSDAP mitarbeiteten.

Nachkriegszeit

Nach dem Krieg wurde die Bewegung neugegründet; Schwerpunkte ihrer Tätigkeit blieben die Pädagogik, Medizin und Landwirtschaft (vgl. Demeter-Landwirtschaft). Weltweit sind zahlreiche Waldorf-Schulen und -Kindergärten, die auf der Pädagogik Rudolf Steiners basieren, in Betrieb (lt. Selbstdarstellung: 877 Schulen in 57 Ländern), dazu entsprechende Studiengänge und Kurse in Waldorf-Pädagogik. Eine Bank mit anthroposophischer Zielsetzung wurde 1960 in Bochum gegründet (GLS-Gemeinschaftsbank). 1969 entstand das Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke, eine zum damaligen Zeitpunkt moderne Einrichtung. Zur Zeit sind nach Aussagen der Anthroposophischen Gesellschaft weltweit über 1.0000 Einrichtungen in 100 Ländern aktiv.

Lehre

Steiners Erkenntnisse entstammen nach eigenen Angaben einer ihm seit seiner Kindheit bewussten und methodisch vertieften geistig-übersinnlichen Schau (s. z.B. Akasha-Chronik). In seinem stärker philosophisch geprägten Frühwerk entwickelte Steiner einen ontologischen Monismus, der wesentlich auf einer Auseinandersetzung mit Immanuel Kant ("Kritik der reinen Vernunft") und dem Neokantianismus beruhte. Als weitere Einflüsse können Goethe, Hegel (Phänomenologie), Fichte (deutscher Idealismus), Nietzsche, Max Stirner und Ernst Haeckel gelten. Deren Lehren werden von Steiner allerdings sehr selektiv bzw. individuell herangezogen und ausgelegt (s. insb. Wahrheit und Wissenschaft und Die Philosophie der Freiheit).

Später wurde diese philosophische Basis teils verlassen, teils durch explizit christliche und esoterische Glaubensbestandteile erweitert. Nach Steiner befindet sich der Mensch (und die gesamte Welt, also auch die geistige) in beständiger Entwicklung (Evolution). Das Ziel des anthroposophischen Schulungsweges sei es, durch Meditation, Selbsterziehung und Beobachtung auf einer lebenslangen 'Suche', höhere Bewusstseinsebenen zu erreichen. Dieser Schulungsweg sei individuell auszugestalten und könne von jedem Menschen beschritten werden.

Begriffe

Der Mensch existiert laut Steiner in vier ineinander greifenden Ebenen, die auch als Wesensglieder bezeichnet werden:

Daraus ergibt sich eine Gliederung in sieben Teile des irdischen Menschen:

  1. Der physische Körper
  2. Der Äther- oder Lebensleib
  3. Der empfindende Seelenleib
  4. Die Verstandesseele
  5. Die geisterfüllte Bewusstseinsseele
  6. Der Lebensgeist
  7. Der Geistesmensch

Durch den Tod, bei dem sich die höheren Leiber vom physischen Leib trennen, löse sich zunächst der Ätherleib, später der Astralleib auf und das Ich sinke zuletzt in einen bewußtlosen Zustand um sich mit Hilfe höherer Wesenheiten auf die Reinkarnation in einer veränderten physischen Umgebung vorzubereiten. Dieser Zyklus werde von dem individuellen Schicksal und der konkreten Lebensgestaltung des Menschen bestimmt.

Kritik

Fehlende Wissenschaftlichkeit / umfassender Wahrheitsanspruch

Aus kritischer Perspektive handelt es sich bei Steiners synkretistischer Weltanschauung um eine Spielart der Esoterik. Deren zentrale Begriffe zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie nicht wissenschaftlich überprüfbar sind (d.h. nicht intersubjektiv, falsifizierbar, empirisch überprüfbar und allgemein zugänglich). Geheimwissenschaft (Okkultismus) ist eine von Steiner selbst verwendete Bezeichnung, mit der er ausdrückt, dass seine Lehre über das bloße "Verstandesdenken" hinausgeht. An H. Blavatskys Secret Doctrine Geheimlehre anknüpfend, stellt die Geheimwissenschaft einen Kern seiner Werke aus der frühen theosophischen Phase (1902-10) dar. Fortgeschrittene Schüler seien zu übersinnlichen Wahrnehmungen imstande. Die sog. "Geheimwissenschaften" errichten Denkgebäude, die nur für "Eingeweihte" zugänglich sind. Da die Theoreme nicht von jedem Mitglied überprüfbar sind, entsteht das Risiko von Ideologisierung, Sektiererei und Weltfremdheit.

Steiner nahm zudem für sich in Anspruch, unumstößliche Wahrheiten einer hellseherischen Lektüre der sog. "Akasha-Chronik" zu entnehmen. So berichtete er etwa Details aus Atlantis, korrigierte christliche Evangelien und enthüllte Geheimnisse ägyptischer Priester. Er formulierte somit für seine Anthroposophie einen umfassenden Wissensanspruch. Diese Wahrheiten stünden nicht in einem Widerspruch zur "herkömmlichen" empirischen Wissenschaft und sie seien intersubjektiv überprüfbar. Allein an diesen beiden Proklamationen, so der Philosoph Sven Ove Hansson, ließen sich Steiners Aussagen falsifizieren. Erstens sei es niemandem, der auf Steiners Schulungsweg gegangen ist, bis heute gelungen, wie dieser in der Akasha-Chronik zu lesen und zweitens ließe sich alleine Anhand Steiners Aussagen über Quantenphysik und Relativitätstheorie leicht zeigen, dass seine spitituellen Erkenntnisse zu anderen Ergebnissen führten, als die Experimente der modernen Wissenschaft. Diese und ähnliche Überlegungen bewogen Kritiker, der Anthroposophie die selbstproklamierte Wissenschaftlichkeit abzusprechen.

Rassismusvorwurf

In seinem weitausgreifenden Werk (das vielfach auf ungeprüften Mitschriften seiner Vorträge beruht) finden sich auch wiederholt Aussagen über menschliche Rassen, also völkische Ideen, wie sie sich auch bei Oswald Spengler, Arthur Moeller van den Bruck und Ernst Niekisch finden. Das Vorhandensein menschlicher Rassen in unterschiedlichen Entwicklungsstufen sei eine Tatsache, die sich ihm aus seinen Forschungen ergeben habe. Aus linksprogressiven Kreisen kam daher schon früh der Vorwurf, Steiners Lehre sei "faschistoid" (Ernst Bloch). Tatsächlich finden sich in Steiners Werk vereinzelt entsprechende Passagen, die besonders vor dem Hintergrund der späteren NS-Rassenpolitik hochproblematisch sind. So griff er etwa die "Wurzelrassentheorie" der Theosophie auf, die aus heutiger Perspektive als rassistisch gewertet werden muss. Diese Lehre besagt, dass sich die Menschheit in Rassen, von niederen zu immer höheren Stadien entwickelt hat, mit der arischen Rasse als höchster Entwicklungsstufe. Dieses Ideengebäude wurde später auch von der sog. "Ariosophie" aufgegriffen und explizit auf das Germanentum gemünzt. 1997 - im Europaratsjahr gegen den Rassismus - wurde die Verwendung dieser und ähnlicher Vorstellungen seitens der Anthroposophie Rudolf Steiners in den Blick genommen. In den Niederlanden wurde eine Kommission aus der Anthroposophie nahestehenden Wissenschaftlern gebildet, die zu dem Ergebnis kam, dass 50 Textstellen in Steiners dreihundert Bände umfassenden Ouevre aus heutiger Sicht diskriminierend sind, 12 sogar in den Niederlanden strafbar. Allein die quantitative Auflistung zeigt jedoch auch, dass die Äußerungen kaum zentral für Steiners Werk gewesen sind. Die Kommission urteilt: "Das anthroposophische Menschenbild Rudolf Steiners steht auf der Grundlage der Gleichwertigkeit aller menschlichen Individualitäten und nicht auf einer vermeintlichen Überlegenheit der einen Rasse gegenüber einer anderen." Was nicht erörtert wird ist die Frage, was das festgestellte Vorhandensein strafbarer Äußerungen - deren Zahl nach geltendem deutschem Recht möglicherweise noch höher ist - für Steiners Gesamtwerk bedeutet.

Christologie

Die anthroposophische Christologie enthält gnostische Elemente, die neben der Lehre von Reinkarnation und Karma Angriffspunkte der konfessionellen Kritik geworden sind. Steiners eklektische Verknüpfung von Christentum und Reinkarnationsvorstellungen bietet für diese Kritik auch zahlreiche Anhaltspunkte. So steht in der Anthroposophie die Erlösung nicht am Ende eines einzigen, sondern am Ende einer Reihe vieler Leben. Erlösung stelle sich ein, wenn sich der Mensch durch viele Verkörperungen hindurch zu einem Wesen, das einen eigenen Platz in den himmlischen Hierarchien einnimmt, entwickelt habe. Die anthroposophische Bewegung wird jedoch weder von Kirchen noch von der Bundesregierung in den sog. "Sektenberichten" erwähnt, etwa im Zusammenhang mit gesellschaftlich geächteten Vorgehensweisen, z.B. manipulativer Mitgliederwerbung.

Siehe auch: Christengemeinschaft

Literatur

Anthroposophische Schriften

Befürwortende oder neutrale Standpunkte

  • Kriele, Martin: Anthroposophie und Kirche. Erfahrungen eines Grenzgängers. Herder Verlag 1996 ISBN 3451239671
  • Binder, Andreas: Wie christlich ist die Anthroposophie? Standortbestimmungen aus der Sicht eines evangelischen Theologen, Stuttgart : Urachhaus, 1989, ISBN 3878386117
  • Werner, Uwe: Anthroposophen in der Zeit des Nationalsozialismus:1933 - 1945, XII, 473 S., München: Oldenbourg, 1999, ISBN 3-486-56362-9

Aus kritischer Sicht

  • Baumann-Bay, Lydie und Andreas:: Achtung, Anthroposophie! Ein kritischer Insider-Bericht. Zürich : Kreuz Verlag, 2000, ISBN 3268002552.
  • Bierl, Peter: Wurzelrassen, Erzengel und Volksgeister : die Anthroposophie Rudolf Steiners und die Waldorfpädagogik. Hamburg : Konkret Literatur Verlag, 1999, ISBN 3-89458-171-9
  • Guido Grandt, Michael Grandt (1999): Waldorf Connection. Rudolf Steiner und die Anthroposophen. ISBN 3932710096

Anthroposophie in der Diskussion

pro

contra