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Lernen durch Lehren

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Wenn in der Pädagogik von Lernen durch Lehren (LdL) gesprochen wird, meint man eine Unterrichtsmethode, in der Schüler Unterrichtssequenzen vorbereiten und durchführen, bei einigen Lehrern sogar den gesamten Unterricht von der ersten Stunde an bis zum Ende des Schuljahres übernehmen. Mit Referaten darf LdL nicht verwechselt werden. Auch wenn JP.Martin als Promotor der Methode sich gegen eine Benotung der von Schülern gehaltenen LdL-Stunden ausspricht, dieser Punkt bleibt umstritten.


Die Geschichte

Das Grundprinzip ist nicht neu, schon seit dem Altertum wurde ähnliches angewandt, etwa im 19. Jahrhundert als Teil des Konzepts der Lancasterschulen. Die erste Monographie zu diesem Thema stammt in den USA von Gartner, 1971, und in Deutschland von R. Krüger (1975, Verlag Klinkhardt). Zu einer breiten Fundierung der Methode kam es erst Anfang der 1980er Jahre, als Jean-Pol Martin das Konzept für den Französischunterricht systematisch entwickelte und in zahlreichen Publikationen wissenschaftlich untermauerte. Parallel dazu wurde die Idee auch von anderen Wissenschaftlern aufgegriffen und untersucht (u.a. A. Renkel, 1997, und PÄDAGOGIK, Nr.11/97). Verbreitet wurde die Methode jedoch dank eines 1987 von Martin gegründeten Kontaktnetzes, das einige tausend Lehrer umfasst, die LdL in allen Fächern anwenden, dokumentieren und in Lehrerfortbildungen vorstellen (siehe unter Didaktik die "LdL-Bewegung"). Seit 2001 erlebt LdL einen besonderen Aufschwung im Zusammenhang mit den in der Bundesrepublik überall eingeleiteten Schulreformen.

Die Methode seit dem Beginn des 21.Jh.

Theoretische Hintergründe

LdL beruht auf zwei Komponenten, der pädagogisch-anthropologischen und der fachspezifisch-inhaltlichen:

Pädagogisch-anthropologisch (hier verkürzt) bezieht sich LdL auf die Bedürfnispyramide von Maslow. Die Aufgabe, anderen einen Wissensstoff zu vermitteln, soll die Bedürfnisse nach Sicherheit (Aufbau des Selbstbewusstseins), nach sozialem Anschluss und sozialer Anerkennung sowie nach Selbstverwirklichung und Sinn (Transzendenz) befriedigen. Bezüglich des Bedürfnisses nach Transzendenz wird folgende Logik verfolgt: angesichts der auf die Menschheit zusteuernden Probleme ist es unabdingbar, möglichst viele intellektuellen Ressourcen zu mobilisieren um diesen zu begegnen; dies geschieht im LdL-Unterricht in besonderem Maße. Da gemeinsame Konstruktion von Wissen nur durch intensive Kommunikation erfolgen kann, wird demokratisches Verhalten gefördert (siehe Lernen durch Sprechen und Kooperatives Lernen).

Fachspezifisch (hier bezogen auf den Fremdsprachenunterricht) soll LdL den seit jeher bestehenden Scheinwiderspruch zwischen Habitualisierung (Behavioristische Komponente), Stoffbezogenheit (Kognitivistische Komponente) und Authentischer Interaktion (Kommunikative Komponente) aufheben.

Praktische Anwendung

Nach intensiver Vorbereitung durch den Lehrer werden die Schüler zu (Mit-)Verantwortlichen ihres eigenen Lehr-/Lernprozesses. Der neue Stoff wird dafür in kleinen Portionen eingeteilt. Es werden Schülergruppen (maximal drei Schüler) gebildet und jede Gruppe bekommt einen abgegrenzten Stoffabschnitt sowie die Aufgabe, diese Inhalte der Gesamtklasse zu vermitteln. Die beauftragten Schüler bereiten den Stoff didaktisch auf (spannende Impulse, Abwechslung in den Sozialformen usw.). LdL darf auf keinen Fall als ein durch Schüler gehaltener Frontalunterricht missverstanden werden. Die unterrichtenden Schüler müssen sich ständig mit geeigneten Mitteln davon versichern (kurz nachfragen, zusammenfassen lassen, kurze Partnerarbeit einflechten), dass jede Information von den Adressaten verstanden wird.

Die meisten Anwender verwenden die Methode nicht flächendeckend sondern phasenweise und/oder nur in einigen, besonders geeigneten Klassen und berichten über folgende Vor- bzw. Nachteile:

Die Vorteile:

  • Der Stoff wird intensiver erarbeitet und die Schüler sind wesentlich aktiver
  • Die Schüler erwerben zusätzlich zum Fachwissen Schlüsselqualifikationen:
-Teamfähigkeit
-Planungsfähigkeit
-Zuverlässigkeit
-Präsentation und Moderation
-Selbstbewusstsein

Die Nachteile

  • Höherer Zeitaufwand bei der Einführung der Methode
  • Höherer Arbeitsaufwand bei Schülern und Lehrern
  • Gefahr der Eintönigkeit, wenn der Lehrer keine didaktischen Impulse liefert

LdL in den einzelnen Anwendungsbereichen

Die Methode LdL findet Anwendung in allen Schultypen und in allen Fächern. Sie wird in den meisten Lehrplänen als offene, schüleraktivierende Option empfohlen, und als Aus- und Fortbildungsmethode auch außerhalb des Unterrichtswesens eingesetzt (Bundesgrenzschutz, Ausbildung von Bibliothekar/innen). LdL wird bei besonderen Lernergruppen (Hochbegabte) angewandt und in unterschiedlichen Kulturen. Auf der wissenschaftlichen Ebene befasst sich seit 2001 besonders die Gehirnforschung mit "Lernen durch Lehren".

LdL in unterschiedlichen Aus- und Fortbildungsinstitutionen

  • Hochschule: Studierenden werden Gelegenheiten gegeben, vernetztes Denken zu trainieren, um somit Wissen zu generieren. Forschung und Lehre lassen sich harmonisch verknüpfen. Sie entsprechen damit dem Ideal des universitären Lehrbetriebs. Als besonders anregend und den Forderungen der modernen Arbeitswelt entsprechend hat sich dabei erwiesen, den traditionell vielfach detailreichen Stoff zunächst auf ein Kernwissen einzugrenzen; im Anschluss forschen Studierende (im Team) in verschiedenen Detailgebieten und zu verschiedenen Fragestellungen nach ihrem Interesse. LdL lässt sich grundsätzlich auch an der Universität in jedem Fach und mit jeder Teilnehmergruppe durchführen (besonders günstig sind Gruppen zwischen 15 und 35 Teilnehmern). Ein Erfahrungsbericht mit theoretischer Untermauerung, praktischen Hinweisen und Literaturhinweisen: LdL: Vorbereitung auf die Wissensgesellschaft an der Uni.
  • Gymnasium: LdL wurde im Gymnasialbereich entwickelt und die meisten Erfahrungen liegen in diesem Schultyp vor. Die Ursache für das Interesse an LdL im Gymnasium liegt u.a. in dem Umstand, dass die pädagogisch-didaktische Komponente bei der Ausbildung der Gymnasiallehrer gegenüber den anderen Lehrämtern am geringsten ist, so dass ein größerer Bedarf an didaktischen Konzepten besteht. Ferner kommt den Gymnasiallehrern entgegen, dass im Vergleich zu anderen schüleraktivierenden Verfahren (z.B. zur Freiarbeit oder zum Lernzirkel) LdL als die kognitiv anspruchsvollere Methode wahrgenommen wird.
  • Realschule: Die Ausbildung an der Realschule sieht einen wichtigen Schwerpunkt darin, den Schülern nicht nur wissenschaftlich fundierte Kenntnisse zu vermitteln, sondern sie auch praxisbezogen für die Arbeitswelt vorzubereiten. Durch LdL erwerben sie die von der Arbeitswelt geforderten notwendigen Tugenden und Schlüsselqualifikationen wie Selbstständigkeit, Präsentationsfähigkeit, Sorgfalt, Ausdauer, Flexibilität und Fleiß. Für die Lehrkräfte bietet LdL darüber hinaus eine Möglichkeit, Kreativität und Abwechslung im Unterrichtsgeschehen nicht nur zuzulassen, sondern diese auch gezielt zu fördern.
  • Hauptschule
  • Grundschule: Bereits in der Grundschule kann LdL konkret umgesetzt werden. Häufige Tendenzen dazu werden erkennbar, wenn Lehrkräfte leistungsstärkere Schüler leistungsschwächeren Kindern als "Helfer" zur Seite stellen. Der Einsatz von Schülern als Lehrende im Sinne von LdL wurde bereits mehrfach im Fach Mathematik durchgeführt (LdL in der Grundschule - Mathe). Günstig dafür sind beispielsweise die Einführung und Einübung der schriftlichen Addition sowie der schriftlichen Multiplikation. Auch Übungsphasen zu den verschiedenen mathematischen Themenbereichen sind unter Anleitung der Lehrkraft von Schülern im Unterricht zu gestalten.
  • Andere Ausbildungstätten:
  • Bundesgrenzschutz: In der Homepage des Bundesgrenzschutzes heißt es: "Der didaktisch methodische Ansatz der Ausbildung beim BGSAFZ S, die sich stark am Ausbildungsprinzip "Lernen durch Lehren" orientiert, stellt für Polizeianwärter wie Lehrpersonal eine ganz neue Herausforderung dar."
  • Bibliothekarausbildung:

LdL in unterschiedlichen Fächern

  • Biologie:
  • Chemie: Beim Vermitteln chemischer und physikalischer Alltagskenntnisse wird LDL im Rahmen einer außerunterrichtlichen Experimentierreihe für Grundschüler und im Projektunterricht der gymnasialen Oberstufe angewendet. In beiden Varianten kommen Schüler der gymnasialen Oberstufe als Lehrende zum Einsatz. Die Lehrenden der Variante 1 sollen insbesondere das didaktisch reduzierte Erklären sowie das Auslösen und Lenken von Denk- und Problemlösungsprozessen bei Grundschülern erlernen. Bei den Lehrenden der Variante 2 steht neben der Aneignung bzw. Vertiefung eigener chemischer Spezialkenntnisse das Vermitteln selbst erworbener Kenntnisse sowie das eigenverantwortliche Anleiten und Führen eines Teams im Mittelpunkt. LdL in Chemie: Projekt der Universität Halle
  • Deutsch: In der Regel nimmt gerade der Deutschunterricht eine Vorreiterrolle bei der Einübung verschiedenster Schlüsselqualifikationen und Methoden/Techniken ein. Der Einsatz von LdL hat sich hier als geeignete und motivierende Methode zur umfassenden Schulung von Schülerselbstständigkeit sowie der Bildung von Sozial-, Kommunikations-, Methoden- und Sachkompetenz erwiesen. Die eigenständig zu erarbeitenden Themenblöcke und Materialien sollten zuvor vom Lehrer je nach Alterstufe entsprechend vor-/aufbereitet werden, sodass keine Überforderung der präsentierenden LdL-Teams entsteht. Da es in der Regel wenig Kommunikationsprobleme gibt (Muttersprache), sind abwechlungsreiche und oftmals kreativ-eigenwillige Präsentationsergebnisse und LdL-Phasen das Ergebnis des eigenständigen Arbeitens. Je nach Klassen-/Alterstufe muss der Lehrer dennoch immer wieder im Vorfeld klären, ob die Teams den zu vermittelnden Lehrstoff auch wirklich verstanden haben, um somit zu gewährleisten, dass das fachliche Lehrziel bei allen Schülerinnen und Schülern adäquat erreicht werden kann.
  • Fremdsprachenunterricht: Attraktiv am LdL-Konzept im Fremdsprachenunterricht ist, dass es die scheinbare Inkompatibilität zwischen Kognitivierung, Habitualisierung und Kommunikation aufhebt. 1) Die kognitiven Lernziele werden dadurch erreicht, dass die unterrichtenden Schüler die Aufmerksamkeit ihrer Mitschüler auf die Inhalte lenken, 2) die Automatisierung der Sprachstrukturen erfolgt dadurch, dass die Schüler die gesamte Unterrichtskommunikation beanspruchen (75% Sprechanteil der Schüler bei LdL im Vergleich zu 25% beim lehrerzentrierten Unterricht) und dies zur situativer Wiederholung von Sprachstrukturen führt, und 3) die kommunikative Komponente wird dadurch realisiert, dass die Schüler als sich selbst und mit realer Sprechintention sprechen, denn sie wollen die Inhalte wirklich vermitteln.
DaF: Wie bei allen Fremdsprachen eignet sich LdL uneingeschränkt für den Einsatz in sämtlichen DaF-Niveaustufen vom Nullanfangsunterricht bis hin zu Semesterprojekten (z.B. Zeitgenössischer deutscher Film, Philosophiegeschichte, Deutschpop (Oebel 2003: 216-226, Berichte DaF) mit fortgeschrittenen Lernern. Selbst zunächst ausschließlich extrinsisch motivierte DaF-Lerner (Wahlpflichtfremdsprache) und aufgrund eigener negativer Schulbiographien eher wenig begeisterte Fremdsprachenlerner erfahren durch LdL in der Praxis einen nachhaltigen Impetus, da die LdL-Lernumgebung sie zu einer gleichermaßen aktiven wie positiven Auseinandersetzung mit den Lerninhalten anregt.
Englisch: In allen Klassenstufen einsetzbar, vielfach erprobt und durch zunehmende Bedeutung des Faches in der globalisierten Welt von SchülerInnen und Eltern methodisch geradezu gefordert. (LdL im Englischunterricht)
Französisch: LdL wurde zwischen 1982 und 1985 im Französischunterricht entwickelt. In den meisten Lehrplänen und Lehrwerken für Französisch ist LdL als Konzept integriert. Die erste Arbeit einer Referendarin über LdL (Katharina Appel) wurde 1985 in Kiel verfasst. Nach wie vor ist LdL ein beliebtes Thema für Referendararbeiten im Fach Französisch: LdL-Materialien Französisch
Russisch: LdL im Russischunterricht
Spanisch: LdL im Spanischunterricht

usw. (bitte ergänzen)

  • Mathematik und Physik: Gerade im Mathematikunterricht ist LdL eine hervorragende Methode zur Förderung der Schüleräktivität. Problemlos lassen sich kleinere LdL-Bausteine in den Unterricht integrieren: Schüler besprechen (präsentieren) die Hausaufgabe anhand einer vorbereiteten Folie, Gruppen präsentieren verschiedene Lösungswege komplexerer Aufgaben usw. Einige Themenbereiche eignen sich sogar, dass man auf einen linear sukzessiven Aufbau des Stoffs verzichtet, so dass den Schülern die Erarbeitung und Präsentation ganzer Unterrichtssequenzen übertragen werden kann (mehr unter:LdL im Matheunterricht)
  • Musik: Da viele Kenntnisse und Fertigkeiten der Musik in hochspezialisierten Lernprozessen erworben werden ( strukturelles Hören, Intrumentalspiel, Tanz, Singen etc. ) neigen Musiklehrer in der Regel zu einem stark lehrerzentrierten "Anleitungsunterricht". Die Methode LdL liefert einen Weg, die Schülerinnen und Schüler auf verschiedene Weise für Lernprozesse verantwortlich und damit sensibel zu machen. Entweder bringen sie vom Elternhaus einige Grundfertigkeiten mit (z. B. Flöte spielen, tanzen) und die Lehrkraft nutzt dieses Potenzial zur Übertragung von Lehrtätigkeiten auf die entsprechenden Schüler. Oder stark reduzierte Einzelfertigkeiten- und kenntnisse werden zur Festigung und kreativen Erweiterung von den Kindern erworben und an die Mitschüler vermittelt. Wichtig ist dabei, das methodische Geschick der "Schülerlehrer" mit zu schulen, d. h. sie müssen lernen, einen Stoff aufzuteilen, ihn medial aufzubereiten, die Gruppe zu aktivieren etc. . Der Effekt ist erstaunlich. Selbstwirksamkeitserfahrung und Mitverantwortung für die wertvolle Unterrichtszeit werden zu einem Motor für den pädagogischen und fachlichen Erfolg: LdL in Musik
  • Religion: Sehr gute Erfahrungen mit LdL liegen im Religionsunterricht vor. Im Unterschied zur häufig geübten Praxis des "Referat Haltens" bekommen die Lernenden die Aufgabe, sich Gedanken zu machen, wie sie Themen und Inhalten ihren Mitschüler/innen wirklich vermitteln können. Das kann zu ungeahnten Aha-Erlebnissen führen. Vor allem aber beschäftigen sich die Jungen und Mädchen sehr viel intensiver mit Unterrichtsthemen als im üblichen Unterricht. Außerdem nehmen sie selbst deutliche Kompetenzgewinne wahr. Mehr dazu z.B. in folgenden Berichten: LdL im Religionsunterricht

usw. (bitte ergänzen)

LdL für unterschiedliche Lernergruppen

  • LdL als Unterrichtsmethode für Hochbegabte: Für hochbegabte Schüler zeigen die bisher vorliegende Erfahrungen, dass die Unterrichtsmethode LdL besonders geeignet ist, da viele über ein enormes Detailwissen aus oftmals exotischen Teildisziplinen verfügen. Geschickt eingesetzt, verstehen die Schüler sehr schnell die Vorzüge der Unterrichtsmethode, da sie ihrem natürlichen Kommunikationsbedürfniss und Interesse entspricht.


LdL in unterschiedlichen Kulturen

  • Japan: Das japanische Bildungswesen gilt landläufig als Hochburg des Instruktivismus und noch bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts wurden Frontalunterricht und Paukschulen höchst selten in Frage gestellt; rezeptiv vermitteltes Wissen galt schlicht als ultima ratio, explorative Wissenserschließung hingegen eher als nicht vereinbar mit den tradierten Sozialisierungsprinzipien in Gesellschaft und Schule. Die zunächst nur zögerlich wahrgenommene Notwendigkeit für ein gesellschafts- und bildungspolitisches Umdenken setzte mit dem Platzen der „bubble ecomony“ Anfang der 1990er Jahre ein. Seitdem hat - vornehmlich durch europäische und nordamerikanische Lehrkräfte sowie zunehmend durch jüngere, an innovativen Unterrichtsmethoden interessierte japanische KollegInnen - eine offensichtlich irreversible Veränderung der hiesigen Bildungslandschaft begonnen, die sich zunehmend konstruktivistischen Lehrmethoden zuwendet. Dass in diesem Zusammenhang LdL als bestgeeignetes individualisierendes Unterrichtsprinzip ein Höchstmaß an Handlungsorientierung, Lernerautomie und Lernerzentrierung in sich vereinigt, stößt gerade bei Lernenden aus dem ostasiatischen Raum auf große Akzeptanz, da LdL ihnen erlaubt, die ihnen eigene Zurückhaltung im Rahmen der Lehrerrolle aufzugeben“ (Pfeiffer / Rusam 1992: 426; Pfeiffer/Rusam). Quasi als desiderabler Nebeneffekt von LdL mit besonderer Bedeutung für Japan, die nach den USA zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Erde, erwachsen den Lernenden neben Fach- und Sachkompetenzen insbesondere Problemlösungskompetenzen - oder um es mit Jean-Pol Martin (2002) zu sagen: "Weltverbesserungskompetenz" (Weltverbesserung) -, die angesichts heutzutage globaler Probleme unverzichtbar sind.
  • Türkei:

LdL aus der Sicht unterschiedlicher Wissenschaften

  • Gehirnforschung: Lernen ist eine organische Leistung des Gehirns und beruht auf dem koordinierten Zusammenspiel von molekularen, zellulären und systemischen neuronalen Prozessen in kooperierenden Subsystemen von Motorik, Sensorik und Assoziation. Zeitbefristet entfalten sich individuelle Dispositionen für selektive Fähigkeiten, welche die Motorik, Stirnhirn relevantes Denken in Raum- und Zeitkategorien, den lateralisierten Erwerb von Sprach- und Kunstfertigkeiten und limbisch induziertes motivations- und emotionsbedingtes Verhalten ganzheitlich einbeziehen. Dargestellt wird, daß (1) Lernen in kleinen und großen Regelkreisen stattfindet, die sich selektiv durch Struktur-Funktionskopplung stabilisieren; (2) Lernen den Regeln von aktivitätsbedingter Reorganisation folgt und immer nur aus individueller motivationaler und emotionaler Dynamik getragen ist und weder IQ noch EQ allein, sondern beide zusammen die Voraussetzung für einen Lernerfolg bilden; (3) vom Individuum sensomotorische und assoziative Regelkreise ganzheitlich und selbstverstärkend in den Lernprozess einbezogen werden, d. h. zwingend "Lernen durch Lehren". (Der Text wurde entnommen aus der Homepage von Prof.Dr.Gertrud Teuchert-Noodt (2003), und zwar aus dieser Seite: Lernen durch Lehren: Physiologische Grundlagen des Lernens)



LdL aus der Sicht staatlicher Institutionen

  • Oberschulamt Stuttgart:


Die Weiterentwicklung

Die zentrale Dimension, die durch den Einsatz von LdL gefördert werden soll, ist die Fähigkeit zur Kommunikation, um gemeinsam Wissen zu konstruieren: vgl. Kommunikation (Unterricht). Hier wird die Gruppe als neuronales Netz betrachtet, das in Analogie zum Gehirn Wissen als Emergenz produziert (siehe auch: Kollektive Intelligenz). Insofern steht auch die Ressourcenorientierung diesem Ansatz Pate.

Paradigmenwechsel zur Wissensgesellschaft

Auffällig ist die Parallele zwischen dem Vorgang der Wissenskonstruktion im LdL-Unterricht und der Funktionsweise einer Internet-Enzyklopädie. Die Tatsache, dass das Wissen im LdL-Unterricht von Schülern präsentiert wird, denen kein Expertenstatus zugeschrieben wird, regt die prüfende Aufmerksamkeit der Mitschüler an. Auf diese Weise werden alle Teilnehmer im Klassenzimmer aufgefordert, an der Verbesserung des zunächst unfertigen Wissens zu arbeiten. Ähnlich verhält es sich mit einer Internet-Enzyklopädie: die Benutzer sind nur deshalb bereit, an den Texten kritisch mitzuarbeiten, weil sie den Autoren nicht von Anfang an einen Wissensvorsprung zubilligen. Erst durch die wissenschaftliche Gleichstellung aller Benutzer wird ermöglicht, dass vorhandenes Wissen - auch Laienwissen - in die Enzyklopädie eingebracht wird. Diese neue Form der Wissenskonstruktion leitet den Übergang von einer Wissenschaft von Experten, die ihr schriftlich fixierts Wissen horten und an ausgewählte Abhängige vermitteln, zu einer Wissensgesellschaft, in der alle an der kollektiven Wissenskonstruktion gleichbereichtigt beteiligt sind, ein.

Vom Lehrer werden neue Fähigkeiten verlangt, die im Studium aufgebaut werden müssen.

1. Da die Klasse als neuronales Netz strukturiert wird (das Sitzen im Hufeisen oder im Kreis ist Voraussetzung) und die Kommunikation zwischen den Schülern immer intensiver wird, muss der Lehrer daran gewöhnt sein, aus jedem Beitrag sofort die Kernaussage zu erkennen und sie in Beziehung zu den anderen Beiträgen zu setzen. Er wird zum Organisator von kollektiver Reflexion und muss die Gedankenflüsse behutsam auf das Ziel hin steuern, ohne zu oft zu intervenieren. Insofern muss er zwar die Inhalte im Auge behalten, intervenieren muss er aber vor allem auf der Prozessebene, damit die Kommunikation zwischen den Schülern (metaphorisch: Neuronen) zügig und zielgerichtet funktioniert.

2. Als Organisator der kollektiven Reflexion muss der Lehrer dafür sorgen, dass diese zu einem Ziel führt, nämlich zur Aufnahme des neuen Stoffes durch die ganze Klasse. Zu Beginn der "Stunde" herrscht also noch inhaltliche Unbestimmtheit (keine Linearität) und im Klassenraum soll schrittweise durch die gemeinsame Arbeit Klarheit (Linearität a posteriori) entstehen. Eine gute Vorbereitung auf den Lehrerberuf wäre in diesem Sinne die Tätigkeit als Moderator von Foren, bei dem es darum geht, aus chaotisch einströmenden Informationen schrittweise Wissen zu konstruieren. Ausgehend von der Vorstellung, dass die Kommunikationsfähigkeit die Haupteigenschaft erfolgreicher Problemlöser in der Zukunft sein wird - viele Forscher sehen darin die Voraussetzung zu einem 6. Kondratjew -, entwickelt Jean-Pol Martin sein Konzept weiter.

Literatur

  • Martin, J.P. (2002): „Weltverbesserungskompetenz“ als Lernziel?" In: „Pädagogisches Handeln – Wissenschaft und Praxis im Dialog“, 6. Jahrgang, 2002, Heft 1, Seite 71-76 [1]
  • Martin, J.P. (2002): „Lernen durch Lehren (LdL)". In: Die Schulleitung - Zeitschrift für pädagogische Führung und Fortbildung in Bayern. Heft 4,, S. 3-9 [2]