Tadschiken

Die Tadschiken (auch Tajik geschrieben) sind die ursprüngliche, persische Bevölkerung Zentralasiens (siehe auch: Khorassan). Sie sind Nachkommen der verschiedenen einst dort lebenden iranischen Völker, wie Baktrier, Sogdier und Parther. Wie alle anderen altiranischen Stämme wurden auch diese von den Persern erobert, und verschmolzen mit ihnen bis zur arabischen Eroberung Persiens zu einem Volk, das sich vor allem durch seine einheitliche Sprache (Persisch) identifizierte. Somit sind die heutigen Tadschiken kein geschichtliches Volk, sondern eine Konföderation vieler iranischer Völker, die die Sprache der Provinz Persis annahmen und diese selbst prägten und weiterentwickelten. Im Laufe der Geschichte haben die Tadschiken auch turko-mongolische und arabische Elemente aufgenommen, die aber im großen und Ganzen die ursprünglichen persischen Elemente nicht verdrängen konnten.
Das Wort "Tadschik"
Die Ursprünge des Wortes Tadschik sind unbekannt, jedoch wird heute überwiegend angenommen, dass das Wort aus dem türkischen Sprachraum kommt und (nach der Eroberung Zentralasiens durch Turkvölker) die allgemeine Bezeichnung für alle Persisch-sprechenden Menschen dieser Region wurde, die iranischer Abstammung waren. Diese Theorie wird dadurch gestärkt, dass auch im heutigen Iran viele Perser, die in Türkisch-sprachigen Regionen des Landes leben, von der dort lebenden türkischen Bevölkerung Tadschiken genannt werden. Auch im Kaukasus und Dagestan wird die Persisch-sprachige, iranische Bevölkerung nicht Perser, sondern Tat genannt. Im Gegensatz dazu werden die ebenfalls Persisch-sprechenden Hazara oder Aimaken nicht als Tadschik bezeichnet, da sie nicht iranischer-, sondern türkisch-mongolischer Abstammung sind. Die früheren Theorien, das Wort habe seinen Ursprung in der alten Sprache der Avesta oder es leite sich ab vom altpersischen Wort "Tazi" (Araber), sind sehr unwahrscheinlich und werden heute von den meisten Historikern verworfen. In wie weit das Wort mit den chinesischen Bezeichnungen Ta-Yüe-tschi (tocharische Kuschanen), Ta-yuan (Ferghana) und Ta-Hsia (Baktrien) zusammenhängt, ist nicht ganz geklärt.
Insgesammt kann man das Wort Tadschik in seiner heutigen Bedeutung als ein Synonym für Perser betrachten, und das Volk der Tadschiken insgesamt als Perser Zentralasiens.
Dennoch darf das Wort keineswegs als Selbstbezeichnung der Tadschiken verstanden werden. Einige Tadschiken bezeichnen sich nicht als Tadschik, sondern bekennen sich, wie die Perser im Iran, jeweils zu der Stadt oder Provinz, aus der sie stammen. Das Wort Tadschik ist eine Fremdbezeichnung, die sich durch die seit Jahrhunderten und Jahrzehnten andauernden Fremdherrschaften der Turkvölker, Russen und Afghanen allgemein "eingebürgert" hat.
Geschichte
Die Geschichte der Tadschiken setzt sich aus der jeweils individuellen Geschichte der einzelnen iranischen Völker der Region zusammen. Sie beginnt mit der Einwanderung der indoeuropäischen Arier in Zentral-Asien (ca. 2000 v. Chr.), setzt sich fort mit der Entstehung des Zoroastrismus (ca. 1700 v. Chr.), dem Aufstieg des Perserreichs (550 v. Chr.), dem Siegeszug der Makedonier (330 v. Chr.), dem Reich der Parther (220 v. Chr.), dem Imperium der Sassaniden (220 n. Chr.) und der Eroberung Persiens durch die Araber (650 n. Chr.). Ab hier beginnt die eigentliche Geschichte der Tadschiken:
Die Tadschiken führen ihre Herkunft auf die Dynastie der persischen Samaniden (900 n. Chr.) zurück, den ersten einheimischen Herrschern nach der arabischen Invasion und vor der türkischen Eroberung. Während der samanidischen Herrschaft wurden die persische Sprache und die persische Kultur wiederbelebt. Diese Wiedergeburt des Persischen in Zentralasien gilt allgemein als Ursprung der heutigen Tadschiken.
Die moderne Währung Tadschikistans, Somoni, geht auf den Namen jener Dynastie zurück.
Für die genauere Geschichte der Tadschiken, siehe auch:
Antike
- Iranier/Arier, die Vorfahren der heutigen Perser; das heutige Wort "Iran" leitet sich aus "Arier" ab.
- Avesta, das heilige Buch des Parsismus
- Perserreich
- Parther
- Baktrier
- Sogdier
- Sassaniden, das letzte antike Imperium der Perser
Mittelalter
- Abu Muslim Khorassani, persischer Patriot und Freiheitskämpfer; der eigentliche Vater der tadschikischen Nation
- Barmakiden
- Samaniden, die erste unabhängige persische Dynastie nach der muslimischen Eroberung. Sie gilt als Ursprung der tadschikischen Identität
- Ghuriden, ein mächtiges persisches Sultanat in Zentral-Asien und Indien
Neuzeit
Sprache, Kultur und Religion
Religion
Die Tadschiken sind überwiegend Muslime, davon die große Mehrheit Sunniten. Bedeutende schiitische Zentren befinden sich vor allem in der Pamir-Region Badakhshan (Ismailiten) und in Herat (Imamiten). Ebenfalls zu den Tadschiken gehören die imamitischen Qizelbash, die Nachkommen türkisch-persischer Elitesoldaten, die der Dynastie der Safawiden unterstanden und als gefürchtete Krieger Macht und Ruhm erlangten.
Sprache
Die Sprache der Tadschiken ist Neupersisch, auch Dari oder Tadschikisch genannt, welche im Iran, in Tadschikistan und in Afghanistan (neben Paschtu) die offizielle Landessprache ist. Im Gegensatz zum Iran und zu Afghanistan bedient sich Tadschikistan der kyrillischen Schrift.
Kultur
Die Tadschiken und die persische Kultur haben das Bild des Orient bedeutend geprägt. Das wohl bekannteste Werk der muslimisch-persischen Literatur in der westlichen Welt ist die Geschichtensammlung "1001 Nacht" (pers. Hazar-o yak-Schab هزار و يكشب). Darin spielen tadschikische Zentren, wie Samarkand, Herat oder Balkh, eine zentrale Rolle.
Das Herz der persisch-tadschikischen Kultur jedoch war und ist die Kunst der Dichtung. Nirgendwo sonst hat die Poesie eine so große Bedeutung im alltäglichen Leben der Menschen, wie im persischen Kulturkreis. Tadschikische Dichter haben maßgeblich an der Entwicklung der neupersischen Sprache und der neupersischen Identität beigetragen, u.a.:
- der Vater der neupersischen Sprache Rudaki, der erste Dari-Dichter und Erfinder der neupersischen Dichtung
- der Epik-Dichter Abū l-Qasem-e Ferdousī, der Autor des Schah-Nama (Königsbuch)
- der Mystiker Dschami, der letzte große Mystiker des Mittelalters
- der Mystiker und Romantiker Rumi, der bekannteste und erfolgreichste Dichter des alten Persien
siehe auch: Dari-Dichtung
Ebenfalls Tadschiken waren einige der berühmtesten Wissenschaftler, Gelehrte und Künstler des Mittelalters:
- der Arzt Ibn Sina (Avicenna), der heute als Vater der modernen Medizin gilt
- der Mathematiker Khwarismi; von seinem Namen und seinen Werken sind die Beriffe Algebra und Algorithmus abgeleitet
- der Theologe Abu Hanifa
- der Dichter und Mathematiker Omar Chayyām
- der Astronom und Geschichtsschreiber Biruni
- der Maler Behzad
Auch der (im Jahre 2001 durch die Taliban) ermordete afghanische Held Ahmad Schah Massoud gehörte zum Volk der Tadschiken.
Tadschiken heute
Viele Tadschiken sehen sich heute nicht mehr dem persischen Volk zugehörig und betrachten sich als eine eigenständige Ethnie. Dies hat mehrere Gründe:
- Die Tadschiken indentifizieren sich sehr stark mit dem sunnitischen Islam, während die Perser im Iran Schiiten sind. Vor allem die Tadschiken Afghanistans stehen den schiitischen Iranern feindlich gegenüber. Jedoch hat sich dies in den letzten Jahren, vor allem aufgrund der massiven iranischen Unterstützung für die Persisch-sprechende Bevölkerung Afghanistans und für die von Tadschiken dominierte Nordallianz (gegen die Sowjetunion und, später, gegen dieTaliban) verbessert. So gilt der afghanische Nationalheld Ahmad Schah Massoud nicht nur in Afghanistan, sondern auch im Iran und Tadschikistan als Held der Persischen Nation und wird mit dem mythischen Sagenheld Rustam verglichen und gleichgesetzt.
- über 250 Jahre Fremdherrschaft durch Turkvölker, Russen und Afghanen haben die Tadschiken weitgehend von den Persern entfremdet. Dies hatte vor allem starken Einfluß auf die Tadschiken in Afghanistan, die die feindliche Mentalität der sunnitischen Paschtunen gegenüber der schiitischen Bevölkerung Irans übernommen haben.
- Einzige Außnahme bleibt die Bevölkerung Herats. Diese bezeichnet sich nicht als Tadschik, sondern als Farsi (Perser), ist aber dennoch aufgrund ihres mehrheitlich sunnitischen Glaubens dem Iran feindlich gesonnen. Auch dies hat sich, vor allem seit dem Sturz der Taliban, dramatisch verändert. Aufgrund der direkten Nachbarschaft zum Iran sind in letzter Zeit viele iranische Staatsbürger als Arbeitskräfte nach Herat gekommen und die "iranische Lebensweise" ist längst ein Teil Herats. Auch die sprachliche Nähe Herats zum Osten des Iran (der gleiche Dialekt des Persischen) begünstigt diese Entwicklung.
Mitlerweile gibt es vor allem von der Regierung Tadschikistans immer mehr Annäherungsversuche an den Iran und an die Perser. Die Namen persischer Dichter und Denker schmücken die Straßen und Denkmäler Tadschikistans, und auch die Landessprache Tadschikistans wurde 1989 offiziell von Tadschiki in Farsi umbenannt. Dennoch ist diese Annäherung sehr problematisch, da der Iran immernoch von einem radikalen Schiismus beherrscht wird.
In Afghanistan und Tadschikistan bilden die Tadschiken noch heute die intellektuelle Elite. Sie leben hauptsächlich in großen Städten. Zu ihren (historischen) Hauptsiedlungsgebieten gehören die Städte Bukhara, Samarkand, Kabul, Duschanbe, Herat, Mazar-e Scharif und die gesamte Region Balkh.
Rund 70% der ca. 13 Millionen Tadschiken leben in Afghanistan, 30% in Tadschikistan, Usbekistan, Kirgisistan und den westlichen Grenzgebiten Chinas. Besonders in Usbekistan wird die Zahl der einheimischen Tadschiken viel höher eingeschätzt, als die offiziellen Zahlen der Regierung Usbekistans angeben. Insgesamt beträgt die Zahl der Perser weltweit über 70 Millionen.
Weblinks
- Uzbekistan: Ethnic Composition And Discrimination (Englisch)
- History Of The Tajik Nation
- The Encyclopaedia Iranica
Literatur
- Josef Wiesehöfer: Das frühe Persien. Geschichte eines antiken Weltreichs, München 1999.
- Jahanshah Derakhshani: Die Arier in den nahöstlichen Quellen des 3. und 2. Jahrtausends v.Chr., 2. Auflage 1999 ISBN 964-90368-6-5
- Richard Frye: Persien, Zürich 1963