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Aphorismus

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Ein Aphorismus ist ein kurzer, einprägsamer Sinnspruch (Sentenz, Aperçu), ein Gedankensplitter von philosophischem Tiefgang. Er wird weder begründet noch hergeleitet.

Ein Charakteristikum von Aphorismen ist, dass sie auf etwas hindeuten, ohne es direkt auszusprechen. Anhand bestimmter Stilmittel (s.u.) zeigen und veranschaulichen sie etwas, stellen aber keine Behauptungen auf. Aphorismen sind weder der Literatur noch der Philosophie eindeutig zuzuordnen und nehmen daher eine "Zwischenstellung" ein. Formal gesehen handelt es sich um die kürzeste Form von Prosa-Texten: Oft, aber nicht zwangsläufig, bestehen sie aus nur einem Satz, der rhetorisch überspitzt und pointiert formuliert ist. Aphorismen enthalten typischerweise einen geistreichen, betont subjektiven Gedanken (ein originelles Werturteil, eine persönliche Erkenntnis, ein dialektischer Zusammenhang, eine Lebensweisheit) moralischer, philosophischer, psychologischer, ästhetischer Art. Obgleich in sich abgeschlossen und kontextunabhängig (aus ihrem jeweiligen Umfeld herauslösbar), regen sie den Leser zum Weiterdenken oder zum Widerspruch an.

Das Wort "Aphorismus" stammt aus dem Griechischen ("aph-orismόs": Bestimmung, Abgrenzung; "aph-orίzein": genau bestimmen, abgrenzen) und ist in etymologischer Hinsicht mit dem Wort Horizont verwandt. Der erste Aphoristiker war Hippokrates, der (in 'aphoristischer' Form) medizinische Lehrsätze aufstellte. Die literarisch-philosophische Gattung entwickelte sich erst später. Zu ihren Meistern gehören vor allem die französischen Moralisten des 17. und 18. Jahrhunderts, u. a. La Rochefoucauld, La Bruyère, Joubert, Vauvenargues sowie der Spanier Gracián. Eine lange Tradition hat der Aphorismus im deutschen Sprachraum. Auf Lichtenberg (Sudelbücher) im 18. Jahrhundert folgen u.a. Goethe, Jean Paul, Friedrich Schlegel, Novalis, Schopenhauer, Nietzsche, Kraus, Adorno, Canetti und Benyoëtz. In Polen sind zu nennen: Lec, Irzykowski und Nowaczyński. Weitere bekannte Aphoristiker sind Wilde, Shaw und Valéry.

Aphorismen über Aphorismen

Hans Kudszus: Ein Aphorismus ist das Amen einer Erfahrung.

Sigmund Graff: Der Aphorismus will nicht Dumme gescheit, sondern Gescheite nachdenklich machen.

Elazar Benyoëtz: Ein Aphoristiker sagt so viel, wie sich denken lässt, und nicht mehr, als man sich ausmalen kann.

Ambrose Bierce: Aphorismus: vorverdaute Weisheit.

Friedrich Nietzsche: "Der Aphorismus, die Sentenz, in denen ich als erster unter Deutschen Meister bin, sind die Formen der »Ewigkeit«; mein Ehrgeiz ist, in zehn Sätzen zu sagen, was jeder andre in einem Buche sagt - was jeder andre in einem Buche nicht sagt..." (Götzen-Dämmerung, Streifzüge eines Unzeitgemässen, Aph. 51)

Robert Musil: Aphorismus: das kleinste mögliche Ganze.

Helmut Arntzen: Im Aphorismus ist der Gedanke nicht zu Hause, sondern auf dem Sprung.

Marie von Ebner-Eschenbach: Ein Aphorismus ist der letzte Ring einer langen Gedankenkette.

Aphoristische Stilmittel

alle Beispielaphorismen von Stanisław Jerzy Lec

Berühmte Aphoristiker

Literatur

  • Stephan Fedler, Der Aphorismus. Begriffsspiel zwischen Philosophie und Poesie, Stuttgart: Metzler, 1992 ISBN 3-476-45014-7
  • Harald Fricke, Aphorismus. Stuttgart: Metzler, 1984 ISBN 3-476-10208-4
  • Heinz Krüger, Über den Aphorismus als philosophische Form - Dissertation. München: edition text + kritik, 1988 ISBN 3-88377-301-8
  • Gerhard Neumann, Der Aphorismus. Zur Geschichte, zu den Formen und Möglichkeiten einer literarischen Gattung, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1976 ISBN 3-534-05731-7
  • Friedemann Spicker, Studien zum deutschen Aphorismus im 20. Jahrhundert. Tübingen: Niemeyer, 2000 ISBN 3-484-35079-2
  • Thomas Stölzel, Rohe und polierte Gedanken. Studien zur Wirkungsweise aphoristischer Texte - Dissertation. Freiburg im Breisgau: Rombach, 1998 ISBN 3-7930-9185-6