Keuschheit
Keuschheit ist das Verhalten einer der sinnlichen Inbrunst durchaus fähigen Person, sich aus bewusstem Entschluss oder vermöge eines – vorzugsweise unbewusst – erworbenen Schamgefühls unwillkürlich vor Sexuellem zu hüten, seien es auch nur Andeutungen anderer oder eigener Anwandlungen. Keuschheit ist also der bewusste und gewollte Verzicht auf den (sexuellen) Genuss und das Ausleben der Sexualität.
Viele Kulturen (mit Ausnahme der modernen europäisch-nordamerikanischen) schätzen die Keuschheit hoch und muten sie vor allem jungen Frauen zu.
Keuschheit, Sitte und Ideologie
Wird „Keuschheit“ zu einer moralpolitischen Forderung nach ‚Sittlichkeit‘ erhoben, so kollidiert dies mit ihrem unwillkürlichen und vorbewussten Charakter und sie wird erfolgreichen Falls zu einer gängigen „Sitte“. Diese ist daran erkennbar, dass ganz gewisse Haltungen gegenüber Anderen (z.B. das Augensenken, die Verschleierung) zur Vorschrift gemacht werden.
Geraten Sitten sexueller Zurückhaltung ihrerseits in einen Parteienstreit, etwa als symbolische Muster, so wird „Keuschheit“ leicht zu einer bloßen Ideologie, z.B. im gegenwärtigen „Kopftuchstreit“ in Frankreich oder Deutschland seit der Jahrtausendwende.
Keuschheit im Christentum
Die christlichen Kirchen verstehen unter "Keuschheit" den bewussten freiwilligen Verzicht auf sexuelle Handlungen bei unverheirateten Partnern und beim Ehepaar den Verzicht auf sexuelle Handlungen mit jemand anderem als dem Ehepartner.
Im Zölibat der römisch-katholischen Kirche bedeutet sie nicht nur den Verzicht auf Ehe, sondern auch auf alle sexuellen Handlungen und streng genommen auch die Unterdrückung sexueller Fantasien (Keuschheit der Gedanken, vgl. dazu den Apostel Paulus).
In der Tradition der römisch-katholischen Kirche gehört Keuschheit zu den Evangelischen Räten.
Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts entstand in den USA in evangelikalen Kreisen die Jugendbewegung "True Love Waits", die für Enthaltsamkeit bis zur Ehe eintritt. Daraus entwickelte sich eine internationale Jugendbewegung, die auch im deutschen Sprachraum unter dem Namen "Wahre Liebe wartet" vertreten ist.
Den Gegensatz zur Keuschheit bildet die Wollust (luxuria), die in der christlichen Religion eine der sieben Todsünden darstellt.
Zitat
- Wo ist sie hin, die Zeit, da ich noch alle Männer für redlich und alle Weiber für keusch hielt. (Jean Paul)
- Herr, gib mir Keuschheit und Enthaltsamkeit, aber noch nicht jetzt! (Augustinus von Hippo als Jugendlicher vor seiner Bekehrung)
- Ein Großteil des modernen Widerstandes gegenüber Keuschheit stammt vom Glauben der Menschen, dass sie ihre eigenen Körper ‘besitzen’. C. S. Lewis
BDSM und "Keuschheit"
In den vergangenen Jahrzehnten hat das Thema Keuschheit die BDSM-Szene beschäftigt. Ein moderner Keuschheitsgürtel gibt dem dominanten Partner die (fast absolute) Kontrolle über das Geschlecht und das Sexualverhalten des submissiven Partners. Die Keuschheit dient als Teil des einvernehmlichen Spiels dazu, Macht auszuüben oder zu verspüren. Damit kann eine einzelne Session sehr einfach im Verborgenen auf den Alltag zu einer 24/7 SM-Beziehung ausgedehnt werden, ohne Verwandte und Bekannte durch ein Coming-out vor den Kopf zu stossen.
In diesem Zusammenhang wird das angebliche "Ideal der Keuschheit" ad absurdum geführt, denn es soll meist nur zeitweise die sexuelle Spannung gesteigert werden, um sich beim Aufschluss um so heftiger zu entladen.
Verwandte Themen
Jungfrau, Jüngling, Enthaltsamkeit, Scheu, Weiblichkeit; auch Zensur.