Sonderkommando KZ Auschwitz-Birkenau
Das Sonderkommando des KZ Auschwitz-Birkenau bestand aus jüdischen Häftlingen des Vernichtungslagers, die dazu gezwungen wurden, die Ermordung der Deportierten vorzubereiten und diese Opfer auszuplündern und zu verbrennen. Das Kalkül der KZ-Führung war offensichtlich, vor allem das eigene SS-Personal zu schonen und zugleich zu verhindern, dass es Zeugen des Massenmordes gab, indem die Männer des jeweiligen Sonderkommandos erschossen und immer wieder durch andere Häftlinge ersetzt werden sollten.
Die Anzahl der in das Sonderkommando gezwungenen Häftlinge variierte stark. Im Mai 1944, als über 350.000 vorwiegend ungarische Juden ermordet wurden, gehörten 874 Häftlinge dazu, während es Ende Oktober des Jahres nur noch 100 Mann umfasste. Insgesamt mussten etwa 2200 Häftlinge im Sonderkommando arbeiten. Von diesen erlebten nur etwa 110 das Kriegsende.
Aufgaben
Die Mitglieder des Sonderkommandos mussten folgende Arbeiten verrichten:
Vorbereitung
Die ankommenden Menschen wurden nach der Ankunft an der „Rampe“, nach der sogenannten „Selektion“ durch Ärzte, meist direkt zu den Gaskammern in den Krematorien geführt. Dort wurden sie von Häftlingen des Sonderkommandos empfangen, die sie beruhigen und ihnen beim Auskleiden behilflich sein mussten. Bei der eigentlichen Ermordung in den Gaskammern war das Sonderkommando nicht beteiligt; das Giftgas Zyklon B wurde von SS-Personal angewandt.
Ausplünderung
Nach der Ermordung mussten die Leichen aus den Gaskammern gebracht und, wie es im Nazijargon hieß, „verwertet“ werden. Dies bedeutete für die Häftlinge des Sonderkommandos, dass sie die Toten nach Wertgegenständen durchsuchen und die Goldzähne ausreißen mussten. Von den weiblichen Leichen wurden die Haare abgeschnitten.
In der Anfangszeit der Vernichtungsaktionen in Birkenau wurden die Leichen in großen Gruben verscharrt. Um keine Beweise für den Massenmord zu hinterlassen, sowie die Anzahl der Getöteten schwerer nachvollziehbar zu machen, wurden später die Leichen in den Krematoriumsöfen verbrannt. Auch die bereits vergrabenen Toten wurden dazu exhumiert. Die Asche wurde großenteils in die Sola, einen Nebenfluss der Weichsel, geschüttet.
Viele Häftlinge des Sonderkommandos hielten dem psychischen Druck dieser Tätigkeit nicht stand, begingen Suizid oder verloren den Verstand. Mindestens ein Häftling ist bekannt, der sich mitsamt der Leiche, die er trug, in die Verbrennungsgrube stürzte, um sich so umzubringen. Der in der Nähe stehende SS-Mann Grünberg erschoss ihn. [1]
Geschichte
Sommer 1940 : das erste "Krematoriumskommando" wird aus wenigen polnischen Gefangenen im Stammlager, Auschwitz I, gebildet. Der erste Krematoriumsofen ist am 25. Juli fertig, sein Kamin im August. Die Ingenieur von Topf schätzen seine Kapazität auf 30 bis 36 Leichen in 10 Stunden.
1940-41 : die Gruppe setzt sich aus 10 bis 20 Personen zusammen.
Juni 1941 : Mietek Morawa, ein polnischer Häftling, wird zum Kapo des Kommandos gemacht.
Oktober 1941: Ingenieur Prüfer von Topf hält sich zwei Tage in Auschwitz auf, um mit Bischoff von der zentralen SS-Bauleitung über den Bau eines großen Krematoriums zu verhandeln.
Dezember 1941: Die Verbrennung der ersten Massenvergasnung von mehreren Hundert russischen Häftlingen benötigt mehrere Tage.
Frühling 1942: der SS-Oberscharführer Walter Quakernack wird Chef des Krematoriums (K1, kleines oder altes Krematorium).
März 1942 (oder um diesen Zeitpunkt): die im Roten Haus (Bunker 1) werden von einem etwa 20 Personen umfassenden jüdischen Kommando in Massengräben verscharrt. Die Häftlinge selbst werden danach ermordet.
April 1942 : aus einem Transport slowakische Juden wird ein neues, 200 Mann starkes Komando für den Bunker 1 gebildet. 150 von ihnen müssen die Gräben ausheben. Aus dieser Gruppe gelingt Arnost Rosin die Flucht. Diese Gruppe wird im Dezember liquidiert (3. Dez. im K I). Eine weitere Gruppe von 50 Personen wird in dieser Zeit im Bunker 2 eingesetzt.
Mai 1942: im Krematorium 1 wird ein weiterer Ofen in Betrieb gesetz. 30. Mai, der Schaden an einem Kamin führt zu dessen Abbruch am 12. Juni.
Filip Müller, ein slowakischer Jude, im Lager seit dem 13. April, kommt zum "Fischl-Kommando", einem von zwei Krematoriumskommandos, die bis Ende Juni von Stark eingesetzt werden. Die Leichen der Vergasten werden während Reparaturarbeiten in Gräben verscharrt.
Juni 1942: die Zahl der Personen im SK steigt auf 400 Personen. In Auschwitz I werden beide Krematoriumskommandos unter dem Kapo Mietek Morawa vereint.
Juli 1942: Die auf die Vergasung wartenden Häftlinge müssen sich ab jetzt vor der Gaskammer ausziehen. Eine Typhusepidemie bricht aus.
Bei seinem Besuch am 17./18. Juli befiehlt Himmler zur Spurenbeseitigung die Leichen aus den Gräben wieder auszugraben und zu verbrennen (Aktion 1005).
Aug. 1942: Die Krematorien K II, K III, K IV und K V sollen gebaut werden. Juden aus den Niederlanden kommen ins SK.
Von Sept. bis November müssen Teile des Sonderkommandos (bis zu 300 Personen) unter Bewachung von 20 bis 30 SS´ler die Leichen aus den Gräben in einer Art Scheiterhaufen verbrennen. Die Mitglieder dies überwiegend aus Slowakten und einigen Franzosen bestehnden Sonderkommandos werden in Auschwitz 1 vergast. seront éliminés dans la chambre à gaz du crématoire du camp principal (Auschwitz 1).
Baracken zum Entkleiden werden bei Bunker 1 (zwei) und Bunker 2 (drei) aufgestellt.
Etwas über 380 Häftlinge müssen jetzt im Sonderkommando arbeiten.
Am 6. Dezember wird ein neues 200 Mann starkes Sonderkommando gebildet. Zu ihnen gehören Lejb Langfus, Abraham, Szlamo Dragon und Eliezer Eisenschmidt. Im gleichen Monat kommen Zalmen Gradowski und Milton Buki hinzu.
Am 7. Dezember unternehmen Wladyslaw Knopp und Samuel Culea einen Fluchtversuch. Am 9. versuchen es weiter neun. Alle werden gefangen und vor dem angetretenen Sonderkommando ermordet.
Im Januar 1943 kommen Henryk Tauber und Zalmen Lewental zum Sonderkommando. Mietek Morawa wird ins KZ Birkenau als Kapo vom K II geschickt.
Am 31. März wird das Krematorium II (K II) offiziell in Betrieb genommen.
25. Juni 1943: die neue Gaskammer von K III wird in Betrieb genommen. Das SK wird in Block 13 von Abschnitt BIId untergebracht. Der einzige Block, der von einer Mauer umgeben ist. Die Kommandostärke beträgt 400 Personen
Am 19. Juni 1943 wird der Betrieb von K I eingestellt und die dortigen acht Mitglieder des Sonderkommandos werden nach Birkenau gebracht (darunter Alter Feinsilber).
SS-Oberscharführer Voss leitet die vier Krematorien.
Im Aug. 1943 wird der Kapo von K IV, Wladislaw Tomiczek, von der SS ermordet. Eine Widerstandsgruppe bildet sich, zu der gehören: Josef Deresinski, Josef Dorebus, Zalmen Gradowski, Jankiel Handelsman, Ajzyk Kalniak, Lejb Langfus, Zalmen Lewental, Lejb Panusz.
Januar 1944: das Sonderkommando umfasst 400 Personen.
Februar 1944: ein Fluchtversuch von Angehörigen des Sonderkommandos scheitert und viele werden ermordet.
16. April 1944: mit einem Transport aus dem KZ Majdanek kommen u. a. 19 sowjetische Kriegsgefangene mit ihrem deutschen Kapo, die in Majdanek zum Sonderkommando gehörten und nun in Birkenau eingesetzt werden. Dieses zählt nun 207 Männer, davon 121 zum K II und III. 86 zum K IV und V.
Mai 1944: die Ermordung der ungarischen Juden steht bevor. Die "Neue Rampe" im Inneren vom Vernichtungslager Birkenau wird gebaut.
SS-Hauptscharführer Otto Moll (Leiter des Nebenlagers Gleiwitz) übernimmt die Leitung der Krematorien. Die Stärke des Sonderkommandos wird um 100 griechische Häftlinge erhöht. Darunter befindet sich Yakov Gabbaï. Die Häftlinge der Sonderkommandos werden zur Übernachtung direkt in/bei den Krematorien gezwungen. Das behindert deren Planungen zum Aufstand. Zwei Ärzte kommen als Häftlinge zum Sonderkommando Miklos Nyiszli und Charles Bendel.
Im Juli 1944 bilden 837 Häftlinge das Sonderkommando aufgeteilt in eine Tag- und eine Nachtschicht.
2. Aug. 1944: der heimliche Führer der Widerstandsgruppe Yakov Kaminski wird von der SS ermordet.
Am 29. Aug. 1944 besteht das Sonderkommando aus 874 Häftlingen. Die Gräben, aus denen die Leichen ausgegraben worden waren, werden wieder zugeschüttet.
Am 7. Oktober 1944, einem Samstag, dem Tag des Aufstandes, betrug die Stärke des Sonderkommandos 663 Häftlinge (davon jeweils etwa 85 für die Tag- und Nachtschichten.in jedem crématoire).
Im Januar 1945 leben noch 100 Personen des polnischen Sonderkommandos. 30 sind im Krematorium V eingesetzt. Die anderen bei der Beseitigung von Spuren der Massenvernichtung. Am 5. Januar werden sechs Häftlinge des SK als Geheimnisträger nach Mauthausen deportiert und dort am 3. Apri ermordet: Waclaw Lipka (n° 2.520), Mieczyslaw Morawa (n° 5.730), Józef Ilczuk (n° 14.916), Wladyslaw Biskup (n° 74.501) und Jan Agrestowski (n° 74.545). Außerdem der tschechische Häftling Stanislav Slezak (n° 39.340), der über die Sterilisationen des SS-Arztes Horst Schumann, im Abschnitt BIa, Bescheid wußte.
Am 6. Januar werden die vier Frauen in Auschwitz von der SS vor den zum Appell angetretenen Häftlingen gehängt, die den Aufstand unterstützt hatten: Ala Gertner, Rózia Robota, Regina Safirsztajn und Ester Wajcblum.
Am 15. Januar 1945 gibt es noch 100 Häftlinge des polnischen Sonderkommandos. Fast alle von ihnen gehören zur letzten Marschkolonne des Todesmarsches.
In der Nacht vom 21. zum 22 Januar wird K V gesprengt.
Aufstand und Flucht
Am 7. Oktober 1944 kam es zu einem bewaffneten Aufstand der Sonderkommandos in Krematorium III/IV. Davor hatte es bereits zumindest einen gescheiterten, ähnlichen Plan gegeben.[2] Dieses Mal hatten weibliche Gefangene Sprengstoff aus einer Waffenfabrik eingeschmuggelt[3], und das Krematorium IV wurde damit teilweise zerstört. Anschließend versuchten die Gefangenen eine Massenflucht, aber alle 250 Flüchtigen wurden von den Bewachern kurz darauf gefasst und getötet. In der Folge wurden 451 Häftlinge ermordet, von denen nur ein geringer Anteil selbst aktiv beteiligt gewesen war.
Am 18. Januar 1945, direkt vor der von der SS so genannten Evakuierung des Lagers, gelang es einigen Häftlingen des Sonderkommandos, sich unter die übrigen Häftlinge zu mischen und dann, auf dem sogenannten Todesmarsch, zu fliehen. Damit entgingen sie in letzter Minute ihrem sicheren Tod.
Diskussionen
Dass die Häftlinge des Sonderkommandos genauso Opfer wie alle anderen Häftlinge waren, wurde ihnen vereinzelt (vor allem von anderen Überlebenden der KZs) abgesprochen. Sie sahen sich dem Vorwurf ausgesetzt, sie hätten, um ihr Leben zu retten oder zu verlängern, den Massenmördern gedient und den Holocaust unterstützt. Allerdings waren sich die Mitglieder des Sonderkommandos bewusst, dass sie den Massenmord nicht verhindern konnten. Laut Augenzeugenberichten wurden Sonderkommando-Häftlinge, die die ahnungslosen Opfer über ihr Schicksal aufklärten, bei lebendigem Leibe in den Krematorien verbrannt. Daher sahen Mitglieder des Sonderkommandos nach eigenem Bekunden ihren Widerstand in der Dokumentation der Ereignisse und im eigenen Überleben, um davon berichten zu können. Einige der Häftlinge hatten Berichte oder Tagebücher über die Ereignisse verfasst und sie vergraben; diese Zeugnisse wurden zum Teil nach dem Krieg geborgen.
Auch ehemalige Mitglieder des SS-Wachpersonals unterstellten eine Tatbeteiligung im strafrechtlichen Sinn, um sich selbst zu entlasten, da nicht sie selbst verschiedene grausamen Taten verübt hätten, sondern Häftlinge des Sonderkommandos. Im Zuge der historischen Aufarbeitung seit etwa den 1970er Jahren sind die Sonderkommando-Häftlinge rehabilitiert worden.
Überlebende des Sonderkommandos und deren Opferberichte
Opferberichte ehemaliger Häftlinge des Sonderkommandos wurden bekannt von:
Shlomo Dragon, Alter Feinsilber, Henryk Mandelbaum, Filip Müller, Dr. Miklos Nyiszli, Dow Paisikovic, Jakow Silberberg, Henryk Tauber, Shlomo Venezia, Chaim Wolnerman und Jeheszwa Wygodzki.
Schriftlich überliefert sind Tagebücher und Berichte in jiddischer Sprache von Salmen Gradowski, Lejb Langfuß und Salmen Lewenthal, die sie auf dem Lagergelände vergraben hatten.
Einzelnachweise
- ↑ Gideon Greif: Wir weinten tränenlos..., S.195f
- ↑ http://www.shoa.de/kz_auschwitz_soko_aufstand.html
- ↑ jewishgen.org nennt: Ella Gärtner, Rózia Robota, Ruzia und Dorka Sapirsztajn. Dieser sollte ( und wurde auch ) zur Herstellung von Granaten eingesetzt werden. Den Sprengstoff schmuggelten sie aus der Fabrik, in dem sie ihn in ihre Kleidersäume einnähten. Sie starben nach dem Scheitern und der Folter der SS am Galgen vor allen anderen Häftlingen. Siehe www.jewishgen.org/Yizkor/bedzin (engl.)
Literatur
- Eric Friedler, Barbara Siebert, Andreas Kilian: Zeugen aus der Todeszone. Das jüdische Sonderkommando in Auschwitz. Überarb. Ausg., dtv München, 2005, ISBN 9783423341585
- Gideon Greif: „Wir weinten tränenlos...“ Augenzeugenberichte des jüdischen "Sonderkommandos" in Auschwitz. Fischer Tb. 13914, Frankfurt/M. 1999, ISBN 3-596-13914-7
- Gideon Greif: Stufen der Auseinandersetzung im Verständnis und Bewusstsein der Shoah in der israelischen Gesellschaft, 1945 - 2002, in: psychosozial Nr. 93 (Heft 3/2003)
- Philippe Mesnard: Des voix sous la cendre: Manuscrits des Sonderkommandos d'Auschwitz-Birkenau, Calmann-Lévy/Mémorial de la Shoah, 2005 ISBN 2-702-13557-9; als TB 2006 (frz.)
- Miklos Nyiszli: Dr. Mengele boncoloorvosa voltam az Auschwitz-i krematoriumban. Debrecen 1946 (Ungarisch, in viele Sprachen übersetzt)
- Miklos Nyiszli: Im Jenseits der Menschlichkeit. Ein Gerichtsmediziner in Auschwitz. Hrsg. von Friedrich Herber. Berlin, 1992; bearb. Ausg. Berlin : Dietz, 2005. ISBN 3-320-02061-7
- Shlomo Venezia: Sonderkommando : Dans l'enfer des chambres à gaz. Albin Michel, 2007. ISBN 978-2-226-17593-9 (frz.) – Meine Arbeit im Sonderkommando Auschwitz: Das erste umfassende Zeugnis eines Überlebenden. Vorwort von Simone Veil. Dagmar Mallett Übersetzung. Blessing, München. 2008. 271 Seiten. ISBN 3896673653 (in Zusammenarbeit mit Béatrice Prasquier)
Medien
- Die Grauzone (Orig: The Grey zone) (2001), Regie: Tim Blake Nelson nach dem Buch von Miklos Nyiszli
- Ein einfacher Mensch (1978); Regie: Karl Fruchtmann, Dokumentarfilm über den Sonderkommando-Häftling Jakow Silberberg
- Der Auschwitz-Prozess. Tonbandmitschnitte [...]. Hrsg. vom Fritz-Bauer-Institut Frankfurt a. M. DVD-ROM. ISBN 3-89853-501-0 (u.a. Vernehmungen der Sonderkommando-Häftlinge Dow Paisikovic und Filip Müller)
- Emil Weiss (Regie): Sonderkommando Auschwitz-Birkenau. Frankreich, 2007, 52 Min, Farbe. Dokumentation. (Der Film kombiniert die Berichte und Stimmen der Zeitzeugen mit ruhigen Aufnahmen von den Ruinen, den Wiesen und der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau.)
Weblinks
- Die Manuskripte von Marcel Nadjary, ebenfalls Häftling im Sonderkommando