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Chathamralle

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Die ausgestorbene Chatamralle (Gallirallus modestus) war völlig oder nahezu flugunfähig und lebte auf mindestens drei Inseln der Chatam-Gruppe gleichzeitig mit der Dieffenbach-Ralle (Gallirallus dieffenbachii). 31., 112.


Körperbau und Gefieder

Die Ralle ist an der Oberseite olivbraun. Das Kinn ist grau, Kehle, Körperunterseite und Schwanz tragen graubraune Federn mit schwacher weißlicher Bänderung. Die Flügel sind braun und ihre äußersten Handschwingen gelblichweiß gebändert. Augen, Schnabel und Lauf sind hellbraun. Die Jungtiere sind einfarbig braunschwarz. 45., 112., 246.

Die Ralle ist 22,5 cm lang und damit kleiner als die Dieffenbachralle, beide haben aber fast gleichlange Schnäbel. Der Schnabel der Chatamralle ist leicht gebogen, länger als der Kopf und hat eine Vertiefung im Schnabels, die über die Mitte des Schnabels hinausragte. Die ovale Nasenöffnung liegt in der Mitte dieser Vertiefung. 45., 112., 246.

Die Flügel sind sehr kurz, abgerundet mit weichen Arm- und Handschwingen. Der Daumen trägt eine kurze Kralle. Alle Knochen von Flügel, Schultergrürtel und Brustbein sind gegenüber der Bindenralle im Vergleich zur Körpergröße erheblich verkleinert. Die Steuerfedern des Schwanzes sind sehr kurz und weich und werden durch die Schwanzdecken verdeckt. Auch das restliche Gefieder ist sehr weich. 31., 45., 112., 246.

Die Mittelfußknochen sind kürzer als die mittlere Zehe und geschuppt. Die vorderen Zehen sind lang, dünn und haben alle etwa die gleiche Länge. Der hintere Zeh ist kurz und sehr dünn und weist nach innen. Die Krallen sind kurz und stumpf. 246.

Die Chatamralle weist einen starken Dimorphismus auf, vermutlich ein Sexualdimorphismus, wobei jedoch unbekannt ist, ob Männchen oder Weibchen größer sind. 31.

Die cremeweißen Eier sind 37*28mm groß und haben schwach rötliche und purpurfarbene Flecken. Die Eier der Chatamralle sind damit fast groß wie die größten bekannten Eier der deutlich größeren Bindenralle, deren Eier zwischen 32 x 24 mm und 37 x 29mm groß sind. 31.


Lebensweise

Die nachtaktive Ralle bewohnte trockene Wälder und erinnerte mit ihrem langen Schnabel, den relativ weit vorne liegenden Nasenlöchern und der Nachtaktivität ein wenig an einen sehr kleinen Kiwi. Das legt nahe, daß sie sich wie dieser ernährte, indem sie mit dem Schnabel im Boden stocherte und so nach Futter suchte. Da die Ursprungsart, die Bindenralle kaum pflanzliche Nahrung zu sich nahm, ist anzunehmen daß die Chatamralle im Unterschied zum Kiwi keine oder fast keine pflanzliche Nahrung zu sich nahm. Das entspricht auch der einzig historischen Angabe zu seiner Ernährung, in der gesagt wurde, daß die Ralle sich überwiegend von Insekten und kleinen Krebstieren ernährte. 31., 112., 246.

Die Chatamralle nistete in Erdhöhlen. Die Jungtiere sollen sich nach dem Schlüpfen in umgestürzten hohlen Bäumen versteckt haben. 112.


Verbreitung und Aussterben

Die Art wurde 1871 von Travers auf Mangere entdeckt und 1872 von Hutton erstbeschrieben. Es wurden noch weitere Belegexemplare der Art gesammelt, doch sie ist zwischen 1896 und 1900 ausgestorben. Sie existierte mindestens auf drei Inseln der Chatam-Gruppe, nämlich Chatham, Mangere und Pitt. 31., 112., 309.

Ziegen und Kaninchen weideten auf der Chatam-Insel große Teile der ursprünglichen Vegetation im Verbreitungsgebiet der Chathamralle ab und zerstörten ihren Lebensraum damit weitgehend. Dadurch standen der Ralle weniger geeignete Lebensräume zur Verfügung und Ratten und Katzen konnten sie ohne die Deckung durch die Pflanzen leichter fangen. 112., 309.


Systematische Einordnung

1872 wurde diese Ralle das erste mal wissenschaftlich beschrieben aber, da ihr Gefieder an das Jugendkleid von Gallirallus phillipinensis erinnert, für eine Dieffenbachralle im Jugendkleid gehalten. Erst als als weitere Bälge dieser Art gesammelt wurden, wurde das dadurch widerlegt, daß das Gefieder von Jugendlichen und Erwachsenen gleich aussah. Hutton stellte sie aufgrund von Skelettunterschieden im Flugapparat 1874 in eine eigene Gattung (Cabalus). Heute gilt die Chatamralle wie die Dieffenbachralle als Abkömmling der Bindenralle (Gallirallus philippensis). Die Rückbildung des Flügelskeletts wird als Neotenie (Beibehaltung von Jugendmerkmalen beim erwachsenen Tier) gedeutet, die auch das an das Jugendkleid der Dieffenbachralle erinnernde Gefieder erklärt. 31., 44., 45., 64., 112.

Genetisch weichen die Dieffenbachralle und die Chatamralle etwa gleich stark von der Bindenralle ab. Es gibt grundsätzlich vier mit dem Ergebnis der DNA-Untersuchung vereinbare Möglichkeiten, wie die beiden nahe verwandten Arten entstanden sein könnten. 31., 323.

Die Arten könnten sich gleichzeitig auf derselben Insel aus demselben flugfähigen Ahnen entwickelt haben. Dagegen spricht, daß kein Mechanismus bekannt ist, der unter diesen Bedingungen eine Aufspaltung der Art in zwei Arten erklären könnte und daß dergleichen bisher nicht eindeutig nachgewiesen werden konnte. 31., 323.

Die Artaufspalung könnte dadurch zustande gekommen sein, daß jede Art sich auf einer anderen Chatam-Inseln entwickelt hat und daß sie nach der Aufspaltung in mehrere Arten jeweils die anderen Inseln der Inselgruppe schwimmend erreicht haben. 323.

Die Arten könnten sich unabhängig voneinander aus verschiedenen flugfähigen Ahnen entwickelt haben, von denen einer gleichzeitig auch der Ahne der Schnepfenralle (Capellirallus karamu) war. Gegen diese Theorie spricht, daß weder aus Fossilien noch als lebender Vogel eine zweite in Frage kommende Ursrungsart bekannt ist und daß auch nicht klar ist, warum diese Usprungsart dann verschwunden sein sollte. 31.

Das Skelett der Chatamralle ist stärker zurückgebildet als bei Rallus dieffenbachii, das heißt die Neotenie ist stärker ausgeprägt und es wird deshalb von vielen Autoren angenommen daß die Ralle sich aus einem Bindenrallen-Stamm entwickelt hat, der die Chatham-Inseln zu einem früheren Zeitpunkt erreichte als der, aus dem die Dieffenbachralle entstand. 31., 44., 45., 64., 112.

Auf Inseln, auf denen nur ein flugunfähiger Abkömmling der Bindenralle bekannt ist, ist immer eine Form entstanden, die sowohl mehr verschiedene Lebensräume nutzt als auch unterschiedlichere Nahrung zu sich nimmt, als die Bindenralle. Außerdem ist sie größer als die Ausgangsart und hat zurückgebildete Flügel. Beispiele für solche Arten sind neben der Dieffenbachralle der Weka und die Lord-Howe-Waldralle. Es entstanden also durch parallele Evolution auf den verschiedensten Inseln einander sehr ähnliche große flugunfähige Arten, die weniger spezialisiert waren als die Bindenralle. 31.

Von diesem regelmäßig entstehenden Typus unterscheidet sich die Chatamralle dadurch, daß erheblich kleiner ist und einen auffallend langen Schnabel hat, der auf eine stärkere Spezialisierung hinweist. Eine ähnlich spezialisierte Art, die vermutlich ebenfalls von der Bindenralle abstammt, ist die Schnepfenralle (Capellirallus karamu) von Neuseeland, wo mit dem Weka ebenfalls ein weniger spezialisiserter Abkömmling der Bindenralle vorhanden war. Es erscheint deshalb logisch, anzunehmen daß hoch spezialisierte Arten erst entstehen, wenn die ökologische Nische des Generalisten schon besetzt ist. Dafür spricht auch, daß die genetische Drift bei kleinen Populationen schnellere Veränderungen bewirkt als bei einer großen etablierten Population und daß eine große etablierte Population mehr evolutionären Druck auf eine kleine Gründungpopulation ausüben kann als umgekehrt. 31.

Es wurde jedoch bezweifelt, daß zwei dicht aufeinander folgende Kolonisationen der Insel tatsächlich zur Entstehung von zwei Arten führen könnten, da angenommen wurde, daß beide Arten sich dann noch nicht weit genug voneinander getrennt haben könnten, um die Entstehung neuer Arten zu begünstigen. 64.