Liturgiereform
Liturgiereform ist die Erneuerung gottesdienstlicher Handlungen und Texte.
Heute ist mit diesem Wort gewöhnlich die vom zweiten Vatikanischen Konzil beschlossene und von Papst Paul VI. ausgeführte Überarbeitung der katholischen Liturgie gemeint. Ergebnis der Liturgiereform war die Veröffentlichung einer neuen Messordnung (Novus Ordo Missae) in der Ausgabe des Missale Romanum von 1970.
Neben der Eucharistiefeier wurden auch andere Riten (unterschiedlich stark) geändert. Am Deutlichsten wird diese Änderung bei der Krankensalbung, die nicht mehr ein Sterbesakrament war. Vorbereitet wurde die Reform durch die Liturgische Bewegung seit dem Ersten Weltkrieg, besonders im deutschsprachigen Bereich.
Frühere Überarbeitungen der Liturgie
Die erste Liturgiereform wurde zwischen dem vierten und siebten Jahrhundert durchgeführt, als die Kirche nach der Zeit der Verfolgung zur Staatskirche aufstieg. Eine weitere Liturgiereform wurde von Papst Pius V. sieben Jahre nach dem Konzil von Trient im Jahr 1570 durchgeführt, als er das Missale Romanum veröffentlichen ließ (siehe Tridentinische Messe). Mit Ausnahme der unter Papst Pius XII. durchgeführten substanziellen Überarbeitung der Abschnitte zum Gründonnerstag, Karfreitag und der Osterliturgie, wurde diese Ordnung nicht wesentlich abgeändert.
Liturgiereform von 1970
Nach dem zweiten Vatikanischen Konzil wurde 1967 auf Basis der dort verabschiedeten Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum Concilium die Liturgiekommission einberufen, um die gesamte Liturgie nach den Grundsätzen des Konzils zu erneuern. Den Vorsitz der Liturgiekommission hatte zunächst Giacomo Lercaro inne, ab 1968 Annibale Bugnini. Insbesondere die Messe wurde in vielen Punkten geändert. Dabei wurden viele Texte, besonders Doppelungen, aus der Messe entfernt, neue Texte formuliert, vor-tridentinische Texte wieder aufgenommen und bestehende Texte revidiert. Die Reform der Messe wurde 1975 abgeschlossen und unmittelbar darauf weltweit umgesetzt.
Änderungen
Besonders sichtbar war bei der Eucharistie die neue Stellung des Priesters hinter dem Altar, mit dem Gesicht zum Volk. Diese Vorschrift machte Umbauten in fast allen Kirchen nötig. Dabei wurden meist auch die Altarschranken (Kommunionbänke) entfernt. In nach dem Konzil neu erbauten Kirchen wurde darüberhinaus der Altar oft weit in die Mitte der Gemeinde gezogen und die Bankreihen kreisförmig angeordnet. Dadurch soll die gemeinsame Würde des Gottesvolkes und die Nähe des menschgewordenen Herrn betont werden.
Das zentrale Anliegen dieser Reform war die „volle und tätige Teilnahme“ (plena et actuosa participatio) aller Gläubigen an den liturgischen Feiern. Zu diesem Zweck wurden dem Latein die Volkssprachen als gleichberechtigte Liturgiesprachen zur Seite gestellt. Die liturgischen Riten wurden gemäß ihrem ursprünglichen Sinn vereinfacht und verdeutlicht. Den verschiedenen Teilnehmern wurden klar abgegrenzte Aufgaben im Gottesdienst („Rollen“) zugewiesen, um das Volk Gottes in seiner organisch gegliederten Einheit voller darzustellen: Priester, Ministranten, Kommunionhelfer, Lektor, Kantor, Organist, Gemeinde.
Positive Resonanz
Die Liturgiereform stieß unter den praktizierenden Katholiken, besonders in Deutschland, auf breite Zustimmung. Viele entdeckten den inneren Sinn und Zusammenhang des gottesdienstlichen Geschehens völlig neu. Durch die vielfältigen Mitwirkungsmöglichkeiten wurden Begabungen entdeckt und in den Dienst genommen. Statt eines statischen Ritus wurde die Liturgie in vielen Gemeinden und Gruppen zu einem dynamischen Geschehen.
Theologische Kritik und Gegenbewegung
Theologische Kritik
Die theologische Kritik bezieht sich unter anderem auf den Opfercharakter der Messe. Kritiker wie Bacci und Ottaviani waren der Meinung, dass in den Texten der sog. tridentinischen Messe der Opfercharakter der Messe deutlicher zum Ausdruck komme. Beispiel hierfür seien die Gebete im Anschluß an die Wandlung.
sog. Tridentinische Messe / Römisches Messbuch von 1962 | Römisches Messbuch von 1970 (2. Hochgebet) |
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Daher sind wir denn eingedenk, Herr, wir Deine Diener, aber auch Dein heiliges Volk, des heilbringenden Leidens, der Auferstehung von den Toten und der glorreichen Himmelfahrt Deines Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus, und bringen so Deiner erhabenen Majestät von Deinen Geschenken und gaben ein reines Opfer dar, ein heiliges Opfer, ein makelloses Opfer: das heilige Brot des ewigen Lebens und den Kelch des immerwährenden Heiles. ... Nimm es ... an, wie Du einst die Gaben Abels, Deines gerechten Dieners aufgenommen hast, das Opfer unseres Patriarchen Abraham, das heilige Opfer und die makellose Gabe, die Dein Hohepriester Melchisedech Dir dargebracht hat. ... Dein hl. Engel möge dieses Opfer emportragen ...
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Geheimnis des Glaubens: Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit. Darum, gütiger Vater, feieren wir das Gedächtnis des Todes und der Auferstehung deines Sohnes und bringen dir so das Brot des Lebens und den Kelch des Heiles dar. Wir danken dir, daß du uns berufen hast, vor dir zu stehen und dir zu dienen. Wir bitten dich: Schenke uns Anteil an Christi Leib und Blut, und laß uns eins werden durch den Heiligen Geist.
Gedenke ... |
Gegenbewegung
Die Gegenbewegung zur Neuen Messe setzte noch während der Tätigkeit der Liturgiekommission ein. Auch einige Geistliche aus höchsten Kirchenämtern kritisierten den erneuerten Römischen Ritus.
Aus dieser Gegenbewegung formierten sich traditionalistische Gruppen, bekannt wurde hier vor allem die 1970 unter Erzbischof Marcel Lefebvre gegründete Priesterbruderschaft St. Pius X., die die neue Messe ablehnt. Die Katholische Kirche beurteilt das Verhalten von verschiedenen Mitgliedern der Piusbruderschaft als schismatisch. Sie hat die Priester der Bruderschaft von priesterlichen Funktionen entbunden (suspendiert) und ihnen somit verboten, Messen zu feiern und Sakramente zu spenden.
Weblinks
- Konstitution über die heilige Liturgie „Sacrosanctum Concilium“
- Papst Paul VI.: Promulgation of the Roman Missal Revised by Decree of the Second Vatican Ecumentical Council, St. Peter, Rom, 3. April 1969
- Arnaud Join-Lambert: Liturgie und christliches Leben
- Hirtenwort der deutschen Bischöfe zur Liturgie, 24. September 2003 (PDF)