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At-Tabarī

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Abû Dscha'far Muhammad Ibn Dscharîr Ibn Yazîd at-Tabari,أبو جعفر محمد بن جرير بن يزيد الطبري, DMG Abū Ǧaʿfar Muḥammad b.Ǧarīr b.Yazīd aṭ-Ṭabarī genannt at-Tabari (* 839 in Amol, Tabaristân; † 19. Januar 923 in Bagdad), war ein bedeutender islamischer Historiker und Gelehrter persischer Abstammung. Über sein Leben sind nur wenige Daten erhalten.

Leben

at-Tabari entstammte einer wohlhabenden Familie aus Amul in Tabaristān (heute Mazandaran im Iran). Von seinem Vater, einem Landbesitzer, erbte er genug, um finanzieller Sorgen ledig sein Leben ganz der Gelehrsamkeit widmen zu können. Nachdem er im Alter von sieben Jahren Hafiz und mit acht Imam geworden war, verließ er als 12-Jähriger seine Heimat und trat seine ausgedehnte Studienreise nach Syrien, Ägypten, Bagdad, Kufa undBasra „auf der Suche nach Wissen“ (fi talab al-'ilm) an. Er studierte bei zahlreichen Lehrern seiner Zeit, unter anderem bei Abd Allah ibn Humaid ar-Razi, den er in seinem Geschichtswerk mehrfach zitiert. In Bagdad wollte er bei Ahmad ibn Hanbal studieren, der aber kurz nach seiner Ankunft in der Stadt, damals Hochburg der islamischen Gelehrsamkeit, starb. Nach seinen Studienreisen und der Pilgerfahrt kehrte er gegen 870 nach Bagdad zurück und widmete sich ganz seiner schriftstellerischen Tätigkeit.

Werke

Tabaris berühmteste Werke sind seine Annalen (ta'rich) und sein Korankommentar (tafsir). Darüber hinaus beschäftigte er sich mit fiqh, hadith und anderen Wissenschaftsdisziplinen.

Geschichtsschreibung

Die „Annalen“ – oder manchmal auch kurz „Die Geschichte“ - ist at-Tabaris Universalgeschichte: Ta'rich al-rusul wa-l-mulûk wa-l-chulafâ' تأريخ الرسل والملوك والخلفاء, DMG Taʾrīḫ ar-rusul wa-ʾl-mulūk wa-ʾl-ḫulafāʾ ‚Geschichte der Propheten, Könige und Kalifen‘, die von der Schöpfungsgeschichte über die biblischen Propheten bis in at-Tabaris Zeit (915) reicht. Das annalistisch zusammengestellte Werk ist bis heute eine der wichtigsten Quellen über die islamische Frühzeit und über die Dynastie der Umayyaden bzw. Abbasiden. Der Verfasser wertet ältere Materialien der islamischen Geschichtsschreibung aus, die ihm entweder schriftlich zur Verfügung standen, oder durch Korrespondenzen zugänglich gemacht worden sind. Zu vielen Monographien, die heute nicht mehr erhalten sind - wie die Schriften von Abu Michnaf, al-Waqidi, Saif ibn Umar u.a. - erhielt er die Überlieferungsrechte von seinen Lehrern; zugleich griff er auch auf mündliche Überlieferungen zurück.[1]

Seine Angaben zur Geschichte des Neupersischen Reiches der Sassaniden sind von unschätzbarem Wert für die Forschung, da er hier auf heute verlorene spätantike Quellen zurückgreifen konnte. Die Darstellung der sassanidischen Geschichte „schließt sich an die Jesu und der Byzantiner an und führt unmittelbar zur Vita Mohammeds, dem Ziel der Geschichte.“[2] Das Geschichtswerk ist schon im 10. Jahrhundert in gekürzter Form ins Persische übersetzt worden; denn es konnte den Persern die Erkenntnis vermitteln, dass die von Mohammed verkündete Religion die gottgewollte Bestimmung Persiens war. [3]

Das Gesamtwerk wurde erstmals 1879-1901 von europäischen Orientalisten unter der Leitung von Michael Jan de Goeje in Leiden herausgegeben (siehe auch Theodor Nöldeke) und seitdem mehrfach nachgedruckt. Eine englische Übersetzung erschien unter dem Titel The History of al-Tabari An Annotated Translation, bei State University of New York Press, Albany 1985-1998.

Koranexegese

Sein Korankommentar, Dschami' al-bayan 'an ta'wll ay al-Quran جامع البيان عن تأويل آي القرآن, DMG Ǧāmiʿ al-bayān ʿan taʾwīl āy al-qurʾān ‚Zusammenfassung der Erläuterungen zur Interpretation der Koranverse‘ , entstand ungefähr zwischen 896 und 903. Die 1903 in Kairo erstmalig gedruckte Ausgabe umfasst 30 Bände. Tabari kommentiert darin den Koran Vers für Vers. Zuerst werden lexikalische Fragen erklärt, darauf folgt die Darstellung der historischen Hintergründe der Offenbarung, ferner verschiedene traditionelle Auslegungen der Inhalte, die Erörterung der Frage der Abrogation. Abschließend gibt at-Tabari sein eigenes Urteil über die wahrscheinlichste Auslegung an.

at-Tabari stützte sich in seinem Kommentar überwiegend auf schriftliche Quellen und zitierte Überlieferungen von Qatada, Mudschahid ibn Dschabr, Abd Allah Ibn Wahb, as-Suddi und vielen anderen, deren koranexegetische Schriften entweder verloren gegangen oder nur in Fragmenten vorhanden sind. Die Bedeutung dieser Koranexegese in der islamischen Gelehrsamkeit bestätigt auch, daß sie rund achtzig Jahre nach dem Wirken des Verfassers, gegen 1000-1001, in andalusischem Duktus auf Pergament aufgezeichnet worden ist.[4]

Jurisprudenz

In der Rechtswissenschaft (Fiqh) neigte Tabari zunächst der schafiitischen Rechtsschule zu und studierte bei den Schülern von asch-Schafii sowohl in Bagdad als auch in Fustat. In Ägypten verkehrte er auch in Kreisen von Malikiten. In Bagdad wirkte er anschließend zehn Jahre als Mufti der Schafiiten. Gegen Ende seines Lebens entwickelte er seine eigene Rechtsschule, die als die sogenannte „Dschaririya“ جريرية / Ǧarīriya bekannt wurde[5], die seinen Tod aber nur kurz überdauerte. Seine Anhänger verfaßten Abhandlungen über die Verteidigung seiner Lehren, die wir allerdings nur nach ihren Titeln bei Ibn an-Nadim kennen: „Einführung in die Rechtsschule at-Tabaris und ihre Verteidigung“, „Der Konsens (idschma) gemäß der Rechtslehre von Abu Dscha'far“ und andere Schriften, die islamische Theologen (mutakallimun) im 10. Jahrhundert verfaßt haben. Die Inhalte dieses Schriften sind unbekannt; in den Titeln ist stets von „Madhhab at-Tabari“, bzw. „Madhhab Abi Dscha'far“ und „Fiqh at-Tabari“ die Rede. Bei Ibn an-Nadim wird einer der bekanntesten Traditionarier genannt, der auf dem Gebiet der Jurisprudenz seinem Zeitgenossen at-Tabari nahestand: Abu Muslim al-Kaddschi aus Basra (†904). [6]

Sein bedeutsames Werk auf dem Gebiet der Jurisprudenz unter dem Titel ichtilaf al-fuqaha' / اختلاف الفقهاء / iḫtilāfu ʾl-fuqahāʾ / ‚Die Kontroversen (Lehrmeinungen) der Rechtsgelehrten‘ ist eines der wenigen Werke, in denen die überwiegend kontroversen Rechtslehren der ältesten Rechtsschulen zusammengefasst worden sind. Das Fragment des Werkes in der Istanbuler Bibliothek trägt den Titel:kitab al-Dschihad wal-Dschizya li-t-Tabari / كتاب الجهاد والجزية للطبري; es behandelt also Rechtsfragen des siyar|islamischen Völkerrechts. Der deutsche Orientalist Joseph Schacht hat es 1933 herausgegeben.[7] Weitere Teile sind dann in der Edition von Friedrich Kern erschienen. Beide Werkteile sind im Orient mehrfach nachgedruckt worden.

In dem nur fragmentarisch erhaltenen Werk stellt at-Tabari die Lehren führender Juristen der Frühzeit wie Malik Ibn Anas, Abu Hanifa, asch-Schafii, ferner die von al-Auza'i und dem in Kufa beheimateten Sufyan ath-Thauri dar, schließt aber Ahmad ibn Hanbal als primären Hadithgelehrten und Nichtjuristen, genauso wie die Theorien der Mu'tazila, aus. at-Tabari selbst äußert sich zu den vorgestellten kontroversen Ansichten der genannten Rechtsschulen nicht. Er hebt lediglich diejenigen Punkte hervor, in denen die Vorgänger Konsens (Idschma) erzielt haben.

Hadith-Literatur

Auf dem Gebiet des Hadith sind Teile aus seinem Tahdhib al-athar / تهذيب الآثار / Tahḏīb al-āṯār / ‚Die Zusammenfassung der Hadithe‘ erhalten. Es ist nach den letzten Gewährsmännern der Prophetensprüche angeordnet (Musnad). Die vorliegenden Teile behandeln die von Abd Allah ibn Abbas, Umar ibn al-Chattab und Ali ibn Abi Talib vermittelten Aussagen Mohammeds. at-Tabari erklärt jede Tradition zunächst nach linguistischen Aspekten und bestimmt ihren Stellenwert als beweiskräftige Belege im Ritualrecht, soweit sie der Sunna, der zweiten Quelle der islamischen Jurisprudenz entsprechen. Ibn an-Nadim kannte dieses Werk unter diesem Titel und vermerkt, daß der Verfasser es nicht vollendet hatte.[8]

Quellennachweise

  1. Fuat Sezgin (1967), S. 323-324
  2. Heribert Busse (1987), S. 271
  3. Heribert Busse (1987), S. 271 nach Bertold Spuler: Die historische und geographische Literatur in persischer Sprache. In: Handbuch der Orientalistik. 1 Abteilung, Band 4:Iranistik, 2.Abschnitt:Literatur, S. 104
  4. Miklos Muranyi: Beiträge zur Geschichte der Ḥadīṯ- und Rechtsgelehrsamkeit der Mālikiyya in Nordafrika bis zum 5. Jh. d.H. Wiesbaden 1997, S. 412-413 (Nachträge)
  5. Fuat Sezgin (1967), S. 323
  6. Über ihn siehe: Fuat Sezgin (1967), S. 162
  7. Das Konstantinopeler Fragment des Kitāb Iḫtilāf al-Fuqahāʾ des Abū Ǧaʿfar Muḥammad ibn Ǧarīr aṭ-Ṭabarī. Brill, Leiden 1933. S. VII-IX
  8. Fuat Sezgin (1967), S. 327, Nr. 2; die vorliegenden Fragmente sind in drei Bänden in Beirut (1982-1983) erschienen

Übersetzungen

  • Ihsan Abbas u. a. (Hrsg.): The History of al-Tabari. An Annotated Translation. 38 Bde., New York 1985 ff. (Englische Übersetzung von Tabaris Universalgeschichte.)
  • Clifford Edmund Bosworth (Übersetzer), Vorwort von Ehsan Yarshater: Al-Tabari. The Sasanids, the Byzantines, the Lakhmids, and Yemen. State University of New York Press, Albany 1999. (Erschienen in der oben genannten Reihe, behandelt die Geschichte der Sasaniden.)
  • Tabarî, La Chronique Histoire des prophètes et des rois. Deux volumes. Traduit du persan par Hermann Zotenberg. Éditions Actes Sud / Sindbad 2001, Volume I (ISBN 2-7427-3317-5), Volume II (ISBN 2-7427-3318-3).

Literatur

  • Heribert Busse: Arabische Historiographie und Geographie. In: Helmut Gätje: Grundriß der Arabischen Philologie. Bd. II: Literaturwissenschaft. Wiesbaden 1987, S. 264-297.
  • Fuat Sezgin: Geschichte des arabischen Schrifttums. Bd. 1, Brill, Leiden 1967, S. 323–328.
  • The Encyclopaedia of Islam. New Edition.Brill, Leiden, Bd. 10, S. 11.

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