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Wilhelmplatz (Berlin)

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Der Wilhelmplatz mit dem Hotel „Kaiserhof“ im Jahr 1886
Wilhelmplatz – Gemälde von Julius Jacob dem Jüngeren (1886)

Der Wilhelmplatz ist ein historischer Platz in Berlin-Mitte, der an die Wilhelmstraße angrenzte. An ihm lagen in der Zeit des Deutschen Kaiserreichs, der Weimarer Republik und des Dritten Reichs die Reichskanzlei, eine Reihe von Reichsministerien sowie weitere markante Gebäude. Die Umrisse des Platzes sind heute nur noch teilweise erkennbar und das Areal ist größtenteils mit Bauwerken besetzt, die zu Zeiten der DDR errichtet worden sind.

Der Wilhelmplatz im 18. Jahrhundert

Anlage des Platzes

Die Friedrichstadt im „Plan der Königlichen Residenzstadt Berlin“ (1737); links (=östlich) des „Achtecks“ der noch als „Marckt“ bezeichnete Wilhelmplatz

Wilhelmplatz und Wilhelmstraße entstanden im Zuge des seit 1721 geplanten Ausbaus der südlichen Friedrichstadt. Die Leitung des Projekts hatte der Offizier der Berliner Kommandantur und Vorsitzende der städtischen Baukommission Major Christian Reinhold von Derschau, dem alle dazugehörigen Bauvorhaben unterstellt wurden. Ihm beratend zur Seite stand der Architekt und Königliche Oberbaudirektor Johann Philipp Gerlach. Die Baukommission beschloss verbindliche und eng gefasste Richtlinien für die architekonische Gestaltung der Friedrichstadt, sodass ein harmonisches, ganzheitlich wirkendes Stadtbild entstand.

Zunächst sah man ein traditionelles Straßenmuster mit kleiner Rasterbebauung vor. Ab 1732 dominierten in der Planung jedoch drei zentrale Nord-Süd-Straßen, die am Südende strahlenförmig in einen kreisrunden Platz, dem „Rondell“ (heute Mehringplatz), zusammengeführt wurden. Sie erhielten später die Bezeichnungen Wilhelmstraße, Friedrichstraße und Lindenstraße. Ein königliches Patent vom 29. Juli 1734 erwähnt unter den Bauvorhaben auch die Anlage eines größeren Platzes an der Wilhelmstraße.

Ein „Plan der Königlichen Residenzstadt Berlin“ aus dem Jahr 1737 weist erstmals einen viereckigen Platz aus, der sich im nördlichen Drittel der „Wilhelmsstraße“ (wie man bis ins 19. Jahrhundert schrieb) an deren östlicher Seite öffnet. Das heutige westliche Ende der Mohrenstraße liegt dabei an der Stelle der Querachse dieses Platzes. Bis 1749 war er als „Wilhelms-Markt“ bekannt, danach trug er für genau 200 Jahre die Bezeichnung „Wilhelmsplatz“ bzw. „Wilhelmplatz“. Namensgeber war der preußische „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I., der Ausbau und Gestaltung der Friedrichstadt und vor allem des nördlichen Teils der Wilhelmstraße stark beeinflusst hatte. Schon gemäß früher Planungen sollte an die Ostseite des Platzes eine breite Verbindungsstraße anschließen, die zunächst „Am Wilhelmplatz“, ab Mitte des 19. Jahrhunderts „Zietenplatz“ genannt wurde.

Randbebauung

Zurückgehend auf einen Wunsch Friedrich Wilhelms I. entstanden an Wilhelmstraße und -platz in den 1730er-Jahren eine Reihe von Stadtpalais von verdienten Mitgliedern des Hofes, der Staatsbehörden und des Militärs. In der Literatur herrscht jedoch Uneinigkeit darüber, ob die kostenlose Zuweisung von großzügigen Bauflächen und eine staatliche Unterstützung bei den Baukosten für die Betroffenen eher ein Ehrenzeichen oder, wegen der königlichen Inpflichtnahme für einen erwartet standesgemäßen Ausbau der Friedrichstadt, vor allem eine (finanzielle) Belastung bedeutete.

Vorderfront des Ordenspalais; im Hintergrund der linke Seitenflügel des Palais Schulenburg; Stich von Johann Georg Rosenberg (um 1785)

Das erste direkt am Wilhelmplatz gelegene Gebäude war das ab 1737 mit der Hausnummer 7/8 an dessen Nordseite für den Generalmajor Karl Ludwig Truchseß, Graf zu Waldburg, errichtete Palais. Dieses wurde nach dem Tod des Bauherren auf Order des Königs hin vom Johanniterorden übernommen und bis 1742 von diesem fertiggestellt. Möglicherweise lagen dem Bauwerk des Architekten Carl Friedrich Richter Pläne des Königlichen Hofbaumeisters Jean de Bodt zu Grunde.[1]

Etwa zur gleichen Zeit zeichnete Richter auch für den Bau des Palais Schulenburg an der Westseite des Platzes (Wilhelmstraße Nr. 77) verantwortlich, das ab 1878 als Reichskanzlei Amtssitz der deutschen Reichskanzler werden sollte. Die links benachbarten Gebäude, das Palais Marschall (Wilhelmstraße Nr. 78) und die Gold- und Silbermanufaktur (Wilhelmstraße Nr. 79), wurden ab 1735 von Johann Philipp Gerlach errichtet. Wie fast alle Grundstücke an der Westseite der Wilhelmstraße zwischen Unter den Linden und Leipziger Straße besaßen auch die beiden Palais auf ihrer Rückseite ausgedehnte, barock gestaltete Gartenanlagen, die westlich bis zur Höhe des heutigen Leipziger Platzes reichten. Zusammen wurden diese später auch als „Ministergärten“ bezeichnet.

Da sich bald abzeichnete, dass sich für die Grundstücke an der nördlichen Wilhelmstraße nicht genügend finanzkräftige Einzelbauherren finden lassen würden, musste Friedrich Wilhelm I. akzeptieren, dass sich auch Korporationen, Gilden, Vereinigungen und Staatseinrichtungen dort ansiedelten. Das betraf am Wilhelmplatz die erwähnte Gold- und Silbermanufaktur, die dem Waisenhaus in Potsdam gehörte und deren Erträge zu dessen Finanzierung dienen sollten. Zur Manufaktur gehörte auch ein Gebäude an der Südseite des Wilhelmplatzes (Nr.2). Außerdem wurde das südliche Eckgrundstück zur Wilhelmstraße, Wilhelmplatz Nr. 1., 1735 der jüdischen Gemeinde Berlins (deren Mitglieder seit 1727 keine Häuser mehr in der Stadt erwerben durften) mit der Auflage zugewiesen, ein eigenes Gebäude darauf zu errichten. Aus Finanznot war die Gemeinde in den folgenden drei Jahrzehnten dazu jedoch nicht in der Lage. Zwischen 1761 und 1764 erwarb dann mit Sondererlaubnissen von König Friedrich II. der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Veitel Heine Ephraim, die drei Grundstücke als Privateigentum und die Manufaktur zur Erbpacht.

Die Statuen preußischer Militärs

Schon bald nach Ende des Siebenjährigen Krieges 1763 entwickelte sich der Plan, auf dem Wilhelmplatz Statuen gefallener preußischer Generale zu errichten. So entstanden zunächst vier freistehende, in Marmor geschlagene Einzelfiguren von Generalfeldmarschall Kurt Christoph Graf von Schwerin (Bildhauer: Francois-Gaspard-Balthasar Adam und Sigisbert Michel, aufgestellt 1769), Generalfeldmarschall Hans Karl von Winterfeldt (Johann David Räntz und Lorenz Wilhelm Räntz, 1777), General Friedrich Wilhelm von Seydlitz (Jean-Pierre Antoine Tassaert, 1781) und Generalfeldmarschall James Keith (Jean-Pierre Antoine Tassaert, 1786). Sie bildeten die Militärs in eher konventioneller Form ab. Schwerin und Winterfeldt waren in antikisierender Manier mit römischen Kleidern und Waffen dargestellt, Seydlitz und Keith in zeitgenössischen Uniformen.

Ostseite des Wilhelmplatzes mit den Marmorstatuen von Keith, Zieten und Seydlitz (Stich um 1820)

1794 und 1828 wurden zwei weitere Statuen am Wilhelmplatz aufgestellt, die ursprünglich für andere Berliner Stadtplätze bestimmt gewesen waren. Sie stammten von dem bedeutenden Berliner Bildhauer Johann Gottfried Schadow. Bei den Skulpturen handelte es sich um Darstellungen von Hans Joachim von Zieten und von Leopold I., Fürst von Anhalt-Dessau, genannt „Alter Dessauer“. Das Standbild Zietens war für den ebenfalls in Berlin-Mitte gelegenen, heute nicht mehr existierenden Dönhoffplatz vorgesehen gewesen, das Denkmal Anhalt-Dessaus hatte seit 1800 zunächst an der Südwestecke des Lustgarten gestanden und wurde dann gemäß der Planung von Karl Friedrich Schinkel (der beide Plätze neu gestaltete) an den Wilhelmplatz verpflanzt. Zusammen prägten die sechs Skulpturen den Platz bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts.

Wegen der Anfälligkeit des Materials wurden auf Anraten von Christian Daniel Rauch ab 1857 von dem Bildhauer August Kiß Bronzekopien hergestellt. Sie ersetzten die Marmororiginale, die in geschlossenen Räumen aufgestellt werden sollten. Allerdings gestaltete Kiß die Skulpturen Schwerins und Winterfeldts völlig neu und befreite sie von ihrem antiken Erscheinungsbild. Die Originale fanden nach wechselnden Standorten 1904 eine dauerhafte Unterkunft in der kleinen Kuppelhalle des Bode-Museums.

Der Wilhelmplatz bis 1871

Umgestaltung durch Schinkel und neue Anwohner

Plan des Wilhelmplatzes vom Ende des 19. Jahrhunderts, der noch die Schinkelsche Platzgestaltung zeigt; Voßstraße (unten Mitte) und Kaiserhofstraße (oben rechts) wurden erst in den 1870er-Jahren angelegt

Schinkel unterbreitete seinen Vorschlag, das Denkmal von Anhalt-Dessau auf den Wilhelmplatz zu versetzen, im Rahmen der von ihm verantworteten Umgestaltung des Wilhelmplatzes im Jahr 1826 – der bis dahin umfangreichsten Veränderung des Areals. Den Denkmalen wies er neue Standorte an den Enden der beiden Platzdiagonalen und der Querachse zu. Außerdem gab er dem Areal mit Rasenflächen, Lindenbäumen und einem ovalen Gehweg, der die Ränder des Platzes tangierte, das Erscheinungsbild eines Parks.

Die Randbebauung des Wilhelmplatzes wurde bis zum Ende des 19. Jahrhunderts teilweise durch Anbauten erweitert, teils durch größere Neubauten ersetzt. Der mehrfache Besitzer- und Nutzerwechsel von Stadtpalais führte auch zu deren neuer Bezeichnung.

Aus dem Ordenspalais wurde das „Palais Prinz Karl“ mit der neuen Nummerierung Wilhelmplatz Nr. 8/9. Benannt wurde es nach Karl von Preußen, der das Palais als Winterresidenz nutzte. Karl ließ durch Friedrich August Stüler auf Grundlage von Plänen Schinkels 1827−1828 das Innere des Barockgebäudes umgestalten, das Äußere klassizistisch überformen und ein rechtes Seitengebäude errichten. Bis zu seinem Tod 1865 zeichnete Stüler für die Umgestaltung einer ganzen Reihe von Gebäuden in der Wilhelmstraße verantwortlich.

Der Wilhelmplatz mit parkähnlichem Ausssehen um 1850; Blickrichtung Norden auf das Palais Prinz Karl; links die Wilhelmstraße

Das Palais Schulenburg gehörte Anfang der 1790er-Jahre kurzzeitig Sophie von Dönhoff, der morganatischen Ehefrau von König Friedrich Wilhelm II.. 1796 kam es in den Besitz von Anton Fürst Radziwill und war fortan als „Palais Radziwill“ bekannt. Während der napoleonischen Besetzung Berlins residierte in ihm der französische Stadtkommandant. In den kommenden Jahrzehnten befand sich im Palais Radziwill einer der führenden Berliner Salons, der aufgrund des Katholizismus der Hausherren im protestantischen Preußen gleichermaßen Aufsehen wie Abneigung erregte. Begleitet von eigenen Kompositionen ließ Radziwill, ein großer Bewunderer Goethes, im Haustheater des Palais 1819/1820 Faust I uraufführen.

Das ehemalige Palais Marschall, das bereits im 18. Jahrhundert mehrmals den Besitzer gewechselt hatte, erwarb 1800 der Geheime Staatsminister Otto Carl Friedrich von Voß. Es hieß danach entsprechend „Palais Voß“. In einem dazugehörigen Gartenhaus wohnten zwischen 1811 und 1814 Achim und Bettina von Arnim. In einem Brief an Goethe beschrieb letztere ihre Lebenssituation dort mit den Worten: „Ich wohne hier in einem Paradies!“[2]

Die Anfänge des Regierungsviertels „Wilhelmstraße“

Bereits am Ende des 18. Jahrhunderts zeigte sich, dass preußische Adlige zur dauerhaften Unterhaltung der stattlichen Palais in der nördlichen Wilhelmstraße finanziell häufig nicht in der Lage waren. So kam es zu einzelnen Verkäufen an Vertreter des aufstrebenden Bürgertums, die die Gebäude teilweise wirtschaftlichen Zwecken zuführten, zum Beispiel als Manufakturen, Verlagshäuser oder indem sie Teile vermieteten. Auf kleineren Parzellen der Umgebung waren außerdem schon frühzeitig „richtige“ Bürgerhäuser entstanden.

In einer Gegenbewegung begann im 19. Jahrhundert auch der Staat Preußen, Grundstücke und Gebäude an der Wilhelmstraße zu erwerben und sie für öffentliche Zwecke zu verwenden. Dabei ging es darum, das Erscheinungsbild von Wilhelmplatz und Umgebung als „Schaufenster“ der aristokratisch-preußischen Tradition zu bewahren. Zeitgleich setze eine stärkere administrative und räumliche Trennung von Hof und Regierung ein, begannen sich eigenständige Ministerien und Behörden herauszubilden. Da Letztere engen Kontakt untereinander halten sollten, entstand im Laufe des 19. Jahrhunderts ein zunächst preußisches, dann reichsdeutsches Regierungsviertel, das unter dem Metonym „Wilhelmstraße“ bekannt wurde. Schon bald folgten Gesandte deutscher oder ausländischer Staaten, die sich in freien Wohnungen der Umgebung einmieteten. In den 1840er-Jahren hatten beispielsweise die Gesandtschaften von Belgien, Mecklenburg-Strelitz und Württemberg ihren Sitz am Wilhelmplatz.

Das erste Haus am Wilhelmplatz, das preußische Regierungsfunktionen erfüllte, war das Ordenspalais, das mit Auflösung des Johanniterordens im Zuge der Preußischen Reformen 1810 an den Staat gefallen war. Es beheimatete zunächst Einrichtungen des preußischen Kriegsministeriums und ab 1820 für einige Jahre Büros des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten. Ab 1827 wurde das von den Erben Ephraims erworbene südliche Eckgebäude Wilhelmplatz Nr. 1 von dem Ministerium genutzt. 1844 übernahm der preußische Staat auch das durch Umbau im Jahr 1823 stark veränderte Gebäude der Gold- und Silbermanufaktur (deren Produktion nur noch in rückseitigen Anbauten lief) in der Wilhelmstraße Nr. 79. Ab 1848 residierte hier das neu gegründete Ministerium für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten. Das Gebäude wurde 1854/55 durch Stüler aufgestockt und umgebaut.

Der Wilhelmplatz im Deutschen Kaiserreich

Neue Regierungsgebäude um den Platz

Nach der Gründung des Deutschen Kaiserreichs im Jahr 1871 rückte die Wilhelmstraße ins politische Zentrum einer europäischen Großmacht. Durch Umgestaltung existierender preußischer und Gründung neuer Reichsämter, -behörden und -gremien ergab sich Bedarf für repräsentative Amtsgebäude. Auch die Schaffung von Dienst- und Wohnraum für Staatssekretäre und Beamte trug zu einem neuen (Um-)Bauboom am Wilhelmplatz bei. Seine Umgebung erhielt dabei einen nüchtern-dienstlichen Charakter, der keinen Raum für Ladenlokale oder Gaststätten ließ. Bis in die NS-Zeit hinein blieb der Wilhelmplatz einer der wenigen zentral gelegenen Plätze in Berlin, an dem es keine Straßencafés gab.

Sitz der Reichsversicherungsanstalt am Wilhelmplatz Nr .2, um 1890

Das 1870 zunächst als Institution des Norddeutschen Bundes neu geschaffene Auswärtige Amt des Deutschen Reiches ließ sich kurzzeitig an der Südseite des Wilhelmplatzes nieder. Dabei übernahm es das zuvor bereits vom preußischen Ministerium für auswärtige Angelegenheiten benutzte Gebäude Wilhelmstraße Nr. 61. Der Einzug erfolgte 1877 nach Abriss dieses Eckgebäudes und dem Neubau (1874–1877) nach Plänen von Georg Wilhelm Joachim Neumann, ausgeführt von Richard Wolffenstein. Einen eklektizistischen Stil nutzend, der sich in der äußeren Form am Palazzo Strozzi in Florenz orientierte, verbanden die Architekten dabei ornamentale Elemente der Renaissance und des Klassizismus. Gleichzeitig erfolgte eine Angliederung des 1873 erworbenen, im Inneren umgebauten Gebäudes Wilhelmplatz Nr. 2.

Nach Umzug der am südlichen Wilhelmplatz residierenden Teile des Auswärtigen Amtes in den nördlicher gelegenen Bereich der Wilhelmstraße (Nr. 75/76) wurde das Eckgebäude Wilhelmstraße Nr. 61 ab 1882 vom Reichsschatzamt genutzt, der 1879 geschaffenen obersten Finanzbehörde des Deutschen Kaiserreichs. Im Nachbarbau Wilhelmplatz Nr. 2 hatte von 1887 bis 1894 das Reichsversicherungsamt seinen Sitz, anschließend wurde aber auch er vom Reichsschatzamt belegt. 1909 wurde das Gebäude komplett umgestaltet und äußerlich der Wilhelmstraße Nr. 61 angepasst. Schon 1904 war der Komplex durch Angliederung der Wilhelmstraße Nr. 60 südlich erweitert worden.

Nordhälfte des Wilhelmplatzes, vor 1906, Blickrichtung NW; in der Bildmitte die Reichskanzlei, links das Palais Pleß, rechts das Palais Prinz Leopold

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite breitete sich das bereits seit 1848 in der ehemaligen Gold- und Silbermanufaktur residierende Ministerium für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten (Wilhelmstraße Nr. 79) ebenfalls räumlich aus. Zwei Erweiterungsbauten in der Wilhelmstraße Nr. 80 und der (neu geschaffenen) Voßstraße Nr. 35 wurden dem Komplex 1869/1870 bzw. 1875/1876 angeschlossen. 1878 wurde der Gebäudetrakt Hauptsitz des ausgegliederten neuen Ministeriums für öffentliche Arbeiten, dem vor allem das Hochbau- und Eisenbahnwesen in Preußen unterstand. Weitere Gebäude in der Leipziger Straße (Nr. 125) und der Voßstraße (Nr. 34) wurden 1892–1894 bzw. bis 1908 angebunden.

Reichskanzler Otto von Bismarck beeinflusste mit seiner Entscheidung für den Dienstsitz der 1878 neu geschaffenen Reichskanzlei jedoch am stärksten die weitere Entwicklung des Areals. Statt ein eigentlich für diesen Zweck 1872–1874 von Neumann in der Wilhelmstraße Nr. 74 neu errichtetes Gebäude zu beziehen, wählte Bismarck das ehemalige Palais Radziwill (Wilhelmstraße Nr. 77) an der Nordwestecke des Wilhelmplatzes. Bismarck hatte den Ankauf des Gebäudes betrieben, um zu verhindern, dass private Investoren sich Häuser an der Wilhelmsstraße sicherten. Der sich stets erweiternde Raumbedarf der Exekutive sollte fußläufig zu den bereits bestehenden Einrichtungen befriedigt werden. Ein Gesetz legte 1874 fest, dass der orbitant hohe Kaufpreis von zwei Millionen Mark mit französischen Reparationszahlungen für den Krieg von 1870/71 gedeckt wurde. Gleichsam „eingeweiht“ für seine neue Bestimmung wurde das Gebäude im Juni/Juli 1878 beim Berliner Kongress, der in seinen Mauern stattfand.

Sonstige Veränderungen

Neben den Folgen des Wachsens des Regierungsviertels veränderten zwischen 1871 und 1914 vor allem drei städtebauliche Entwicklungen das Erscheinungsbild des Wilhelmplatzes radikal.

Palais Borsig an der Ecke Voßstraße (links) und Wilhelmstraße, um 1881

Gebäude und Gelände des Palais Voß fielen 1871 ins Eigentum der Deutschen Baugesellschaft. Diese entwickelte aus Spekulationsgründen den Plan, das Palais abzureißen und das gesamte Gelände für eine neue Stichstraße zur Königgrätzer Straße (heute: Ebertstraße) zu erschließen. Die beiderseitig der neuen Verkehrsader auszuweisenden kleinen Parzellen sollten gewinnbringend an Investoren verkauft werden, die dort Geschäftshäuser errichten konnten. Die so neu entstandene, nach dem letzten Grundstücksbesitzer benannte und zunächst private Voßstraße stieß auf die Querachse des Wilhelmplatzes und verband sich mit dem jenseitigem Zietenplatz und der Mohrenstraße zu einer fast durchgehenden West-Ost-Achse. Diese wurde Anfang des 20. Jahrhunderts tatsächlich für den Straßenverkehr erschlossen, musste dabei aber zwangsläufig auch die Schinkelsche Parkanlage durchschneiden und stören.

Auf dem frei gewordenen Gelände an der nördlichen Ecke Voßstraße/Wilhelmstraße entstanden außerdem zwei neue Stadtpalais: Der Industrielle August Julius Albert Borsig ließ vom Berliner Architekten Richard Lucae 1875–1877 das „Palais Borsig“ (Voßstraße Nr. 1) im Stil der italienischen Hochrenaissance errichten. Das umgebende winkelförmige Gelände mit den Hausnummern Voßstraße Nr. 2 und Wilhelmstraße Nr. 78 wurde nach Plänen des Architekten Gabriel-Hippolyte Destailleur und französischen Vorbildern des 18. Jahrhunderts für Hans Heinrich Fürst von Pleß mit dem „Palais Pleß“' bebaut. Die zahlreichen hochragenden Schornsteine brachten diesem bereits 1913 wieder abgerissenen Gebäude angeblich den zeitgenössischen Spitznamen „Schornsteinfeger-Akademie“ ein.

Der Wilhelmplatz mit Hotel „Kaiserhof“, um 1890

Zum markantesten Neubau am Wilhelmplatz im 19. Jahrhundert wurde jedoch das 1873–1875 errichtete Grandhotel „Kaiserhof“. Um Platz für den riesigen Komplex zu schaffen, hatte die „Berliner Hotelgesellschaft“ seit 1872 elf Grundstücke an Wilhelmplatz (Nr. 3 und 5), Zietenplatz (Nr. 1-3 und 5) bzw. an der Mohrenstraße (Nr. 4) und der Mauerstraße (Nr. 56–59) und damit ein ganzes Häuserquartier erworben und die bestehenden Gebäude abreißen lassen. An der Südostseite des Wilhelmplatzes brach man dabei die bisher geschlossene Randbebauung auf und schuf eine neue Verbindung zwischen Mauer- und Wilhelmstraße unter dem Namen Kaiserhofstraße. Durch die Freistellung von angrenzenden Bauten wurde der „Kaiserhof“ noch stärker aus seiner Umgebung herausgehoben.

Obwohl sein Haupteingang am Zietenplatz lag, hatte das luxuriös ausgestattete Hotel offiziell die Adresse Wilhelmplatz Nr. 3–5. Nur wenige Tage nach seiner Eröffnung, zu der auch Kaiser Wilhelm I. erschienen war, brannte das Hotel am 10. Oktober 1875 aus. Rechtzeitig zum Berliner Kongress im Jahr 1878, bei dem zahlreiche Diplomaten in dem Luxushotel unterkommen sollten, öffnete es jedoch wieder seine Pforten. Bis zur Eröffnung des „Hotel Adlon“ am Pariser Platz im Jahr 1907 setzte der „Kaiserhof“ in Berlin den Standard modern-anspruchsvollen Herbergswesens.

Pergola-Eingang des U-Bahnhofes „Kaiserhof“ auf der Mitte des Wilhelmplatzes (um 1908)

Die dritte große Änderung am Wilhelmplatz vor dem Ersten Weltkrieg brachte ab 1905 die Ausdehnung des Berliner U-Bahn-Netzes zur Erschließung der historischen Stadtmitte, zunächst bis zum Spittelmarkt. Im Zuge dieses Ausbaus einer West-Ost-Linie entstand unter Wilhelmplatz und Zietenplatz der 1908 eröffnete U-Bahnhof „Kaiserhof“ (heute „Mohrenstraße“). Auf die eigentlich geplante Bezeichnung Wilhelmplatz musste man verzichten, weil es eine gleichnamige Station bereits in Charlottenburg gab. Eine Doppelstraße, die Zietenplatz und Wilhelmstraße verband, flankierte fortan eine ovale Insel auf der Mitte des Wilhelmplatzes, auf welcher sich der westliche U-Bahn-Eingang befand. Dieser Eingriff zerschnitt das Platzarrangement Schinkels, beließ aber die sechs Bronzestatuen der Militärs an ihren angestammten Plätzen. Allerdings prägten nun nicht mehr sie, sondern der von Alfred Grenander gestaltete U-Bahn-Zugang und vor allem dessen markante Pergola-Einfassung die Wahrnehmung des Wilhelmplatzes.

„Kur- und Neumärkische Haupt- und Ritterschafts-Direktion“, frühere Ecke von Wilhelmplatz (links) und Zietenplatz während Renovierung im April 2007

Der wachsende architektonische Einfluss der Neorenaissance am Wilhelmplatz zeigte sich ab 1894 auch am vom Königlichen Landbauinspektor Hermann Ditmar entworfenen Gebäude an der südlichen Ecke Zietenplatz/Wilhelmplatz (Nr. 6). Das betreffende Grundstück war schon in den 1730er–Jahren baulich erschlossen worden und hatte mehrmals den Besitzer gewechselt. Der 1892 bis 1894 entstandene Neubau gegenüber dem „Kaiserhof“ war für die „Kur- und Neumärkische Haupt- und Ritterschafts-Direktion“ bestimmt, eine Darlehenskasse zur Stützung heruntergewirtschafteter Adelsgüter. Die Anlehnung an das Vorbild Florentiner Stadtpaläste für ein neu errichtetes Bankhaus verstand sich so auch als Anerkennung der Ursprünge der modernen Geldwirtschaft im spätmittelalterlichen Norditalien. Neben dem Hofmarschallgebäude, Wilhelmplatz Nr. 8, ist das Direktionshaus der einzige Teil der historischen Randbebauung des Wilhelmplatzes, der heute noch existiert (jetzige Adresse: Mohrenstraße 66). Das Bauwerk steht unter Denkmalschutz.[3]

Schon bald nach dem Tod von Prinz Carl im Jahr 1883 begannen Ausbauarbeiten am inzwischen betagten ehemaligen Ordenspalais. Im rechten Winkel zum Stülerschen Anbau aus den 1820er–Jahren entstand nach Plänen des Architekten Reinhold Persius bis 1885 ein neues Hofmarschallsgebäude. Außerdem wurde der zur Wilhelmstraße gelegene Flügel des Palais erweitert und durch Balkone ergänzt. Da Carls Sohn Friedrich Karl knappe zwei Jahre nach seinem Vater starb, trat 1885 dessen Sohn Prinz Friedrich Leopold das Erbe am Wilhelmplatz an. Nach ihm wurde das Gebäude fortan Palais Prinz Leopold genannt.

Veränderungen in der Weimarer Republik

Während der Novemberrevolution 1918 entwickelte sich die Reichskanzlei zu einem Hauptschauplatz der dramatischen Ereignisse in Berlin. Hier verhandelte der letzte kaiserliche Reichskanzler Prinz Max von Baden am 9. November mit Friedrich Ebert die Übergabe der Amtsgeschäfte und letzterer schloss an gleichem Ort am Abend des 10. November bei telefonischen Verhandlungen mit dem Ersten Generalquartiermeister des Heeres den Ebert-Groener-Pakt. In den folgenden, teils chaotischen zwei Monaten zogen durch die Wilhelmstraße Demonstrationszüge der unterschiedlichen Gruppen, die Anspruch auf die politische Macht erhoben und diesen zum Teil mit Gewalt durchsetzen wollten.

Die Konsolidierung der Weimarer Republik im Jahr 1919 ebnete den Weg für eine Revision der administrativen Ordnung im Deutschen Reich. Dabei wurde nicht nur die Verantwortung zwischen dem Reich und Preußen neu arrangiert, sondern der Zentralregierung wuchsen auch neue Kompetenzen zu. Der Übergang von einem monarchischen zu einem republikanischen Staatswesen veränderte auch die Umgebung des Wilhelmplatzes.

Im Kontrast zu diesen strukturellen Veränderungen hatte der Bauboom am Wilhelmplatz schon seit Beginn des Ersten Weltkrieges nachgelassen. Die Grundstücke befanden sich nun fast alle in staatlichem Besitz oder waren in den Jahrzehnten zuvor mit stattlichen neuen Bauten besetzt worden. Zwar entstanden ab 1919 auch neue Behörden und Ministerien, diese okkupierten aber die nach außen oft unveränderten Gebäude der Kaiserzeit oder mussten wegen zunehmender Raumnot in umliegenden Straßenzügen untergebracht werden.

Das Reichsfinanzministerium an der Südseite des Wilhelmplatzes in der NS-Zeit
Das Reichsverkehrsministerium an der Westseite des Wilhelmplatzes 1937

Nach der Umwandlung der bisherigen Reichsämter in Ministerien residierten neben dem Reichskanzler am Wilhelmplatz zwei Reichsministerien: Im Häusertrakt an der Südseite des Platzes, Wilhelmstraße Nr. 61, saß zunächst das Reichsschatzministerium, das 1923 in das Reichsfinanzministerium eingegliedert wurde, dessen Hauptsitz dann am Wilhelmplatz lag. Die gegenüber liegenden Straßenseite, Wilhelmstraße Nr. 79/80, besetzte nach der Auflösung des preußischen Ministeriums für öffentliche Arbeiten 1921 das neu geschaffene Reichsverkehrsministerium. Aus diesem wurde 1924 aufgrund von Auflagen, die sich aus den deutschen Reparationsverpflichtungen ergaben (Dawes-Plan), die privatisierte Reichsbahngesellschaft ausgegliedert. Sie übernahm das Eckgebäude der ehemaligen Gold- und Silbermanufaktur und die in der Kaiserzeit angegliederten Häuser in der Voßstraße. Zusätzlich wurde dort ein in den 1880er-Jahren entstandenes Wohnhaus angeschlossen (Nr. 33), das als einziges Vorkriegsgebäude der Voßstraße heute noch existiert.

Der preußische Fiskus und das Haus Hohenzollern stritten nach dem Ersten Weltkrieg um das Eigentum am Palais Prinz Leopold, dessen Namensgeber lebenslanges Wohnrecht in dem Gebäude hatte. Im Jahr 1919 wurde es kurzzeitig als Amtssitz für den neu gewählten Reichspräsidenten Ebert in Erwägung gezogen. Wegen des hohen Kaufpreises, des schlechten baulichen Zustandes und Sicherheitsbedenken entschied Ebert sich aber gegen das weitgehend leerstehende Gebäude. Statt dessen wurde die Wilhelmstraße Nr. 73 zum Reichspräsidentenpalais umgewandelt. Aber auch das Palais am Wilhelmplatz wurde schließlich vom Staat Preußen angemietet – als Sitz für die neue, zum Auswärtigen Amt gehörende Vereinigte Presseabteilung der Reichsregierung. Diese hielt fortan mit täglichen Pressekonferenzen im Gartensaal des Anwesens Kontakt zu den Medien der Reichshauptstadt.

Die zunehmende Raumnot an der Wilhelmstraße beflügelte 1926 Pläne, das inzwischen in die Jahre gekommene, defizitär arbeitende Hotel „Kaiserhof“ zu erwerben und zum neuen Sitz des Reichsfinanzministeriums umzuwandeln. Aus dem Ankauf wurde jedoch nichts. Die einzige Möglichkeit für eine Ausweitung der Büroflächen am Wilhelmplatz bot so eine Baulücke in der Wilhelmstraße Nr. 78, die seit dem Abriss des Palais Pleß im Jahr 1913 bestand. Die Reichskanzlei hatte sich das Eigentum des Nachbarareals gesichert, ein anvisierter Anbau war wegen des Krieges jedoch auf Eis gelegt worden. Angesichts der finanziellen Engpässe, welche die junge Demokratie belasteten, lag das wertvolle Baugrundstück auch nach 1918 noch jahrelang brach und beherbergte nur einige Barackenbauten.

Blick vom „Kaiserhof“ auf den Wilhelmplatz mit starkem Durchgangsverkehr; in der Bildmitte rechts der Erweiterungsbau der Reichskanzlei (1932)

Die wachsenden Aufgaben der Reichskanzlei hatten im Palais Radziwill seit 1919 zu einer Ausweitung der Dienstfläche geführt – zu Lasten der für persönliche und repräsentative Zwecke benutzten Räumlichkeiten. Daher reiften 1927 Pläne, alle dienstlichen Funktionen in einen Anbau (auch „Bauteil II“ genannt) auf dem Grundstück Wilhelmstraße Nr. 78 auszulagern. In einem Wettbewerb siegte ein Entwurf der Architekten Eduard Jobst Siedler und Robert Kisch. Sie überzeugten die Juroren mit dem Versuch, die stilverschiedenen Nachbargebäude – das barocke Palais der Reichskanzlei und den Neorenaissance-Bau Palais Borsig – durch ein nüchtern-sachliches Zwischenglied zu verbinden und so „den Wilhelmplatz städtebaulich zu schließen“, wie es in der Wertung des Preiskomitees hieß.[4] Ein auffälliges Turmglied in der rechten Gebäudehälfte betonte aber auch den modernen architektonischen Anspruch. Nach einer teils lebhaft geführten öffentlichen Kontroverse um den vermeintlichen ästhetischen Traditionsbruch wurde der Bau 1928–1930 in leicht abgewandelter Form errichtet.

Ein weiteres Bauprojekt am Wilhelmplatz blieb der Öffentlichkeit naturgemäß weitgehend verborgen. Hintergrund war die Planung einer unterirdischen Nord-Süd-Verbindung der Berliner S-Bahn zwischen dem „Potsdamer Bahnhof“ (heute „Potsdamer Platz“) und dem „Stettiner Bahnhof“ über den Bahnhof „Friedrichstraße“. Statt der später ausgeführten Ost-West-Schleife unter dem Pariser Platz und dem S-Bahnhof „Unter den Linden“ sah man ursprünglich eine weiter südliche Variante mit Untertunnelung des Gartens der Reichskanzlei vor. Dabei sollte ein eigener S-Bahnhof „Wilhelmplatz“ mit Verbindung zum existierenden U-Bahnhof „Kaiserhof“ entstehen, der teilweise unter dem Grundstück Wilhelmstraße Nr. 78 liegen musste. Um keine späteren Baukonflikte mit dem Erweiterungsbau der Reichskanzlei zu verursachen, wurde daher an dieser Stelle zunächst ab 1927 der Bahnhofstunnel im Rohbau angelegt, später aber nie benutzt. Seine Entdeckung durch sowjetische Soldaten im Frühjahr 1945 könnte zur Entstehung späterer Gerüchte und Spekulationen über mysteriöse NS-Tunnelbauten und deren Funktion im Bereich der Wilhelm- und Voßstraße beigetragen haben.[5]

Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg

Die Nationalsozialisten hatten frühzeitig die Nähe des Wilhelmplatzes gesucht und damit ihren Anspruch unterstrichen, die Macht in Deutschland zu übernehmen. Bei seinen Besuchen in der Reichshauptstadt stieg Adolf Hitler ab 1930 regelmäßig im Kaiserhof ab, der aufgrund der rechtsnationalen Haltung seiner Betreiber ein Anlaufpunkt völkischer Gruppierungen war. Seit August 1932 residierte die NSDAP-Führung durchgehend in dem Hotel; ein Stockwerk diente als provisorische Parteizentrale. Bezeichnenderweise betitelte Joseph Goebbels seine 1934 in Buchform veröffentlichten Tagebuchnotizen aus dieser Zeit Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei.[6]

Nach seiner Ernennung zum Reichskanzler zeigt Adolf Hitler sich der Menschenmenge auf dem Wilhelmplatz am Fenster der Reichskanzlei (30. Januar 1933)

Am Abend des 30. Januar 1933 zogen Fackeln tragende Formationen von SA, SS und Stahlhelm vom Brandenburger Tor über Pariser Platz und Wilhelmstraße bis zum Wilhelmplatz, um Hitlers Ernennung zum Reichskanzler zu feiern. Hitler zeigte sich der jubelnden Menge an einem Fenster des Siedler-Anbaus der Reichskanzlei, seinem neuen Amtssitz. Ähnliche Aufmärsche fanden an gleicher Stelle in den folgenden Jahren immer wieder statt, so stets zu Hitlers Geburtstag am 20. April. Durch die bald übliche Drapierung von Gebäuden mit großformatigen Hakenkreuz-Fahnen änderte sich auch der äußere Charakter des Wilhelmplatzes. Diese „Politisierung“ war ein neues Phänomen in der Geschichte des Regierungsviertels.

Spätestens Hitlers Übernahme des Reichspräsidentenamtes nach Hindenburgs Tod im Jahr 1934 offenbarte die Zentralisierung im nationalsozialistischen Staat. Dies ließ auch die Bedeutung der Wilhelmstraße steigen. Der Apparat der alten und neuen Ministerien und Behörden, aber auch der mächtigen Parteidienststellen, richtete sich noch stärker auf die Reichskanzlei am Wilhelmplatz aus, wo Hitler häufig Streitfälle zwischen den verschiedenen Institutionen entschied.

Fassade des Hofmarschallhauses, heute Haupteingang des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales; die zugemauerten Torbögen verbanden das Gebäude früher mit dem Palais Prinz Leopold

Im März 1933 bezog das neu gegründete Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda unter Goebbels das alte Palais Prinz Leopold an der Nordseite des Platzes, das zuvor von der Presseabteilung der Reichsregierung genutzt worden war. Bei Umbaumaßnahmen wurde die noch von Schinkel stammende Inneneinrichtung teilweise zerstört. Bis 1940 entstand nach Plänen Karl Reichles ein umfangreicher Erweiterungsbau im Stil nationalsozialistischer Architektur. Dieser erstreckte sich bis zur Mauerstraße, wo auch der neue Haupteingang des Ministeriums lag.

In den Gebäudetrakt integrierte Reichle das 1885 erbaute Hofmarschallhaus an der Nordostecke des Wilhelmplatzes, veränderte aber dessen Front durch Anlage einer Loggia und gliederte die Fassade durch drei Rundbogenachsen. Der Palaisbau wurde ab 1938 an der Wilhelmstraße verlängert, wobei der Schinkelsche Stil beibehalten wurde, die in den 1880er-Jahren ergänzten Balkone aber wegfielen. Der im Unterschied zum Palais Prinz Leopold erhalten gebliebene Reichle-Bau steht heute unter Denkmalschutz und fungiert nach Umbau in den Jahren 1997 bis 2001 als Sitz des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Als dessen Haupteingang (heute Wilhelmstraße Nr. 49) dient der von Reichle umgestaltete Teil des Hofmarschallhauses.

1933 wurde das Palais Borsig vom Staat angemietet und Vizekanzler Franz von Papen als Dienstsitz zur Verfügung gestellt. Anfang 1934 vom Reich gekauft, nutzten das Gebäude nach der baldigen Abschaffung von Papens Amt Beamte der Präsidialkanzlei sowie die nach dem „Röhm-Putsch“ von München nach Berlin umgezogene Führung der SA. Auch der Generalinspekteur für das deutsche Straßenwesen Fritz Todt hatte hier zeitweise seinen Amtssitz.

Anbau der Reichskanzlei aus den 1920er-Jahren mit 1935 angefügtem „Führerbalkon“ (1938)

Für die Zwecke der Nationalsozialisten erwies sich die alte Gliederung des Wilhelmplatzes als hinderlich. Aus Anlass der Olympischen Spiele 1936 wurde auf Betreiben von Goebbels die Platzanlage umgestaltet. Ziel war es, Raum für Aufmärsche zu schaffen und Massenveranstaltungen auf den „Führerbalkon“ auszurichten, den Albert Speer 1935 im ersten Stock des Erweiterungsbaus der Reichskanzlei angefügt hatte. Diese Baumaßnahme hatte im Kontext eines allgemeinen Umbaus der Reichskanzlei stattgefunden, die der Architekt Paul Ludwig Troost nach Hitlers Wünschen ausgeführt hatte. Dabei war unter anderem auch das Palais Borsig an die Reichskanzlei angegliedert und innerlich umgestaltet worden.

Blick von der Voßstraße über den asphaltierten Wilhelmplatz (1937); die Mohrenstraße zeigt sich für den Durchgangsverkehr begradigt, der U-Bahn-Eingang in der Straßenmitte verkleinert

Bei der Veränderung des Wilhelmplatzes entfernte man die Rasenflächen und einen Großteil der Linden. Die Bronzestatuen preußischer Militärs wurden alle an der Ostseite des Platzes aufgestellt, wo eine Lindenreihe erhalten blieb; die die Statuen seit der Schinkel-Zeit umgebenden Gitter fielen der Umgestaltung zum Opfer. Man befestigte den Platz mit Steinplatten und großflächigen Mosaikmustern, an denen Menschenblöcke leicht ausgerichtet werden konnten, und begrenzte ihn durch hohe, zweiarmige Beleuchtungskörper. Der U-Bahn-Eingang wurde stark verkleinert, die Pergola-Einfassung beseitigt und der umführende Straßenzug angepasst. Neben dem Tempelhofer Feld und dem Lustgarten verknüpft sich sich das Bild von NS-Massenveranstaltungen in Berlin vor allem mit diesem umgewandelten Wilhelmplatz: „Der zentrale Platz des Regierungsviertels, an dem neben der Reichskanzlei auch das Propagandaministerium lag, war damit zu einer Huldigungsstelle für Adolf Hitler geworden.“[7]

Als monumentalster Neubau in der Umgebung des Wilhelmplatzes wurde 1938 in nur elf Monaten Bauzeit entlang der Voßstraße die von Speer konzipierte Neue Reichskanzlei errichtet, auch als „Bauteil III“ der Reichskanzlei bezeichnet. Ihre Ausmaße und aufwändige Einrichtung sollten insbesondere ausländische Besucher beeindrucken und den Anspruch des Deutschen Reiches auf die Vormachtstellung in Europa unterstreichen. Vorbereitungen für den Bau hatten bereits 1934 mit Ankäufen von Grundstücken an der Voßstraße begonnen, die gleichzeitig zu einer Durchgangsstraße verbreitert werden sollte. Hitler erklärte den Neubau für politisch notwendig und machte dabei keinen Hehl aus seiner Verachtung für die beideren älteren Teile der Reichskanzlei: Das Palais Radziwill sei in der Kaiserzeit mit einer „überladenen Vornehmheit“ verbaut worden, in der Weimarer Republik aber „vermorscht“ und „verkommen“. Der „Bauteil II“ habe äußerlich „den Eindruck eines Warenspeichers oder städtischen Feuerwehrgebäudes“ gemacht, innerlich einem „Sanatorium für Lungenkranke“ geglichen.[8]

„Ehrenhof“ der neuen Reichskanzlei mit Breker-Figuren

Obwohl ein kleinerer Eingang an der Voßstraße lag, war die Neue Reichskanzlei auf den Wilhelmplatz ausgerichtet. Von dort aus gelangte man über eine Zufahrt („Großes Doppelportal“) in einen hinter Siedler-Bau und Palais Borsig gelegenen, 68 m langen „Ehrenhof“, an dessen Ende sich das Hauptportal befand. Der Hof war mit zwei Statuen von Arno Breker („Die Partei“ und „Die Wehrmacht“) und einer von Speer konzipierten Lichtanlage versehen. Für die Durchfahrt war der linke Teil des Siedler-Baus durchbrochen worden.

Unsichtbar für die Öffentlichkeit kam es ab Mitte der 1930-Jahre am Wilhelmplatz zum Ausbau eines umfangreichen Bunkersystems. Ein Teil der für Hitler bestimmten Bunkeranlage („Vorbunker“) wurde schon im Zuge des Umbaus der alten Reichskanzlei geplant und 1935/1936 unter dem neuen Saalgebäude an dessen Nordflügel angelegt. Zwischen 1943 und Herbst 1944 erfolgte unter Federführung von Reichsbaurat Carl Piepenburg der westliche Anbau eines deutlich tiefer gelegenen und mit stärkeren Außenmauern versehenen zweiten Bunkerbaus, in dem Hitlers persönliche Räumlichkeiten lagen. Einzelne Teile dieses „Führerbunkers“ wurden jedoch nicht fertig gestellt. Der größte Bunkerkomplex lag unter der Neuen Reichskanzlei und zog sich mit 91 Einzelbunkern unter dem ganzen Gebäudetrakt entlang. Einen Teil dieser Bunker an der Voßstraße machte man ab 1940 auch der Öffentlichkeit zugänglich. Weitere Bunkeranlagen in der Umgebung des Wilhelmplatzes befanden sich südlich des U-Bahnhofs „Kaiserhof“ (für die SA-Führung) und unter dem Reichsverkehrsministerium.

Erweiterungsbau der Reichskanzlei mit Bombenschäden und versperrter Zufahrt zum „Ehrenhof“ (März 1945)

Durch sporadische Luftangriffe auf Berlin während des Zweiter Weltkrieges wurden ab 1943 zahlreiche Gebäude des Regierungsviertels beschädigt. Zu schweren Schäden kam es vor allen bei Bombardements im Februar 1945. Zerstört wurden die meisten Gebäude am Wilhelmplatz jedoch erst in den letzten Wochen des Krieges, während der Schlacht um Berlin. Ab 21. April 1945 konzentrierte sich der Beschuss durch sowjetische Artillerie auf die Umgebung der Reichskanzlei. Während bei neueren Gebäuden (wie der Neuen Reichskanzlei) zumindest die Außenmauern zum Teil stehen blieben, erwiesen sich einige der älteren Palaisbauten aus dem 18. Jahrhundert als weniger widerstandsfähig. Sie wurden fast vollständig vernichtet. Das galt für den Altbau der Reichskanzlei und für das Palais Prinz Leopold. Das Hotel „Kaiserhof“ wurde bei einem Luftangriff weitgehend zerstört. Auch am Reichsverkehrsministerium und am Reichsfinanzministerium entstanden in den letzten Kriegstagen beträchtliche Schäden.

Das kriegszerstörte Palais Prinz Leopold (März 1945)

Der Wilhelmplatz verwandelte sich in den letzten Kriegsmonaten in eine Trümmerwüste, durchgesetzt mit Barrikaden und Baracken der Verteidiger des Regierungsviertels. Hitlers Sekretärin Traudl Junge schildert in ihren Memoiren ihre Eindrücke am 22. April 1945: „Trostlos sieht der Wilhelmplatz aus. Wie ein Kartenhaus ist der Kaiserhof zusammengefallen, seine Trümmer reichen fast bis zur Reichskanzlei. Vom Propagandaministerium steht symbolhaft nur noch die weiße Fassade auf dem kahlen Platz.“[9]

Von der ehemaligen Randbebauung des Wilhelmplatzes blieben nach den Abräumarbeiten und Abrissen der Nachkriegszeit nur das Hofmarschallgebäude und die Ritterschaftsdirektion erhalten. Die Bronzestatuen der preußischen Militärs überstanden die allgemeine Zerstörung: Sie waren bereits nach einem Luftangriff im Januar 1944 abgebaut und in einem Depot eingelagert worden.

Vom Wilhelmplatz zum Thälmannplatz

Feierliche Umbenennung des Wilhelmplatzes in Thälmannplatz (1949)
Nach Abriss der meisten Gebäude an der Wilhelmstraße zeigte sich der erweiterte Platz 1951 als urbanes Niemandsland (Blickrichtung Nordwesten)

Die im Zweiten Weltkrieg und besonders während der Straßenkämpfe der letzten Kriegstage stark beschädigte Randbebauung des Wilhelmplatzes bzw. die übrig gebliebenen Ruinen wurden bis 1949 beseitigt. Nach der Abtragung der Reste des Palais Prinz Leopold vergrößerte sich die Nordseite des Platzes auf fast das Doppelte und reichte nun bis zum Reichle-Bau des Propagandaministeriums. Das frühere Gebäude der Ritterschaftsdirektion wurde trotz massiver Kriegsschäden restauriert und diente fortan als Gästehaus der DDR-Regierung. Im Hofmarschallhaus kam bis 1949 der Deutsche Volksrat, danach der Zentralrat der Nationalen Front der DDR unter.

Im August 1949 beschloss der Ost-Berliner Magistrat, den bisherigen Wilhelmplatz nach Ernst Thälmann in „Thälmannplatz“ umzubenennen. Den gleichen Namen sollte nach seiner Wiederherstellung der im Krieg zerstörte U-Bahnhof „Kaiserhof“ erhalten. Bei der öffentlichen Zeremonie zur Umbenennung des Platzes erklärte Walter Ulbricht am 30. November 1949: „Aus einem Kriegshetzer-Platz ist ein Symbol des friedliebenden, aufbauenden Berlin geworden.“[10]

Außer dem Zentralrat der Nationalen Front war zu Zeiten der DDR keine wichtige staatliche Institution am Thälmannplatz ansässig.

Nach dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 und vollends nach dem Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961 geriet der nahe der Sektorengrenze zu West-Berlin gelegene Thälmannplatz in eine Randlage. Auf der südlichen Platzhälfte wurde in den 1970er-Jahren die Botschaft der Tschechoslowakei in zeitgenössischer Architektur und auf der nördlichen Hälfte in den 1980er-Jahren Wohnbauten in Plattenbauweise, insbesondere des Typs WBS 70, errichtet. Damit waren die alten Platzumrisse nur noch ansatzweise erkennbar. 1987 wurde der Thälmannplatz auch offiziell aus dem Straßenregister gestrichen und die Hausnummern in die Otto-Grotewohl-Straße (heute wieder Wilhelmstraße) eingereiht.

Historische Randbebauung bis 1945

  • Reichsfinanzministerium  (Wilhelmplatz Nr. 1–2 / Wilhelmstraße Nr. 61)
  • Hotel „Kaiserhof“  (Wilhelmplatz Nr. 3–5)
  • Ritterschaftsdirektion  (Wilhelmplatz Nr. 6) – existiert noch
  • Ehemalige Botschaft der USA (bis 1931)  (Wilhelmplatz Nr. 7)
  • Hofmarschallhaus  (Wilhelmplatz Nr. 8) – existiert noch
  • Palais Prinz Leopold des Propagandaministeriums  (Wilhelmplatz Nr. 9)
  • Gebäude der Reichsbahn  (Wilhelmstraße Nr. 79, Voßstraße Nr. 33–35)
  • Palais Borsig  (Voßstraße Nr. 1)
  • Reichskanzlei mit Erweiterungsbau  (Wilhelmstraße Nr. 77–78, Voßstraße Nr. 2)

Heutiges Erscheinungsbild

Die heutige Bebauung des Wilhelmplatzes an der Wilhelmstraße: Plattenbauten (linke Bildhälfte) und Tschechische Botschaft (rechts daneben), 2008

Der Wilhelmplatz ist Bestandteil der Geschichtsmeile Wilhelmstraße, mit der anhand von Schautafeln die Geschichte des ehemaligen Regierungsviertels im Laufe der Jahrhunderte dokumentiert wird.

Die Bronzestatuen von Anhalts-Dessau und Zieten wurden in jüngster Zeit nach ihrer Restaurierung an der Ecke Wilhelmstraße / Mohrenstraße wieder aufgestellt. Gleichzeitig wurde der in seiner Größe erheblich reduzierte Platz neugestaltet.

Literatur

  • Laurenz Demps: Berlin – Wilhelmstraße. Eine Topographie preußisch-deutscher Macht. 3., durchges. Aufl. Links, Berlin 2000, ISBN 978-3861532286.
  • Helmut Engel, Wolfgang Ribbe (Hrsg.): Geschichtsmeile Wilhelmstraße. Akademie-Verlag, Berlin 1997, ISBN 3-05-003058-5.
Commons: Wilhelmplatz – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Laurenz Demps: Berlin-Wilhelmstraße. Eine Topographie preußisch-deutscher Macht. Links, Berlin 1994, S. 42.
  2. Demps: Berlin-Wilhelmstraße. S. 103.
  3. Landesdenkmalamt Berlin (Hrsg.): Denkmale in Berlin. Bezirk Mitte. Ortsteil Mitte. Imhof, Petersberg 2003, S. 357.
  4. Demps: Berlin-Wilhelmstraße. Zitat S. 202.
  5. Demps: Berlin-Wilhelmstraße. S. 198.
  6. Joseph Goebbels: Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei. Eine historische Darstellung in Tagebuchblättern. Eher, München 1934.
  7. Landesdenkmalamt (Hrsg.): Denkmale in Mitte. S. 156.
  8. Adolf Hitler: Die Reichskanzlei. In: Die neue Reichskanzlei. Architekt Albert Speer. Eher, München 1940, S. 7–8, Zitate S. 7.
  9. Traudl Junge (mit Melissa Müller): Bis zur letzten Stunde. Hitlers Sekretärin erzählt ihr Leben. Claasen, München 2002, S. 179.
  10. Maoz Azaryahu: Von Wilhelmplatz zu Thälmannplatz. Politische Symbole im öffentlichen Leben der DDR. Aus dem Hebräischen von Kerstin Amrani und Alma Mandelbaum. Bleicher, Gerlingen 1991, S. 153–164, Zitat S. 154.

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