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Mehrheitswahl

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Mehrheitswahl (siehe Wahlsysteme) heißt, dass aus jedem Wahlkreis nur derjenige Kandidat in das Parlament einzieht, der die Mehrheit an Stimmen auf sich vereinigen konnte. Alle anderen Stimmen verfallen (engl. The winner takes it all).

Formen

Man unterscheidet relatives und absolutes Mehrheitswahlrecht. Beim relativen Mehrheitswahlrecht gewinnt die Person, die im ersten Wahlgang die meisten Stimmen auf sich vereint. Beim absoluten Mehrheitswahlrecht muss eine Person zum Sieg mindestens die Hälfte aller Stimmen auf sich vereinigen. Gelingt es im ersten Wahlgang niemandem die Hälfte der Bevölkerung hinter sich zu bringen, gibt es einen zweiten Wahlgang.

Dies führt laut dem umstrittenen Medianwähler-Modell zur Konkurrenz um den "mittleren" Wähler und somit eine Ausrichtung der Programme an der "politischen Mitte" (siehe hierzu auch Beitrag unter Politisches Spektrum).

Anwendung

Angewandt wird dieses System vor allem im anglophonen Raum, unter anderem

Deutschland

In Deutschland gilt als Bundestagswahlrecht ein personalisiertes Verhältniswahlrecht: Zwar werden in den Wahlkreisen auch Direktkandidaten nach dem relativen Mehrheitswahlrecht gewählt (die Hälfte der Bundestagssitze), aber die Verteilung der Sitze im Bundestag richtet sich nach dem Anteil der Zweitstimmen, die eine Partei bekommt. Die über die direkt gewonnenen Sitze hinaus einer Partei zustehenden Mandate werden mit Listenkandidaten besetzt. Nur wenn eine Partei mehr Direktmandate erhält, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zuständen, behält sie diese Überhangmandate. In der Großen Koalition (1966-1969) wurde versucht, das Wahlsystem hin zur Mehrheitswahl zu reformieren. Dieser ursprünglich von der CDU/CSU verfochtene Reformversuch fand dann allerdings 1968 nicht mehr die Unterstützung der Sozialdemokraten, die auf ihrem Parteitag das Projekt in die Zukunft verschoben und damit verhinderten. Bundesinnenminister Paul Lücke (CDU) trat daraufhin von seinem Amt zurück. Vertreter der Mehrheitswahl in den Universitäten waren u.a. Ferdinand Hermes und Wilhelm Hennis.

Vor- und Nachteile des Mehrheitswahlrechts

Das Mehrheitswahlrecht tendiert typischerweise zu einem Zweiparteiensystem (Duvergers Gesetz); die folgenden Vor- und Nachteile gehen deshalb von einem solchen System aus. Koalitionen sind daher zum Erreichen einer Mehrheit in der Regel nicht erforderlich. Die Vor- und Nachteile von Koalitionen gehen jedoch ebenfalls mit ein.

Vorteile des Mehrheitswahlrechts

  • Eindeutige Mehrheitsverhältnisse im Parlament führen zu:
    • einer für die Wähler voraussehbaren Regierungsbildung
    • einer einfachen Regierungsbildung und stabilen, starken Regierungen
  • eine Parteienzersplitterung ist sehr unwahrscheinlich, da Kandidaten kleiner Parteien nur selten genügend Stimmen erhalten, um einen Wahlkreis zu gewinnen.
  • Extreme Parteien haben nur geringe Chancen, da die Wähler der Mitte die Wahl entscheiden.
  • Zudem ist eine Personenwahl in den Wahlkreisen möglich. Die Wähler haben die Möglichkeit, Kandidaten ihres Wahlkreises persönlich kennenzulernen und auf Grund ihrer Persönlichkeit zu wählen.
  • Die Abgeordneten sind von ihrer Partei weniger abhängig, da sie direkt gewählt werden.
  • Einfachheit des Systems und dadurch leicht verständlich...

Nachteile des Mehrheitswahlrechts

  • Kleinparteien und neue Parteien haben wenig Chancen, Mandate zu erringen, wenn sie nicht regional dominierende Minderheiten vertreten. Statt dessen schwächen sie eher den eigenen politischen Flügel durch Zersplitterung der Wahlstimmen. Kritiker bemängeln zudem, dass gesellschaftliche Minderheiten nicht ausreichend vertreten werden.
  • Das System ist ungerecht, denn die Stimmen für Kandidaten kleinerer Parteien werden häufig zu "Papierkorbstimmen", da sie ohne Konsequenz für die Zusammensetzung des Parlaments bleiben.
  • Es kann zu Wahlergebnissen kommen, bei denen der Wahlverlierer effektiv mehr Stimmen auf sich vereinigen konnte als der Gewinner. Dies ist möglich, wenn der Wahlsieger in bevölkerungsreichen Wahlbezirken knappere Ergebnisse erzielt und daher die Summierung der abgegebenen Stimmen ein anderes Bild ergibt, als die Auszählung nach geltendem Wahlrecht.
  • Es ist möglich, das Wahlergebnis durch "geschicktes" Ziehen der Wahlkreisgrenzen zu beeinflussen ("Gerrymandering", "Wahlkreisgeometrie").


Auswirkungen

Beide Phänomene haben sich bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen im Jahr 2000 bemerkbar gemacht:

  • der demokratische Kandidat Al Gore verlor mehrere Bundesstaaten (vor allem an der Westküste, wo traditionell demokratische Hochburgen liegen), weil der Kandidat der Grünen, Ralph Nader eine starke Minderheit an sich binden konnte. Dadurch erhielt George W. Bush mit einer konservativen Minderheit (weniger Stimmen als die Summe von Demokraten und Grünen) alle Wahlmänner des jeweiligen Bundesstaats zugeschlagen.
  • insgesamt erhielt Gore trotz Naders Konkurrenz in absoluten Zahlen ("popular vote") etwa eine halbe Million mehr Stimmen als Bush. Wahlentscheidend waren jedoch nur rund 1500 strittige Stimmen in Florida.

Siehe auch