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Alexander II. (Russland)

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Alexander II. Nikolaussohn, Zar von Russland, Sohn des Zaren Nikolaus I. und der Kaiserin Alexandra Friedrichowna, (* 29. (17.) April 1818; † 13. (1.) März 1881 in St. Petersburg), genoss unter der Leitung des Dichters Schukowskij eine treffliche Erziehung, trat aber in den öffentlichen Angelegenheiten in keiner Weise eingreifend hervor. Das Gerücht schrieb ihm eine friedliche, weise, wohlwollende Richtung, nicht aber eben Tatkraft und Festigkeit zu.

Indessen wurde, nachdem Alexander nach dem Tod seines Vaters 2. März (18. Febr.) 1855 den Zarenthron bestiegen hatte, der Russisch-Türkische Krieg zunächst mit unermüdlicher Energie fortgesetzt, und der Kaiser besuchte im November selbst Odessa und die Krim.

Der Pariser Friede (1856) schwächte dann zwar Russlands Machtstellung im Orient sehr, doch erholte es sich von dieser Niederlage durch die nach außen wie im Innern vorsichtige, aber energische Politik des Kaisers bald völlig. Auch nach diesem Frieden wurde die Unterwerfung der kaukasischen Bergvölker fortgesetzt und vollendet, während zugleich die weiten Gebiete zwischen dem Kaspischen Meer und dem Aralsee unter russischen Einfluss gebracht und zum Teil völlig okkupiert wurden.

Noch wichtiger als diese Erwerbungen war die von Alexander in Angriff genommene innere Reform. als deren wesentlichste Bestandteile die seit 1862 durchgeführte Aufhebung der Leibeigenschaft und die neue Militärorganisation zu bezeichnen sind. Trotz großer Schwierigkeiten, die diesen Reformen entgegenstanden, wurden sie durch die ruhige, vorsichtige Festigkeit Alexanders dennoch durchgeführt. Unmittelbar an jene schloss sich der polnische Aufstand an, der 1863 mit schonungsloser Härte niedergeworfen wurde. Die große Bedeutung der Reformen und die völlige Umgestaltung der wirtschaftlichen Verhältnisse, welche durch dieselben herbeigeführt wurde, konnten nicht verfehlen, in vielen davon betroffenen Kreisen tiefgehende Missstimmung hervorzurufen und in der großenteils ungebildeten Bevölkerung die Verbreitung sozialistischer und kommunistischer Ideen zu begünstigen (siehe Nihilismus), während der Sieg über die Polen die nationale. Leidenschaft der Russen erweckte und die panslawistischen Bestrebungen ins Leben rief. Dabei machte Alexander keine energischen Versuche, die Korruption in der Bürokratie zu unterdrücken; vielmehr duldete er gewissenlose, habsüchtige Beamte in seiner nächsten Umgebung in hohen Stellungen. Daher stieg die Unzufriedenheit im Volk gegen Alexanders Regierung immer höher.

Ein im April 1866 von dem Edelmann Karakosow versuchtes Attentat auf den Kaiser, das durch den Bauer Kommissarow verhindert wurde, veranlasste eingehende Untersuchungen, welche die Existenz zahlreicher politischer Geheimbünde aufdeckten. Dies und ein zweites Attentat, welches während der Pariser Ausstellung (1867) von einem wahnsinnigen Polen, Berezewski, versucht wurde, machten auf den Kaiser tiefen Eindruck und verminderten seine Neigung zu reformatorischem Vorgehen. Die Zensur wurde in alter Strenge wiederhergestellt und ein umfassendes polizeiliches Überwachungssystem eingerichtet.

Während des Kriegs zwischen Österreich und Preußen 1866 bewahrte Alexander eine neutrale, aber preußenfreundliche Haltung. Auch während des deutsch-französischen Krieges 1870/71 gab Alexander seine Sympathien durch Ordensverleihungen an die deutschen Heerführer und durch Ernennung des Kronprinzen und des Prinzen Friedrich Karl zu russischen Generalfeldmarschällen kund. Infolge dieses Kriegs erlangte Alexander eine besonders hohe Machtstellung: das neue Deutsche Reich und sein Kaiser waren durch Dankbarkeit und verwandtschaftliche Bande ihm verpflichtet, und Frankreich bewarb sich eifrig um seine Freundschaft, um seine Hilfe zu dem Revanchekrieg zu gewinnen. Doch bewahrte Alexander seine deutschfreundliche Haltung und ging 1872 auf das Dreikaiserbündnis ein, welches auf einer persönlichen Zusammenkunft mit den Kaisern Wilhelm und Franz Joseph zu Berlin im September d. J. geschlossen wurde, der langen Spannung zwischen Russland und Österreich ein Ende machte und den Frieden der Welt aufrecht zu erhalten bestimmt war.

Alexander verzichtete auf die Einmischung in einen etwaigen Konflikt Deutschlands mit Frankreich, erlangte aber dafür freie Hand im Osten. Der Feldzug nach Chiwa 1873 erweiterte Russlands Macht im Innern Asiens beträchtlich, hatte aber zunächst noch keinen Konflikt mit England zur Folge. Im Gegenteil schien sich 1874 durch die Heirat der einzigen Tochter Alexanders, Maria, mit dem Herzog von Edinburg sogar eine Annäherung zwischen Russland und England zu vollziehen, und im Mai machte Alexander in England einen Besuch.

Währenddessen betrieb er mit Eifer die Reorganisation der Armee nach deutschem Muster; aber noch ehe dieselbe vollendet war, wurde er fast wider Willen durch die hochgehende panslawistische Agitation, welche namentlich die altrussischen Adels- und Beamtenkreise ergriffen hatte, zur neuen Einmischung in die orientalische Frage gedrängt. Er duldete die Unterstützung Serbiens und Montenegros durch Freiwillige und Gelder, nahm selbst bei dem Sohn des Fürsten Milan Patenstelle an und sprach sein lebhaftes Mitgefühl für die Christen in der Türkei und seinen ernstlichen Willen aus, ihr Los endgültig zu bessern.

Bei der Begrüßung seitens des Adels in Moskau ließ er sich 10. November 1876 durch die drohende Haltung Disraelis in seiner Rede vom 9. November zu einer sehr kriegerischen Rede provozieren, welche ihn im Fall des Scheiterns der Konferenz in Konstantinopel zum Krieg verpachtete. Im April 1877 begab sich Alexander mit Gortschakow nach Bessarabien, folgte der vorrückenden Donauarmee durch Rumänien nach Bulgarien und schlug sein Hauptquartier in Gorny Studen auf, wo er auch während der Unglücksfälle, welche Juli bis September die russische Armee betrafen und in arge Bedrängnis brachten, standhaft ausharrte. Von der unerwarteten ungünstigen Wendung des ihm aufgedrungenen Kriegs wurde er hart betroffen, und erst als der Fall von Plewna den Eindruck der frühern Niederlagen verwischt hatte, kehrte er 15. Dezember 1877 nach Petersburg zurück, wo er am 22. mit ungeheurem Jubel empfangen wurde.

Auch nach dem Krieg blieb seine Lage inmitten der sich bekämpfenden Richtungen in Russland, besonders nach den neuen Exzessen der Nihilisten 1879 eine schwierige. Mehrere Attentate wurden auf das Leben des Kaisers von den Nihilisten unternommen: am 14. April 1879 schoss Solowiew beim Palais fünf Schüsse auf Alexander ab; am 1. Dezember d. J. versuchten die Nihilisten bei Moskau den Eisenbahnzug, in dem Alexander fuhr, und 17. Februar 1880 das Winterpalais in die Luft zu sprengen. Die strengsten Gegenmaßregeln waren die Folgen davon.

Am 3. Juni 1880 starb seine Gemahlin, die Kaiserin Maria Alexandrowna, Prinzessin von Hessen (geb. 8. August 1824, vermählt 1841). Wenige Wochen darauf vermählte er sich mit einer Fürstin Dolgorukij, mit welcher er schon seit längerer Zeit in vertrauten Beziehungen gestanden, und von der er mehrere Kinder hatte.

Noch in den letzten Monaten seines Lebens beschäftigten den Kaiser Reformentwürfe, wie er denn gerade unmittelbar vor seiner Katastrophe die Berufung von Deputierten aus denjenigen Gebieten des Reichs, in denen die Landschaftsverfassung eingeführt war, zum Zweck der Durchberatung großartiger Veränderungen im Staatsleben Russlands beschlossen hatte.

Da machte 13. (1.) März 1881 ein von der Nihilistenpartei sehr geschickt angelegtes Attentat, an welchem mehrere Personen beteiligt waren, seinem Leben ein Ende. Auf der Fahrt von der Michaelmanege, wo der Kaiser militärischen Übungen beigewohnt hatte, zum Winterpalais, am Katharinenkanal, wurde er durch Dynamitbomben tödlich verwundet, so dass er anderthalb Stunden später im Winterpalais starb.

Sein ältester Sohn, Nikolaus (geb. 1843), starb 1865. Außer dem Thronfolger, Kaiser Alexander III., hatte Alexander II. noch vier Söhne: 1) Wladimir, geb. 22. April 1847; 2) Alexei, geb. 14. Januar 1850; 3) Sergei, geb. 11. Mai 1857; 4) Paul, geb. 3. Oktober 1860.