Edie Sedgwick
Edith „Edie” Minturn Sedgwick (* 20. April 1943 in Santa Barbara, Kalifornien, USA; † 16. November 1971 ebenda) war eine Schauspielerin, Fotomodell, High-Society-Partygirl und galt als Stil-Ikone der 1960er Jahre; sie war kurzfristig auch Muse und Wegbegleiterin von Andy Warhol.
Leben
Familie
Edith Minturn Sedwick stammte aus einem traditionsreichen, wohlhabenden, aber psychotisch vorbelasteten Elternhaus mit acht Kindern. Sie war das siebte Kind des patriarchischen Ranchbesitzers und Bildhauers Francis „Fuzzy“ Minturn Sedgwick (1904–1967) und dessen Ehefrau Alice Delano De Forest (1908–1988). Ihre Geschwister waren Alice (* 1931), Robert Minturn II. (1933–1965), Pamela (1935–2008), Francis Minturn Jr (1937–1964), Jonathan de Forest Minturn (* 1939), Katherine (* 1941) und Susanna (* 1945).[1]
Die Sedgwicks prägten die Geschichte von Massachusetts seit der Besiedlung der Bay Colony und gelten als etablierte Familiendynastie mit eindrucksvollem Stammbaum. Namhafte Vorfahren waren der Senator Theodore Sedgwick und dessen Tochter, die Schriftstellerin Catharine Maria Sedgwick. Edies Großvater Ellery Sedgwick war ein Herausgeber des Atlantic Monthly gewesen.
Kindheit und Jugend
Die Sedgwicks lebten auf einer 3000-Morgen-Rinderfarm, der „Laguna-Ranch“ im Santa Ynez Valley, etwa 100 Kilometer von Santa Barbara entfernt. Sie residierten dort quasi in ihrer eigenen Welt. In den 1950er Jahren wurde Erdöl auf der Ranch gefunden, was den Reichtum der ohnehin bereits wohlhabenden Familie noch steigerte.[2] Die Eltern machten bei jeder Gelegenheit ihren Einfluss geltend und so wuchsen die Kinder größtenteils ohne wirklichen Kontakt zur Außenwelt auf und wurden von Kindermädchen und Privatlehrern aufgezogen. Arztbesuche und gelegentliche Eink
Edie kam im Cottage Hospital in Santa Barbara zur Welt. Sie wurde nach der Lieblingstante ihres Vaters, Edith Minturn Stokes (1867–1937), benannt und bekam bereits als Kind den Kosenamen „Edie“. Das kleine Mädchen entwickelte schnell ein Talent, jede Person „um den Finger wickeln zu können“ erinnerten sich die Geschwister, „bereits als Teenager war sie eine hervorragende Reiterin und bekam stets die besten Pferde.“[3]
Im Herbst 1963 ging Edie nach Cambridge, wo bereits ihre Brüder an der Harvard University studierten, und nahm Privatunterricht bei der Bildhauerin Lilian Saarinen. Im März des darauffolgenden Jahres erhängte sich ihr Bruder Francis Minturn, genannt „Minty“, am Vorabend seines 26. Geburtstages, an einer Badezimmertür. Minty Sedgwick hatte schon seit längerem an Alkoholproblemen gelitten. Edie war vollkommen aufgebracht und gab die Schuld ihrem Vater, der die homosexuellen Neigungen des Sohnes als „psychische Störung“ verurteilte und für dessen Aufenthalte in verschiedenen Nervenkliniken verantwortlich zeichnete.[4]
New York
Edie brach ihr Studium bereits nach einem Jahr ab, um nach Manhattan zu ziehen. Dort ließ sie sich zunächst im Appartement ihrer Großmutter mütterlichseits an der Park Avenue nieder. In kürzester Zeit avancierte sie zum ausgelassenen Partygirl, das auf keiner Tanzfläche der angesagtesten Diskotheken New Yorks fehlte. Sie überzeugte durch geistreichen Witz, faszinierte mit rauchiger Stimme und ausdrucksstarker Mimik und schien auf dem besten Wege eine vielversprechende Nachwuchsschauspielerin zu werden. Ihre Attraktivität unterstrich sie zudem noch durch ihr äußerst spendables Wesen. „Sie genoss es, wenn sie verschwenderisch sein konnte, und zahlte meistens alle Rechnungen. Für die meisten ihrer Bekannten galt als unkompliziert und sympathisch, doch es gab auch eine dunkle Seite in ihrer Persönlichkeit, die erst Jahre später zutage treten sollte,“ so der Warhol-Biograf David Bourdon.[5]
Mit ihrem individuellen Stil prägte die Societygröße bald die New Yorker Modeszene der 1960er Jahre. Zeitweilig arbeitete sie als Fotomodell für die Modedesignerin Betsey Johnson. 1964 wurde Edie von Diana Vreeland, der damaligen Chefredakteurin der Zeitschrift Vogue als Titelmodell engagiert. Sedgwicks Markenzeichen waren große braune Rehaugen, knabenhafte Figur, raffinierte Kurzhaarfrisuren, schwarze Ballettstrumpfhosen, gestreifte T-Shirts und kurze Pelzmäntel, garniert mit überdimensionalen Ohrgehängen. Überdies kultivierte sie das „kleine Schwarze”. Warhol selbst meinte: „Edie hat den Minirock quasi mit erfunden...”
Andy Warhol und die „Factory”
Edie Sedgwick begegnete Andy Warhol zum ersten Mal im Januar 1965. Der Filmproduzent Lester Persky hatte sie Warhol im Januar des Jahres als weiblichen Star für dessen „Factory“ vorgeschlagen. „Andy war zu dieser Zeit auf der Suche nach einem weiblichen Star, den er zu seinem Alter Ego formen konnte.“ schrieb der Autor und Zeitzeuge Victor Bockris in seiner Warhol-Biografie und ergänzte: „Warhol war spontan von der jungen Schönheit fasziniert und sagte: ‚Ich sah sofort, dass sie mehr Probleme hatte als irgendjemand, den ich sonst kannte.‘“ Ab März 1965 waren Sedgwick und ihr damaliger Begleiter Chuck Wein, der als ihr „Mentor und Manager“ fungierte, ständige Besucher der Warhol’schen Factory.[6]
Der Frühling 1965 war der Aufstieg der Edie Sedgwick: Warhol protegierte sie, schmückte sich mit ihr als Begleiterin und förderte ihren Werdegang: Er leistete seinen Teil, damit sie für den begehrten Titel „Mädchen des Jahres 1965” nominiert wurde und brachte sie in seinen Undergroundfilmen groß heraus. Edies erster Auftritt in einem Warhol-Film war vermutlich Vinyl, eine grobe Persiflage auf Anthony Burgess’ Roman A Clockwork Orange mit Warhols rechter Hand Gerard Malanga in der Hauptrolle. Edie wurde dabei kurzerhand dekorativ auf einem großen Schrankkoffer platziert, wo sie schweigend saß und Zigaretten rauchte. Der erste Film, den Warhol mit ihr in der Hauptrolle produzierte, war darauffolgend Poor Little Rich Girl. Der Film kam völlig ohne Skript aus, weil Warhol meinte, jemand wie Edie bräuchte kein Skript, sie solle einfach nur darstellen, wie sie innerhalb von sechs Monaten ihr gesamtes Erbe verschleudert.[7]
Gleich nach der Uraufführung in der New Yorker Film-Maker’s Cinemathèque wurde Edie als neuer Star des Undergroundfilms gefeiert. Edie und Andy galten nun als „die coolsten und schrägsten Vögel der New Yorker Szene“ und sicherten sich gemeinsam die Titelseiten der Boulevardblätter. Im Mai 1965 stellte Warhol eine Serie mit Blumenbildern vor und reiste auf Einladung seiner Galeristin Ileana Sonnabend nach Europa. Edie, Chuck Wein und Gerard Malanga begleiteten den Pop-Art-Künstler. Für Warhol und Sedgwick war die Europatournee ein voller Erfolg. Edie posierte für Paris Match und Vogue und Warhol verkündete, dass er Edie zur „Königin der Factory“ machen und von nun an nur noch Filme mit ihr drehen wolle. Zurück in New York machte sich Warhol gleich daran einen weiteren Film mit Sedgwick zu produzieren. So entstand im Juni 1965 in der Küche eines New Yorker Appartements der Film Kitchen. Der Tonfilm war völlig unlogisch und ohne bestimmte Handlung: Drei Darsteller – Edie, René Ricard und Roger Trudeau – sitzen an einem Küchentisch oder laufen im Raum herum und reden zusammenhangloses, teilweise unverständliches Zeug. Schließlich wird Edie ohne Grund getötet. Kitchen bekam zahlreiche Kritiken, unter anderem eine von Norman Mailer, der den Film (aus der Distanz von einhundert Jahren) „als besser als jedes andere Kunstwerk dieser Zeit“ beurteilte.[8]
Nach der gelungenen Premiere von Kitchen wollte Chuck Wein, der sich weiterhin als Edies Manager sah, die Oberhand über den nächsten Film gewinnen und Warhol ließ ihn als Regieassistent und Skriptautor gewähren. So kam es zu Beauty #2 (Schönheit Nr. 2), einem siebzigminütigen Schwarzweißfilm, der 1965 in Edies Wohnung in der 63. Straße East aufgenommen wurde. Der Film zeigt Edie, die mit einem Mann in Unterhosen namens Gino (Gino Piserchio) auf dem Bett sitzt, raucht und Wodka trinkt, während sie von Chuck Wein aus dem Off ausfragt wird. Weins Fragen und Anweisungen an Edie werden im Verlauf des Films immer direkter und quälender, während Gino sie körperlich bedrängt und versucht, mit ihr zu schlafen. Schließlich wirft Edie einen Aschenbecher in Weins Richtung und der Film endet. Während der gesamten Zeit fängt Warhols Kamera jede Regung in ihrem Gesicht ein. So dermaßen in die Zwickmühle genommen, „war Edie am Ende des Films das Opferlamm, als das sie sich selbst immer sah.“ Der Film wurde am 17. Juli 1965 in der New Yorker Film-Makers’ Cinemathèque als „unorthodoxes Liebesverhältnis (ohne Liebe)“ präsentiert.[8]
Beauty #2 wurde ein weiterer Erfolg und Edie, die überschwängliche Kritiker bereits mit Marilyn Monroe verglichen, wurde als Nachwuchstalent gefeiert und entsprechend vermarktet. Die ebenso kapriziöse wie verletzlich wirkende Actrice wurde zum neuen Idol der Jugend ihrer Zeit; Film-und Modemagazine kürten den „Edie-Sedgwick-Look“ und im Sommer 1965 zählte die mittlerweile silbernhaarig gefärbte Schönheit zu den Partylöwinnen von New York und verkehrte mit Rockstars wie Mick Jagger, Jim Morrison und Bob Dylan.[9]
Bob Neuwirth und Bob Dylan
Andy Warhol tat derweil sein übriges, um möglichst viel Publicity für „seinen“ Star und vor allem für sich selbst zu bekommen. So plante er mit Jonas Mekas bereits eine „Edie-Sedgwick-Retrospektive“. Allem Erfolg zum Trotz wurde Edie jedoch allmählich ungehalten, weil sie für ihre Arbeit kein Geld von Warhol bekam. Überdies rieten ihr zahlreiche Leute von einer weiteren Zusammenarbeit mit Warhol ab, allen voran Bob Neuwirth, Assistent und Freund von Bob Dylan, der ihr Plattenverträge und Rollen in Bob-Dylan-Filmen versprach. „Ich wusste, dass Bob Dylan interssiert daran war, einen Film mit Edie zu machen. Einen Nicht-Warhol-Film“, erinnerte sich Neuwirth später.[10] Mit Neuwirth ging Edie schließlich eine sexuelle Beziehung ein und wandte sich der „Dylan-Clique“ zu, die mit der Factoryszene rivalisierte.[11]
Der Glamour schien die zierliche, hochsensible Frau kontinuierlich zu zermürben. „Mit 22 Jahren war sie schon kaputt, doch langsam geriet sie völlig aus der Bahn“, so Zeitzeuge Bockris. Sie war ohnehin psychisch instabil – ihre Eltern hatten sie bereits als Jugendliche in die Psychiatrie einweisen lassen – drogenabhängig und magersüchtig und ihrer eigenen Person nicht sicher. Als 20-jährige war sie schwanger gewesen, konnte aber aufgrund ihrer psychischen Vorgeschichte legal abtreiben lassen. Ondine, ein Factory-Mitglied, versorgte sie eine Zeit lang mit Drogen: „Ich spielte ihre ‚Zofe‘ und besorgte ihr in der Apotheke Aufputschmittel, Tranquilizer, ein Zwischending aus beidem oder was ich ihr sonst noch in den Rachen stopfen sollte…“ Ondine warnte Warhol eines Nachts davor, dass Edie zu viel Nembutal zu sich nehmen würde und sich damit vielleicht eines Tages eine Überdosis geben könnte.[12]
Edie machte sich inzwischen zunehmend von Neuwirth und der Szene um Dylan abhängig, in der im Gegensatz zu den Amphetaminjunkies der Factory hauptsächlich Heroin und Marihuana konsumiert wurde. Henry Geldzahler fand Edies Entwicklung erschreckend; er beschrieb sie als zunehmend hysterisch, ständig high und sehr nervös: „[…] man konnte sie schreien hören, auch wenn sie gar nicht schrie – so eine Art Ultraschallschrei.“[13]
Edie gab mittlerweile Unmengen an Geld für Alkohol, Medikamente, Partys, Makeup und Kleidung aus; ihre Telefonrechnungen sollen sich auf astronomische Summen belaufen haben. Allein für Garderobe, Kosmetik, Limousinen und Restaurants soll sie innerhalb eines halben Jahres 80.000 Dollar ausgegeben haben.[14]
Im Juli machte Bob Dylan in Begleitung seiner Clique seine Aufwartung in der Factory um Warhol für einen Screen Test zu sitzen. Dylan und Warhol hegten eine ausgeprägte Antipathie füreinander und so kam es zwangsläufig auch zu Spannungen zwischen Warhol und Sedgwick, die im August 1965 eskalierten. Warhol hielt Edie mittlerweile für eine notorische Lügnerin und diese beklagte sich wiederum bei jeder Gelegenheit über die vergeudete Zeit mit ihm und warf ihm vor, er würde sie lächerlich machen: „Ganz New York lacht über mich. Deine Filme machen aus mir einen kompletten Idioten.“ Schließlich gab sie ihm zu verstehen, dass sie pleite sei und endlich Geld von ihm haben wolle, ansonsten würde sie die Filme mit ihr nicht zur Aufführung freigeben.[15]
Warhol war enttäuscht und strafte seine abtrünnigen Star auf seine Weise ab, indem er den nächsten Film My Hustler einfach mit Chuck Wein, aber ohne Edie, produzierte. Die fühlte sich nun zweifach verraten, von Chuck und von Andy. Gerard Malanga fand diese Art mit Edie umzugehen, grausam: „Chuck hat sie wie ein Schwein behandelt obwohl sie sich doch nahestanden.“ Warhol schwieg zu der ganzen Angelegenheit. Ironischerweise genossen Warhol und Sedgwick in dieser Trennungsphase die meiste Publicity als Pop-Paar. Den Höhepunkt bildete im Oktober 1965 die Ausstellungseröffnung zu Warhols erster amerikanischen Retrospektive im Institute of Contemporary Art in Philadelphia, bei der es zu einem tumulthaften Auflauf kam, in dessen Folge sich Edie mit einem Mikrofon in der Hand als überaus eloquente Moderatorin der Publikumsmasse erwies, mit den Leuten plauderte, auf Zurufe reagierte und dabei sichtlich vergnügt den Starruhm genoss. Schließlich konnten sich Warhol und seine Entourage vor dem nachdrängenden Mob über das Museumsdach flüchten. Der Vorfall steigerte Warhols und Edies Bekanntheitsgrad ungemein. Roy Lichtenstein, der sich mit seiner Frau zu Halloween 1965 zum Spaß als „Andy & Edie“ kostümiert hatte, resümierte später: „Andy war seine eigene Kunst und Edie war ein Teil seiner Kunst.“[16]
Nunmehr auf dem Höhepunkt ihres Lebens angekommen, betrieb Edie weiterhin exzessiven körperlichen Raubbau und verfiel zusehends. Sie trug mittlerweile langärmelige Kleider um Blessuren an Armen und Beinen zu verbergen und agierte wie eine Untote. Bei öffentlichen Anlässen dirigierte sie Warhol manchmal. An „besseren“ Tagen steigerte sie sich wiederum in unkontrollierbare Wutausbrüche hinein. Von der Warhol-Entourage aufgrund ihres divenhaften Benehmens mittlerweile verachtet, wurde Edie kurzerhand durch die Neuentdeckung Ingrid von Schefflen (die spätere „Ingrid Superstar“) ersetzt, die von einem Factory-Mitglied in einer Bar in der 42. Straße angeworben worden war und – als Edie zurechtgemacht – herabwürdigend als „häßliche Edie-Kopie“ herumgereicht wurde. René Ricard: „[…]alles nur damit Edie sich erbärmlich fühlt.“[16]
Edie Sedgwicks letzter „offizieller“ Film mit Andy Warhol wurde der Farbfilm The Death of Lupe Velez, der auf einem vierseitigen Skript des Off-Broadway-Autoren Robert Heide basierte und lose vom unrühmlichen Tod der mexikanischen Filmschauspielerin Lupe Vélez handelt. Der Film endet damit, dass Edie den Kopf in eine Toilettenschüssel steckt und vorgibt, in ihrem Erbrochenen zu ersticken. Die Dreharbeiten fanden an einem Dezembernachmittag 1965 in einer Wohnung im Dakota Building in New York statt. Während der Aufnahmen beschimpfte Edie die Crew, zerfetzte das dünne Drehbuch weil sie sich den Text nicht merken konnte und bekam einen Tobsuchtsanfall. Schließlich erschien unerwartet Bob Neuwirth in der Wohnung und verschwand mit Edie in einem Nebenzimmer wo beide auf einen LSD-Trip gingen. Am Abend trafen sich Warhol, Robert Heide und die Darsteller in einem Lokal. Edie und Bob Dylan waren ebenfalls anwesend und verschwanden nach kurzer Zeit in Dylans Limosine. Warhol zeigte keine Reaktion und bemerkte nur: „Edie ist auf dem absteigenden Ast, ich bin gespannt wer das nächste Mädchen sein wird.“ Auf dem Heimweg fragte er Robert Heide: „Ob Edie wohl Selbstmord begeht?” und fügte abschließend hinzu: „ich hoffe, sie gibt uns vorher Bescheid, damit wir es filmen können.“[16]
Angeblich soll Edie zur Jahreswende 1965/66 eine kurze Affäre mit Bob Dylan gehabt haben, wobei sie ihn zu den beiden Songs Just Like a Woman und Leopard-Skin Pill-Box Hat inspiriert haben soll, die auf Dylans 1966er-Doppelalbum Blonde on Blonde erschienen sind. Über eine tatsächliche Liebesbeziehung zwischen Dylan und Sedgwick gibt es jedoch nur Spekulationen von Zeitzeugen, wie beispielsweise Nico: „Edie war sehr in Patrick Tilden [ein Darsteller aus dem Warhol-Film Imitation of Christ] verliebt. Er war Bob Dylans bester Freund. Bobs Song Leopard-Skin Pill-Box Hat handelt von Edie. Jeder dachte er sei über Edie, weil sie manchmal Leopard trug. Dylan ist eine sarkastische Person […] es ist ein sehr häßlicher Song, wer immer die Person darin auch sein mag.“[17]
Die letzten Jahre und Tod
Edies Untergang währte noch bis in die 1970er: Alkohol, Amphetamine und Schlafmittel („uppers and downers“) radierten kontinuierlich den Verstand der einstigen Szeneschönheit aus. Sie hatte mittlerweile zahlreiche Entzugs- und Schocktherapien hinter sich. Ihre Familie holte sie schließlich nach Kalifornien zurück, wo sie in in verschiedene Kliniken eingewiesen wurde. Außerhalb des Krankenhausgeländes war sie ständig auf der Suche nach Betäubungsmitteln und kaufte letztlich gegen sexuelle Gefälligkeiten Heroin und andere Drogen um ihren Selbstzerstörungsprozess zu komplettieren. Im Herbst 1970 besuchte sie der Filmemacher David Weisman im Cottage Hospital in Santa Barbara, um sie zu überreden Ciao! Manhattan, eine halb-dokumentarische Filmbiografie über ihr Leben, die Weisman bereits im Frühjahr 1967 begonnen hatte, zu beenden. Obwohl deutlich von Drogenkonsum und Therapien geschwächt, willigte Edie mit Einverständnis ihres behandelnden Arztes ein. Die Dreharbeiten gestalteten sich als relativ enervierend, da Sedgwick zu dieser Zeit unter dem Einfluss von Pentothal stand und sich meist nur unzusammenhängend artikulieren konnte, manchmal überhaupt nichts sagte oder am Set einschlief. Für den Schlußsatz in ihrer letzten Filmrolle „Oh, God. That’s what I hate about California. They roll up the fucking sidewalks…“ soll sie mehrere Stunden gebraucht haben.[18]
Im Frühjahr 1971 wendete sich das Blatt noch einmal kurz zugunsten von Edie: Sie lernte den zweiundzwanzigjährigen drogensüchtigen Mitpatienten Michael Brett Post kennen und lieben. Sedgwick schien sich endlich zu fangen, war kurzzeitig clean und wollte mit Michael Post ein neues Leben beginnen. Die beiden heirateten am 24. Juli 1971 auf der Sedgwick-Ranch, wo Edie aufgewachsen war. Doch das Glück hielt nicht lange: Edie begann erneut zu trinken und Tabletten zu schlucken. Nach einem Partybesuch fand Michael Post seine Frau am Morgen des 16. November 1971 leblos im Schlafzimmer der gemeinsamen Wohnung vor. Todesursache war nach ärztlichen Untersuchungsberichten eine Überdosis Barbiturate, deren tödliche Wirkung vermutlich durch Unmengen von Alkohol noch verstärkt wurde. Edie Sedgwick war gerade mal 28 Jahre alt geworden. Sie wurde in einem schlichten Grab als „Edith Sedgwick Post – Wife Of Michael Brett Post 1943–1971“ auf dem Oak Hill Friedhof in Ballard/Kalifornien beigesetzt. [19]
„Sie war jemand, den man auf Anhieb wirklich lieb hatte.“
Weitere Anmerkungen zur Person
- Edie Sedgwicks Leben wurde in dem Film Factory Girl aus dem Jahr 2006 mit Sienna Miller als Hauptdarstellerin verfilmt. Bob Dylan versuchte jedoch, die Veröffentlichung zu stoppen, weil er sich für den Selbstmord der Schauspielerin verantwortlich gemacht fühlt.[21]
- Die Songs Just Like a Woman und Leopard-Skin Pill-Box Hat von Bob Dylan aus den Jahren 1965 und 1966 handeln vermutlich von Edie Sedgwick.
- Edie war eine Cousine der Filmschauspielerin Kyra Sedgwick.
- In ihrem letzten Film, dem eher dokumentarischen Ciao! Manhattan von 1971, stellte sie ihre eigene tragische Fallstudie dar.
- Der Song Femme Fatale von Lou Reed auf dem Album The Velvet Underground and Nico bezieht sich auf Edie Segdwick.
- Die Songs Edie von The Adult Net und Edie (Ciao Baby) von The Cult handeln ebenfalls von Edie Sedgwick.
- Edies Bruder Francis Minturn (Minty) Sedgwick erhängte sich am Vorabend seines 26. Geburtstags an einer Badezimmertür. Auch er war aufgrund psychischer Probleme und Alkoholismus in den gleichen Heilanstalten wie seine Schwester untergebracht.
- Edies ältester Bruder Robert Minturn (Bobby) Segdwick starb mit 31 Jahren bei einem Motorradunfall.
Filmografie
(Soweit nicht anders angeben, stammen die Filme von Andy Warhol)
- 1965: Screen Tests
- 1965: Vinyl
- 1965: Poor Little Rich Girl
- 1965: Space
- 1965: Restaurant
- 1965: The Kitchen
- 1965: Beauty #2
- 1966: The Death of Lupe Velez
- 1966: Outer and Inner Space
- 1967: Color Me Shameless
- 1967: The Andy Warhol Story
- 1967: **** (The Four Stars / The 24 Hours Movie)
- 1968: The Queen – Regie: Frank Simon
- 1969: Diaries Notes and Sketches – Regie: Jonas Mekas (Dokumentarfilm)
- 1972: Ciao! Manhattan – Regie: John Palmer und David Weisman (posthum erschienen)
Darüber hinaus existieren zahlreiche weitere undatierte und unbetitelte Warhol-Projekte, z. B. Film- und Fotoaufnahmen bei Exploding Plastic Inevitable Happenings und bei Auftritten der Band The Velvet Underground. Da Warhol im Laufe der Jahre viele Filme neu zusammenschneiden ließ, können teilweise keine genauen Angaben über das Entstehungsjahr gemacht werden.
Die eindrucksvollsten Fotografien von Edie Sedgwick stammen zumeist aus der Hand des Factory-Fotografen Billy Name.
Literatur
- Andy Warhol, Pat Hackett: Popism. The Warhol ’60s, Harcourt Brace Javonovich, New York, London 1980, ISBN 0-15-173095-4
- Jean Stein und George Plimpton (Hrsg.): Edie: American Girl. Grove Press, 1982, ISBN 0-8021-3410-6 (englisch)
- Victor Bockris: Andy Warhol. Deutsch von Monika Hahn-Prölss; Claassen, Düsseldorf, 1989, ISBN 3-546-41393-8
- David Bourdon: Warhol. Deutsch von Manfred Allié; DuMont, Köln 1989, ISBN 3-7701-2338-7
- Victor Bockris und Gerard Malanga: Up-tight. The Story of The Velvet Underground. (1983); Reprint bei Cooper Square Press, 2003, ISBN 0-8154-1285-1 (englisch)
- David Weisman, Melissa Painter: Edie: Girl on Fire. Chronicle Books, 2006, ISBN 0-8118-5526-0
Weblinks
- www.warholstars.org – Informationen über Edie Sedgwick und weitere Warhol Superstars (englisch)
- The Edie Sedwick Internet Site (englisch)
- Vorlage:IMDb Name
- Vorlage:PND
Quellen
- ↑ Jean Stein: Edie: American Girl, Grove Press, 1982, Addenda
- ↑ Jean Stein: Edie: American Girl, S.75
- ↑ Jean Stein: Edie: American Girl, S. 63ff
- ↑ Jean Stein: Edie: American Girl, S. 135–139
- ↑ David Bourdon: Warhol. DuMont, Köln 1989, S. 202f
- ↑ Victor Bockris: Andy Warhol. Claasen Verlag, Düsseldorf 1989, S.220f
- ↑ Bockris: Andy Warhol. S. 221–223
- ↑ a b Bockris: Andy Warhol. S. 243–245
- ↑ vgl. Bourdon: Warhol, S. 210–211 und Bockris: Andy Warhol. S. 244
- ↑ Jean Stein: Edie: American Girl, S. 283
- ↑ Bockris: Andy Warhol. S. 244
- ↑ Bockris: Andy Warhol. S. 246–247
- ↑ Bockris: Andy Warhol. S. 246
- ↑ Bourdon: Warhol, S. 211
- ↑ Bockris: Andy Warhol. S. 247–248
- ↑ a b c Bockris: Andy Warhol. S. 252–254
- ↑ Stein: Edie: American Girl, S. 349
- ↑ Jean Stein: Edie: American Girl, S. 396
- ↑ Jean Stein: Edie: American Girl
- ↑ Bourdon: Warhol, S. 316
- ↑ vgl. Artikel Bob Dylan will Warhol-Film stoppen bei orf.at
Personendaten | |
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NAME | Sedgwick, Edie |
ALTERNATIVNAMEN | Sedgwick, Edith Minturn |
KURZBESCHREIBUNG | US-amerikanisches Fotomodell und Schauspielerin |
GEBURTSDATUM | 20. April 1943 |
GEBURTSORT | Santa Barbara (Kalifornien) |
STERBEDATUM | 16. November 1971 |
STERBEORT | Santa Barbara (Kalifornien) |